Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aus der Sicht der Arbeit unabhängiger Antidiskriminierungsstellen

Ein Schritt nach vorne, zwei zurück:

 

von Susanne Laaroussi

Was lange währt .....  
Dieser Staat benötigte für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) immerhin sechs Jahre seit Verabschiedung der dazu verpflichtenden EU-Richtlinien. Jahrelang wurden von der Zivilgesellschaft Forderungen für ein solches Gesetz erhoben. Letztendlich mussten die GegnerInnen des Gesetzes akzeptieren, dass die Vorgaben der EU-Richtlinien auch für den deutschen Gesetzgeber verbindlich sind.

..... kommt endlich. Der Appell an die Verbindlichkeit der EU-Richtlinien und die gesellschaftliche Notwendigkeit beeindruckte die Politik weniger, Schlagkraft hatte letztlich die Drohung eines satten Strafgeldes von 900.000 Euro pro Tag durch die EU-Kommission. Somit setzte Deutschland als vorletztes EU-Land diese menschenrechtliche Verpflichtung um.

Ein Schritt nach vorne. Es ist gelungen, alle zentralen Diskriminierungsmerkmale über das AGG zu schützen, um damit eine Hierarchisierung der Diskriminierungsmerkmale zu vermeiden. Willkommen in der Realität! Denn wer nicht der Norm entspricht, gilt in Deutschland meist nicht als „vollwertiges“ Mitglied und ist somit nicht gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft.

.... zwei zurück. Der gesamte Bereich öffentlicher Verwaltung und Institutionen wie Behörden, Schulen - Bereiche, in denen statistisch gesehen am häufigsten diskriminiert wird -, Kindergärten sowie Diskriminierung zwischen Privatpersonen außerhalb von Vertragsverhältnissen- sind nicht in den Schutzbereich des AGG einbezogen.

.... schützt nicht alle, die es bedürfen. Ausgeschlossen ist das Diskriminierungsmerkmal Staatsangehörigkeit. Rassistische Ausschlüsse vom Arbeitsmarkt oder beim Zugang zu Bildung, die auf ausländerrechtliche Regelungen zurückgehen, können mit dem AGG weiterhin nicht beseitigt werden!

.... mutiert zum zahnlosen Tiger. Betroffenenverbände können lediglich als Beistände in gerichtlichen Verfahren auftreten. Der Gesetzgeber hat ein „echtes“ Verbandsklagerecht ausgeschlossen.

.... Schlichtung statt Gerichtsverhandlung kaum möglich. Eine außergerichtliche Lösung wird durch viel zu kurze Fristen, um arbeitsrechtliche Klagen sowie Ansprüche bei zivilrechtlichen Konflikten zu erheben, erschwert. 

.... muss sich erst bewähren. Vieles entspricht nicht den EU-Vorgaben oder ist noch unklar in der Rechtsanwendung. Um dies zu verbessern werden NGOs, Gewerkschaften und Antidiskriminierungsstellen über „strategische Rechtsstreite“ Diskriminierungsfälle, die eine Entscheidung des Rechtsproblems erfordern, vor Gericht bringen. Ziel ist es, bereits existierendes Recht durch ein Urteil zu klären und dadurch seine Anwendung zugänglicher und effektiver zu machen sowie neue Auslegungen hervorzubringen, da das bisherige Recht unzulänglich ist. Damit solche „Fälle“ zu Präzedenzfällen werden, sollte es sich um ein strukturelles Problem handeln, das viele Menschen gleich oder ähnlich betrifft, wie z.B. Schulen oder Behörden. In der Öffentlichkeit begleitet, soll dieser „Fall“ zu Änderungen auf breiter Ebene führen, sowohl rechtlich als auch zur Schärfung des gesellschaftlichen Bewusstseins.

.... (k)ein Befreiungsschlag. Ein solches Gesetz macht deutlich, dass Diskriminierung gesellschaftlich geächtet wird, rechtlich geahndet wird und somit den Betroffenen eine gewisse Rechtssicherheit bietet. Diskriminierungsschutz ist ein zentrales Strukturprinzip der Menschenrechte, das über die formale Gleichberechtigung hinausgeht. Es bedarf daher der Gewährleistung gleicher Möglichkeiten zur tatsächlichen Ausübung der Menschenrechte. Dies wird und kann über das AGG nicht ausreichend gesichert sein. Antidiskriminierungspolitik fokussiert daher neben der Gleichbehandlung auch Strukturen, in denen trotz AGG weiterhin alltäglich diskriminiert wird. Um dagegen anzugehen, verfügt die Antidiskriminierungsarbeit über ein vielfältiges Repertoire von Projekten, Maßnahmen und Methoden.

Best Practice der Antidiskriminierungsarbeit: Fallpraxis  

Die landesgeförderten Antidiskriminierungsprojekte gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung in Nordrhein-Westfalen sowie weitere unabhängige Antidiskriminierungsstellen bundesweit umfassen ein breites Spektrum an Maßnahmen gegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und Hautfarbe.

Spezifische Antidiskriminierungsberatung: Die BeraterIn unterstützt den/die Einzelne/n einerseits bei der Bewältigung erlebter Diskriminierung, andererseits soll der diskriminierten Person zu ihrem Recht der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe verholfen werden. Dabei entwickeln BeraterIn und KlientIn gemeinsam Interventionsstrategien, von konfliktvermittelnden Maßnahmen bis zum Einschalten einer Anwältin/eines Anwaltes. Ziel ist die Stärkung, das Empowerment der diskriminierten Person. Die Diskriminierungsvorfälle und deren Bearbeitung werden in einem computergestützten Programm erfasst und ausgewertet. Die Dokumentation wird veröffentlicht und schafft eine Grundlage, um wirksame Handlungsansätze und Maßnahmen zu entwickeln. Angesichts des AGG werden sich die fachlichen, juristischen Ansprüche an die BeraterInnen erheblich erweitern.

Öffentlichkeits- und Sensibilisierungsarbeit mit dem Ziel, ausgrenzende Strukturen zu erkennen, aufzudecken und aufzubrechen, Gegenmaßnahmen aufzuzeigen und somit in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Aufbau von Netzwerken und Kooperationen  

Vielfalt statt Diskriminierung
Um eine Zusammenarbeit und Austausch zwischen Menschen und/oder deren Organisationen verschiedener Diskriminierungsmerkmale herzustellen, haben 21 Initiativen und Organisationen aus Köln im Jahr 2003 ein Antidiskriminierungsnetzwerk etabliert, das „Kölner BürgerInnenforum Vielfalt statt Diskriminierung“. Ziel ist, gegenseitige Vorurteile oder Ausgrenzungen abzubauen, Gemeinsamkeiten im gesellschaftlichen Ursprung der Ungleichbehandlung oder im Kampf gegen Diskriminierung herauszustellen und den hierzulande wenig beliebten sog. horizontalen Ansatz der europäischen Antidiskriminierungsarbeit umzusetzen.

Kommunale Antidiskriminierungspolitik
In Köln entstand eine koordinierte Zusammenarbeit von einer unabhängigen AD-Stelle (ADB Köln), einer AD-Stelle eines Wohlfahrtsverbandes (Caritas) und dem Interkulturellen Referat der Stadt Köln – das sog. Drei-Säulen-Modell, mit dem Ziel, innerhalb der Stadtverwaltung Diskriminierung abzubauen und die Antidiskriminierungsarbeit in Köln auf eine breite Basis zu stellen.

Vernetzung
mit Initiativen, Organisationen und Bewegungen, die sich direkt oder indirekt gegen Diskriminierung engagieren, mit städtischen Einrichtungen, mit LehrerInnen, Eltern und Jugendlichen sowie mit VertreterInnen der Wissenschaft.  

Projekte zum Abbau von Diskriminierungen

Bildungsbereich
Bei gleich starken Schulleistungen erhalten SchülerInnen mit Migrationshintergrund seltener eine Gymnasialempfehlung. In Sonderschulen für Lernbehinderte und Hauptschulen sind sie hingegen überproportional vertreten. Dieser Bildungsdarwinismus ist in unserem dreigliedrigen Schulsystem verankert: Statt zu fördern, wird aussortiert. Z.B. hat das Projekt „Gleiche Bildungs- und Arbeitschancen für Migrantinnen und Migranten“ vom ADB Köln diese strukturelle Diskriminierung und deren Zusammenhänge untersucht und das Thema in die Öffentlichkeit gebracht.                                             

Empowerment
Anti-Rassismus-Trainings und Gewalt-Deeskalations-Trainings sowie Empowermentansätze im Rahmen der Medienarbeit z.B. Filmprojekte wie „ich und ich-DiasporAfro"

Bildungsarbeit
Trainingsmaßnahmen, Seminare, Vorträge mit dem Ziel, die interkulturelle Kompetenz von MitarbeiterInnen in Behörden, Verbänden und anderen Institutionen zu fördern.

Nichtdiskriminierung als zentraler Bestandteil eines nicht einseitigen Integrationsprozesses,

  •  indem Gleichbehandlung immer wieder eingefordert wird - Integrationskonzepte ohne gleiche Rechte sind nicht mehr als eine leere Worthülse,
  • durch die Verlagerung von der Täterzentrierung hin zu den Betroffenen von Rassismus, wodurch diese ihre Würde zurückerhalten können,
  • indem Diskriminierung in all ihren strukturellen und individuellen Facetten bewusst gemacht, enttabuisiert sowie über Öffentlichkeitsarbeit aufgedeckt und sichtbar gemacht wird,
  • indem die Antidiskriminierungsarbeit als Pflichtaufgabe und Anforderung an die Gesellschaft angesehen wird.  

Veränderte Rahmenbedingungen für die Antidiskriminierungsarbeit  

Auf der Grundlage der EU-Richtlinien gegen Diskriminierung entstand ein explizites Mandat für die Antidiskriminierungsarbeit: Die EU-Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der ethnischen Herkunft sieht es für die Einhaltung einer zukünftigen Gesetzgebung als notwendig an, dass neben den Gerichten, mehrere Stellen geschaffen werden, die das Recht auf Gleichstellung kontrollieren und durchsetzen.

Daher fordern NGOs und unabhängige Antidiskriminierungsstellen gegen rassistische Diskriminierung, möglichst flächendeckende Strukturen von Beratungsstellen auf Landesebene sowie in den Kommunen einzurichten, staatliche Prozesskostenhilfe zu gewähren sowie Rechtshilfefonds einzurichten, damit das Gesetz auch von Menschen mit geringen Einkommen in Anspruch genommen werden kann. Dies hat der Gesetzgeber nicht berücksichtigt und somit die Antidiskriminierungsstellen mit ihrem Know How und niedrigschwelligen Angeboten an Beratung nicht ausreichend miteinbezogen. Die Kompetenzen der neu eingerichteten Bundesstellen gegen Diskriminierung reichen zur Unterstützung der Betroffenen bei weitem nicht aus.

Herausforderungen für die Antidiskriminierungsarbeit

Mit dem AGG verändern sich die Rahmenbedingungen für die Antidiskriminierungsarbeit, indem zwangsläufig erhöhte Anforderungen an die Strukturen sowie an die in der Antidiskriminierungsarbeit Tätigen entstanden sind. Das beinhaltet Aneignung u.a. weiterer  rechtlicher Kenntnisse, mehr Beratungstätigkeit, detaillierte Dokumentation von Diskriminierungsfällen vor dem Hintergrund der späteren Verwertbarkeit vor Gericht, verstärkte Zusammenarbeit mit RechtsanwältInnen, Durchführung von Trainings im Umgang mit dem AGG, insbesondere für MigrantInnen und deren Einrichtungen und Organisationen, Begleitung und Beistand der KlientInnen bei Gerichtsverhandlungen, Ausübung schlichtender Maßnahmen sowie öffentlichkeitswirksame Begleitung von „Musterprozessen“ zur Umsetzung europäischer Standards zum Diskriminierungsschutz.

Bei all diesen Aktivitäten sollte sich die Antidiskriminierungspolitik nicht „verrechtlichen“ und die bewährten Aufgaben und Maßnahmen aus dem Auge verlieren. Eine Überwindung von Diskriminierung und Rassismus gelingt nur dann, wenn Antidiskriminierungspolitik als verpflichtende Querschnittsaufgabe der Gesellschaft angesehen wird: u.a. Schulen, Medien, Verwaltung, soziale Einrichtungen, die Migrationssozialarbeit, die herkömmlichen Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Das AGG wird auch erst dann faktische und ideelle Schlagkraft entfalten, sobald die „Minderheiten“ – die im Fall der MigrantInnen schon bald keine mehr sind – ihre Rechte in die Hand nehmen, mit geeinigten Kräften ihre Forderungen an und über das AGG hinaus stellen und eigene Vorstellungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens formulieren.

In Deutschland gibt es noch keine Antidiskriminierungskultur, wie in anderen Ländern, die sich bereits seit vielen Jahren damit auseinandergesetzt haben. Daher soll die Nichtdiskriminierung als Mainstream in allen Bereichen der Gesellschaft verankert werden. Dies bedarf einer Vielfalt von Maßnahmen, Initiativen und viel fachliches und persönliches Engagement. Ein erster Schritt in diese Richtung wären gezielte Förderprogramme und ein gesellschaftlich breit angelegter nationaler Nicht-Diskriminierungs-Pakt. Die EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik im Jahr 2007 unter dem Motto des europäischen Jahres der Chancengleichheit ist ein guter Anlass dafür.  

 

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Susanne Laaroussi ist Soziologin und Journalistin und arbeitet u.a. für das AntiDiskriminierungsBüro (ADB ) Köln für Öffentlichkeit gegen Gewalt.