Der Blick hinter Hochglanzbroschüren. Diversity als sozialpartnerschaftliche Strategie

 

von Michaela Dälken

Es hört sich an wie eine Erfolgsgeschichte: Über 300 Firmen bekennen sich zu Diversity im Unternehmen und unterzeichnen die Charta der Vielfalt. Weitere ArbeitgeberInnen entdecken Diversity als Management-Konzept und etablieren es als Strategie in ihrem Unternehmen. Die Zukunft ist bunt.

Schöne neue Welt oder schöner neuer Schein? Leider bleiben viele dieser grundsätzlich begrüßenswerten Initiativen in bloßen Lippenbekenntnissen stecken.

So sind in der Charta der Vielfalt beispielsweise kaum wirksame Evaluationskriterien vereinbart. Einmal pro Jahr soll ein Bericht über den Fortschritt der Entwicklungen abgelegt werden. Doch wie dieser auszusehen hat und wann überhaupt ein Fortschritt erkennbar ist – über diese eigentlich selbstverständlichen Inhalte schweigt sich die Charta aus.

Auch über mögliche Sanktionen bei Nichteinhaltung ist nichts vereinbart. Was passiert, wenn ein Unternehmen keinen der Grundsätze einhält? Ein Ausschluss ist nicht vorgesehen. Und wer sollte darüber entscheiden?

Top Down und Bottom Up

Festzuhalten bleibt, dass der grundsätzliche Ansatz begrüßenswert ist: Chancengleichheit muss gestärkt werden. Doch das Diversity Konzept an sich muss auf eine breitere Basis gestellt werden. Unsere Erfahrungen vor allem in der Begleitung von Betriebsvereinbarungen für partnerschaftliches Verhalten und Chancengleichheit und der Entwicklung von Diversity Konzepten für Verwaltungen, Betriebe und Gewerkschaften haben gezeigt, dass es wichtig ist, ein Diversity Konzept nicht nur Top down zu verordnen, sondern sozialpartnerschaftlich zu entwickeln und in die Gesamtstrategie des Unternehmens einzubinden.

Beispielhaft dafür sind die seit Anfang der 1990er Jahre in Unternehmen abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gegen Diskriminierung und für partnerschaftliches Verhalten, die in der Privatwirtschaft und auch in öffentlichen Einrichtungen insbesondere an den Formen direkter Benachteiligung ansetzen. Die Gründe für den Abschluss dieser Vereinbarungen sind dabei vielfältig:

So hat z.B. ein Kleinbetrieb in Frankfurt/Oder die Behandlung ihrer polnischen Kundschaft im Blick gehabt, EKO-Stahl in Eisenhüttenstadt (heute ArcelorMittal) fokussierte auf die Verhinderung rechtsextremer Handlungen von Beschäftigten außerhalb des Betriebes. Großbetriebe wie Ford und Volkswagen hatten vor allem die Qualität ihrer Produkte im Blickfeld.

Diese Vereinbarungen können als Grundlage für die Einführung eines Diversity Konzeptes gesehen werden, welches Top down und Bottom up verbindet.

Ansatz gegen strukturelle und individuelle Diskriminierung

Beim Diversity Konzept geht es nicht mehr nur um die Hinnahme oder Duldung der Unterschiede, sondern um deren Wertschätzung sowie die Förderung von realer Chancengleichheit. Um Chancengleichheit umzusetzen, müssen sowohl strukturelle als auch individuelle Diskriminierung verhindert werden. Wir verstehen Diversity daher als ein Konzept, das die Unterschiedlichkeit in der Belegschaft berücksichtigt und den unterschiedlichen Formen der Benachteiligung durch positive Aktionen und MitarbeiterInnenförderung gezielt entgegen wirkt.

Nach unseren Erfahrungen sollte eine Diversity-Gesamtstrategie einen offenen und respektvollen Umgang mit Unterschieden hinsichtlich Alter, Geschlecht, Nationalität und ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität fördern.

Dabei ist zu beachten, dass Benachteiligungen und Diskriminierungen häufig nicht auf ein spezifisches Merkmal reduziert sondern oftmals mehrdimensionale Diskriminierungsformen erkennbar sind. Bei der Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche kann dies bedeuten, dass PersonalentscheiderInnen - auch unbewußt - Vorurteile gegenüber Jugendlichen aus bestimmten Herkunftsländern verbunden mit einer negativen Beurteilung des Wohnortes oder der schulischen Ausbildung zeigen.

Kurz gesagt: Die kopftuchtragende Arzu, die sich aus Berlin-Neukölln mit einem Realschulabschluss von einer Gesamtschule bewirbt, wird anders beurteilt als Friederike, die ihren Abschluss an einer Realschule in Potsdam gemacht hat. Daher ist es notwendig, Benachteiligungen merkmalsübergreifend zu sehen und sie gemeinsam zu bekämpfen.
 
Wahrnehmung von Vielfalt als Potenzial

Doch bei Diversity sollte es nicht nur darum gehen, Benachteiligungen zu verhindern. Ebenso wichtig ist es, individuelle Fähigkeiten und Talente wahrzunehmen und Vielfältigkeit als besonderes Potenzial zu begreifen. Diversity ist in diesem Sinne ein zielgerichteter Prozess, der sowohl auf der strukturellen als auch auf der individuellen Ebene stattfindet.

Dabei sind Organisations-, Personalentwicklung und die berufliche Fort- und Weiterbildung strategische Ansatzpunkte, die Wertschätzung von Vielfalt in den Alltag von Betrieben zu bringen, sie zu verankern und zu verbreitern.

Von zentraler Bedeutung für die Umsetzung ist es, dass diese mitbestimmungs- und mitwirkungspflichtig sind. Erst dadurch ist gesichert, dass die Belegschaft ihr Arbeitsfeld aktiv mitgestaltet und ihre Interessen einbringen kann. Bottom up in Ergänzung zum Top down bringt die Gewähr, dass es nicht bei Sonntagsreden bleibt, sondern dass der Prozess auch von den Beschäftigten mit Leben gefüllt wird.

Verantwortung für betriebssozialverträgliche Entwicklung

Die Mitbestimmung steht dabei nicht in Konkurrenz zum unternehmerischen Handeln. Im Gegenteil: Es soll ein verantwortungsbewusster Beitrag der Beschäftigtenvertretung geleistet werden, der für eine betriebssozialverträgliche Entwicklung einsteht und der wertschätzende, verhaltensfaire, interkulturelle, gleichberechtigte und gleichgestellte Prozesse fördert.
Ein Diversity Konzept sollte dementsprechend zum Ziel haben:

  • Chancengleichheit zu stärken
  • die betriebliche Integration zu verbessern 
  • Wettbewerbsvorteile zu vergrößern
  • KundInnenbedürfnisse besser zu erkennen und zu erfüllen
  • die Beschäftigen und ihre Potenziale wert zu schätzen
  • vorhandene Ressourcen und Kompetenzen zu erkennen und zu nutzen
  • die Arbeitsplatzattraktivität zu verbessern

Handlungsfelder sind dabei die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, von Schwerbehinderten, eine Altersstrukturpolitik, Gender-Gleichstellung, Gleichstellung im Rahmen der sexuellen Orientierung, Cultural Mainstreaming und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

All dies kann nur dann erfolgreich sein, wenn eine langfristig angelegte, auf Stärkung der Chancengleichheit und Nutzung vorhandener Potenziale setzende Gesamtstrategie im Unternehmen entwickelt wird. Es darf hier nicht darum gehen, kurzfristig öffentlichkeitswirksam tätig zu werden oder Differenzen zu betonen.

Auch kann eine solche Strategie nicht von oben verordnet und nach unten durchgesetzt werden. Für den nachhaltigen Erfolg ist die Einsicht und Verantwortung sowohl der Unternehmensleitung als auch der Belegschaft Voraussetzung. Gleichzeitig ist es notwendig, valide Evaluationsmaßnahmen durchzuführen und gemeinsame Ziele zu vereinbaren. Dazu gehören auch – das zeigen unsere Erfahrungen – Sanktionen bei Nichteinhaltung.

Vielfalt zu fördern benötigt die aktive Mitgestaltung und ist eine gemeinsame Aufgabe von Führungskräften, Beschäftigten und ArbeitnehmerInnenvertretungen. Nur wenn ein Diversity Konzept gemeinsam entwickelt und vor allem gelebt wird, kann Chancengleichheit umgesetzt werden. Es sollte deutlich sein: Jeder Schritt zur Schaffung von Chancengleichheit für jedeN im Betrieb bringt Vorteile für die Betroffenen und für das Unternehmen gleichermaßen.

 

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Michaela Dälken ist Leiterin des Kompetenzzentrums Gleichbehandlung im Bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftbundes.