Zuwanderung und Zugehörigkeitsgefühl –Teilhabe und Partizipation von MigrantInnen in Deutschland

von Hye-Young Haubner

Über die Integration von Minderheiten, AusländerInnen, MigrantInnen, Menschen mit Migrationshintergrund oder der ersten, zweiten und dritten Generation wurde von vielen schon vieles gesagt. Ich frage mich deshalb, was ich zu der Debatte Neues beitragen könnte: Ich als Integrationsforscherin und ich als Tochter einer Südkoreanerin und eines Deutschen – als Betrachterin und als Gegenstand der Betrachtung zugleich.

Als Betrachterin stelle ich fest, dass die Integrationsdebatte von Zuschreibungen, Klischees und Vorurteilen geprägt ist. Vorherrschend ist das Bild der „ProblemmigrantInnen“, denen es an Arbeit, Bildung, Deutschkenntnissen, Weltoffenheit und Demokratieverständnis zu mangeln scheint.

Als Gegenstand der Betrachtung stelle ich fest, dass dieses Stereotyp auf südkoreanische MigrantInnen nicht zutrifft. Sie kamen als qualifizierte Fachkräfte – Krankenschwestern und Bergarbeiter – in den 1960er und 1970er Jahren nach Deutschland. Sie sind nach wie vor erwerbstätig, schicken ihre Kinder auf Universitäten und führen ein weitgehend unbeachtetes und unauffälliges Leben.

Diese rein formale Integration in den Arbeitsmarkt oder das Ausbildungssystem lässt allerdings keine Rückschlüsse auf das substantiellere Gefühl einer tatsächlichen Zugehörigkeit und Teilhabe zu.

Wie sonst ließe sich erklären, dass SüdkoreanerInnen ihre Freizeit größtenteils mit anderen südkoreanischen MigrantInnen verbringen? Dass zwei Drittel den Wunsch äußern, irgendwann einmal nach Südkorea zurückzugehen, obwohl sie wissen, dass dies aufgrund der erheblichen finanziellen und sozialen Kosten nicht realisierbar ist?

Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass sich Integration im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe nicht auf formale Kriterien reduzieren lässt, und dass insbesondere die Perspektive von MigrantInnen und ihr Zugehörigkeitsempfinden stärker berücksichtigt werden sollte.

Integration ohne Zugehörigkeit
Ungleiche Teilhabe im Sinne einer Nicht-Zugehörigkeit wird auf unterschiedlichen Ebenen vermittelt. Auf der politisch-rechtlichen Ebene werden MigrantInnen unter anderem durch die Einschränkung beziehungsweise Verweigerung des Wahlrechts immer wieder daran erinnert, dass sie nicht vollständig dazu gehören.

Auf der sozio-ökonomischen Ebene zeigt sich ungleiche Teilhabe im sozialen Abstieg, der für die meisten SüdkoreanerInnen mit der Migration nach Deutschland verbunden war: Im Falle der Krankenschwestern von hoch qualifizierten medizinischen Fachkräften zu Putzhilfen und Pflegerinnen. Diesen Abstieg haben einige durch Weiterbildungsmaßnahmen auszugleichen versucht. Obwohl diese in Deutschland unternommen wurden und die Abschlüsse deshalb formal anerkannt sind, zeigt sich auch hier, dass gleichberechtigte Teilhabe nicht stattfindet. So spezialisierten sich viele Krankenschwestern auf Homöopathie und chinesische Medizin. Neben eigenen Interessen spielt hier nicht zuletzt die von außen erteilte Berechtigung zum Ausüben einer solchen Tätigkeit eine Rolle – im Sinne von: „Das ist asiatisch, das passt ja.“ oder: „Damit kennen die sich ja auch aus.“

Auf der Ebene sozialer Interaktion im Alltag werden südkoreanische MigrantInnen noch nach über vierzig Jahren in Deutschland beständig auf ihre de facto Nicht-Zugehörigkeit hingewiesen mit der immer wiederkehrenden Frage: „Möchtest du irgendwann einmal zurück?“

Für die subjektive Dimension von Integration bedeutet dies, dass MigrantInnen keine dauerhafte Bleibeperspektive entwickeln und sich der Mehrheitsgesellschaft auch nicht zugehörig fühlen. Das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit führt dann dazu, dass sie auch wenig Interesse daran haben sich in die deutsche Gesellschaft einzubringen und für ihre Teilhabe zu kämpfen.

Gleichzeitig gibt es aber auch den umgekehrten Fall: Wenn MigrantInnen sich selbst als aktive und engagierte Menschen empfinden, ihnen diese Handlungsmacht aber permanent entzogen wird. Dies geschieht dadurch, dass migrantische Aktivität nicht thematisiert und damit auch nicht anerkannt wird.

Integriertheit ohne Anerkennung
MigrantInnen gestalten ihren Alltag auf individuelle und kreative Weise. Sie schaffen sich Handlungsspielräume und integrieren sich gewissermaßen „von selbst“ – ohne auf den paternalistischen Schutz von Politik und Mehrheitsgesellschaft angewiesen zu sein.

Neben den alltäglichen Praxen und Strategien liegen auch zahlreiche politische Aktivitäten vor. Beispielsweise erkämpften sich südkoreanische Krankenschwestern ihr Bleiberecht durch eine Unterschriftenaktion im Jahre 1977, als es im Zuge des Anwerbestopps von 1973 zu den ersten erzwungenen Abschiebungen von Kolleginnen kam.

Immer wenn ich von dieser politischen Aktion erzähle – unabhängig davon ob dies in einer privaten Runde oder im Rahmen eines wissenschaftlichen Vortrags geschieht – ruft dies großes Erstaunen hervor, weil es nicht dem gängigen Klischee passiver MigrantInnen entspricht. Als weitere Irritation kommt hinzu, dass gerade asiatische Frauen als besonders unterwürfig eingestuft werden. Dies wird beispielsweise durch die Bezeichnung „sanfte Engel“ deutlich. Sie fällt häufig in Zeitungsberichten über südkoreanische Krankenschwestern und ruft das Bild von Frauen hervor, die selbstaufopfernd ihren „Dienst am deutschen Patienten“ leisten.

In krassem Gegensatz dazu steht das Lebensgefühl vieler Krankenschwestern, die voller Abenteuerlust den Schritt aus den beengenden gesellschaftlichen Strukturen des Südkoreas der 1960er und 1970er Jahre unternommen hatten.

Problematisch an der Diskrepanz zwischen Fremdzuschreibung und Selbstwahrnehmung ist, dass diese von den MigrantInnen selbst überbrückt werden muss. In ihren Identitätsbildungsprozessen, deren Ziel es ist, eine konsistente Lebensgeschichte zu erzeugen, müssen sie immer wieder daran arbeiten diese beiden Sichtweisen zusammenzuführen. Hohe Selbstmordraten und zahlreiche Fälle psychischer Erkrankung von südkoreanischen MigrantInnen lassen ahnen, dass diese Aufgabe nicht von allen und ohne weiteres ausgeführt werden kann.

Ein Teil ihrer selbst scheint stets nicht zu passen.

Teilhabe nur teilweise
In den 1960er und 1970er Jahren waren MigrantInnen in ihrer Eigenschaft als Arbeitskraft, nicht jedoch als ganzer Mensch erwünscht. Heute präsentiert sich Deutschland zwar als Einwanderungsland, die Eingewanderten selbst sollen aber einen bedeutenden Teil ihrer Identität, ihrer Wertvorstellungen und ihrer Kenntnisse hinter sich lassen und diese in Integrationskursen durch andere ersetzen. Um sich „gut zu integrieren“ wird von ihnen verlangt sich möglichst stark anzupassen.

Gleichzeitig werden MigrantInnen aber im täglichen Umgang auf ihre vermeintlich ursprünglichen kulturellen Werte und Normen in Form bestimmter Charaktereigenschaften und Eigenheiten festgeschrieben. Beispielsweise: „AsiatInnen sind autoritätshörig und fleißig.“

Auf diese Teilaspekte ihrer Person werden MigrantInnen dann radikal reduziert. Ihre „rebellische“ oder „faule“ Seite ist sozial nicht existent, weil sie nicht thematisiert wird, weil sie nicht in das Bild passt. Sie kondensiert sich zu einem essentiali- sierten Wesenskern an den sich die Mehrheits- gesellschaft auch nach vierzig Jahren noch klammert.

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Solidaritätsdemonstration mit den kämpfenden Arbeitern in Korea, Berlin 1988
Foto: Koreanische Frauengruppe in Deutschland e.V.

Dieser wird dann über Begriffe und Zuschreibungen auch auf nachfolgende Generationen übertragen. Denn die vermeintlich klaren Abstammungslinien von der „ersten“ bis zu unendlich fortsetzbaren Generationen verweigern auch den Kindern und Kindeskindern der MigrantInnen ein wirkliches Ankommen in der Mehrheitsgesellschaft.

Es ist also nicht nur das Stereotyp der mangelhaft integrierten „ProblemmigrantInnen“, das zu kurz greift, sondern die Fremdzuschreibung als solche.

Partizipation durch Selbstrepräsentation
Hinter kollektivierenden Bezeichnungen wie ethnische Minderheit, AusländerInnen, MigrantInnen, Menschen mit Migrationshintergrund oder erste, zweite und dritte Generation verbergen sich höchst unterschiedliche Menschen mit je eigenen Erfahrungen und Ansichten. Deshalb ist es wichtig, die vorherrschenden einseitigen Bilder aufzubrechen und zu diversifizieren.

Allerdings ist damit nicht gemeint, MigrantInnen unter die Arme zu greifen und ihnen „eine Stimme zu verleihen“. Sie haben diese bereits und sie sprechen. Es kommt nur noch darauf an, die erzählten Geschichten zu hören und aufzugreifen, anstatt sie totzuschweigen, sobald sie nicht in vorgefertigte Narrative passen. Solange die Debatte um Integration vor allem von PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen der Mehrheitsgesellschaft geführt wird ist dieser Schritt nur schwer vorstellbar.

Als Betrachterin und Gegenstand der Betrachtung zugleich sitze ich genau an der Schnittstelle von sprechen und zuhören und diese Position ermöglicht es mir die Diskrepanz zwischen objektivierenden Zuschreibungen und dem jeweils subjektiven Empfinden fassbar zu machen.

Zu der Debatte um Integration kann ich aus dieser Perspektive beitragen, dass gleiche Teilhabe im Sinne einer formalen wie subjektiven Zugehörigkeit nicht möglich ist, wenn MigrantInnen explizit über Merkmale der Andersartigkeit als Gruppe konstituiert werden, und dass Partizipation nur durch eine faktische Repräsentiertheit gewährleistet ist.

 

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Hye-Young Haubner ist Politikwissenschaftlerin und promoviert zum Thema „Integrationsprozesse südkoreanischer ArbeitsmigrantInnen in Deutschland“.