Schulpolitik anders - Mehr Lehrkräfte mit Migrationserfahrung!

von Antonietta P. Zeoli

Im Alltag gönnen wir uns morgens einen Tee beim Türken, in der Mittagspause gehen wir zum Inder eine Kleinigkeit essen und abends zum Libanesen um in der Ecke zu entspannen. Jedoch finden wir unsere bunte, vielfältige Gesellschaft beim Eintritt in die Lehrerzimmer NRWs nicht wieder.

Obwohl der Anteil an Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte im Nordrhein-Westfalen bei ca. 40 % liegt, waren im Schuljahr 2006/07 lediglich 9,2 % aller Abiturienten und 10,2 % aller Schüler mit Fachhochschulreife ausländischer Herkunft. Im krassen Gegensatz dazu steht der Anteil der Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte an den öffentlichen Schulen des Landes, der gerade einmal 1% beträgt. Auch die Einstiegsquote in der ersten Phase der Lehrerausbildung liegt bei StudieneinsteigerInnen mit Migrationsgeschichte bei schwachen zwei Prozent. Eine überdurchschnittlich hohe Abbrecherquote konnte hier ebenfalls festgestellt werden. Dabei sind besonders Lehrerinnen und Lehrer mit Zuwanderungsbiographie Vorbilder für gelungene Integration und können als Mittler zwischen den Kulturen fungieren.

Warum ein Netzwerk der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte?
„Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte sind Vorbilder. Sie stehen für eine gelungene Integration und erfolgreiche Bildungskarrieren. Wir brauchen mehr Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte an unseren Schulen, weil sie mit ihren kulturellen, mehrsprachigen und fachlichen Kompetenzen dazu beitragen können, die Lernerfolge von Schülerinnen und Schülern mit ausländischen Wurzeln zu verbessern.“ (Schulministerin Barbara Sommer)

Der Integrationsplan von NRW, der im Juli 2006 im Landtag verabschiedet wurde, sieht unter Punkt 8 vor, den Anteil der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte zu erhöhen. Das mit Hilfe des Ministeriums für Schule und Weiterbildung und des Integrationsministerium entstandene „Netzwerk der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte“ hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Dieser Zusammenschluss von Menschen, die sich das Lehren und Lernen in interkulturellen Kontexten zum Leitmotiv gemacht haben, wächst seit seiner Gründung im November 2007 stetig. Derzeit arbeiten über 200 Lehrkräfte ehrenamtlich und höchst engagiert an unterschiedlichsten Projekten: Fortbildungsmaßnahmen, Workshopangebote für angehende LehramtsstudentInnen, Elternarbeit und Patenschaftsmodelle geben eine höchst bildungs- und aufklärungsorientierte Richtung vor.

Die Lehrkräfte mit Zuwanderungsbiographie haben in Deutschland ihr Zuhause gefunden. Die meisten haben ihr Examen in Deutschland erfolgreich absolviert und unterrichten Kernfächer. Es sind Menschen, deren Wurzeln nicht in Deutschland liegen und die sich bewusst für dieses Land entschieden haben.

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Das RAA-Leitungsgremium

Ihr kulturelles, sprachliches und mediatives Potenzial wird als „Bereicherung für die jeweilige Schule“ beschrieben, so Edwin Stiller, Referent im Ministerium für Schule und Weiterbildung im Bereich der Grundsatzfragen.

AbiturientInnen mit Zuwanderungsgeschichte entscheiden sich für das Lehramtsstudium
Damit ihre Zahl in Zukunft wächst, sieht der Integrationsplan der Landesregierung unter anderem vor, unter den AbiturientInnen mit Zuwanderungsgeschichte gezielt für den Lehrerberuf zu werben. Das ist allein schon vor dem Hintergrund der Herausforderungen des demografischen Wandels und dem prognostizierten Fachkräftemangel bedeutend.

 

 Bild entfernt. Das Netzwerk bildet hier eine wichtige Vernetzung von Ressourcen, die unentdeckt an Schulen in NRW schlummern:

Lehrkräfte, die nicht nur ihre Herkunftssprache pflegen, sondern kultursensibel Eltern aus Zuwanderungsländern beraten. Ihre Authentizität im Beratungsprozess zum Beispiel im Übergang Schule - Beruf ist unbezahlbar. Ein Perspektivwechsel im Bereich der Integrationspädagogischen Arbeit an Schulen in NRW wurde zweifelsohne mit der Gründung des Netzwerks initiiert. So gehen die Mitglieder als Positivbeispiele voran.

Kooperationen mit Stiftungen
„Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte werden dringend gebraucht – als Vorbilder, Vertraute und Brückenbauer zwischen Schule und Familie.“
(Dr. Markus Baumanns, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der ZEIT-Stiftung)

Der Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“ will Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte für das Lehramtsstudium und den Lehrerberuf interessieren. Er vermittelt einen Überblick über Struktur und Inhalt von Studium und Beruf. Die TeilnehmerInnen erfahren, welche Anforderungen der Arbeitsalltag mit sich bringt welche Karrierechancen sich bieten. Sie lernen Lehrkräfte mit Zuwanderungsbiographie aus unterschiedlichsten Schulformen als positive Rollenmodelle kennen. 

„Auch der Hertie-Stiftung ist es ein Anliegen, durch aktive Förderung die Zahl der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Mit 'Horizonte', unserem Lehramtsstipendium für Migranten, setzen wir bislang bei Studierenden und Referendaren an. Mit dem Schülercampus können wir jetzt auch Schüler erreichen“ 
so Katharina Lezius, die die universitären Stipendienprogramme der Hertie-Stiftung verantwortet.   Die ZEIT-Stiftung hatte das Studienorientierungsangebot 2008 in Hamburg initiiert. Im in diesem Jahr wird es in Kooperation mit der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Ministerium für Schule und Weiterbildung sowie dem Netzwerk der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte der Schülercampus „Migranten werden Lehrer“ erstmals in Düsseldorf NRW weit angeboten. 30 Abiturientinnen mit familiären Wurzeln in Italien, Russland, Angola, Afghanistan, Irak, Türkei, Polen und Bosnien erhalten so einen Überblick über die Struktur und Inhalte des Lehrerstudiums und Lehrerberufes. Aus über 100 Bewerbungen wurden 30 geeignete Kandidatinnen und Kandidaten (18 Abiturientinnen und 12 Abiturienten) von einer unabhängigen Jury ausgewählt.

Politische Partizipation
Seit der Gründung des Netzwerks werden Anfragen zur Projektvorstellung in den Intergrationsräten vieler Städte in NRW laut. Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte stellen in einem Vortrag die vielschichtige Arbeit vor. In folgenden Bereichen ist das Netzwerk derzeit aktiv:

  • Zusammenarbeit mit Schulbuchverlagen;
  • Gemeinsame Veranstaltungen um das Thema Schule & Studium im Übergang „Schule -  Beruf“ mit Migratenselbstorganisationen wie z.B. das Elternnetzwerk NRW, der Tunesische Elterverein Essen e.V oder dem Ungarisch-deutschen Elternverein Düsseldorf und viele mehr;
  • Kooperation mit Studienseminaren in NRW in Form von Workshops für angehende Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte u. A. zum Thema „Mehrsprachigkeit in institutionellen Kontexten“;
  • Patenschaftsmodelle für AbiturientInnen und StudentInnen, die Lehrerinnen und Lehrer in NRW werden möchten.

Forschungsarbeit
Derzeit bestehen Kooperationsvereinbarungen mit unterschiedlichen Universitäten im Land. So wird die Universität Dortmund Patenschafsmodelle zwischen Studierenden mit Zuwanderungsgeschichte des Lehramtes und dem Netzwerk forcieren. Die Universität Bochum hingegen untersucht die erfahrenen Studienbedingungen der Lehrkräfte türkischer Herkunft an den Schulen in NRW.

Frau Prof. Viola Georgie von der Freien Universität zu Berlin erforscht Bildungsbiographien sowie das Bedingungsgefüge schulischer Integration. Die Professorin Barbara Welzel arbeitet an der Universität Dortmund an einem Konzept im Bereich Integration junger LernerInnen durch Kunstgeschichte. Die erste Erprobungsphase ist Ende Januar erfolgreich abgeschlossen worden. Ohne ein Netzwerk der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte wären diese akademischen Arbeiten nicht ohne Weiteres realisierbar gewesen.

Synopse
Abschließend bleibt nur zu hoffen, dass sich das Netzwerk weiter entwickelt. Dazu gehören auch Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der Interkulturellen Mediation für die Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte, die durch ihre bilinguale und bikulturelle Erziehungserfahrung eine wichtige Ressource für die Schulen in NRW darstellen. Wichtig ist es auch, die Integrationsaufgabe nicht ausschließlich an zugewanderte Lehrkräfte zu delegieren. Schulleiter müssen prüfen, ob bei Stellenausschreibungen das migrationspädagogische Kompetenzprofil berücksichtige werden sollte.

Es darf auch bei der Werbung für den Lehrerberuf unter Abiturientinnen und Abiturienten der wichtige Weg durch das Lehramtsstudium nicht vernachlässigt werden. Die Studium – Abbrecherquote bei Studierenden mit Zuwanderungsgeschichte des Lehramtes ist sehr hoch. Materielle Förderung muss in diesem Bereich ausgebaut werden. Unterrichten ist mehr als das Abhandeln eines Lehrstoffes, sondern die konsequente Begleitung junger Menscher über die Schule hinaus in den Beruf. Das Vertrauen der Eltern, deren zuhause eben nicht immer Deutschland war, ist die Basis für die höchst erfolgreiche Arbeit des Netzwerks für Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte, das kürzlich seinen ersten Geburtstag feierte.

Mehr über das Projekt Mehr Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte
 

 

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Dr. Antonietta P. Zeoli ist Landeskoordinatorin der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte in der Hauptstelle RAA (Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) NRW.