Umweltbildung von und für MigrantInnen

Dr. Turgut Altug  im Interview mit  Dana de la Fontaine

Turgut Altug lebt seit fast 16 Jahren in Deutschland, die meiste Zeit davon in Berlin. Er kam mit 26 Jahren aus der Türkei und promovierte im Bereich Agrarwissenschaft an der Universität Hohenheim. Seit fast anderthalb Jahren arbeitet er im Türkisch-Deutschen Umweltzentrum in Berlin. Zusätzlich ist er Mitherausgeber der türkisch-deutschen MigrantInnen Umweltzeitschrift MUZ, die bundesweit fast alle türkischen Gemeinden und Umweltgruppen erreicht.

Bild entfernt.Dana de la Fontaine: Auf der Internetseite des Türkisch-Deutschen Umweltzentrums  ist zu lesen, dass unter MigrantInnen oft ein geringes Umweltbewusstsein existiert. Wie äußert sich das genau?

Turgut Altug: Natürlich würde ich es nicht so pauschalisieren, sondern folgendermaßen ausdrücken: Wir stehen hier vor einem sozialen Problem und das hat unter anderem mit dem Bildungsniveau und einem Informationsdefizit unter MigrantInnen zu tun. So haben viele deutsche Naturschutzverbände MigrantInnen bisher kaum als Zielgruppe angesprochen, auch wenn sich diese Situation in der letzten Zeit bereits etwas geändert hat. Es ist aber so, dass wir hier oft mit Menschen arbeiten, die aus den ländlichen Regionen nach Deutschland zugewandert sind, in die grundsätzlich kaum investiert wird.

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Video: Ivan López Tomé

Bild entfernt.Man könnte davon ausgehen, dass die oftmals prekäre ökonomische Lage unter MigrantInnen zu einem sparsamen und umweltfreundlichen Alltag führen würde, stimmt das?

Turgut Altug: Der ökologische Fußabdruck von MigrantInnen ist eindeutig kleiner im Vergleich zum Rest der Gesellschaft. So fahren sie aus Kostengründen nicht mehrmals im Jahr in Urlaub usw. Trotzdem ist es für uns unerlässlich, MigrantInnen Informationen zum Thema Umweltschutz zur Verfügung zu stellen.

Bild entfernt.Kann man sagen, dass die oft aus ländlichen Regionen stammende erste Generation der MigrantInnen mehr Umwelt- und Konsumbewusstsein hat als die zweite, dritte oder vierte Generation?

Turgut Altug: Meines Erachtens hatte man bis in die zweite Generation noch eine Perspektive, dass man hier in die Schule geht, dann studiert und so weiter. Die Kinder und Jugendlichen in der dritten und vierten Generation haben hingegen meist keine Arbeitsplätze, stehen ohne Ausbildung da, viele sind sogar Schulabbrecher... Und es geht mir hier nicht darum, sie in Schutz zu nehmen, sondern um die Frage, warum wir diese Menschen und ins besondere Jugendliche in Sachen Umweltschutz nicht erreichen können. Wir stoßen da auf ein Desinteresse, was aber unter Jugendlichen im Allgemeinen ein Problem darstellt. Für mich hat die Bildungsarbeit im Umweltbereich auch direkt etwas mit Integrationspolitik zu tun. Das können wir nicht voneinander trennen. Wenn wir uns anschauen, inwieweit MigrantInnen an der hiesigen Gesellschaft teilnehmen, dann stellen wir fest, dass Umweltbewusstsein auch etwas mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht zu tun hat. Sowohl unter MigrantInnen als auch unter Nicht-MigrantInnen ist das Umweltbewusstsein bei den sozial benachteiligten Teilen schwächer ausgeprägt.

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Turgut Altug vor dem Umweltzentrum in Berlin
Bild: Dana de la Fontaine

Bild entfernt. Inwiefern stellt Umweltpolitik ein Integrations- und Partizipationsfeld für MigrantInnen dar? Wenn man bedenkt, dass viele von ihnen kein Wahlrecht genießen, warum sollte man sich dann überhaupt politisch engagieren?

Turgut Altug: Wir haben die Situation, dass viele MigrantInnen hier seit 40-50 Jahren gearbeitet und Steuern bezahlt haben, aber noch immer weder wählen, noch gewählt werden können. Als ich selbst davon betroffen war, hatte ich das Gefühl, ich existierte nicht. Das ist für mich ein großes Manko unserer Demokratie und da muss sich auf jeden Fall etwas ändern, zumindest auf der kommunalen Ebene. In Holland oder in Schweden gibt es bereits interessante Ansätze der politischen Beteiligung für MigrantInnen. Deutschlands Demokratie hinkt in diesem Zusammenhang hinterher. Das liegt an der Politik konservativer Kräfte, vor allem der CDU. Aber das muss sich ändern, denn es ist nicht mehr zeitgemäß, wenn auf vielen Straßen in Berlin fast 50% der Kinder aus einer Migranten-Familie kommen.

Natürlich müssen sich gleichzeitig auch MigrantInnen in der Gesellschaft politisch engagieren. So beteiligen sich zum Beispiel viele nicht an öffentlichen Kundgebungen oder Demonstrationen, auch wenn es um sie direkt betreffende politische Entscheidungen geht. Da sehe ich meistens Deutsche, die für die Rechte der MigrantInnen kämpfen oder sich in Vereinen engagieren. Natürlich gibt es hier auch MigrantInnen-Organisationen. Diese haben allerdings oft – nicht immer – einen elitären Charakter. Und von daher ist es wichtig, dass MigrantInnen sagen „Das ist meine Gesellschaft, mein Land und ich setze mich dafür ein, dass sich die Dinge ändern!“. Das ist für mich eine echte Wahldemokratie.

Bild entfernt.Was muss sich ändern, damit das passiert?

Turgut Altug: Ich denke, dass die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in dieser Hinsicht wichtig ist. Wenn ich hier zur Welt komme und mich in einem Alter von 18 bis 22 Jahren zwischen der türkischen und der deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden soll, dann werde ich gezwungen, einen Teil meiner Identität aufzugeben. Ich meine, diese Kinder sind hier geboren, sind hier aufgewachsen, gehen hier zur Schule und haben aber – wenn sie sich für die türkische Staatsbürgerschaft entscheiden – in Deutschland kein Wahlrecht. Wir sollten Menschen aber nicht vor solche Entscheidungen stellen: Kein entweder oder. Ich sage: sowohl als auch. Denn es gibt Dinge, die man von der einen und von der anderen Kultur aufnimmt und daraus ergibt sich eine Mischung. Das ist dann etwas Neues und gehört einfach dazu. Deswegen brauchen wir neue Rahmenbedingungen, die diesen Kindern vermitteln, dass dieses auch ihr Land ist: Gleiche Chancen für alle!

Bild entfernt.Euer Gartenprojekt im Kinderbauernhof im Görlitzer Park in Berlin setzt ja genau da an. Wie haben türkische und deutsche Familien auf diese Initiative reagiert?

Turgut Altug: Wir haben 2008 mit diesem Gartenprojekt in Kooperation mit dem Kinderbauernhof Görlitzer e.V. angefangen. Der Kinderbauernhof hat uns eine Fläche von 200 Quadratmetern zur Verfügung gestellt, die wir in einzelne Parzellen aufgeteilt haben. Es haben sich 30 Familien beworben, von denen wir leider nur 14 aussuchen konnten. Es sind vor allem junge Familien, sowohl türkische als auch Neu-Berliner, Alt-Berliner, aber auch aus Südamerika und Osteuropa sind welche dabei. Die Gestaltung blieb jedem selbst überlassen, solang sie ökologisch-biologisch gärtnern – also ohne den Einsatz von chemischen Düngern, Pestiziden, Fungiziden oder Herbiziden. Wie auch in den anderen 90 interkulturellen Gartenprojekten in Deutschland können hier Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen und nicht nur zusammen gärtnern, sondern voneinander lernen. Die Tatsache etwa, dass viele MigrantInnen aus ländlichen Regionen kommen, hat hier einen sehr positiven Effekt. So stellen wir immer wieder fest, wie naturverbunden viele MigrantInnen sind und wie viele Ressourcen sie mitgebracht haben. Durch den Austausch von Erfahrungen merken viele, dass sie bereits viel wissen und sich hier im Garten auf gleicher Augenhöhe begegnen. Für mich ist der Garten wie ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft, wie ich sie mir wünsche. Hier kommen Menschen zusammen, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, sexueller Orientierung, Religion oder Hautfarbe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dezember 2009

Ivan López Tomé ist ausgebildeter Bild- und Tontechniker aus Barcelona und verwirklichte Filmproduktionen als Regisseur, Direktor und Kameramann. Mit seinem eigenen Label "FLUX.ESCENA VISUAL" realisierte er audiovisuelle Events mit Musik und Theater. 2009 produzierte er in Liberia Dokumentarfilme für UNICEF, die Welthungerhilfe und weitere NGOs. Momentan arbeitet er als Direktor des Fernsehprogramms "Què vols ser de gran?" - über die Berufswünsche von Kindern und bereitet neue Projekte zwischen Barcelona und Berlin vor. Homepage

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Dana de la Fontaine studierte in Tübingen Politikwissenschaft und Romanistik. Sie promoviert am Promotionskolleg Global Social Policies and Governance an der Universität Kassel zum Thema:"Neue Dynamiken in der Süd-Süd-Kooperation".