Migration, Solidarität und Gewerkschaften

Kai Lindemann

von Dr. Kai Lindemann

Migrantinnen und Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Migrantinnen und Migranten sind auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland benachteiligt. Dies gilt insbesondere für die ausländischen Staatsangehörigen: Ihre Beschäftigungs-quote lag im Juni 2012 bei 35,9 Prozent, bei deutschen Staatsangehörigen bei 55 Prozent. Die Zahl der geringfügig entlohnten beschäftigten Ausländerinnen und Ausländer ist seit März 2010 wieder um 2,8 Prozent gestiegen, während die Zahl der Beschäftigten deutscher Staatsangehörigkeit in diesem Sektor im gleichen Zeitraum um 1,7 Prozent gesunken ist. Der Anteil der ausländischen Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor und bei den sonstigen prekären Beschäftigungsverhältnissen ist also nach wie vor überdurchschnittlich hoch.

Auch die Daten zur Arbeitslosigkeit weisen auf die Benachteiligung hin. Im Januar 2013 lag die Erwerbslosenquote von Beschäftigten ausländischer Staatsangehörigkeit bei 15,4 Prozent, während sie bei Deutschen bei 6,7 Prozent lag. Besonders deutlich wird die Benachteiligung, wenn man sich die Zunahme der Arbeitslosigkeit anschaut. Im Januar 2013 hat die Arbeitslosigkeit bei Beschäftigten ausländischer Staatsangehörigkeit gegenüber dem Vorjahresmonat um 6 Prozent zugenommen, während Deutsche hiervon nur um 0,9 Prozent betroffen waren. Das zeigt, dass in Krisenzeiten zuerst die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausländischer Staatsangehörigkeit von Entlassungen betroffen sind.

Die Gründe für die Arbeitsmarktbenachteiligung sind vielfältig: Neben den aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen verfügen ausländische Staatsangehörige häufig über geringere Qualifikationen bzw. ihre Qualifikationen werden nicht anerkannt. Auch sind Formen individueller Diskriminierung erkennbar, zum Beispiel wegen des Namens oder der Religionszugehörigkeit.

Angesichts der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, in denen überproportional häufig Migrantinnen und Migranten beschäftigt sind und die von der aktuellen Wirtschaftskrise besonders betroffen sind, entwickelte der gewerkschaftliche antirassistische Verein „Mach meinen Kumpel nicht an!“ das Projekt „GleichbeRECHTigt“. Ziel ist es, das Engagement für Gleichberechtigung von Migrantinnen und Migranten in den Betrieben zu unterstützen sowie die Bereitschaft zu fördern, aktiv für Minderheiten einzutreten. Auf der Basis von Interviews mit Betriebsräten konnten im Projekt Seminarmodule zur Sensibilisierung betrieblicher Akteurinnen und Akteure für vorhandene Diskriminierungen in der Arbeitswelt entwickelt werden.

Der DGB ist überzeugt, dass die Potenziale von im Inland wohnenden Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden sollten. Das betrifft folgende Maßnahmen: den Abbau rechtlicher Zugangsbeschränkungen, Verbesserungen bei den schulischen Voraussetzungen, die Nutzung ausbildungsbegleitender Hilfen und nicht zuletzt die Fort- und Weiterbildung. Von besonderer Bedeutung ist es, jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung eine zweite Chance zu geben. Aus Sicht des DGB ist die verbesserte Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten ein Weg zur Erhöhung des Erwerbspersonenpotenzials und kann die Qualität von Produkten und deren internationaler Vermarktung steigern.

Die Entwicklung einer gestaltenden arbeitsmarktbezogenen Einwanderungspolitik braucht die Akzeptanz von Migration in der Gesellschaft. Die gerade wieder jüngst provozierten Diskussionen um den Zuzug von Menschen aus Bulgarien und Rumänien sind nicht dazu angetan, die Akzeptanz zu erhöhen und die Vorteile einer vielfältigen Gesellschaft deutlich herauszustreichen. Immer noch bestehen in der Bevölkerung erhebliche Vorbehalte gegenüber der Zu- und Einwanderung. Arbeitsmigrantinnen und -migranten werden häufig als Bedrohung und als zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen. Diese Haltung findet sich auch unter manchen Gewerk-schafterinnen und Gewerkschaftern. In der Integrationsdebatte werden sie immer noch als defizitbehaftete Wesen betrachtet, deren Integration in die deutsche Gesellschaft ohne Wenn und Aber gefordert werden muss. Bei der Entwicklung des „Nationalen Integrationsplans“ spielten Fragen der strukturellen Benachteiligung und Diskriminierung kaum eine Rolle. Wenn wir aber die Akzeptanz für eine gestaltende arbeitsmarktbezogene Einwanderungspolitik erhöhen wollen, so ist – neben der Wahrnehmung der Verantwortung der Politik für die Legitimierung von Vorurteilen und Vorbehalten – zunächst die Frage der unterschiedlichen Formen der Beschäftigung ausländischer Staatsangehöriger und ihrer Wirkungen zu betrachten.

Die sogenannten „Illegalen“

Anders als kirchliche Gruppen und Wohlfahrtsverbände haben sich der DGB und die Gewerkschaften erst in den letzten Jahren intensiver mit der sozialen Situation von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus beschäftigt. Angestoßen wurde die Auseinandersetzung vor allem durch die Debatte um die Meldepflicht der Schulen, die inzwischen auf Druck der Gewerkschaften und Kirchen abgeschafft ist.

Die soziale Situation von „Illegalen“ und insbesondere von Opfern von Menschenhandel ist gekennzeichnet von Arbeitsausbeutung durch Betriebe oder Haushalte. Notwendig ist nicht nur die Einführung eines Aufenthaltsrechtes, das über den Zeitraum eines Gerichtsverfahrens hinausgeht. Auch die Durchsetzung grundlegender Arbeitnehmerrechte ist gefordert. Voraussetzung für diese Durchsetzung ist die Beratung der Betroffenen. Hierzu hat der DGB an einigen Orten Büros eingerichtet: In Berlin berät Ver.di und der DGB Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Aufenthaltsstatus, auch wenn sie noch nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind.

Aus Sicht der Gewerkschaften kann die soziale Situation von Statuslosen nur verbessert werden, wenn staatliche Stellen, Sozialeinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen gemeinsam handeln. Daher haben die Gewerkschaften mit Unterstützung der Internationalen Arbeitsorganisation in Berlin ein Bündnis geschaffen. Das „Berliner Bündnis gegen Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“ soll diejenigen sensibilisieren, die mit „Illegalen“ in Kontakt kommen und darüber hinaus den von Menschenhandel Betroffenen Handlungsoptionen eröffnen und Hilfestellungen anbieten.

Die Gewerkschaften setzen sich für die Gewährung grundlegender Menschenrechte für diejenigen ein, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Die Situation von „Illegalen“ in Deutschland ist gekennzeichnet von der Angst vor Aufdeckung. Es bestehen teils erhebliche rechtliche Probleme beim Gesundheitsschutz, im Bildungswesen und bei den Arbeitnehmerrechten, die es schnellstmöglich zu beseitigen gilt.

Faire Arbeitsmobilität

Eine zunehmende Herausforderung besteht für die Gewerkschaften im Einsatz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Firmen, die ihren Sitz im Ausland haben (Entsendung über Werkverträge etc.). Auch wenn es sich nicht um eine Form der Zuwanderung im klassischen Sinne handelt, so beeinflusst der grenzüberschreitende Einsatz dieser Arbeitskräfte dennoch die Möglichkeiten einer gestaltenden Erwerbstätigenzuwanderung. Deshalb sehen die Gewerkschaften die sogenannten „Entsandten“ auch als Migrantinnen und Migranten, schließlich sind sie in Deutschland mit sehr ähnlichen Problemen konfrontiert wie andere Einwandernde. Um die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ausbeutung zu schützen, ist neben der Einführung von Mindestlöhnen auch ihre Aufklärung über ihre Rechte in Deutschland vonnöten.

Der jüngste Skandal bei Amazon hat die Situation dieser sogenannten Entsandten in die Öffentlichkeit gebracht. Der DGB hat für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zeitlich befristet in Deutschland arbeiten und deren Wohnsitz ebenso im Ausland ist, wie der Standort ihres Arbeitgebers, Beratungsbüros eingerichtet. Dort werden Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie Bildungsträger beraten genauso wie die eigentlichen Betroffenen in ihrer Muttersprache. Welche Rechte bezüglich Lohn, Arbeitszeit, Gesundheitsschutz und Urlaub hat ein Beschäftigter aus Litauen, der in Deutschland vier Monate arbeitet? Solche Fragen werden häufig in den Beratungsbüros gestellt.

Das DGB-Projekt „Faire Mobilität – Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv“, gefördert von der EU und dem Bund, ist auch deswegen von zentraler Bedeutung, weil es durch Aufklärung nicht nur den „Entsandten“ hilft, sondern Gerechtigkeit und Fairness auf dem deutschen Arbeitsmarkt schafft. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort ist die Forderung. Schließlich ist es für Unternehmen ein leichter Weg Arbeit auszubeuten, wenn die Personen die Sprache und Kultur des jeweiligen Landes nicht kennen und ihr Niedriglohn beim Konsum im Heimatland nicht als „niedrig“ empfunden wird. Die Gewerkschaften in Deutschland stehen in diesen Fragen auch mit den Gewerkschaften der Nachbarländer in engem Kontakt.

Zugang zu Bildung und Beschäftigung

Der Großteil der in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen besitzt ein Daueraufenthaltsrecht und ist den deutschen Staatsangehörigen hinsichtlich des Zugangs zu Bildung und Beschäftigung rechtlich gleichgestellt. Gleichwohl sind viele der Staatsangehörigen aus Drittstaaten auf einen befristeten Status oder auf Duldung (kein Aufenthaltstitel) angewiesen. Unterschiedliche und teils undurchschaubare Regelungen und Beschränkungen bestehen zum Beispiel beim Zugang zur Berufsausbildung oder bei der Aufnahme einer Beschäftigung. Die Folgen sind:

  •  Leitungen von Kindertageseinrichtungen und Schulleitungen sind verunsichert, ob sie zur Prüfung des Aufenthaltsstatus verpflichtet sind und aufenthaltsrechtliche Informationen an die Ausländerbehörden weitergeben müssen, trotz einer Änderung des Aufenthaltsrechts.
  • Ausländische Arbeitssuchende werden aus den Auswahlprozessen ausgeschlossen, wenn sie nicht schon bei der Bewerbung den unbeschränkten Arbeitsmarktzugang nachweisen.

Im Gegensatz zu anderen Industriestaaten sind Kinder mit Migrationsgeschichte in Deutschland im Bildungssystem besonders benachteiligt. Sie erhalten seltener eine Empfehlung zum Besuch einer weiterführenden Schule und trotz gleicher Leistungen haben sie geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Die mangelnde Chancengleichheit ist Ausdruck eines Bildungssystems, das nicht in der Lage ist, die mit der Einwanderungsgesellschaft verbundenen Herausforderungen zu bewältigen.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind überzeugt, dass ein längeres gemeinsames Lernen zur Verbesserung der Chancengleichheit unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft beiträgt. Die Gewerkschaften fordern daher von Bund und Ländern, das Angebot an Ganztagsschulen zu erweitern und eine Strategie zur interkulturellen Öffnung des Bildungssystems zu entwickeln, einschließlich des Ausbaus der interkulturellen Aus- und Fortbildung sowie der Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationserfahrungen.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind davon überzeugt, dass Menschen, die in Deutschland leben - unabhängig vom Aufenthaltsstatus - beim Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Sozialleistungen nicht benachteiligt werden dürfen. Die aufenthaltsrechtlichen Integrationshemmnisse müssen abgeschafft werden. Erforderlich sind insbesondere
 

  • eine Bleiberechtsregelung für alle langjährig geduldeten Flüchtlinge, die sich ausschließlich an der Aufenthaltsdauer orientiert;
  • die Abschaffung der unterschiedlichen Behandlung beim Zugang zu sozialen Leistungen, einschließlich des Rechts auf vorschulische Bildung sowie zu SGB II geförderter beruflicher Qualifizierung;
  • ein gleichrangiger Zugang zu beruflicher Ausbildung und Beschäftigung für alle rechtmäßig in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen nach einem Jahr Aufenthalt;
  • und die Abschaffung der Optionsregelung für die doppelte Staatsbürgerschaft. Jedes Jahr sind hiervon 3.000 junge Erwachsene betroffen, die hier aufgewachsen sind, oftmals nur deutsch sprechen und aufgrund dieser Re-gelung von Abschiebung bedroht sind.

Das gewerkschaftliche Migrationskonzept

Die Migrations- und Einwanderungspolitik kann heute kaum noch national gestaltet werden. Diese Einschätzung teilen die Gewerkschaften gemeinsam mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Nach verschiedenen Erhebungen des Eurobarometers ist die Mehrheit der Deutschen der Auffassung, dass die Entscheidungen zur Einwanderungspolitik gemeinsam auf der europäischen Ebene zu treffen sind. Die künftige Einwanderungspolitik darf nicht nur als Summe einzelner nationaler Regelungen für bestimmte Berufe oder Gruppen gestaltet werden. Die Öffnung Deutschlands für Zu- und Einwanderung kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie verbunden ist mit einer Politik, die die Leistungen der Migrantinnen und Migranten anerkennt und die kulturelle Vielfalt als Vorteil für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung insgesamt begreift.

Ein Konzept zur gestaltenden Erwerbstätigenzuwanderung darf die Frage des Arbeitsmarktzugangs von Drittstaatsangehörigen, die bereits im Inland wohnen, nicht ausblenden. Neben den ökonomischen Folgen der Ausgrenzung beispielsweise von geduldeten Flüchtlingen besteht auch eine menschenrechtliche Anforderung zur Partizipation im Arbeitsleben. Auch wenn die Gruppe der Geduldeten nicht zur klassischen Gewerkschaftsklientel gehört, so hat der DGB bei der Änderung des Zuwanderungsgesetzes gefordert, dass geduldete Drittstaatsangehörige einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten müssen. Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Zuwanderung ist ohne gleichzeitigen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang – unabhängig vom Aufenthaltsstatus – nicht akzeptabel.

Die Gewerkschaften halten zwar die Förderung von Zuwanderung zum Beispiel bei Hochqualifizierten für sinnvoll. Aber die Qualifizierung der Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, die in Deutschland leben und arbeiten, muss Vorrang haben. Zuwanderung darf nicht von Unternehmen dazu benutzt werden, den Konkurrenzdruck auf Arbeitsbedingungen und Entgelte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu erhöhen.

Viele Vorschläge zur Förderung und Steuerung von Zuwanderung unterstützen die Gewerkschaften. Dazu gehört an erster Stelle eine allgemeine „Willkommenskultur“. Die Einwanderung muss solidarisch gestaltet werden. Zur Steuerung ist ein Punktesystem sinnvoll, wie es sich auch in anderen Ländern bewährt hat. Es sollte allerdings auch soziale Aspekte beinhalten und regelmäßig auf seine Wirksamkeit überprüft werden. Deutschland ist ein Einwanderungsland, dennoch sind die Chancen zur ökonomischen und gesellschaftlichen Teilhabe ungleich verteilt. Die politische Partizipation, und insbesondere die Beteiligung an Wahlen sind nur eingeschränkt möglich.

Der DGB ist überzeugt, dass die mit dem demografischen Wandel verbundenen Herausforderungen Maßnahmen zur Steigerung der Erwerbsbeteiligung, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Steigerung der Attraktivität Deutschlands für qualifizierte Zuwanderung aus der Europäischen Union und aus Drittstaaten erfordern. Der DGB fordert deshalb eine grundlegende Veränderung des Zuwanderungs- und Aufenthaltsrechts, die folgende Zielsetzungen erfüllen muss:

  1. Die Verhinderung von Lohndumping und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, durch Beschränkung prekärer Beschäftigungsformen, wie zum Beispiel grenzüberschreitender Leiharbeit, muss garantiert sein.
  2. Zur Ausschöpfung inländischer Potenziale müssen alle in Deutschland lebenden Drittstaatsangehörigen, deren Aufenthalt in Deutschland gestattet, geduldet oder erlaubt ist, einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.
  3. Ein Wechsel des Aufenthaltszwecks und die Möglichkeit der Aufenthaltsverfestigung
    muss allen Gruppen eingeräumt werden.
  4. Ein Punktesystem zur Sicherung des Arbeitskräftepotenzials muss eingeführt werden.
  5. Eine Wiederkehroption für alle ausländischen Staatsangehörigen, die zur
    Beschäftigung, Ausbildung oder aus familiären Gründen ihren Aufenthalt in Deutschland unterbrechen mussten, muss eingeführt werden.
  6. Die Aufenthaltsrechte von langjährig in Deutschland lebenden Drittstaatsangehörigen muss an die Rechte der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger angeglichen werden.
  7. Die Familienzusammenführung bei der Aufnahme von Flüchtlingen muss verbessert werden.

Solidarität und Globalisierung

Gewerkschaften, wie die gesamte Arbeiterbewegung, sind aus einer internationalistischen Tradition entstanden. Vor 150 Jahren, im Zeitalter des beginnenden extremen Nationalismus, konnten sich Arbeiterinnen und Arbeiter über die Grenzen hinweg einfacher solidarisieren als sich das Kapital international verflechten konnte. Inzwischen haben sich diese Verhältnisse massiv umgekehrt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind zum „Standort“-spielball des Kapitals geworden und werden so über Grenzen hinweg gegeneinander ausgespielt. Diese Strategie wirkt umso nachhaltiger, umso weniger internationale Regelungen dem Handeln der Unternehmen Grenzen setzen. Die Gewerkschaften können dieser offensiven Kapitalpraxis, gestützt vom radikalen Marktliberalismus, nur begrenzt etwas entgegensetzen. Deutlich wird das fehlende Gleichgewicht an den Lobbyingstrukturen vor internationalen Organisationen – dort sind die Arbeitnehmerorganisationen häufig in einem Verhältnis von 1:100 gegenüber der Kapitalseite vertreten.

Gerade bei internationalen Konzernen, wie kürzlich bei Opel, treten die Spaltungsstrategien zutage, wenn Beschäftigte aus England gegen Beschäftigte aus NRW in Stellung gebracht werden, bei Fragen, welches Werk wie viele Stellen abbauen soll. Die Gewerkschaften haben in solchen Fällen eine doppelte Aufgabe: Sie müssen einerseits die besten Verhandlungsergebnisse für die zu vertretenen Mitglieder vor Ort erzielen und andererseits Aufklärungsarbeit leisten und die Solidarität unter den Beschäftigten auch über die Grenzen hinaus stärken. Letztlich müssen sie die Scherben der Spaltungsaktionen der Konzernleitung wieder auffegen. Das hat kürzlich bei Opel relativ gut geklappt.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob es nicht völlig antiquiert und falsch ist, den Begriff der Solidarität zwischen betrieblicher, nationaler und internationaler Solidarität zu differenzieren. Man tut es schließlich auch nicht bei Menschenrechten und dass diese humanistischen Prinzipien global gelten, sollte an dieser Stelle auch nicht extra erwähnt werden. Gerade wenn wir Solidarität so generell fassen, für Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit ebenso wie für Menschen mit illegalem Status, als auch für Kolleginnen und Kollegen in Griechenland und an der eigenen Werkbank, dann hat Solidarität auch etwas mit Empathie und Einfühlungsvermögen zu tun. Vorurteile werden wir allerdings nicht mit der Propagierung von Solidarität bekämpfen können. Das geschieht allein über Aufklärung, und die betreiben letztlich die Gewerkschaften in den Betrieben, auf der Straße und gegenüber der Politik.

 

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Kai Lindemann ist Redakteur des DGB-Onlinemagazins www.gegenblende.de, Promotionsstipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung von 1999 – 2002. Seit 2008 beim DGB Bundesvorstand, Grundsatzabteilung.