Politische Partizipation und die Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund in den Räten deutscher Großstädte: Vielfalt oder Einfalt?

von Cihan Sinanoglu und Daniel Volkert

Die politische Teilhabe von Personen mit Migrationshintergrund und ihre parlamentarische Präsenz rücken erst langsam in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Beispiele für dieses neue Problembewusstsein sind die aktuelle Debatte über die Einführung einer Migrantenquote bei der SPD oder die Ernennung von Bilkay Öney zur ersten Integrationsministerin.

Doch warum ist ausgerechnet die politische Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in den Parlamenten wichtig? Nimmt man die normative Basis einer inklusiven Demokratie als Grundvoraussetzung, dann gilt sicherlich, dass die Legislative in etwa eine Widerspiegelung der Gesellschaft sein sollte. Eine Demokratie sollte also den Anspruch haben, Menschen mit Migrationshintergrund, die etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung ausmachen, auch in den gewählten Versammlungen adäquat zu repräsentieren.

Des Weiteren ist die Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund ein Indiz für die Chancengleichheit in einer funktionierenden Demokratie. Vor allem aber kann die Präsenz von Menschen mit Migrationsbiographie zu einer höheren Anerkennung unter BürgerInnen führen, die eine solche Biographie teilen und sich nun besser vertreten fühlen. Es kann also ein Gefühl des Vertrauens und der Identifikation mit den Institutionen entstehen, welche fundamental für eine Demokratie sind.

Die politische Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund ist in diesem Zusammenhang gerade auf kommunaler Ebene von zentraler Bedeutung. Nicht selten gilt die Kommune als „Schule der Demokratie“; also als der Ort, an dem erste Kontakte und ein Austausch zwischen BürgerInnen und politischen Organen stattfinden. Auch finden hier politische Karrieren nicht selten ihren Anfang.

Vor diesem Hintergrund haben wir erstmals untersucht, in welchem Ausmaß Menschen mit Migrationshintergrund in den Räten deutscher Städte vertreten sind. Darüber hinaus haben wir nach den Selbstverständnissen, Erfahrungen und Identifikationen der Ratsmitglieder gefragt. Im Folgenden werden wir einige zentrale Ergebnisse unserer Untersuchungen präsentieren und abschließend Handlungsbereiche aufzeigen, in denen für eine stärkere politische Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund gekämpft werden muss.

Starke Unterrepräsentation- dringender Handlungsbedarf

Betrachtet man die aktuelle Situation in den deutschen Stadträten, so ist die Unterrepräsentation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund nicht zu übersehen. Nicht einmal jedes 25. Ratsmitglied hat einen Migrationshintergrund. Im Vergleich dazu sollte ins Bewusstsein gerufen werden, dass mindestens jede vierte in Deutschland lebende Person über eine eigene oder familiäre Migrationsgeschichte verfügt.

Doch lassen sich auch erste Anzeichen einer Verbesserung der Repräsentationssituation ausmachen. So stieg die Anzahl der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund über die letzten zehn Jahre von 116 auf 198 an. Dies entspricht einem Anstieg von immerhin 69 %. Darüber hinaus konnte über die Hälfte aller deutschen Großstädte einen Zuwachs an Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund verzeichnen. Auch haben 62 von 77 Großstädten mindestens eine migrantische Vertreterin bzw. einen migrantischen Vertreter.

Die positive Entwicklung bei immer noch starker Unterrepräsentation ist Ursache für die relativ großen Unterschiede zwischen den Städten. Die Spanne der Anzahl der migrantischen Ratsmitglieder reicht von 0 bis 15. Spitzenreiterin der deutschen Großstädte ist Frankfurt am Main mit 15 Gewählten, gefolgt von Offenbach mit neun und Düsseldorf, Duisburg sowie Stuttgart mit jeweils acht. Am anderen Ende der Skala lassen sich immer noch 15 Großstädte ausmachen, in denen es kein Ratsmitglied mit Migrationshintergrund gibt. Hierbei fallen insbesondere Hagen, Heilbronn, Ingolstadt, Mannheim und Pforzheim auf, in denen zwar sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund leben (bis zu 40 %), jedoch erstaunlicherweise keine migrantischen Ratsmitglieder anzutreffen sind.

Auch wenn zwischen den genannten Orten zum Teil große Unterschiede bestehen, dürfen sich selbst jene Städte, die im Verhältnis gut abschneiden, nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Denn auch sie sind von einer Repräsentation der Menschen mit Migrationshintergrund im Rat, die deren Bevölkerungsanteil entsprechen würde, noch weit entfernt.

Dominanz des Mitte-links Parteienspektrums

Die Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund verteilen sich nicht gleichmäßig auf die etablierten Parteien. Grundsätzlich haben zwar alle großen Parteien migrantische VertreterInnen; deren Zahl unterscheidet sich jedoch erheblich. Die SPD ist in absoluten Zahlen mit 68 migrantischen Ratsmitgliedern führend unter den deutschen Parteien. Ihr folgen die Grünen mit 50 und die Linken mit 27 Mitgliedern. Schlusslicht bildet die FDP mit nur acht Gewählten.

Bild entfernt.
Quelle: MPI-MMG Migr-KomStudie

Setzt man die Anzahl der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund ins Verhältnis zu der Gesamtzahl der gewonnenen Mandate einer Partei, so ergibt sich eine geänderte Rangfolge. Hier schneiden die Grünen und die Linken mit einem Anteil von jeweils 8 % am besten ab, gefolgt von der SPD mit 5 %. Bei CDU/CSU und der FDP haben nur knapp 2 % der städtischen Ratsmitglieder einen Migrationshintergrund.

Erwähnenswert ist auch, dass längst nicht mehr alle Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund nur für die etablierten Parteien im Rat sitzen. Vielmehr gibt es inzwischen 18 Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund, die für unterschiedliche Wählergruppen oder kleinere Parteien angetreten sind. Beispiele sind die Bürger Initiative Gelsenkirchen (BIG) und das Bündnis für Frieden und Fairness (BFF). Zwar gibt es noch keinen generellen Trend zum Engagement für ‚Migrantenlisten‘- d.h. Listen, bei denen ein erheblicher Anteil der Kandidaten und Kandidatinnen einen Migrationshintergrund hat. Doch lässt sich zumindest für einzelne Städte wie beispielsweise Frankfurt, Bonn oder Mannheim festhalten, dass eine große Anzahl an Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr ausschließlich für die etablierten Parteien antritt, sondern eigene Listen bildet. Zumeist erreichen diese jedoch nicht die notwendige Stimmenanzahl. Doch von einem dauerhaft schlechten Abschneiden sollten die etablierten Parteien in Zukunft nicht ausgehen. Eine zunehmende Professionalisierung, Vernetzung und Verankerung in den Wahlkreisen der ‚Migrantenlisten‘ könnte sich auf lange Sicht durchaus in den Stimmergebnissen etablierter Parteien negativ niederschlagen.

Vielfältigkeit der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund

Eines steht fest: Es gibt nicht den typischen Kommunalpolitiker oder die typische Kommunalpolitikerin mit Migrationshintergrund. Diese Menschen repräsentieren vielfältige Lebensläufe und haben unterschiedliche politische Erfahrungen gemacht. Zu nennen ist z.B. die politische Karriere eines italienischen Gastarbeiters, der schon in den 60er Jahren der SPD beitrat und erst 24 Jahre später, nach Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Ausländer, in den Rat gewählt wurde. Eine Frau floh mit 19 Jahren vor politischer Verfolgung aus dem Iran nach Deutschland und zog nach dem Medizinstudium für die Grünen in den Stadtrat. Ein in Deutschland geborenes Kind türkischer Eltern wurde mit Mitte zwanzig in ihren Stadtrat gewählt.

Auffällig ist der relativ hohe Frauenanteil unter den Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund: 40 Prozent der migrantischen Ratsmitglieder sind weiblich. Zum Vergleich: Bei den Gewählten ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil nur bei rund 33 Prozent. Bei den Grünen ist das Engagement von Frauen mit Migrationshintergrund besonders hoch. Hier sind über die Hälfte aller migrantischen Ratsmitglieder weiblich. Dies widerlegt Darstellungen, nach denen Migrantinnen als besonders schlecht integriert gelten.

Betrachtet man die nationale Herkunft der Ratsmitglieder, so sticht die große Anzahl an Deutschtürkinnen und Deutschtürken hervor. 38 Prozent der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund stammen aus der Türkei. Ihr Anteil an der in Deutschland lebenden Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist vergleichsweise niedrig - er liegt bei 16 %. Als Gründe für die vergleichsweise starke Repräsentanz, die sich auch in den Niederlanden zeigt (vgl. Vermeulen in diesem Dossier), können unter anderem die starke Vernetzung, die hohe Politisierung der türkeistämmigen Community sowie die Bereitschaft der Parteien, türkeistämmige Personen aufzustellen, angeführt werden.

Daneben sind die EU-Europäer eine dominierende Gruppe. Insgesamt 72 Ratsmitglieder stammen aus einem Mitgliedsstaat der europäischen Union. Hierunter stechen insbesondere die ehemaligen Gastarbeiterländer Italien mit 19 Ratsmitgliedern und Griechenland mit 14 Ratsmitgliedern hervor. Mehr als jede/r zehnte EU-EuropäerIn stammt aus dem heutigen Polen. Auch gibt es eine Reihe afrikanisch- und arabischstämmige Ratsmitglieder.

Weit unterrepräsentiert unter den Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund sind jedoch Gewählte aus dem ehemaligen Jugoslawien. Darüber hinaus lässt sich keine Repräsentation insbesondere für die südostasiatischen Staaten (wie z.B. Vietnam) feststellen.

Motivationen, Karrierewege und Erfahrungen

Doch wie äußern sich die Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund selbst zu ihren politischen Laufbahnen? Was waren ihre Motive für ihr politisches Engagement in einer Partei? Welche Erfahrungen bringen die Ratsmitglieder in ihren politischen Alltag mit ein? Auf welche Hürden sind sie gestoßen? Welche Karrierewege haben sie eingeschlagen?

Erster Kontakt mit Parteien

75 % der Ratsmitglieder sind in eine Partei eingetreten, um vor allem Einfluss auf die Politik zu nehmen. Fast zwei Drittel der Befragten geben als Motiv an, aus Spaß an der politischen Arbeit in eine Partei eingetreten zu sein. Den Willen, Verantwortung als Bürger(in) zu übernehmen, nennen mehr als die Hälfte der Ratsmitglieder. Die aktive Gestaltung der Gesellschaft ist somit ein entscheidendes Motiv für den Parteieintritt der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund.

Die ersten Erfahrungen der Ratsmitglieder mit und in einer politischen Partei sind sehr vielfältig. Fremdheitserfahrungen kommen häufig, aber keineswegs immer vor. Ein Ratsmitglied berichtet:

Auf jeden Fall kam ich da rein, ein Haufen ältere Leute, ach du bist der, nimm dein Parteibuch und setz dich erst mal. Im Prinzip nahmen die nicht mal wahr, dass du da warst, die haben sich mit ihrer Sache beschäftigt, du kanntest da ja keinen, keiner versucht groß, auf dich zuzukommen.

Doch inwieweit sind solche Erfahrungen migrantenspezifisch? Diese Frage sollte nicht vorschnell beantwortet werden. Es ist davon auszugehen dass es für alle Neulinge schwer ist, sich an eine fremde Umgebung zu gewöhnen sowie kommunalpolitischen und bürokratischen Abläufen zu folgen. Auch müssen sich Neumitglieder mit einer bestimmten Art der Kommunikation und Sprache innerhalb der Parteien vertraut machen. Nichtsdestotrotz darf nicht außer Acht gelassen werden, dass seitens der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund von migranten- oder herkunftsspezifischer Distanz und Skepsis berichtet wird. Dieses Gefühl der Distanz und Skepsis ist gelegentlich als konkretes Erlebnis beschrieben worden:

Du wirst so schief angeguckt, da kriegst du keine Unterstützung, also ich war fremd, weil du schwarze Haare hast und Bart, du bist und bleibst immer Ausländer.

oder

Was will denn der Schwarzkopf hier?

Oft jedoch wurden derartige Vorbehalte als diffuses, nicht fassbares Phänomen wahrgenommen.

Wege zum Ratsmandat

Erst in den letzten fünf Jahren übernahmen die meisten von uns Befragten ihr Ratsmandat. Etwa ein Fünftel von ihnen sitzt bereits seit zehn und mehr Jahren im Rat, der Rekordhalter seit 1977. Die Erfahrungen, die die Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund in ihre Ratstätigkeit mit einbringen, sind sehr vielfältig. So gibt es einige Ratsmitglieder, die schon vor ihrem Mandat in ihren Herkunftsländern politisch aktiv waren, sei es in Studentenorganisationen oder in Gewerkschaften. Die Mehrheit der migrantischen Ratsmitglieder war allerdings nur in Deutschland politisch engagiert.

Einer der Karrierewege zum Stadtratsmandat führt über das Engagement in einem Ausländer- oder Integrationsbeirat Diesen schlugen mehr als ein Drittel der Gewählten mit Migrationshintergrund ein. Die viel kritisierten Ausländerbeiräte nehmen hier eine bislang übersehene Funktion ein, da sie zur politischen Sozialisation von EinwanderInnen in den politischen Strukturen deutscher Städte und zur Herausbildung einer Gruppe auch zu parteipolitischen Aktivitäten bereiter Personen beitragen. Des Weiteren scheinen sich Netzwerke zwischen kommunal verankerten Ausländer- oder Integrationsbeiräten und den Parteien vor Ort zu bilden, die den Weg in die Stadtparlamente erleichtern. Eine Interviewpartnerin erzählte uns, wie sie diesen Wechsel als „Aufstieg“ erlebte:

Ich habe nie in der 2. Liga gespielt, dann habe ich gesagt, nee, dann muss man [in die] 1. Liga ... wenn man was verändern möchte, dann muss man da rein.

Viele MigrantInnen waren, bevor sie ihr Ratsmandat erwarben, in unterschiedlichen politischen Gruppen wie Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen aktiv. Ein politisches Engagement vor dem Ratsmandat ist aber nicht zwingend notwendig, so ist jeder sechste ein „Direkteinsteiger“, das heißt, das Ratsmandat ist der Beginn ihrer politischen Karriere.

Migrationshintergrund – na und?

Welche Rolle spielt der Migrationshintergrund für die Fremdwahrnehmung, aber auch das Selbstverständnis der Ratsmitglieder? Das Thema Fremd- und Eigenwahrnehmung war ein zentraler Bestandteil der von uns geführten Interviews. In den öffentlichen Debatten wird der Migrationshintergrund oft instrumentalisiert. Er dient als Hilfskonstruktion, um das in sich komplexe soziale Verhalten von Menschen überschau- und erklärbar zu machen. Hierdurch fühlen sich Menschen stigmatisiert, die sich auf diesen Begriff reduziert und damit ihrer Individualität beraubt sehen. Unser Ziel war es, die Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund selbst zu ihren Identifizierungen und Wahrnehmungen zu befragen. Ob und wie der Migrationshintergrund bei der politischen Praxis eine Rolle spielt, sollten die Ratsmitglieder reflektieren.

Die Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund wollen etwas für die eingewanderte Bevölkerung erreichen, sehen sich aber durchaus nicht vorwiegend als deren Sprachrohr. Die eigene Herkunft aus einem anderen Land als Deutschland ist für einen Teil der Ratsmitgliedern wichtig (knapp ein Drittel), aber fast ebenso viele bezeichnen dies als völlig irrelevant. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch Ratsmitglieder, für die die eigene Herkunft nicht so wichtig ist, unter Umständen besonders an MigrantInnen gerichtete Wahlkampfaktivitäten unternehmen. Ein starkes Herkunftsbewusstsein und die Mobilisierung der Herkunftsgruppe oder der MigrantInnen insgesamt sind also nicht zwingend verknüpft.

Die klare Mehrheit der Ratsmitglieder meint, dass sie in ihrer Partei als ExpertInnen für migrationspolitische Fragen gesehen werden. Eine große Minderheit von ca. einem Drittel sieht sich hierauf beschränkt. Die Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund glauben, dass ihnen für andere Themen die Anerkennung als ExpertInnen verwehrt wird. Diese Rollenzuschreibung und Erwartungen der Parteien, dass Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund zwangsläufig auch Migrations-und Integrationspolitik machen, wird häufig kritisiert. Ein Ratsmitglied dazu:

Ich möchte nicht auf diesen Hintergrund beschränkt werden. Das leugne ich nicht. Das gehört zu mir, aber es kann nicht sein, dass ich dafür zuständig bin ausschließlich.

Die einseitige Zuschreibung löst bei den Ratsmitgliedern einerseits die Sorge aus, aus dem politischen Feld der Migrations-und Integrationspolitik nicht mehr heraus zu kommen und mit dieser Spezialisierung in der Partei nicht wirklich aufsteigen zu können. Sie wird somit als eine Art Sackgasse wahrgenommen. Offenbar glaubt man, dass dieses Thema keine zentrale Bedeutung für die Politik hat. Andererseits wird eine Spezialisierung auf Migrations- und Integrationspolitik von manchen als hilfreich für den Einstieg in die Politik empfunden. Einige Ratsmitglieder wählen bewusst dieses Politikfeld, da sie ihre Kompetenz in diesem Bereich nutzen können.

Negative Erfahrungen?

Wir wollten von den Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund wissen, ob und inwiefern sie Erfahrungen der Ausgrenzung, der Abwertung oder auch direkt feindseliger, rassistischer Angriffe in ihrem politischen Alltag machen. Hierbei konnten wir feststellen, dass sich die Ratsmitglieder in den deutschen Parlamenten durchaus akzeptiert fühlen. Dennoch wird dieses generell positive Bild dadurch eingeschränkt, dass fast zwei Drittel der Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund schon einmal in irgendeiner Art und Weise ausgegrenzt oder diskriminiert wurden. Um nur ein Beispiel zu nennen: schon allein 31% der Ratsmitglieder geben an, dass man ihnen aufgrund ihres Migrationshintergrunds weniger zutraut, als anderen Ratsmitgliedern.

Derartige negative Erfahrungen sind weit verbreitet – unter Angehörigen aller Parteien, Männern wie Frauen, Personen unterschiedlicher nationaler Herkunft - also nicht nur bei Türkeistämmigen oder den sichtbaren Minderheiten.
wenn man alle Aussagen der.

Nachsitzen der Parteien in der Schule der Demokratie

Betrachtet man die erreichte Stufe der politischen Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in den deutscher Räten deutscher Städte, erkennt man dringenden Handlungsbedarf. So hält die Kommune als ‚Schule der Demokratie‘ nicht das, was sie verspricht. Von einer zufriedenstellenden Anerkennung und Einbeziehung von Menschen mit Migrationshintergrund in den politischen Betrieb, d.h. von einem Teilen von politischer Macht und Gestaltungsmöglichkeiten, sowie von einem Sorgen für echte Chancengerechtigkeit, sind die Großstädte in Deutschland noch weit entfernt.

Gerade die politischen Parteien, die aufgrund ihrer Rekrutierungsfunktion in diesem Prozess eine tragende Rolle spielen, müssen sich den neuen Realitäten stellen und sich verstärkt öffnen. Das Aufbrechen alter Strukturen innerhalb der Parteien, d.h. das Auflösen festgefahrener Macht- und Verteilungsansprüche, sowie die aktive Ansprache und Einbeziehung politisch Aktiver mit Migrationshintergrund müssen dabei Hand in Hand gehen. Gezielte interkulturelle Schulungen und Informationsveranstaltungen innerhalb der Parteien könnten hier einen Anfang bilden.

Dabei ist es wichtig, dass eine echte Gleichberechtigung auch die Vermeidung von einseitigen Zuschreibungen umfasst: Eine Reduzierung auf das Politikfeld ‚Integration und Migration‘ sowie eine Rollenzuschreibung als MigrantenvertreterInnen stehen nicht selten einer echten Gleichberechtigung entgegen. Gleichzeitig sind jedoch auch die MigrantInnen selbst gefordert. Sie müssen sich aktiv in diesen Prozess einmischen, indem sie ihre Ansprüche und Interessen formulieren und die Konfrontation mit verkrusteten Strukturen und Zuschreibungsmechanismen nicht scheuen.

Bei all diesen Handlungsanweisungen dürfen die tieferliegenden strukturellen Ursachen für die Unterrepräsentation nicht vergessen werden. So sind Menschen mit Migrationshintergrund oftmals Neuankömmlinge in diesem Land, die häufig über eingeschränkte politische Rechte verfügen und mit dem politischen System nicht vertraut sind. Des Weiteren gehören sie nicht selten einem sozio-ökonomisch schwächeren Teil der Bevölkerung an, der nicht in ausreichendem Maße über die in der Politik wichtigen Ressourcen wie Zeit, Geld und Humankapital verfügt, was eine politische Laufbahn erschwert. Inwieweit eine Erhöhung der Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund in Zukunft gelingen wird, hängt somit auch vom politischen Gestaltungswillen in diesen Problemfeldern ab. So sind letztlich Parteien sowohl in struktureller als auch in politisch-gestalterischer Hinsicht besonders in der Verantwortung.

September 2011

Bild entfernt.

Cihan Sinanoglu ist Diplom-Sozialwirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für multireligiöse und multiethnische Gesellschaften in Göttingen. Daniel Volkert ist Diplom-Sozialwirt und Doktorand an demselben Institut.