Zwischen Repression und Integration: Wie gehen Kommunen mit dem Problem der Illegalität um?

Flagge Kein Mensch ist illegal in Berlin
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Fahne mit der Aufschrift "Kein Mensch ist illegal": die Aufnahme stammt von einer Protestdemo gegen die deutsche Flüchtlingspolitik 2013 in Berlin

 

von Simone Buckel

Anfang November 2007 forderte das Deutsche Institut für Menschenrechte zusammen mit der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit, bestehend aus Hilfsorganisationen, Kirchen und MedizinerInnen, eine Einschränkung der Übermittlungspflicht, die öffentliche Stellen veranlasst, Daten von Menschen ohne gültige Papiere an die Ausländerbehörde weiterzugeben. Denn dies führe dazu, dass viele Menschen zu spät ärztliche Hilfe suchten und auch die Gefahr der Ausbreitung ansteckender Krankheiten zunähme. Zudem dürfe der Aufenthaltsstatus nicht den Ausschlag geben für die Wahrung der Menschenrechte.

In fast allen mittleren und größeren Städten Europas leben Menschen, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besitzen, die sich also laut Gesetz illegal in einem Land aufhalten. Schätzungen zufolge leben 4 –7 Millionen irreguläre MigrantInnen in Europa (Düvell 2006), davon ca. 100.000 – 250.000 in Berlin, 50.000 – 100.000 in Hamburg, 30.000 – 40.0000 in München. Vergleichbare Zahlen gibt es für die meisten europäischen Großstädte. Diese Größenordnungen verdeutlichen, dass es sich um ein bedeutsames soziales Phänomen handelt, das Kommunen und Städte vor besondere Herausforderungen stellt.

Umgang mit irregulärer Migration in Deutschland...

Kommunale Regierungen befinden sich grundsätzlich in einem Dilemma: Einerseits sind Kommunen eingebunden in die Umsetzung staatlicher Migrationskontrollpolitik, z.B. über Meldebehörden, Sozialämter, Schulen oder Gesundheitszentren. Durch die Übermittlungspflicht ist dies in Deutschland zusätzlich gesetzlich festgeschrieben. Andererseits ist es gerade die repressive Migrationspolitik, die immer mehr irreguläre MigrantInnen hervorbringt, die letztlich versuchen in den Städten Europas ihre Existenz zu organisieren. Daher ist oftmals für irreguläre MigrantInnen die Ausgestaltung der internen Kontrollpolitik vor Ort viel bestimmender für das alltägliche Leben als Kontrollen entlang von Grenzen (Brochmann 1999; Stobbe 2004). Gleichzeitig spielt die lokale Ebene eine zentrale Rolle bei der Wahrung von Menschenrechten, da hier die Nähe zu den EinwohnerInnen am größten ist.

Ein wesentlicher Aspekt der Lebensrealität irregulärer MigrantInnen ist der permanente Konflikt mit rechtlichen Bestimmungen. Da sie in beständiger Bedrohung leben, von den Behörden „entdeckt“ zu werden, wird der Kontakt zu öffentlichen Stellen weitestgehend vermieden. Unterstützung finden sie stattdessen bei sozialen Organisationen, wie Wohlfahrtsverbänden, Kirchen oder auch informellen Gruppen und durch selbstorganisierte Initiativen. Eine weitere wichtige Ressource sind „ethnische“ Communities, die irregulären MigrantInnen eine erste Anlaufstelle bieten und zu denen es häufig bereits aus dem Herkunftsland Kontakte gibt. Doch der Rückhalt durch soziale Netzwerke stößt bei gravierenderen Problemen wie z.B. schwere Erkrankungen oder Konflikten mit dem Arbeitgeber (z.B. Zahlungsverweigerung) schnell an seine Grenzen, so dass es zu einer Kumulation sozialer Problemlagen und Risiken in städtischen Gebieten kommt. Spätestens dann sind die Kommunen gefordert zu handeln. Aus diesem Grund gibt es seit einigen Jahren vereinzelt Bemühungen auf lokaler Ebene über soziale Integrationspolitiken für irreguläre MigrantInnen nachzudenken.1

Im Mittelpunkt stehen dabei zumeist der Zugang zu Gesundheits- versorgung und Bildung für Kinder, also zwei Bereiche die eng mit Menschenrechten und humanitären Beweggründen verknüpft sind. Lange Zeit erfolgte die Beschäftigung damit eher inoffiziell und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mittlerweile gibt es einige Städte, die konkrete Maßnahmen bereits implementiert haben und/oder zumindest öffentlich zur Problematik Stellung bezogen haben: Dazu gehören z.B. Freiburg, München und Berlin. In der Frage, ob SchulleiterInnen der Übermittlungspflicht unterliegen, wenn ihnen der aufenthaltsrechtliche Status irregulärer Kinder bekannt wird, haben alle drei Städte offiziell beschlossen, dass der Aufenthaltsstatus nicht relevant ist für den Schulbesuch und deshalb nicht erfragt werden muss und aufgrund reiner Vermutungen keine Übermittlungspflicht bestehe. Im Bereich der Gesundheitsversorgung ist vor allem München ein hervorstechendes Beispiel.

Auf Grundlage einer sehr umfangreichen Studie zur Situation irregulärer MigrantInnen in München (Anderson 2003), hat der Sozialausschuss der Stadt die Einrichtung eines Gesundheitszentrums und eines Sozialfonds zur Finanzierung der Behandlungen irregulärer MigrantInnen veranlasst. In Zusammenarbeit mit dem Datenschutz- beauftragten der Stadt München und der Polizei konnte zwar die Übermittlungspflicht nicht abgeschafft werden, aber zumindest Rechtssicherheit für das medizinische Personal und die Sicherheit vor Migrationskontrollen im Gesundheitszentrum erreicht werden.

...und in anderen Ländern Europas und den USA

Die in Deutschland geltende gesetzliche Übermittlungspflicht für alle öffentlichen Stellen ist einmalig in Europa. Zwar ist in fast allen europäischen Ländern der Zugang zu öffentlichen Gütern an einen legalen Aufenthaltsstatus gekoppelt, allerdings stehen meistens die medizinische Notfallversorgung und die Möglichkeit des Schulbesuchs auch irregulären MigrantInnen offen. Daran wird deutlich, dass der kommunale Handlungsspielraum geprägt ist durch die Ausgestaltung der nationalen Migrationspolitik und dem Grad der lokalen Autonomie.

In Spanien beispielsweise gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen, da die "interne" Migrationspolitik in deren Zuständigkeitsbereich fällt. In Katalonien bzw. Barcelona können irreguläre MigrantInnen sich auf der städtischen Ebene registrieren lassen und haben damit auch Zugang zu den meisten städtischen Einrichtungen. Ein Faltblatt informiert neu angekommene MigrantInnen (auch irreguläre) über ihre Rechte und Möglichkeiten: Z.B. kostenlose Gesundheitsversorgung in städtischen Einrichtungen oder die Schulpflicht für Kinder. Des Weiteren fördert die katalonische Einwanderungsbehörde zusammen mit der Stadt Barcelona eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Projekte, die mehr oder weniger direkt auch Unterstützungsarbeit für irreguläre MigrantInnen anbieten. Dies alles sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass irreguläre MigrantInnen auch hier in sehr prekären Lebensverhältnissen leben. Jedoch zeigt die Situation in Spanien, dass kommunale Politik durchaus einen anderen Weg beschreiten kann, als durch nationale Gesetzgebung vorgezeichnet.

Beispiele dafür finden sich auch in den USA, wo eine ganze Reihe von Städten sich zu 'sanctuary cities' bzw. 'safe havens' (vgl. den Beitrag von Robyn Rodriguez) für irreguläre MigrantInnen erklärt haben. D.h. diese Städte wenden sich explizit gegen die repressive Einwanderungspolitik der USA. Die Idee der 'sanctuary city' haben auch bereits mehrere Städte in Kanada übernommen (vgl. beispielsweise die Cambridge Sanctuary City Resolution 2006).

In den Niederlanden wurde 1998 ein Gesetz verabschiedet ('Linking Act'), das irreguläre MigrantInnen vom Zugang zu öffentlichen Gütern ausschloss. Der kommunale Verwaltungsrat willigte ein, den neuen Bestimmungen Folge zu leisten, forderte aber gleichzeitig mehr finanzielle Mittel zur Weitergabe an soziale Unterstützungs- organisationen, um die schlimmsten Konsequenzen abzufedern (AutorInnenkollektiv 2000). Damit ergibt sich eine paradoxe Situation, die wahrscheinlich in den meisten europäischen Städten anzutreffen ist: Einerseits sind Kommunen Teil einer immer repressiver werdenden Migrationskontrollpolitik, andererseits werden zivilgesellschaftliche Unterstützungseinrichtungen mitfinanziert, die die schlimmsten sozialen Folgen abfedern sollen (vgl. den Beitrag von Eléne Misbach vom MediBüro Berlin). Zusätzlich stellt Joanne van der Leun für die Niederlande fest, dass MitarbeiterInnen lokaler Verwaltungen auf informellen Wegen oder durch lokale Arrangements Gesetzgebungen umschiffen und damit die beabsichtigten Zielsetzungen unterlaufen (van der Leun 2006).

In der Schweiz berufen sich Kommunen vermehrt auf die Schweizer Verfassung. Beispielsweise hat in Gland, im Schweizer Kanton Vaud gelegen, der Gemeinderat beschlossen, undokumentierten MigrantInnen Zugang zu sozialen Diensten und den in der Verfassung vorgesehenen Grundrechten zu geben (PICUM-Rundbrief August 2007). Umfangreicher war die Herangehensweise der Stadt Lausanne. Diese gab 2003 eine Untersuchung in Auftrag, um über die Situation irregulärer MigrantInnen und deren Herkunft Informationen zu sammeln. Darauf aufbauend hat die Stadt ein Programm initiiert, um die soziale Unerstützung für irreguläre MigrantInnen zu verbessern.

Es geht auch anders: Jenseits von Repression

Dies alles sind Beispiele dafür, wie Kommunen in Europa dem Problem der Illegalität mit einer Politik begegnen, die nicht mehr alleine auf Repression und Kontrolle gerichtet ist, sondern auch an Menschenrechten und humanitären Überlegungen orientiert ist. Grund dafür ist vor allem die zunehmende Erkenntnis, dass irreguläre Migration ein dauerhaftes soziales Phänomen sein wird, solange die europäischen Mitgliedsstaaten eine auf massive Abschottung ausgerichtete Migrationspolitik betreiben. Die Zweigleisigkeit kommunaler Politik, also einerseits Kontrollpolitik und andererseits soziale Integration, führt offensichtlich zu Paradoxien in der Ausrichtung kommunaler Politik, ist aber durch Ressorttrennungen, individuelle Zuständigkeiten und Absprachen innerhalb kommunaler Verwaltungen durchaus vereinbar.

Die Zunahme der Bedeutung eher integrativer Politiken auf lokaler Ebene hat auch dazu geführt, dass dies in der städtischen Vernetzungsarbeit auf internationaler Ebene vermehrt thematisiert wird. So hat beispielsweise das Netzwerk Eurocities, ein Zusammenschluss von etwa 150 europäischen Großstädten, zusammen mit dem europäischen Dachverband PICUM, Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants (siehe auch den Artikel von PICUM), der sich auf europäischer Ebene für die Interessen irregulärer MigrantInnen einsetzt, eine Kampagne für den Zugang zur Gesundheitsversorgung für irreguläre MigrantInnen durchgeführt. Der Austausch auf europäischer Ebene ermöglicht es den Städten, gemeinsam Politikansätze zu entwickeln, die dann auch mit mehr Rückhalt gegenüber nationalstaatlichen Regierungen vertreten werden können, und auf politische Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene einzuwirken.

Anmerkung

1 Das vom Katholischen Forum initiierte Manifest 'Leben in der Illegalität' (vgl. den Beitrag von Weihbischof Dr. Voß, in dem dazu aufgerufen wird "sich auch in Deutschland öffentlich und gesamtgesellschaftlich vermehrt mit dem Thema der irregulären Zuwanderung und dem irregulären Aufenthalt zu beschäftigen, um angemessenere Umgangsformen mit den hier vorliegenden Problemen zu finden", wurde von zahlreichen KommunalpolitikerInnen unterzeichnet.

Literatur

  • Alt, Jörg (1999): Illegal in Deutschland: Forschungsprojekt zur Lebenssituation 'illegaler' Migranten in Leipzig. Karlsruhe.
  • Alt, Jörg (2003): Leben in der Schattenwelt. Problemkomplex 'illegale' Migration. Neue Er-kenntnisse zur Lebenssituation 'illegaler' Migranten aus München und anderen Orten Deutschlands. Karlsruhe.
  • Anderson, Philipp (2003): "Dass Sie uns nicht vergessen..." Menschen in der Illegalität in München. München.
  • AutorInnenkollektiv (Hrsg., 2000): Ohne Papiere in Europa. Illegalisierung der Migration – Selbstorganisation und Unterstützungsprojekte in Europa. Berlin.
  • Birsl, Ursula (2005): Migration und Migrationspolitik im Prozess der europäischen Integration? Opladen.
  • Brochmann, Grete; Hammar, Tomas, (Hrsg.,1999): Mechanisms of Immigration Control. A Comparative Analysis of European Regulation Policies. New York/Oxford.
  • Düvell, Frank (Hrsg., 2006): Illegal Immigration in Europe. Beyond Control? New York.
  • Jordan, Bill; Vogel, Dita; Estrella, Kylza (1997): Leben und Arbeiten ohne regulären Aufenthaltsstatus. Brasilianische MigrantInnen in London und Berlin. In: Häußermann, Hartmut; Oswald, Ingrid (Hg.): Zuwanderung und Stadtentwicklung. Leviathan Sonderheft 17. Opladen. S. 215 - 231.
  • Schönwälder, Karen et al. (2004): Migration und Illegalität in Deutschland. AKI-Forschungsbilanz 1. Berlin.
  • Schwenken, Helen (2006): Rechtlos, aber nicht ohne Stimme. Politische Mobilisierungen um irreguläre Migration in die Europäischen Union. Bielefeld.
  • Sciortino, Guiseppe (2004): Between Phantoms and Necessary Evils. Some Critical Points in the Study of Irregular Migrations to Western Europe. In: Böcker, Anita/ De Hart, Betty/ Michalowski, Ines (Hrsg.): Migration and the Regulation of Social Integration. Bad Iburg, 17 - 43.
  • Stobbe, Holk (2004): Undokumentierte Migration in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Göttingen.
  • van der Leun, Joanne (2006): Excluding illegal migrants in the Netherlands: between national policies and local implementation. In: West European Politics, 29(2), 310-326.

 

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Simone Buckel ist Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und promoviert im Graduierten- kolleg "Die Zukunft der europäischen Stadt. Formen und Folgen von New Urban Governance" an der HU Berlin über lokale Politikprozesse und irreguläre Migration.