Anerkennung vorhandener Berufsabschlüsse: Erfahrungen aus der Praxis I

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Vermessungstechniker Abdullah wurde vermittelt durch die Website jobs4refugees

Im ersten Praxisblock des Dossiers "Arbeitsmarktintegration" berichten wir beispielhaft von vier Projekten aus Bayern, Berlin und Sachsen, die Geflüchtete beim Eintritt in den Arbeitsmarkt unterstützen.

Diese Projekte stellen wir vor:

a) Prototyping Transfer: „Wir recherchieren auch in Kriegsgebieten“

b) Talentscouts für Flüchtlinge in Bayern: den ganzen Menschen im Blick

c) jobs4refugees: Online in den Arbeitsmarkt

d) Praxischeck Dresden: Neue Talente fürs Handwerk

 

a) Prototyping Transfer: „Wir recherchieren auch in Kriegsgebieten“

Bei "Prototyping Transfer" handelt es sich um ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das unter anderem die IHK München als Projektpartner unterstützt.

Eine Köchin aus Westafrika, ein Elektroniker aus Syrien – sie sind die jüngsten Beispiele für erfolgreiche Qualifikationsanalysen (QA) bei Prototyping Transfer, einem Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das auch die IHK München als Projektpartner unterstützt. „Die Grundvoraussetzungen sind“ erläutert Georg Sterner, bei der IHK München verantwortlich für die Umsetzung, „dass die Geflüchteten im Herkunftsland eine staatlich anerkannte, abgeschlossene Berufsausbildung absolviert haben, dafür aber keine Nachweise, keine Dokumente besitzen und auch keine Möglichkeit haben, diese zu beschaffen.“

QAs können grundsätzlich unabhängig vom Status eines Asylverfahrens stattfinden. Im Fall der Köchin aus Westafrika und des Elektronikers aus Syrien hatten ehrenamtliche Helferinnen und Helfer den Kontakt zur IHK München hergestellt, um das Verfahren zu initiieren. Zunächst wird ein Antrag auf Anerkennung des ausländischen Abschlusses bei der IHK FOSA (Foreign Skills Approval) gestellt, die im Rahmen des Verfahrens auch eine Plausibilitätsüberprüfung durchführt: Gibt es in dem entsprechenden Land solche Schulen, solche Berufsbildungssysteme, Berufsausbildungen etc. Dabei wird zum Teil auch in Kriegsgebieten recherchiert. „Die IHK FOSA macht das schon seit 2012, dort werden über 20 Sprachen gesprochen, es gibt Expertinnen und Experten für alle einschlägigen Länder“, so Sterner.

Wenn die Plausibilitätsüberprüfung positiv ausfällt, dann sucht Georg Sterner jemanden mit der nötigen Expertise um die QA durchzuführen. „Das sind idealerweise Personen mit jahrelanger einschlägiger Berufserfahrung, interkultureller Kompetenz und entsprechender Sensibilität.“ Die QA ist keine Prüfung. Die Expertin oder der Experte gibt eine Empfehlung an die IHK FOSA zur Gleichwertigkeit des Abschlusses. Die Köchin hat im Beisein eines versierten Küchenchefs ein anspruchsvolles 4-Gänge-Menü zubereitet und damit ihre Berufsanerkennung erreicht. Der Geflüchtete aus Syrien schaffte eine teilweise Gleichwertigkeit mit der Empfehlung, in einem sechsmonatigen Praktikum die Defizite auszugleichen. „Das ist also kein Prüfungszeugnis, aber doch ein deutsches Dokument und das ist vor allem für Arbeitgeber als Entscheidungshilfe wichtig.“

Ein solches Verfahren dauert meist mehrere Monate und kann auch mehrere hundert Euro kosten. Im Rahmen des Projektes gibt es einen Sonderfonds des Ministeriums für Bildung und Forschung und auch Jobcenter oder Arbeitsagentur übernehmen auf Antrag gegebenenfalls die Kosten. „Ich habe persönlich mit Jobcentern und Arbeitsagenturen durchaus positive Erfahrungen gemacht“, so Georg Sterner. Ob es den Betreffenden gelingt, dann auch einen Job zu finden, ist offen. Mit einer QA und einer teilweisen oder vollen Anerkennung im Gepäck sind sie sicher besser dafür gerüstet.

Weitere Informationen unter: www.ihk-muenchen.de/berufsanerkennung

 


b) Talentscouts für Flüchtlinge in Bayern: den ganzen Menschen im Blick

Die Talentscouts der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY) sind in 5 Regierungsbezirken und damit in zahlreichen bayerischen Städten und Landkreisen unterwegs, um Geflüchtete zu beraten und sie beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zu begleiten.

„Wir machen  überall dort Infoveranstaltungen, wo man Flüchtlinge antreffen kann", sagt Yuliya Jabbari, Projektleiterin mit Standort Nürnberg. „In Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften, in Integrationskursen sowie in den Büros der Integrationsbeiräte haben wir Sprechstunden und bieten face-to-face Beratung an. Die Resonanz ist groß, inzwischen gibt es sogar Wartezeiten.“

Die Talentscouts widmen sich in Einzelgesprächen ausführlich den mitgebrachten, abgeschlossenen oder nicht abgeschlossenen Qualifikationen der Geflüchteten und den Talenten und Berufswünschen jeder/s Einzelnen. Diese umfassende Laufbahnberatung beinhaltet auch, die Lebensgeschichte der Geflüchteten und die Umstände der Flucht miteinzubeziehen.

Die Talentscouts Ahu Yildirim und Souzan Nicholson berichten von ihrer Tätigkeit:

Fallbeispiel R. O. Q.:

„R. wurde zunächst auf einer unserer Informationsveranstaltungen auf das Angebot der Talentscouts in der Region aufmerksam. Im Anschluss bei einem Termin im Jobcenter wurde ihm empfohlen, einen Termin bei mir zu vereinbaren.
R. O. Q. ist 32 Jahre alt und kommt aus Syrien. In Syrien hat er Bauingenieur studiert. Er kam zu mir mit dem Anliegen, dass er auch in Deutschland als Ingenieur arbeiten möchte. Nach Durchsicht seiner Unterlagen, die lückenlos vorlagen, wurde ihm der Weg des Anerkennungsverfahrens erklärt. Im zweiten Schritt war es notwendig, eine Kostenanfrage beim zuständigen Jobcenter einzuholen, um die Übernahme anfallender Kosten sicherzustellen. Das Jobcenter erklärte sich bereit, sämtliche Kosten zu übernehmen, weshalb im Nachgang dann der Antrag fertiggestellt werden konnte.

Ahu Yildirim, Talentscout für Flüchtlinge

Der Beruf Ingenieur ist in Deutschland kein reglementierter Beruf. Lediglich die Titelführung für die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ muss genehmigt werden. Das Verfahren für die Genehmigung zum Führen der Berufsbezeichnung führt die Regierung von Schwaben bzw. in diesem Fall die Bayerische Ingenieurekammer-Bau, in München durch.
Nachdem die notwendigen Unterlagen zusammengestellt wurden, konnte der Antrag gestellt werden.
Zwischenzeitlich ist Herr Q. anerkannter Ingenieur und kann seinem Berufswunsch auch in Deutschland nachgehen. Er konnte auch bereits in einer renommierten Firma sein Können im Wege eines Praktikums unter Beweis stellen und befindet sich nunmehr im Bewerbungsverfahren um einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden."

Fallbeispiel Herr A.:

„Herr A. kam zur Sprechstunde des Integrationsbeirates der Stadt, um sich über seine beruflichen Möglichkeiten in Deutschland zu informieren. Er ist Kfz-Mechaniker aus Aserbaidschan, hat dort eine dreijährige Ausbildung absolviert und zehn Jahre als solcher gearbeitet. Leider sind seine beruflichen Unterlagen bei der Flucht nach Deutschland verloren gegangen.
Da meine Beratungsräumlichkeiten beim Beirat angesiedelt sind, wurde dem Ratsuchenden empfohlen, mit mir eine Beratung auszumachen.
Kurze Zeit später schilderte mir Hr. A. seine Situation und äußerte den Wunsch als Kfz-Mechaniker arbeiten zu wollen und nach Möglichkeit seinen Abschluss anerkennen zu lassen.

Souzan Nicholson, Talentscout für Flüchtlinge

Eine Anerkennung (Feststellung der Gleichwertigkeit) ohne entsprechende berufliche Zeugnisse ist schwieriger und teurer, aber grundsätzlich über eine Qualifikationsanalyse möglich. Diese kann im Bereich der handwerklichen Berufe durch das MigraNet Projekt iNAQ bei der Handwerkskammer von Oberfranken erfolgen. Im Rahmen einer Testung werden die Fähigkeiten ermittelt und entsprechend als Anerkennung erfasst.

Hr. A. hat sich hierbei wacker geschlagen und als Ergebnis wurden seine Kompetenzen dokumentiert. Mit diesem Gutachten konnte Herr A. sich erfolgreich bewerben. Auf Grund dessen arbeitet er mittlerweile als Fachkraft in einer Kfz-Werkstatt."

Das AGABY-Projekt „Beruflich anerkannt?! Talentscouts für Flüchtlinge“ ist ein Teilprojekt von MigraNet – IQ Landesnetzwerk Bayern im Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Bundesagentur für Arbeit finanziert.

Weitere Informationen:

http://www.agaby.de/beruflich-anerkannt/

http://www.migranet.org/angebote-zur-interkulturellen-oeffnung/beruflich-anerkannt/talentscouts-fuer-fluechtlinge

 

 


c) jobs4refugees: Online in den Arbeitsmarkt

„Wir bringen Geflüchtete und Arbeitgeber zusammen“ – so wirbt die gemeinnütze Organisation Jobs4refugees auf ihrer Website. Die Organisation hat sich Ende 2015 in Berlin gegründet und finanziert sich aus Spenden und durch Crowdfunding. „Wir verstehen eine Erwerbstätigkeit“ sagt der Gründer Robert Barr „als entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer gelingenden Integration“.

Geflüchtete, die einen Job suchen, können sich über das Internetportal anmelden; Firmen, die ein Stellenangebot haben, können ihre Jobs posten – beides kostenfrei.

Zur Anmeldung, dem ersten Schritt, gehört die Beantwortung von Kernfragen zum Bildungsabschluss, dem beruflichen Hintergrund, zu Wünschen und Zielen. Der zweite Schritt ist das Matching: Jobs4refugees sucht nach einer passenden Stelle bei den Arbeitgeber/innen, die sich als Suchende registriert haben, in Kooperation mit Arbeitsagenturen, Unternehmerverbänden, Jobbörsen etc. „Das wichtigste ist für uns dabei die Integrationsoffenheit“ sagt Robert Barr und nennt Firmenbeispiele aus der Vermittlungspraxis: Supermarktketten, Ingenieurbüros, Start-Ups, eine Fleischerei.

Ahmed arbeitet bei der KORSCH AG, vermittelt durch jobs4refugees

Das Interview ist der dritte Schritt, die Geflüchteten werden auf das Bewerbungsgespräch vorbereitet, ein Kennenlern-Gespräch mit dem Arbeitgeber wird organisiert. Wenn es klappt, werden die Geflüchteten im vierten Schritt auf den Arbeitsbeginn vorbereitet. „Dazu gehört, dass wir die Verträge erklären oder zum Beispiel auch, was eine Krankschreibung ist und wann man sie benötigt.“ Das Follow-Up ist der fünfte Schritt, der Kontakt nach dem Jobeinstieg. „Das schaffen wir nicht in allen Fällen, aber wir versuchen, innerhalb der ersten zwei Monate alle zwei Wochen nachzuhaken: bis zum sechsten Monat einmal im Monat und danach bei Bedarf.

Wenn es Probleme gibt, wenn zum Beispiel mehr Arbeit ohne mehr Geld verlangt wird.“ Und manchmal geht es auch um kulturelle oder individuelle Unterschiede im Umgang mit Hierarchie, die man beiden Seiten erklären muss. „Wir hatten das bei einem syrischen Flüchtling in einem Grafikdesignbüro, für ihn waren die horizontalen Strukturen neu, die Tatsache, dass Nachfragen zum Beispiel nicht unerwünscht ist, sondern als Zeichen von Interesse und Engagement gilt.“

Weitere Informationen: jobs4refugees.org

 


d) Praxischeck Dresden: Neue Talente fürs Handwerk

„Interkulturelle Öffnung für Handwerksunternehmen und Berufsfeststellung für Geflüchtete“ – so definiert sich das Projekt Praxischeck, das Annegret Umlauft bei der Handwerkskammer Dresden leitet. Praxischeck kooperiert mit den Jobcentern und wird durch das Ministerium für Arbeit und Soziales finanziert. „Am Anfang“ sagt Annegret Umlauft „mussten wir noch Werbung dafür machen, inzwischen schicken die Berater die Kandidatinnen und Kandidaten zu uns und es werden immer mehr.“

Praxischeck testet Kenntnisse und Berufserfahrung mit typischen Schwerpunkten in unterschiedlichen Stufen, im Querschnitt oder auf einzelnen Tätigkeitsfeldern: Wo liegen die praktischen Fähigkeiten, wie kann man sie ohne lange Qualifizierung oder weitere Ausbildung nutzen. Der Tester beurteilt aber auch: Haben die Proband/innen vielleicht noch weitere und andere Fähigkeiten? Das Testverfahren dauert fünf Tage in einer Werkstatt der Handwerkskammer und umfasst sämtliche Handwerksberufe. „Wir haben Probanden in den Berufen Bäcker, Konditorin, Maler, Tischlerin, Elektronikerin, Friseur, Bau und Schweißer, wobei Schweißer kein eigenständiger Beruf, aber als Teilqualifikation gut vermittelbar ist.“ Der Test endet mit einem Abschlussgespräch, einem Einschätzungsbogen, den auch das Jobcenter bekommt, und der eine sofortige Arbeitsaufnahme oder eine Ausbildung empfiehlt. „Viele nutzten dann diese Expertise für Bewerbungen“, so Umlauft.

Der zweite Schwerpunkt ist die interkulturelle Öffnung und Sensibilisierung der Handwerksbetriebe. Das versucht Praxischeck mit Infoveranstaltungen, Fachkräftebörsen, Schulungen für interkulturelle Kompetenzen. „Betriebe brauchen gute Fachkräfte und wir wollen ihnen dabei helfen, Vorbehalte und Angst vor Bürokratie zu überwinden, Verständnis für andere Kulturkreise wecken. Man muss auch die Belegschaften mitnehmen, ‚ihr braucht keine Angst zu haben, ihr verliert euren Job nicht.’ In der Regel werden die Vorbehalte schnell abgebaut, nach Einstellung von Flüchtlingen geht es dann eher um praktische Hilfe.“

Weitere Informationen: www.hwk-dresden.de

 

Dieser Beitrag erschien in unserem Dossier „Arbeitsmarktintegration“ aus der Reihe „Welcome to Germany“.