Erfahrungen aus dem Interkulturellen Netzwerk beim Deutschen Journalisten Verband

Journalistin

 

von Minou Amir-Sehhi

„MIMAS“ werden sie neudeutsch genannt. „Menschen mit Migrationshintergrund“ heißt das, vermeidet aber, den sperrigen Begriff mit dem –hintergrund auszusprechen. „MIMAS“ stehen in jüngster Zeit hoch im Kurs. Ob die vom Bundeskanzleramt organisierten Arbeitsgruppen zum Thema Integration, ob öffentlich-rechtliche Rundfunksender oder Unternehmen und Verwaltungen – alle rufen sie plötzlich nach qualifizierten Kräften nichtdeutscher Herkunft.

Kein Wunder, leben doch in manchen deutschen Großstädten bereits 40 % Jugendliche mit Migrationshintergrund.  Da reicht es nicht, wenn es hin und wieder mal einen türkischen Polizisten und eine irakischstämmige Nachrichtensprecherin gibt. Besonders Politik und die Medien – aber nicht nur sie – suchen „Vorbilder“ für die interkulturelle Jugend des Landes.  Denn gerade, wer in der Öffentlichkeit steht, ermutigt andere, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. So können Journalistinnen und Journalisten, die selbst einen Migrations- oder binationalen Hintergrund haben, selbst etwas zu dieser Entwicklung beitragen. Dazu müssen sie sich allerdings zunächst einmal selbst zusammenfinden. Netzwerke können den Zusammenhalt untereinander stärken, Informationsaustausch ermöglichen, mit öffentlichen Veranstaltungen auf die Problematik aufmerksam machen und auch sonst als Lobby gegenüber Politik und Medien fungieren.

 

Das interkulturelle JournalistInnen-Netzwerk

In unserem "Interkulturellen Netzwerk" im Verein Berliner Journalisten, einem Landesverband des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), finden sich Journalistinnen und Journalisten unterschiedlichster Herkunft. Einige haben einen türkischen, kurdischen, italienischen oder griechischen „Hintergrund“, andere sind binationaler Herkunft, mit einem ägyptischen, indischen oder persischen Elternteil. Wir wollen die Position von interkulturellen JournalistInnen in Deutschland stärken und treffen uns dafür mit EntscheidungsträgerInnen in Sendern und Verlagen, aber auch mit anderen Experten. So hatten wir bislang Roundtable-Diskussionen mit zwei Chefredakteurinnen, einem interkulturellen Bundestagsabgeordneten, einem Medienwissenschaftler und dem Deutschlandkorrespondenten des Senders Al Jazeera. Von den interkulturellen Kollegen befragt, gab er in dem Hintergrundgespräch Interna von dem bekannten Sender preis, die ansonsten bei großen Podiumsdiskussionen nicht zu hören sind. Überhaupt unterscheiden sich die Veranstaltungen des Interkulturellen Netzwerkes extrem von anderen Podiumsdiskussionen oder Gesprächstreffen dieser Art. Hier wird eloquent gefragt, wobei sich die wenigsten an eine RednerInnenliste oder ähnliches halten. Fast kein Gast sitzt einfach nur da, die meisten Mitglieder aus dem interkulturellen Netzwerk bringen auch eigene Erfahrungen ein, was die Diskussion meist noch spannender macht. Zu den Veranstaltungen – nicht zu unseren Arbeitstreffen - sind auch andere Mitglieder des Vereins Berliner Journalisten sowie alle anderen Interessierten herzlich eingeladen. Häufig lassen sich auch VertreterInnen interkultureller Organisationen und Botschaften auf die Gästeliste setzen. Viele JournalistInnen kommen natürlich auch, um Kontakte zu knüpfen oder für ein interkulturelles Thema zu recherchieren.

Noch sind wir wenige, rund zwanzig Aktive in unserem regionalen Netzwerk. Aber allmählich werden wir mehr. Der Weg ist in jedem Fall noch lang, bis die Bevölkerung nicht-deutscher Herkunft angemessen auch unter den Journalisten des Landes vertreten sein wird. Die Frage ist: Wie lange kann es und wie lange darf das dauern? Denken wir an die langwierigen Bemühungen um eine  Gleichstellung der Geschlechter bei wichtigen Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Erfolg fällt dreißig Jahre nach der Gründung von „Emma“ immer noch bescheiden aus. Damit der MigrantInnenanteil im Journalismus schneller steigt als der Frauenanteil an Führungsjobs, wird sicherlich mehr Anstrengung nötig sein als bisher. Anstrengungen von allen Seiten – der Bildungs- und Integrationspolitik von Bund und Ländern, den Medien als Arbeitgeber – und schließlich auch von uns Interkulturellen mit unserer Eigeninitiative. Offenbar benötigen Interkulturelle JournalistInnen ähnlich wie Frauen in höheren Positionen mehr Durchhaltevermögen und Kompetenz als Deutschstämmige. Die Erfahrung habe ich selbst so gemacht: Anfang der neunziger Jahre, damals studierte ich noch, nahm mich beim Casting eines öffentlich-rechtlichen Senders ein freundlicher Redakteur zur Seite und sagte: „Passen Sie auf, ich gebe Ihnen einen Rat: Werden Sie Fernsehautorin hinter der Kamera. Die Zeit ist noch nicht reif für so exotische Fälle wie Sie.“

Positive und negative Diskriminierung

Die meisten von uns im „Interkulturellen Netzwerk“ haben sowohl positive als auch negative Diskriminierung erlebt. Ein engagierter Fernseh-Journalist berichtet, er wurde lange Zeit ausschließlich für alle Migrationsthemen in seiner Redaktion herangezogen. Das störte ihn zunächst nicht weiter. Doch da er freier Journalist ist und nicht täglich eine Moschee gebaut wird oder Lehrer einer Rütli-Schule offene Briefe schreiben, bekam er nicht immer genug Aufträge. Bis er das Problem, „der Türke vom Dienst“ zu sein, in der Redaktion ansprach – und auch auf Einsicht stieß. Seitdem bekommt er auch Aufträge für andere Themen. Ich musste bereits Ende der neunziger Jahre bei Deutsche Welle TV manchmal ein Pseudonym benutzen, denn Beiträge von mir zu heiklen Themen liefen ja auch in der arabischen Welt. Die Chefs vom Dienst des deutschen Auslandssenders sind angehalten, auch an das Publikum in orientalischen Ländern zu denken – und an die Sicherheit ihrer Mitarbeiter. So ist man der Ansicht, dass der Bericht einer persisch-stämmigen Journalistin auf der einen Seite parteiisch sein könnte, die Autorin auf der anderen Seite auch selbst in Gefahr geraten könnte, wenn sie kritisch über ein solches Thema berichtet.

Auch beim WDR-Fernsehen sammelte ich meine Erfahrungen: Ärgerliche Fehler, wie die falsche Aussprache eines kleinen Ortes in Nordrhein-Westfalen führten in meinem Fall zu mehreren Zuschaueranrufen und zu einer Abmahnung des Landesstudios. Nun kann man darüber diskutieren, ob ein blonder Kollege, den man vielleicht eher für einen Westfalen gehalten hätte, genauso viele Anrufe erhalten hätte.  Überhaupt ist diese subtile Art von Diskriminierung sehr schwer nachweisbar: Mir scheint aber: Kleine Fehler oder Unzulänglichkeiten können wir uns weniger leisten als andere. Auch passen wir nicht immer in die Klischeevorstellungen, die sich die Programmverantwortlichen von uns machen. Selbige beim ZDF hatten 1998 die Idee für eine „multikulturelle“ Sendereihe. Damals bekam ich einen Anruf aus Mainz: Sie planten eine „neuartige Sendung“, für die Sie unbedingt eine, „ausgefallene“ Moderatorin bräuchten: deutsche Muttersprachlerin, aber nichtdeutsche Herkunft. „Schwarz, Rot, Bunt“ sollte die Sendung heißen.

Beim Casting – das ZDF hatte doch noch einige interkulturelle Kandidatinnen aufgetrieben - kam ich unter die ersten drei, die dann der Intendant begutachten sollte – und wurde nicht genommen. Von einem Kollegen erfuhr ich informell, warum: Ich war zu hell und unauffällig -  nicht exotisch genug also. Ausgewählt wurde eine Afrodeutsche. Immerhin hat die ARD seit vergangenem Jahr eine Auslandskorrespondentin nichtdeutscher Herkunft. Sie heißt Golineh Atai und berichtet aus dem ARD-Studio Kairo. Obwohl sie in Deutschland aufgewachsen ist, haben ihre persischen Eltern ihr viel über den Islam beigebracht. Sie kann sich in die orientalische Mentalität einfühlen und bringt ein intuitives Verständnis und Wissen für die Kultur und das Leben in Nahost mit. Das können ganz banale Dinge sein wie Umgangsformen in arabischen Ländern, aber auch Interpretationen von Koran-Versen oder das Wissen um Vorbehalte gegen die westliche Kultur. Sie kennt  aus ihrer familiären Sozialisation, was andere sich erst mühevoll aneignen müssen. Golineh Atai, die uns demnächst bei unserem Interkulturellem Netzwerk in Berlin besuchen wird, möchte, so sagt sie, von dem Label „exotisch“ nichts wissen, und hofft auf mehr Normalität im Umgang mit interkulturellen JournalistInnen in Deutschland.

Sie zieht da gern den Vergleich mit den USA: Dort gilt die in Großbritannien geborene internationale Chefreporterin von CNN, Christiane Amanpour,  ganz selbstverständlich als iranische Engländerin oder eine englische Iranerin. Kaum jemand würde in den USA sagen: Die Amanpour sieht aber exotisch aus. Ähnlich wie CNN sorgt auch die britische BBC seit langem dafür, dass vor der Kamera Journalisten verschiedenster Herkunft stehen: die Moderatorin mit asiatischen Wurzeln, der afroamerikanische Anchor, die arabischstämmige Live-Reporterin, der indische Moderator - sie alle prägen die Nachrichtensendungen. Von solch einer interkulturellen Normalität ist Deutschland noch weit entfernt. Hierzulande sind, nach einer groben Schätzung, nur 2  bis 3 % aller Journalisten nichtdeutschen oder bikulturellen Ursprungs.

Eine kleinere, eher qualitative Umfrage hat im Jahr 2005 der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration in Auftrag gegeben. Einige der interviewten Redaktionsleiter fanden es absurd, nach interkulturellen Mitarbeitern überhaupt gefragt zu werden! Für sie machte es offenbar gar keinen Unterschied, wo ein Journalist nun seine Wurzeln hat. Hauptsache qualifiziert und deutsche Muttersprachler, der Rest schien vielen egal zu sein. Auf die Idee, dass interkulturelle JournalistInnen vielleicht zusätzliche Zuschauerschichten anlocken könnten, kamen die Redaktionsleiter offenbar nicht.

Das interkulturelle Element ist aber nicht nur am so genannten Newsdesk von Bedeutung, sondern auch bei Reportagen vor Ort. Dem Aussehen nach bin ich mit dunklem Teint, schwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen eher nach meinem persischen Vater geraten (während meine Schwester nach der deutschen Familie mütterlicherseits blond geworden ist). Als Reporterin habe ich es mit meinem orientalischen Aussehen einfacher, Frauen mit Kopftuch vor die Kamera zu bekommen, als eine blonde Kollegin. Muslimische Frauen geben mir fast immer einen Vertrauensvorschuss. Sie reagieren weniger scheu – sie glauben, dass ich ihre Situation verstehe und sie im Interview fair behandele: in Deutschland, aber auch in muslimischen Ländern. Im Frühsommer 2003 war ich gerade für eine Reportage in Afghanistan unterwegs, als der tödliche Anschlag auf einen Bundeswehr-Bus in Kabul verübt wurde. Der für die Region zuständige Sender, der MDR, beauftragte mich deshalb mit der Berichterstattung für die ARD.

Während die einheimischen Frauen in Kabul die Burka oder einen Tschador trugen, war ich mit meinem bloßen Kopftuch und meiner Art, mich zu bewegen, als westlich-sozialisiert zu erkennen. Dennoch wurde mir offenbar eine kulturelle Verwandtschaft zugetraut, die Menschen waren zumeist offener zu mir als zu meinen europäischen Kollegen – und damit meine ich nicht die im Orient üblichen Heiratsangebote.  Offener - das heißt Männer wie Frauen, die ich interviewe, fragen zurück: nach meiner Familie, danach, wie viele Kinder ich habe usw. Und mit diesem persönlichen Umgangston wächst auch die Bereitschaft der Menschen, offen über sich vor der Kamera zu reden. Überhaupt ist bei vielen südeuropäischen oder orientalischen Interviewpartnern, auch bei Männern, der persönliche Bezug viel wichtiger als bei den Deutschen, die ein Interview in der Regel sachlicher sehen.

Der Nationale Integrationsplan

Ich denke, es wäre wichtig, die Zahl der interkulturellen JournalistInnen zu erhöhen. Die Weichen dafür sind bereits gestellt, u.a. durch den Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung und ihre Arbeitsgruppe zu Migration und Medien, in der ich auch Mitglied bin. Die von der Staatsministerin Maria Böhmer als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration koordinierte AG fordert in ihrer Selbstverpflichtung für alle Medien einen höheren MigrantInnenanteil, auch bei den Fachleuten, die in Magazinen und Artikeln interviewt werden, sowie bei solchen Rollen in Fernsehserien und Filmen. Damit der Türke nicht nur immer wieder als Döner-Verkäufer auftaucht, sondern auch als Ingenieur. Auch eine verstärkte Zusammenarbeit z.B. mit türkischen Organisationen wird empfohlen, um an entsprechende „MIMA“-Jugendliche heranzukommen, die in Medienberufe gehen können. Außerdem soll der Anteil von Interkulturellen JournalistInnen vor allem im Mainstream-Programm erhöht werden, wobei Spartenprogramme durchaus als wichtiges Medium und Sprungbrett erhalten bleiben sollen. Wird es mit der Angleichung des Anteils an der Bevölkerung von Menschen mit Migrationshintergrund schneller gehen, als mit der von Frauen? Im Moment sieht es gut aus, Politik und Medien haben die Bedeutung des Themas – wenn auch spät - erkannt, und die „MIMAS“ selbst werden immer aktiver.

 

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Minou Amir-Sehhi ist ARD- Korrespondentin und Mitglied des Interkulturellen Netzwerks beim Deutschen Journalistenverband.