Vielfalt als Teil der urbanen Normalität. Integrationspolitik der Stadt Zürich

Züricher Strassenzene

 

von Christof Meier

Von allen Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Zürich haben über 30 Prozent keinen Schweizer Pass. Weitere 10 bis 15 Prozent können (je nach Definition) als Personen mit Migrationshintergrund bezeichnet werden. Es ist also eine Tatsache, dass in der Stadt Zürich für europäische Verhältnisse eher überdurchschnittlich viele Migrantinnen und Migranten leben. Ebenso ist es eine Tatsache, dass die Stadt Zürich in den letzten Jahren in internationalen Rankings stets sehr gut bewertet wurde und folglich als ein Ort mit einer hohen Lebensqualität bezeichnet werden kann. Man könnte sich folglich fragen, ob denn die Stadt Zürich trotz der vielen Ausländerinnen und Ausländer eine hohe Lebensqualität hat oder ob sie dies gerade wegen den Zugewanderten hat. Die Antwort muss offen bleiben. Aber zumindest beweist die Stadt Zürich, dass sich die Anwesenheit von vielen «Fremden» und ein guter Lebensstandard nicht gegenseitig ausschliessen. Die Gleichzeitigkeit ist möglich.

Was macht eine Stadt zu einer Stadt?

Wirklich überraschen kann dieser banale Befund natürlich nicht. Denn Städte (und urbane Zentren) waren schon immer Orte, in denen sich Menschen einen Lebensraum teilen, die ansonsten vielfach nur wenig gemeinsam haben. Sie unterscheiden sich in ihren Biografien ebenso wie in ihren Kompetenzen oder ihren Träumen. Differenz ist ein Teil des städtischen Alltags. Und damit auch die Freiheit und die Möglichkeit einer eigenständigen und selbstgewählten Lebensgestaltung.

Es sind die Unterschiede ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, die die Städte überdurchschnittlich oft zu denjenigen Orten machen, in denen kulturelle, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen stattfinden und in denen sich gesellschaftliche Fragestellungen, die nicht selten auch für andere Regionen von Bedeutung sind, früher und stärker akzentuieren als anderswo. Ein Beispiel dafür ist die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Denn auch die heterogene Bevölkerung einer Stadt braucht Identität und Heimat. Und auch eine Stadt benötigt Einwohnerinnen und Einwohner, die sich in ihr sicher und wohl fühlen, die in ihr Zuhause sind und die gemeinsam auf die eine oder andere Art und Weise die weitere Zukunft mitgestalten.

Die Realität bildet die Ausgangslage

Damit dies gelingen kann, braucht es sowohl ein Bewusstsein für den durch Regeln und Prinzipien gegebenen gemeinsamen Orientierungsrahmen als auch ein Bewusstsein für die durch die Freiheitsrechte ermöglichte und konkret gelebte Vielfalt. Es ist deshalb kaum ein Zufall, dass eine Stadt wie Zürich sich darum bemüht, in ihrer Politikgestaltung und in der Ausrichtung ihrer Dienstleistungen stets von der faktischen Gesamtbevölkerung auszugehen. Und es sind ebenso wenig Zufälle, dass eine Stadt wie Zürich sich stark für die räumliche und soziale Vernetzung engagiert und dass eine Stadt wie Zürich weiss, dass ihre Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur Zürcherinnen und Zürcher sind, sondern noch ganz viele andere Identitäten und Bezugspunkte haben.

Migration und damit auch der Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern sind Teil der gegebenen Normalität. Sie werden nicht in Frage gestellt und leisten einen relevanten Beitrag zur städtischen Dynamik, zum soziokulturellen Alltag und zum wirtschaftlichen Erfolg. In der Vergangenheit ebenso wie im Heute oder in der nahen und ferneren Zukunft. Dies bedeutet nun aber nicht, dass der Migration keine Beachtung geschenkt werden muss. Im Gegenteil. Denn einerseits werden Diskussionen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt vielfach an der (sichtbaren) Präsenz und den (vermuteten) Eigenheiten von Migrantinnen und Migranten ausgetragen. Und andererseits ermöglichen es die laufenden Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung, die aktuellen Gegebenheiten und Grundsätze immer wieder zu überprüfen.

In diesem Sinne sind die folgenden Ausführungen ein Versuch, einige Fakten zur aktuellen Zuwanderung in die Stadt Zürich aufzugreifen und auf mögliche (integrationspolitische) Konsequenzen zu untersuchen. Die sich daraus ergebende Fokussierung auf einige ausgewählte Fragestellungen wird dazu führen, dass die Integrationspolitik der Stadt Zürich nur zu einem kleinen Teil beschrieben werden kann. Dies wird bewusst in Kauf genommen. Denn (a) unterscheiden sich die integrationspolitischen Aktivitäten der engagierten Städte vor allem durch situativ gegebene Priorisierungen. Und (b) wird es so vielleicht möglich sein, einen Einblick in das «Denken» einer urbanen Politik der Vielfalt zu gewinnen.

Es gibt eine neue Zuwanderung, aber nicht nur

Die Fakten zeigen eindrücklich, dass sich die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Zürich in den letzten Jahren verändert hat und in einem wachsenden Ausmasse durch internationale Zu- und Wegzüge geprägt wird. So ist beispielsweise der Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern zwischen 1993 und 2007 von nicht ganz 17.000 auf über 25.000 Personen pro Jahr gestiegen und (davon) der Anteil derjenigen, die direkt aus dem Ausland in die Stadt gekommen sind, von 61,9 auf 70,0 Prozent. Auch die Zusammensetzung der zuziehenden Ausländerinnen und Ausländer hat sich verändert. Machten 1993 Staatsangehörige aus Serbien und Montenegro, Deutschland, Portugal, Italien und Spanien die fünf grössten Gruppen aus, so waren es 2007 Neuzugezogene aus Deutschland, Indien, Italien, Portugal und Grossbritannien.

Stark gestiegen ist in diesem Zeitraum zudem der Frauenanteil (von 41,7 auf 47,3 Prozent), der Anteil volljähriger Einzelpersonen (von 66,8 auf 82,9 Prozent), der Anteil von Personen mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung (von 20,3 auf 44,6 Prozent) sowie das berufliche Qualifikationsniveau: momentan gibt mehr als jede vierte Person bei der Anmeldung an, einen Beruf auszuüben, für den ein tertiärer Abschluss Voraussetzung ist.

Die aktuelle Zuwanderung lässt sich aber nicht auf "mobile Hochqualifizierte“ reduzieren. Zwar lässt sich generell feststellen, dass die durch die Gastarbeiterpolitik und später durch Kriegsflüchtlinge geprägten Phasen inzwischen überlagert werden durch eine Zuwanderung, bei der gut qualifizierte Arbeitsmigrantinnen und -migranten mehr und mehr im Vordergrund stehen. Es gibt also eine „neue Zuwanderung“, doch daneben immer noch alle anderen Formen der Migration. Nach wie vor kommen viele nicht gut ausgebildete Personen in die Stadt Zürich und nach wie vor ist zum Beispiel der Familiennachzug – auch aufgrund binationaler Ehen – ein Hauptgrund der Zuwanderung.

Daraus lässt sich für das Erste folgern, dass die in den letzten Jahren erarbeiteten und sich in ihrer Tendenz eher an sozial schwachen Personen orientierenden integrationspolitischen Ansätze und Massnahmen nicht aufgegeben werden dürfen, sondern vervollständigt und weiter gestärkt werden müssen. Sie sind aber zu ergänzen. Denn die „neue Zuwanderung“ wirft Fragen auf, die sich bisher noch nicht oder nur ansatzweise stellten und deren Diskussion notwendig ist. Auch integrationspolitisch, denn Integrationspolitik betrifft stets die gesamte Gesellschaft.

Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen

Mit diesem einen Satz ist es dem Autor Max Frisch vor vielen Jahren gelungen, die Problematik der schweizerischen Migrations- und Integrationspolitik in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts auf den Punkt zu bringen. Es ging ihm darum, Migrantinnen und Migranten nicht auf ihre ökonomische Funktion zu reduzieren, sondern als das zu nehmen, was sie sind: Frauen und Männer und Kinder mit Bedürfnissen, mit Hoffnungen, mit Ängsten, mit Potenzial, mit einer unbekannten Zukunft. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir davon ausgehen, dass viele der hochqualifizierten Neuzugewanderten nur ein paar Jahre bleiben werden, um Geld für sich (und für uns) zu verdienen und um dann wieder zurück- oder weiterzugehen. Auch sie sind mehr als Arbeitskräfte. Auch sie haben eine offene Zukunft. Und vielleicht ist es ja gar nicht so wichtig, wo diese Zukunft stattfinden wird und ob sie in fünf Jahren immer noch in der Stadt Zürich oder ob sie dann in Zollikon, Hinwil oder Glarus oder in München, London oder Mumbay leben werden.

Generell ist es so, dass jede Investition in Integration Gewinn verspricht. Auch dann, wenn sie nur „temporär“ ausgerichtet ist. Denn erstens ist es besser, wenn sich jemand vor Ort nur befristet engagiert, als wenn er oder sie dies gar nicht tut. Zweitens werden nicht wenige derjenigen, die nur kurz zu bleiben beabsichtigen, trotzdem längerfristig hier sein und müssen folglich nicht mehr „nachintegriert“ werden. (Vielleicht haben wir aus unserer Geschichte ja auch etwas gelernt: jedenfalls sollte uns diese Argumentation nicht ganz unbekannt sein.) Und drittens können uns diejenigen, die wieder wegziehen, in guter Erinnerung behalten und dadurch beste Werbung machen für unsere Stadt und unser Land: man nennt dies auch Standortmarketing.

Es stellt sich also die Frage, wie wir das Thema der „temporären Integration“ angehen und mit welchen konzeptuellen Ansätzen wir mögliche Massnahmen planen und umsetzen. Noch lässt sich dies nicht abschliessend beantworten und noch ist genauer zu prüfen, in welchen Zusammenhängen diesbezüglich der Staat in einer integrationspolitischen Verantwortung steht. Doch es erscheint nahe liegend, dass es bei hochqualifizierten Neuzuziehenden weniger darum geht, deren arbeitsmarktlichen Chancen zu verbessern oder ihnen subventionierte Deutschkurse anzubieten. Schon eher gehen die Zielsetzungen in eine Richtung, die darauf abzielt, dass sich die zur „neuen Zuwanderung“ Gehörigen auf ihren momentanen Wohnort einlassen und diesen zu einem Teil ihres Alltags werden lassen. Damit sind letztlich so „banale“ Dinge wie Kontakte zur Nachbarschaft und Mitwirkungen in Vereinen gemeint und folglich Verhaltensweisen, die sich durch Massnahmen und Interventionen nur sehr begrenzt steuern lassen.

Ungleichbehandlungen gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die schweizerische Gesetzgebung führt (wie die Gesetzgebungen der meisten Staaten) zu - je nach Nationalität und beruflichem Hintergrund - gewollten Ungleichheiten bezüglich des Zugangs zur Gesellschaft. Diese Ungleichbehandlung in der Zulassungspolitik muss aber integrationspolitisch nicht weitergeführt werden, im Gegenteil. Denn Ungleichbehandlungen hemmen und verhindern Integration. Sie werden als ungerecht wahrgenommen und sie verletzen wichtige Grundsätze eines demokratischen Rechtstaats. Integrationspolitisch ist es bedeutsam, auf entsprechende Problemfelder aufmerksam zu machen und diese mit fachlichen Argumenten politisch zu bekämpfen. Dabei kann der Bezug auf die hochqualifizierten Zuwandernden den Blick schärfen.

Diese erhöhte Sensibilität ist notwendig, denn einerseits nimmt die ungleiche Bewertung (erwünscht / unerwünscht) von an sich Vergleichbarem tendenziell zu und andererseits gehen mehr und mehr notwendige Differenzierungen verloren. Ein gestärktes Bewusstsein für diese Zusammenhänge bietet nicht zuletzt die Chance, den Integrationsbegriff von seiner starken „nationalen“ Verhaftung zu lösen und – vielleicht realistischer – in einem transnationalen Rahmen neu zu denken. Da die integrationspolitische Praxis der Stadt Zürich sehr pragmatisch ist und sich in erster Linie nach einem Orientierungsrahmen ausrichtet, der den gleichwertigen Zugang zu Ressourcen (Chancengleichheit), die Stärkung der einzelnen Menschen in ihren persönlichen Kompetenzen und eine gelebte Akzeptanz und Wertschätzung umfasst, möchte ich auf die Begriffsdefinition hier nicht weiter eingehen.

Festgehalten werden kann jedoch beispielhaft eine sich vielerorts abzeichnende Tendenz der zunehmenden Ungleichbehandlung. Es geht dabei um den Wunsch der Politik, Integration zu messen und bei einer als ungenügend erachteten Integration zu sanktionieren. Einmal abgesehen davon, dass sich solche politischen Forderungen meist auch an die einheimische Bevölkerung richten (seht her, wir tun etwas!), stellt sich die Frage nach geeigneten Kriterien. Und mangels guter Alternativen (Integration lässt sich nun mal nicht umfassend messen: man denke nur an die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung) greift man dann meist auf die Sprache zurück. Und steht damit vor dem Problem, dass die vorhandenen Überprüfungsinstrumente oft nur ungenügend geeignet sind. Dies führt beispielsweise dazu, dass Menschen mit geringen Bildungserfahrungen trotz guter mündlicher Deutschkenntnisse von Leistungen und Sicherheiten ausgeschlossen werden, nur weil sie nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügen, einen schriftlichen Sprachtest zu bestehen.

Parallelgesellschaften müssen nicht verhindert, sondern vernetzt werden

In einer Stadt wie Zürich sind „Parallelgesellschaften“ Realität. Und sie werden es auch in Zukunft sein. Denn niemand hat einen nach allen möglichen Kriterien durchmischten Freundeskreis und kaum jemand eine Nachbarschaft, die einem theoretischen nationalen Durchschnitt entsprechen würde. Es ist ein menschliches Bedürfnis, sich mit Personen zu vernetzen, mit denen man sich aufgrund gewisser Gemeinsamkeiten stärker verbunden fühlt als mit anderen und mit denen es einfacher ist, sich sprachlich und kulturell auszutauschen. Dies führt unweigerlich zu „Parallelgesellschaften“, kleineren und grösseren, offeneren und geschlosseneren – und es gibt grundsätzlich keinen Grund, die einen als besser oder als natürlicher zu bewerten als die anderen.

Tendenziell sind wir alle Mitglieder mehrerer, oft sehr verschiedener Teilgesellschaften. Dadurch entstehen Berührungspunkte, Überschneidungen, Vernetzungen und letztlich die für die Weiterentwicklung nötige gesellschaftliche Dynamik. Allenfalls vorhandene „Parallelgesellschaften“ von Ausländerinnen und Ausländern, seien sie nun eher einem sozial schwachen oder eher einem sozial starken Milieu zuzuordnen, sind also ein gegebener Teil unserer Gesellschaft. Sie sind kein Problem, sondern bieten Heimat. Und es geht nicht darum, sie zu verhindern, sondern sie zu vernetzen.

Das gesellschaftliche Ziel könnte sein, dass alle Mitglieder einer „Parallelgesellschaft“ auch Mitglieder sind anderer Teilgesellschaften. Dies ist heute – gerade bei Migrantinnen und Migranten – erst ungenügend der Fall. Zu viele schaffen es auch nach mehreren Jahren nicht, sich auch andere Kreise zu erschliessen als diejenigen, die ihnen kurz nach ihrer Zuwanderung wichtige Hilfestellungen und Orientierungspunkte boten. Daraus ergibt sich integrationspolitisch eine Herausforderung, und dank den als tendenziell als eher unproblematisch geltenden Communities der Hochqualifizierten gelingt es uns vielleicht, auch auf die vielfach eher skeptisch betrachteten Vereine und Treffpunkte der anderen Migrantinnen und Migranten etwas nüchterner und offener zuzugehen. Und nicht zu vergessen ist dabei, dass kaum eine Gruppierung ethnisch homogenere (bzw. geschlossenere) Netzwerke hat als die „einheimische“ Bevölkerung.

Diversitätspolitik als Selbstverständnis und als Potenzial

Die obigen Überlegungen zu temporärer Integration, zur Bedeutung von gleichwertiger Behandlung und zur Vernetzung von Teilgesellschaften sind nur einige der denkbaren Herausforderungen, die sich aus der „neuen Zuwanderung“ ergeben. Diskutieren könnte man beispielsweise auch die Verunsicherungen, die sich für die einheimische Bevölkerung durch die vermehrte Überschichtung ergeben. Aber grundsätzlich ging es in diesem Text bisher darum, anhand einer aktuellen Fragestellung aufzuzeigen, dass urbane Vielfalt etwas ist, das sich ständig verändert.

Diese Herausforderung immer wieder neu anzunehmen und zukunftsgerichtet zu gestalten, ist die Aufgabe. Sie wird auch als Diversitätspolitik bezeichnet und meint letztlich nichts anderes, als die gesellschaftliche Vielfalt als Realität anzuerkennen und sie zum Wohle aller zweckmässig zu nutzen. Die Integrationsarbeit kann dazu zwar Beiträge leisten und Unterstützungen anbieten, aber erfolgsrelevant ist die Praxis.

Diversitätspolitik betrifft folglich das ganze städtische Handeln. Dabei geht es erstens darum, die kommunalen Leistungen auf eine Art und Weise zu erbringen, dass alle Bevölkerungskreise zu ihnen einen gleichwertigen Zugang haben und von ihnen in einer gleichwertigen Qualität profitieren. Zweitens ist es bedeutsam, allfällige Fördermassnahmen und Unterstützungsangebote so auszurichten, dass sie vor allem diejenigen Menschen erreichen, die erst ungenügend in der Lage sind, eigenverantwortlich am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Alltag teilzunehmen. Und drittens gilt es, allen Bewohnerinnen und Bewohnern immer wieder aufzuzeigen, dass sie Willkommen sind, dass die einheimische Bevölkerung Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur umfasst und dass unsere gemeinsame Zukunft umso besser gelingt, je mehr wir uns gegenseitig respektieren, bereichern und anregen.

Beispiele zu Zürichs Umgang mit der urbanen Vielfalt

Eine so verstandene Diversitätspolitik kann nicht umfassend beschrieben werden. Denn sie ist in ihrer Tendenz eine „Haltung“. Eine Haltung, die stets und überall gefragt ist und gelebt werden kann. Dies gelingt manchmal gut, manchmal etwas weniger gut. Auch in der Stadt Zürich. Als Grundprinzip gilt jedoch stets, dass die städtische Diversitätspolitik wenn immer möglich im Rahmen bestehender Strukturen und Zuständigkeiten umgesetzt werden soll und dass spezielle – sich z.B. ausschliesslich an Migrantinnen und Migranten richtende – Angebote nur dann realisiert werden, wenn sie auf einem spezifischen Bedarf beruhen und entsprechend begründet werden können.

Dies gilt es zu beachten, wenn im Folgenden einige wenige Beispiele beschrieben werden, die als stellvertretend für die Zürcher Diversitätspolitik bzw. den Umgang der Stadt Zürich mit ihrer urbanen Vielfalt gelesen werden können. Ihre Auswahl beruht einerseits auf der Struktur des bereits erwähnten Integrationsverständnisses und andererseits auf einer Einschätzung bezüglich der Relevanz und des möglichen Interesses für andere.

(1) Integration ist nicht nur eine institutionelle Querschnittaufgabe, sondern auch ein Thema, das die ganze Biografie bzw. alle Lebensabschnitte eines Menschen betrifft. Kurz formuliert, beginnt sie mit der Geburt und endet mit dem Tod. Dies bedeutet, um bei diesen existenziellen Eckpunkten zu bleiben, dass sich die Geburtsabteilungen der städtischen Spitäler regelmässig mit interkulturellen Fragen auseinandersetzen und dass sie ihre Arbeitskonzepte im Laufe der Jahre anpassen mussten. Und es bedeutet, dass in den Zürcher Altersheimen spezielle Wohngruppen für ältere Migrantinnen und Migranten aus Italien und Spanien eröffnet wurden und dass das Bestattungsamt der Stadt Zürich unterdessen eine Vielzahl von Möglichkeiten anbietet, von Angehörigen „kulturell stimmig“ Abschied zu nehmen und diese „korrekt“ zu beerdigen. Dazu brauchte es viele Gespräche, insbesondere mit Religionsvertretungen und mit Kulturvermittlern. Und es brauchte von beiden Seiten Kompromisse.

(2) Da sich gesellschaftliche Probleme in Städten konzentrieren können, ist es ein Zeichen städtischer Politiken, Entwicklungen frühzeitig zu beobachten und bei Bedarf gezielt Massnahmen zu entwickeln und einzuleiten. Dabei ist es aufgrund sozialer Faktoren teilweise so, dass Migrantinnen und Migranten von gewissen Problembereichen überdurchschnittlich betroffen sind. Trotzdem gelten in der Stadt Zürich Massnahmenpakete und Projekte, die sich ausschliesslich an Zugewanderte richten, in der Regel als unerwünscht. Vielmehr werden Konzepte erarbeitet, die sich an der Sache orientieren und in ihrer Umsetzung darauf achten, möglichst alle Betroffenen (also auch die Migrantinnen und Migranten) zu erreichen. In diesem Sinne wird momentan beispielsweise der Legislaturschwerpunkt Jugend realisiert, der sich unter anderem Fragen der Ausbildung, der Sicherheit und der Nutzung des öffentlichen Raums annimmt. Demgegenüber kann die neukonzipierte Sprachförderung der Stadt Zürich als Massnahme bezeichnet werden, bei der aufgrund des gegebenen (und im Detail analysierten) Bedarfs ein Teil der in Zürich wohnenden Migrantinnen und Migranten die definierte Zielgruppe bilden. Ähnliches gilt für andere operative Angebote wie Begrüssungsveranstaltungen, Integrationskurse und spezialisiere Beratungsstellen.

(3) Die Erfahrung zeigt, dass Akzeptanz und Wertschätzung eine erfolgsrelevante Integrationsvoraussetzung bilden und dass folglich die urbane Vielfalt vor allem dann gelingt, wenn keine Ausgrenzung stattfindet und – auf der Basis des geltenden Rechtsstaates – alle in ihrer persönlichen Lebensweise respektiert und toleriert werden. Das Ziel der Stadt Zürich, möglichst alle Zugewanderten zu Zürcherinnen und Zürchern zu „machen“ und es ihnen dabei frei zu lassen, noch vieles andere gleichzeitig zu sein, ist ein hohes Ziel und vielleicht eines, das nicht ganz erreicht werden kann. Nicht zuletzt wegen der einheimischen Bevölkerung, die teilweise verunsichert ist und deren teilweise vorhandenen Ängste von einzelnen politischen Parteien ausgenutzt und verstärkt werden. Dies kann nur bedingt verhindert werden. Doch umso wichtiger ist es der Stadt Zürich, zumindest eine Gegenstimme zu erheben und vor allem den direkt Betroffenen gegenüber klar und unmissverständlich mitzuteilen, dass es gut und ok ist, dass sie hier bei uns sind. Dies erfolgt teilweise im Rahmen konkreter Arbeiten (z.B. durch den Einbezug in die Informations- und Planungs- und Umsetzungsarbeit bei laufende Aktivitäten) und teilweise auf einer eher „symbolischen“ Ebene. Diese ist aber nicht zu unterschätzen. Denn von den Musliminnen und Muslims in der Stadt Zürich wird es beispielsweise sehr geschätzt, dass sie seit einigen Jahren regelmässig anlässlich des Fastenmonats Ramadan durch den Stadtpräsidenten beglückwünscht und zu einem Apero eingeladen werden.

Die aufgeführten Beispiele sind nicht spektakulär, und das sollen sie auch nicht sein. Denn Diversitätspolitik ist in erster Linie Normalität. Sie geht aus von der konkreten Realität und baut darauf auf. Und sie umfasst einen Grossteil des städtischen Handelns und kann nicht an eine spezialisierte Stelle delegiert werden. Dennoch braucht es diese Stellen. Denn sie können Grundlagenarbeiten leisten, können konzeptuell und fachlich unterstützen und sie können koordinieren und Beziehungen pflegen. Die Integrationsförderung der Stadt Zürich arbeitet diesbezüglich nicht alleine. Sie ist im Präsidialdepartement angesiedelt und bildet mit den Fachstellen Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung eine Direktion. Das gemeinsame Thema: urbane Vielfalt.

 

Homepage der Abteilung für Stadtentwicklung und Integrationsförderung der Stadt Zürich.
 

Bild entfernt.

Christof Meier ist Leiter der Integrationsförderung der Stadt Zürich.