„illegal. wir sind viele. wir sind da.“ Leseprobe von Björn Bicker

 

Auszug aus dem Buch

 

neue Menschen

wir arbeiten.
wir sind ordentlich.
wir sind fleißig.
wir haben einen traum.
wir sind krank.
wir sind gesund.
wir sind müde.
wir schwitzen.
wir sind ruhig.
wir sind wach.
wir sind nervös.
wir wohnen.
wir wohnen in zimmern.
schnee können wir nicht leiden.
was wir euch nicht erzählen:
wo wir herkommen.
wie wir heißen.
wo wir verschwinden
aus. aus. aus.
ok.
ukraine.
 Bild entfernt.

wenn sie nicht wollen dass ich komme dann ist mir das scheißegal. du wirst nicht dafür belohnt dass du alles richtig machst. wozu habe ich diese sprachen gelernt. ich habe eine band gegründet. mit juri meinem freund. wir proben. zweimal die woche. ich lese bü­cher. ich ­arbeite. das geht ganz gut. immerhin. ich lebe in deutschland. in münchen. darauf bin ich stolz. musst halt ein bisschen aufpassen. die denken ihre polizei ist gut. das ist lächerlich. die polizei hier ist beschissen. diese polizei ist am arsch. verschlafen. das sind alles ängstliche familienväter. am schlimmsten sind diese sicherheitstypen. in der u-bahn. im stadion. sag mal habt ihr da nur hilfsschüler. da müsst ihr intelligente leute hinstellen. so klappt das nicht. du kannst die ver­arschen wie du willst. du brauchst nur geld. eure bullen sind nicht nur blöd. die sind korrupt. was meinst du wohl warum ich immer ein paar scheine dabeihab. ist mir schon zweimal passiert. ausweiskontrolle. die scheine liegen im pass. da wo sonst das visum ist. das funktioniert. ich schwörs.

münchen ist gut. in münchen ist arbeit. berlin ist abschaum. da hängen alle rum. da lutschen sich die typen gegenseitig aus. der russe kauft beim ukrainer der ukrainer arbeitet beim russen der trägt sein geld wieder zum ukrainer und der pole verarscht ihn und haut ab und so ist ­alles gleich wie zu hause nur dass sie in berlin sind und in ekelhaften wohnungen rumhocken und saufen und sich gegen­seitig fertigmachen. münchen ist anders. hier geht was. hier musst du zeigen dass du style hast. hier gibt es viele leute mit kohle. wer trägt denen den arsch hinterher. wer besorgt denen was sie brauchen. wer passt auf dass denen nichts passiert. es gibt dieses verhältnis von geld und moral. je mehr kohle desto weniger skrupel. also bei bestimm­ten leuten ist das definitiv so. die geben dir arbeit weil du billig bist und keine fragen stellst. das ist ­keine halbwelt. das sind ganz normale leute. die haben ­kohle weil sie wissen wo sie sparen können. für mich ist das gut. aber es kommen immer mehr. irgendwann wird’s eng. und gefähr­lich. jetzt sind diese blöden polen in der eu und machen die grenzen dicht. trotzdem. es kommen immer mehr.

neulich war einer da so ein heini aus weißrussland bei ­einem theaterfestival. meine neue freundin hat mich mitgenommen weil sie eine freundin hat im deutschkurs aus weißrussland. der hat vielleicht gejammert. das war unerträglich. geh zurück in dein verschissenes belorussland habe ich gesagt. so typen wie du schaffens hier sowieso nicht. hau einfach wieder ab. pack deine kostüme ein und jammer woanders weiter. der redet über die schlimmen jahre da. über die diktatur und das theater und über jeans­hosen. das musst du dir vorstellen steht da so ein verfette­ter klops mit langen haaren auf der bühne der redet andert­halb stunden über jeanshosen und deren befreiende wirkung auf die kulturszene weißrusslands. dabei säuft der einen wodka nach dem anderen. macht billige polit­witze. hier wird der gefeiert. aber der hat nichts kapiert. nichts. soll er doch hier bleiben und arbeiten. und einfach die fresse halten. aber der hatte so fies lange haare und war fett. und jetzt wird er von festival zu festival geschickt und jammert rum und streicht kohle ein. in deutschland denken die leute der ist geil der hat was erlebt.

für mich ist das ein gutes leben. ich habe noch nie so ­viele frauen kennengelernt. warum. weiß ich auch nicht. es sind dauernd parties. überall sind dauernd irgendwelche parties. manchmal leg ich auf. sachen aus der ukraine. russ­land. warum die auf mich stehen. vielleicht weil ich das ausstrahle. dass ich frei bin. wer ist das schon. ich mach denen ein bisschen angst. der harte typ aus dem osten. ich muss nicht dauernd grinsen und nett sein. ich rede nicht viel und stell keine ansprüche. ich häng mich nicht an die frauen dran. ich habe auch nicht für alles verständnis. mir hat mal eine gesagt dass ihr die deutschen typen auf die nerven fallen weil die nie wissen was sie wollen. das ist nicht mein problem. ich weiß was ich will. und wenn ich es nicht weiß dann geht das niemanden was an. diese frau wollte mich ihren eltern vorstellen. die sind voll nett hat sie gesagt. vergiss es hab ich gesagt. das geht nicht. was hast du denen erzählt. dass wir zusammmen sind. dass ich dich liebe. was denn sonst. das wars dann. so ein stress. du verstrickst dich in lügen. falsche sätze. ich bei den eltern einer deutschen frau auf dem sofa. und dann. was dann. spazieren gehen. gemeinsamer urlaub. und was machen sie so beruflich. vermissen sie ihre heimat. woher können sie so gut deutsch. besuchen sie uns doch bald mal wieder. darauf habe ich keine lust. definitiv. mein leben läuft anders. in einem land sein und doch nicht in einem land sein. mitmachen ohne mitzumachen. alles sehen aber nichts berühren. wissen dass man glüht aber nicht verbrennen. das ist die kunst. ich spreche vier sprachen ziemlich perfekt. deutsch englisch russisch ukrainisch. die arbeit die ich hier mache ist nicht so schlecht. umzüge. garten. ab und zu ein bisschen dolmetschen.

manchmal helfe ich ein paar autos zu vermitteln. das sind geldmäßig die besten jobs. aber da musst du aufpassen. das sind üble typen die das machen. du ­musst acht geben dass du nicht zu viel machst mit denen. das habe ich meinem freund juri gesagt. aber der ist manchmal taub. alle acht wochen das reicht. ich glaub die kapieren das auch. die sagen immer professor zu mir. die polen haben jetzt sowieso oberwasser. vielleicht muss ich polnisch lernen. wie juri. juri ist abgehauen aus der armee. erst haben sie ihn gesucht und dann ist er rüber nach polen. und dann nach deutschland. über die armee redet er nicht. war wohl nicht so toll. die haben das längst vergessen habe ich ihm gesagt. warum gehst du nicht zurück. das ist sechs jahre her. selbst bei uns gibt es so was wie verjährung. vielleicht sagt juri immer. vielleicht. das ist sein lieblingswort. auf deutsch. keine ahnung was sie mit ihm gemacht haben. wenn er besoffen ist fängt er an zu heulen.

ich bin hier weil es zu hause nichts zu holen gibt. so einfach ist das. bei uns musst du einen monat arbeiten um zweihundert euro zu verdienen. wenn du überhaupt arbeit findest. meine ex-freundin hat gesagt ich will nicht illegal hier leben meine zähne sind zu schlecht. ich kann nicht illegal leben. ich würde nur für meine zähne leben. das will ich nicht. ich brauche eine krankenversicherung oder billige zahn­ärzte. das habe ich verstanden. sie kommt aus einem ehemaligen bergbaugebiet. in der nähe von lviv. da ist alles verseucht. der boden. das wasser. den kindern brechen die zähne weg und die alten haben alle ­rheuma. man müsste da fünfhundert zahnärzte hinschi­cken. ein paar jahre lang. und bagger. viele bagger. das ganze erdreich abtragen. eine ganze region mit verfaulten mündern. das ist ein land. der arzt in freiburg ist fast verrückt gewor­den. der hat ihr eine füllung nach der anderen verpasst. ­alles wieder rausgefallen. weggebrochen. das muss genetisch sein hat er immer gesagt. das muss genetisch sein. so ist das bei uns hat tania gesagt. da bin ich nicht die ein­zige. und dann hat er ihr so metalldinger reingemacht. ein baugerüst. aber tania war glücklich. die zähne haben gehalten. ein paar jahre. dann haben wir uns getrennt. weil sie ­gehen wollte. wenn ich nach hause fahre sehen wir uns. ich glaube wir lieben uns immer noch. sie wohnt ohne heizung und übersetzt deutsche literatur. davon kannst du nicht ­leben. also hat sie einen garten. und baut gemüse an. und arbeitet in einem café. und manchmal macht sie stadtfüh­rungen. in lviv. das ist lemberg. westukraine. galizien. es ist immer kalt. die revolution hat nichts gebracht. und die zahn­klinik ist auch am arsch. siehst du. so ist das.

ich weiß dass viele von den frauen als nutten arbeiten. sie sagen in münchen gibt es keine illegalen nutten. weil die polizei alles kontrolliert. aber das stimmt nicht. ich kenne welche die machen das schon seit fünf jahren. die sind illegal wie man nur illegal sein kann. ukrainische frauen ficken gerne. die sind nicht so heilig mit ihrer muschi. juri sagt geld ist sexy. das ist alles. geh über die maximilianstraße. da siehst du die ganzen teuren geräte aus russland. wenn du au­ßer­halb in die puffs gehst ingolstädter straße da sind alle frauen aus osteuropa. je weiter die aus dem osten kommen desto billiger. die kommen als touristinnen und dann ficken die hier drei monate und die typen bezahlen das visum. und wenn die dann hier waren drei monate haben die so viel verdient wie sie zu hause nicht in drei jahren verdienen würden. alle haben was davon. und dann schreiben sie bei euch in der zeitung menschen­handel. ich lach mich tot. was soll das denn sein menschen­­­handel. die einen ficken gern die andern kaufen gern. wenn die frauen wieder zu hause sind führen die sich auf wie die affen. laufen durch die stadt und machen party. die kommen damit nicht klar. eine zeit lang. dann heiraten sie. und langweilen sich. die jungs bei uns sind gefrustet. die haben kein geld. jammern rum. die revolution war für den arsch. diese orangene scheiße. habt ihr darüber mal nach­gedacht. im osten laufen tausende von frauen rum die hier für geld gefickt haben. was erzählen die ihren kindern. schon komisch oder.

 

Aus dem Buch "illegal. wir sind viele. wir sind da." erschienen im Antje Kunstmann Verlag, 2009.

Bild entfernt.
Björn Bicker

 

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"Wo ist die große Geste der Veränderung?"
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