Managing Diversity als Interessenvertretungsstrategie der Betriebsräte in Industriebetrieben

von Juan Proll

Die Herausforderung „Managing Diversity“
Wenn der Diversity-Management-Ansatz in Deutschland zunächst nennenswert nur die globalisierten, internationalen Konzerne erreichte, begann die darüber hinaus gehende Verbreitung spätestens mit der öffentlichkeitswirksamen Einführung der Charta der Vielfalt im Jahr 2007.

In den Industriebetrieben setzt sich bisher aber allein eine Top-down-Implementierung durch, in die zwar – unterschiedlich stark – die Beschäftigten mit eingebunden werden, in der aber bisher die Arbeitnehmendenvertretungen wie die Betriebsräte kaum als strategischer Partner gesehen werden. Umgekehrt nehmen auch die Betriebsräte bis heute in der Regel keine verantwortliche, aktive und mitgestaltende Rolle in Diversity-Prozessen ein, mit der sie bottom-up Einfluss auf den Erfolg nehmen könnten.

Will man Betriebsräte dafür gewinnen, sich an Diversity-Prozessen aktiv zu beteiligen und will man erreichen, dass sie in ihrer Arbeit Managing-Diversity-Konzepte als Strategie für die Interessenvertretung einsetzen, ist für sie die Erkennung eines Nutzens von Managing Diversity (MD) von zentraler Bedeutung. Hierzu will der vorliegende Artikel beitragen. Zunächst sollen einige grundsätzliche Gesichtspunkte für die kritische Haltung von Betriebsräten und Gewerkschaften gegenüber MD aufgezeigt werden, die der an dieser Stelle nicht weiter behandelten inhaltlich-fachlichen gewerkschaftlichen Kritik voranstehen. Es folgen Überlegungen, die für einen Strategiewechsel in der Interessenvertretung sprechen. Schließlich werden Schnittstellen der möglichen Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung beschrieben und strategische Vorteile vorgestellt.

Kritische Betrachtung von Managing Diversity aus Sicht der Betriebsräte

Importiertes Management-Konzept und Diskriminierung der eigenen Geschichte
Während MD in den USA seine Wurzeln in den Anti-Diskriminierungsbewegungen hat, ist es aus deutscher Sicht vor allem ein „importiertes“ Managementkonzept. (1) Es ist daher nichts hier „Gewachsenes“ sondern ein Management-Ansatz, in den es noch „hineinzuwachsen“ gilt. Das betrifft insbesondere die Gewerkschaften und Betriebsräte, die in den mit dem MD-Konzept „herüber transportierten“ historischen Vorzügen aus der amerikani-schen Menschenrechtsbewegung – wie z.B. Gleichbehandlung, Wertschätzung, Respekt und Verständnis – zunächst einmal eine „Diskriminierung“ ihrer eigenen Geschichte erfahren. Aus Sicht der Betriebsräte und der Gewerkschaften gibt es da nämlich einen sehr wichtigen Unterschied zu betonen: Gleichbehandlungskämpfe in Deutschland sind nicht wie in den USA aus einer massiven Bürgerrechtsbewegung heraus entstanden sondern vor allem aus der Gewerkschaftsbewegung. Diese hatte im Gegensatz zu den USA auch keinen ethnischen Hintergrund sondern die Rechte der Arbeiterschaft generell im Blick. Gewerkschaften und Betriebsräte (2) haben hier in Deutschland auf einem anderen Wege als in den USA ganz wesentlich an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Demokratisierungs- und Anti-Diskriminierungsprozessen mitgewirkt.

Gewerkschaften und Betriebsräte für MD zu gewinnen geht deshalb einher mit der Würdigung ihrer Geschichte und Errungenschaften. MD darf diese nicht in Frage stellen, sondern muss darauf aufsetzen und dabei eine Qualität zeigen, in der Gewerkschaften und Betriebsräte eine Chance zur Weiterentwicklung ihrer Interessenvertretungsarbeit sehen.

Neuer Wein in alten Schläuchen?
Auch bedarf es auf betriebsrätlicher Seite einer Antwort auf die Frage, inwieweit ein MD-Ansatz, der Verschiedenheit und die Wertschätzung von Vielfalt betont, eine grundsätzlich andere Arbeitsweise in der Interessenvertretung mit sich bringen sollte? Bereits lange vor der aktuellen MD-Debatte wurden im Rahmen der betriebsrätlichen Interessenvertretung Initiativen und Strategien auf den Weg gebracht oder unterstützt, die heute als Facetten eines MD verstanden werden können: z.B. Unterstützung von internationalen MitarbeiterInnen-Austauschprogrammen und interkulturellen Trainings, Einfordern betrieblicher Sozialleistungen und Kinderbetreuungsangebote, MigrantInnenförderung (DolmetscherInnen, Sprachkurse), Work-Life-Balance-Initiativen, Betriebsvereinbarungen zu „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ und „Anti-Diskriminierung“ usw.

Einigendes statt Trennendes, Gleichheit statt Ungleichheit
Daneben spielen aber auch Haltungen eine Rolle, die nachwievor auf den Funktionsebenen in gewerkschaftlichen Kreisen anzutreffen sind, wie sich aus den Ergebnissen einer von Hackenberg durchgeführten Befragung im Rahmen einer qualitativ angelegten Studie ableiten lässt: Er befragte eine Auswahl von Politischen SekretärInnen der Gewerkschaften zu ihrem Verhältnis zu Diversity Management bzw. zu kultureller Vielfalt als einen Aspekt von Diversity Management. Es zeigte sich eine gewerkschaftlicherseits starke Betonung der Gleichheit, die u.a. auch als geschichtlich bedingt hergeleitet wird und z.B. im Kontext der kulturellen Vielfalt damals dem Schutz eben derselbigen diente:

"Das hat eine wahnsinnige Entwicklung gehabt, auch mit dem Dritten Reich, dass wir quasi dieses Selbstverständnis von uns haben, dass wir weder [auf] Herkunft, Parteizugehörigkeit, Geschlecht oder sonstiges achten.“ (3)

Zugrunde liegt hier die Annahme, dass das „Gleichheits“-Prinzip nach dem Dritten Reich für den damaligen Umgang mit ethnisch-kultureller Vielfalt von großer Bedeutung für die Achtung des Lebens und der Menschenrechte war. Geblieben scheint die Angst, durch das Benennen von Unterschieden Menschen auszugrenzen und zu generalisieren.

Insgesamt öffnen sich aber die Reihen der Gewerkschaften – auch auf höchster Ebene – und die Stimmen mehren sich, die sich der MD-Diskussion konstruktiv stellen. Es gilt daher, diesen Trend zu unterstützen und mit förderlichen wie fordernden Impulsen zu versehen. Welche Entwicklungen also – abgesehen von den bereits vielfach an anderen Stellen beschriebenen Aspekten „Demografische Erfordernisse“ und „Rechtliche Bedingungen“ – geben Anlass über eine Veränderung von Interessenvertretungsstrategien nachzudenken? Und in wie weit kann MD eine strategische Antwort auf wachsende betriebsrätliche Herausforderungen sein?

Aspekte für einen konstruktiven Umgang mit Diversity

Internationalisierung und Globalisierung
Internationalisierung und Globalisierung von Produktions- und Dienstleistung haben in den letzen Jahrzehnten maßgeblich zu tief greifenden Veränderungen in der Arbeits- und Wirtschaftswelt beigetragen und Strukturen in Betrieben und Unternehmen grundlegend geändert. Nach Hayen sind diese Veränderungen gekennzeichnet

… durch zunehmend komplexer und vielfältiger werdende Unternehmens- und Managementstrategien, neue Organisationsformen, Umstrukturierungen und Restrukturierungen von Unternehmen, geänderte Produktions- und Arbeitsmethoden, neue Techniken, flexible Arbeitszeitmodelle und eine fortschreitende „Verbetrieblichung“ der Tarifpolitik durch betriebliche Öffnungsklauseln. (4) 

Die Anforderungen an die Arbeit der Betriebsräte sind daher gestiegen. Sie sind vielfältiger, umfassender und internationaler geworden mit weit reichenden Folgen für Beschäftigung und Arbeitsbedingungen. Eine zukunftsorientierte Interessenvertretung hat sich die-sen Entwicklungen mit angepassten und adäquaten Strategien zu stellen.

Die zunehmende Ausbreitung in der Arbeitswelt
Zunächst ist, wie bereits erwähnt, festzustellen, dass sich der Managing-Diversity-Ansatz in der Arbeitswelt zunehmend ausbreitet. Darauf weist nicht nur die quantitative Steigerung der Unterzeichnenden der Charta der Vielfalt in den letzten 3 Jahren hin sondern auch die qualitative Betrachtung der Unterzeichnenden. Hier lässt sich feststellen, dass der Ansatz in die Fläche geht, wo er nicht mehr nur ein Modell für die Privatwirtschaft ist, sondern nun auch für Wohlfahrtsverbände und Kommunen bzw. die öffentliche Verwaltung.

Die Ausdifferenzierung der Interessenlage
Schröder weist darauf hin, dass die „monolithische“ Arbeitnehmendenschaft mit grund-sätzlich gleichen Interessen nicht bzw. nicht mehr existiert und sich stattdessen die Interessenlage ausdifferenziert hat, u.a. durch:

  • Individualisierung,
  • partielle Entsolidarisierung,
  • Verschiebung der Verhältnisse von Arbeit und Freizeit,
  • verstärkte Beschäftigung von Frauen,
  • wirtschaftlichen Druck und Angst vor Arbeitslosigkeit,
  • zunehmende Beschäftigung von  ArbeitnehmerInnen mit anderem ethnischen Hintergrund (5).

Diese Entwicklung erschwert es den Betriebsräten zusehends, die Interessen der Beschäftigten zu repräsentieren und in konkreten Fällen mit unterschiedlichen Interessenlagen in den eigenen Reihen „befriedigende“ Entscheidungen zu treffen. Zukünftige Strategien müssen daher in derartigen Konfliktlagen eine Hilfe bieten, welche die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit der Betriebsräte sicherstellt.

Gleichheitsdenken und Gleichberechtigungsansatz
Doch auch der historisch verwurzelte Ansatz der Gleichheit, bei der – wie oben zitiert – nicht auf „Herkunft, Parteizugehörigkeit, Geschlecht oder sonstiges“ geachtet wird, ist trotz vieler Errungenschaften in dieser Hinsicht unter Berücksichtigung heutiger Maßstäbe in Deutschland nie zufrieden stellend verwirklicht und ständig neuen Herausforderungen ausgesetzt gewesen. Es zeigte und zeigt sich, dass Gleichheit dazu führen kann, dass sich Gleichheit an der dominanten Gruppe orientiert, Unterschiede nicht erkannt bzw. ignoriert und dominierte Gruppen benachteiligt werden. (6)

Wenn beispielsweise Arbeitsschutz-Schulungen gleichermaßen für die ganze Belegschaft durchgeführt werden und dabei ungeachtet der Sprachkenntnisse schnell und mit komplexen Sätzen Deutsch gesprochen wird, dann werden vielleicht alle ‚gleich’ behandelt aber haben nicht alle die ‚gleiche’ Chance Gesagtes zu verstehen. Dagegen ‚gleichberechtigt’ und ‚chancengleich’ gedacht würde es hier von vorneherein darum gehen, dass MigrantInnen mit fehlenden deutschen Sprachkenntnissen nicht benachteiligt und die restlichen Beschäftigten nicht bevorzugt werden. Das „Gleichberechtigungs- und Chancengleichheits“-Prinzip eröffnet im Gegensatz zum Ansatz der „Gleichheit“ Räume für einen gerechteren Umgang mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten.

Was macht Managing Diversity für Betriebsräte sinnvoll?
Die skizzierten Entwicklungen und Herausforderungen legen in der konkreten Interessenvertretungsarbeit ein verändertes Handeln nahe. Das scheint auch in Gewerkschaftskreisen (z.B. Schröder 2003, Schölzel 2004, Hayen 2008,) unbestritten: Betriebsratarbeit muss sich verändern und neben der klassischen Wächterfunktion zur Einhaltung von gesetzlichen Schutzbestimmungen und Beachtung der Gleichheitsgrundsätze mindestens eine Gestaltungsrolle hinzubekommen.

Schröder schlussfolgert auf der Grundlage ausdifferenzierter Interessenvertretung, „dass Interessenvertretung nicht auf der Meinung der Belegschaft aufsetzen kann“. (7) Hayen resümiert, dass das Handeln von Betriebsräten lange Zeit weitgehend davon geprägt war, auf bereits bestehende Vorstellungen der Arbeitgeber zu reagieren, heute aber zusätzlich planerische und gestalterische Aufgaben wahrgenommen werden und aktives sowie initiatives Handeln immer wichtiger werden, da Unternehmensentscheidungen in zunehmendem Maße in frühe Planungsphasen vorverlagert werden. (8) Schölzel stellt fest, dass in allen Bereichen betriebswirtschaftlicher Unternehmensorganisation ein erheblicher Veränderungsdruck eingetreten ist, in dessen Folge die Arbeit des Betriebsrates als „Transmissionsriemen“ von Veränderungsprozessen zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten dienen kann. (9) Allerdings erreicht seiner Ansicht nach der Betriebsrat nur dann größte Regelungskompetenz, wenn seine Funktion über die des Wächters hinausgeht und er „… im Wege eines kooperativen Managements eine aktive Haltung einnimmt …“. (10)

Die skizzierten Entwicklungen und Herausforderungen verdeutlichen aber auch, dass eine angepasste Betriebsratsarbeit sich Diversity-Fragen stellen und Diversity-Ansätzen öffnen muss, um der gewachsenen Komplexität der Interessenvertretung angemessen begegnen zu können. Dies nicht zu tun oder gar die Verschiedenheit sich selbst zu überlassen bedeutet die Gefahr, dass Unterschiede in Prioritäten, Bedürfnissen und Ambitionen innerhalb des Betriebes zu Konflikten führen, welche die Entwicklung des gesamten Unternehmens in Frage stellen. Fischer warnt daher: „Diversity ist also nicht per se positiv, sie bedarf des bewussten Umgangs damit und teilweise intensiver Betreuung. Daher … nicht nur Diversity, sondern Managing Diversity!“ (11)

Neben gesetzlich Bezugspunkten wie dem BetrVG und dem AGG gibt es – wie bereits aufgezeigt – einige Aktivitäten von Betriebsräten, die nicht unter dem ‚Label’ Diversity laufen, aber bereits mit Diversity zu tun haben. Einerseits bieten all diese auf den Weg gebrachten Initiativen und bestehende Gesetze Anschlussmöglichkeiten für MD. Umgekehrt bietet MD hier die besondere Chance eines bewussten Umgangs mit Vielfalt sowie Bestehendes zu bündeln und stärker zu systematisieren. Darüber hinaus ermöglicht MD aber speziell auch eine auf Diversity gerichtete strategische Perspektive, in der gesetzliche Vorgaben, Aktivitäten der Interessenvertretung sowie Veränderungs- und Gestaltungsprozesse übergreifend koordiniert, in Beziehung gesetzt und aufeinander abgestimmt werden.

Managing Diversity als Brücke zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung
Neben der auf die Betriebsratorganisation und ihre Strategieentwicklung gerichteten Per-spektive gibt es aber eine zweite, die auf die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen gerichtet ist und eine weitere Handlungsebene darstellt: Betriebsräte stoßen zunehmend auf Unternehmensführungen, die auf Diversity-Management-Strategien setzen und darin investieren. MD bietet hier die Möglichkeit einer interessengeleiteten und zielgerichteten Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Marktes und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Aus unternehmerischer Sicht ist das Managen von Diversity zum einen eine Frage der Corporate Social Responsibility (CSR) (12), also der gesellschaftlich-sozialen Verantwortung des Unternehmens. Wirtschaftsethische Debatten, EU-Richtlinien mit Einforderungs- und Sanktionscharakter, BetrVG, AGG und das zunehmende Interesse von KundInnen an sozial verantwortlich produzierten Produkten erfordern zunehmend die Integration von Diversity in die CSR-Entwicklung. Zum anderen geht es den Unternehmen insbesondere darum, grundsätzlich die Vielfalt für die Interessen des Unternehmens zu nutzen. Dazu bietet MD Orientierung und Instrumente, „um Bedingungen zu schaffen, unter denen alle Beschäftigten ihre Leistungsbereitschaft und -fähigkeit besser entwickeln, entfalten und in Arbeitsprozesse integrieren können.“  (13) Es zielt auf die Geschäftsstrategie, die Arbeitsprozesse und die Kultur im Unternehmen und vertraut dabei auf einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, um auf den sich verändernden Märkten erfolgreich zu sein und die Kundschaft besser zu erreichen. (14)

Wie durchsetzungsfähig, erfolgreich und nachhaltig eine Unternehmensstrategie ist, hängt u.a. ganz besonders davon ab, wie ihre Ideen und Ziele auch „unten ankommen“ und wirken.(15)  Dies ist umso bedeutsamer, wenn man die in Deutschland besonderen Bedingungen der Mitbestimmung sowie der Sozial- und Arbeitsgesetze berücksichtigt. Jablonski empfiehlt daher, die Arbeitnehmendenvertretung in den Managing-Diversity-Ansatz des Unternehmens zu integrieren und die Aktivitäten abzustimmen. (16) Dieser Gedanke ist auch insofern von Bedeutung, weil gerade der Betriebsrat die Bedenken und Widerstände bei den Beschäftigten kennt. Er kann daher artikulieren, welche Maßnahmen zur Motivation und Beteiligung der Belegschaft erforderlich sind und er kann das Vertrauen herstellen, das für langfristig angelegte Prozesse wie MD notwendig ist.

Eine Zusammenarbeit nicht nur im Sinne eines ‚integrierenden Ansatzes’ sondern darüber hinausgehend im Sinne einer strategischen Partnerschaft mit dem Betriebsrat als „Co-Manager“ auf der Basis eines klaren Commitments beider Seiten bietet die Chance einer komplementären Einführung von MD in das Unternehmen: Top-down und Bottom-up.Dass dabei wesentliche Themenbereiche der Unternehmensführung nicht nur ihren Interessen folgen müssen, sondern sich diese auch in Interessen für die Betriebsräte übersetzen lassen, zeigt die folgende Zusammenstellung beispielhaft ausgewählter Schnittstellenbereiche und möglicher Interessenlagen

Abb. 1: Schnittstellenbereiche und Interesse *
 

 

Interessen 

Schnittstellenbereiche 

Unternehmensführung

Betriebsrat
 

 Fachkräftebedarf Binden der besten Potenziale an das Unternehmen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Familienstand, sexueller Orientierung, mentalen bzw. physischen Voraussetzungen oder Sonstiges Erhöhung der Attraktivität von Arbeitsplätzen und Arbeitsplatzbedingungen, Erhöhung der Arbeitsplatzsicherheit, Verbesserung beteiligungsfairer beruflicher Weiterbildung; Stärkere Einbeziehung von Beschäftigten an der Interessenvertretung mit unterschiedlichen fachlichen Interessen und Kompetenzen zur besseren Bewältigung komplexer werdender Aufgaben
 Marketing Zielgruppen- bzw. themenspezifisches Marketing kann zu neuen Kund_innen führen Gewinn neuer Kund_innengruppen bedeutet ein Zugewinn an Aufträgen, die Arbeitsplätze sichern
 Innovation Erhöhung der Innovationskraft durch heterogen besetzte Arbeitnehmerschaft

Erhöhung der Innovationskraft durch Aufspüren, Be-schreiben, Analysieren und Erklären von … einschränkenden und/oder förderlichen Rahmenbedingungen sowie Mitentwicklung Diversity-basierter innovationsfreundlicher Voraussetzungen; Einflussnahme auf Kompetenzentwicklung und -sicherung

 

 Flexibilität Erhöhung der Flexibilität und Mobilität in der Reaktion der Organisation auf sozialen, ökonomischen und unternehmerischen Wandel durch Beschäftigte mit unterschiedlichen Eigenschaften, Hintergründen, Lebensstilen und Erfahrungen Erhöhung der organisationalen und personalen Flexibilität und Mobilität bei Beschäftigung sichernder Standortstrategie und gleichzeitigem Gegensteuern gegen Aufspaltungstendenzen in Stamm- und Randbelegschaft; Erhöhung der Flexibilität und Mobilität in der Reaktion des Betriebsrates auf sozialen, ökonomischen und unternehmerischen Wandel der Organisation durch vielfältigere Beteiligungsformen (Delegation, Sachkundige Beratung, Arbeitsgruppen, Projektarbeit, basisorientierte Organisationsarbeit, fokussierte Netzwerke usw.)
  Problemlösung Erhöhung der Problemlösungskompetenz durch heterogen zusammengesetzte Teams, die aufgrund verschiedenster Erfahrungen und Wissensbestände unterschiedlichste Aspekte einbringen und tragfähigere Lösungen finden Erhöhung der Problemlösungskompetenz durch heterogen zusammengesetzte Betriebsräte; Ausweitung und Stärkung von Mitbestimmungsrechten; Kooperation Praxis – Wissenschaft

* Eigene Darstellung, Ausschnitt aus insgesamt 11 von mir beschriebenen Schnittstellenbereichen

Strategische Vorteile von MD für Betriebsrat und Unternehmensführung
Das gemeinsame Umsetzen einer Managing-Diversity-Strategie bietet sowohl der Unternehmensführung wie auch dem Betriebsrat strategische Vorteile:

Abb. 2: Strategische Vorteile*
 

 Strategische Vorteile
Unternehmensführung

     Strategische Vorteile 
     Betriebsrat

  • Verbesserte Durchsetzungsmöglichkeiten von Veränderungsprozessen
  • Verbesserung der internen Kommunikation
  • Erhöhung der Unterstützung des Diversity-Ansinnens durch die Beschäftigten
  • Verbesserung der Umsetzung gemeinsamer Aufgaben aus dem BetrVG und dem AGG
  • Erfüllung nationaler und internationaler Auflagen

 

  • Abkehr von der eher defizitorientierten „Wächterrolle“ hin zu einer eher ressourcenorientierten „Mitgestalterrolle“
  • Möglichkeit zu proaktivem, positivem Handeln
  • Anspruch einer Homogenisierung von personalen Interessen entspannt sich durch konstruktiven Umgang mit heterogener Interessenlage auf organisationaler Ebene
  • Bessere Strukturierung und Erfüllung eigener Aufgaben und Pflichten aus BetrVG und AGG
  • Bisherige Einzelthemen können besser gebündelt und systematisiert werden
    Initiativen und Aktivitäten lassen sich besser einfügen und bisherige ‚Insellösungen’ sinnstiftender einbetten in ein „übergeordnetes Ganzes“ – der Arbeit wird damit mehr Kohärenz verliehen
  • Mitgestaltung der Diversity-Maßnahmen bis in die Organisations- und Personalentwicklung hinein ermöglicht offensiveres Vertreten der Interessen der Beschäftigten
  • Ökonomisches Denken der Unternehmensführung und Vielzahl interessenbezogener Schnittstellen in der Zusammenarbeit kann für die eigenen Interessen besser genutzt werden.

*eigene Darstellung

Fazit
MD lässt sich als eine Form beschreiben, Leben und Arbeit in einem Unternehmen zu gestalten, in der insbesondere BetrVG und AGG den rechtlichen Rahmen bilden und das als Unternehmensstrategie darüber hinaus soziale Komponenten mit unternehmenspolitischen sowie wirtschaftlichen Überlegungen verbindet. Es strebt eine lernende, offene und beteiligungsorientierte Organisation an, die den schnellen Entwicklungen auf dem Markt gerecht wird, Fähigkeiten und Talente wahrnimmt sowie Vielfältigkeit, Unterschiede und Gemeinsamkeiten versteht als besondere Potenziale.

Auf der Basis eines solch formulierten Grundverständnisses von MD lassen sich Positionen und Interessen von Unternehmensführung und Betriebsrat konstruktiv zusammenbringen, strategisch verfolgen und in gemeinsam gestaltendes Handeln übertragen. Für Betriebsräte bedeutet dies die Chance, zum einen eine mögliche Antwort auf die beschriebenen Herausforderungen der betriebsrätlichen Arbeit mit ihren sich verändernden und zunehmend komplexer sowie vielfältiger werdenden Bedingungen zu finden. Zum anderen bietet es die Gelegenheit, die unaufhaltsame Entwicklung dieses Ansatzes nicht mehr nur reagierend zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich aktiv agierend an ihrer Formgebung zu beteiligen. Nur so kann ihr auch eine für Betriebsräte und Gewerkschaften charakteristische Note verliehen werden.

Endnoten
(1) vgl. Schwarz-Wölzl, Maria (2005): Der Vielfalt eine Chance geben – Wegweiser für Managing Diversity im Betrieb. Wien: Zentrum für Soziale Innovation (ZSI), S. 14.

(2)  Betriebsräte waren und sind ja in der Regel gewerkschaftlich organisiert.

(3)   Anonymisierte/r InterviewpartnerIn, zitiert aus Hackenberg, Jakob (2009): Diversity Management – Kulturelle Vielfalt im gewerkschaftlichen Denken und Handeln. Unveröffentlichte Diplomarbeit, S. 45.

(4)  Hayen, Ralf-Peter (2008): Zukunftsfähige Betriebsratarbeit. In: AiB 2008 / Heft 1. S. 36-44, S. 36.

 (5)   Schröder, Hartmut (2003): „Managing diversity“ – ein Feld für Betriebsräte. In: Hansen, Katrin / Müller, Ursula / Koall, Iris (Hrsg.): Managing Diversity. Münster: LIT Verlag. S. 121-127, S. 122.

 (6)   vgl. Krell, Gertraude 2008: Diversity Management: Chancengleichheit für alle und auch als Wettbewerbsfaktor. In: Krell, Gertraude (Hg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik, Wiesbaden: Gabler, S. 63-80. Gekürzte Version, S. 67.

 (7)   Schröder 2003, S. 125.

 (8)   vgl. Hayen 2008, S. 37.

 (9)   vgl. Schölzl, Günter (2004): Co-Management des Betriebsrats in Veränderungsprozessen.  (rev. 9/2005), S. 2.

 (10)   ebda., S. 4.

 (11)  Fischer, Eva (2004): Managing Diversity und Gender Politics. Dissertation. Passau, S. 45.

 (12)   vgl. Schwarz-Wölzl 2005, S. 14f.

  (13)  Köppel, Petra / Sohm, Stefanie (2008): Unternehmenskulturen in globaler Interaktion. Gütersloh: Bertelsmann Verlag, S. 32.

 (14)   vgl. Jablonski, Hans (2008): Unternehmen entdecken die Vielfalt. In: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal Profi 1/08. S. 30-32, S. 30.

  (15)  vgl. Schölzel 2004, S. 2.

 (16)   vgl. Jablonski, Hans (2006): Die Organisation des Diversity Management. In: Becker, Manfred (Hrsg.): Diversity Management: Unternehmens- und Personalpolitik der Vielfalt. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. S. 191-202, S. 194.

 

Bild entfernt.

Juan Proll ist Berater für „Managing Gender & Diversity“. Er ist außerdem Leiter des Kompetenzzentrums „Berufliche Integration“ im Bereich Migration & Qualifizierung des DGB Bildungswerk Bund.