Rostock-Lichtenhagen – Die Rückkehr des Verdrängten

Die Logik der politischen und medialen Ökonomie bringt es mit sich, dass Rostock-Lichtenhagen alle zehn Jahre aus der kollektiven Versenkung der deutschen Geschichte auftaucht, um nach dieser Pflichtübung für die nächsten Jahre wieder in die Vergessenheit abzutauchen.

20 Jahre nach dem Pogrom' am 25.08.2012 in Rostock-Lichtenhagen

von Kien Nghi Ha

Die Logik der politischen und medialen Ökonomie bringt es mit sich, dass Rostock-Lichtenhagen alle zehn Jahre aus der kollektiven Versenkung der deutschen Geschichte auftaucht, um nach dieser Pflichtübung für die nächsten Jahre wieder in die Vergessenheit abzutauchen. Kurz vor dem 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms gegen Roma-Flüchtlinge und vietnamesischen Vertragsarbeiter_innen in Rostock-Lichtenhagen setzte in vielen deutschen Medien pflichtschuldig die Berichterstattung über die damaligen Ereignisse ein. In zum Teil großformatigen Artikeln und sich ähnelnden Bildserien wurde an die Geschichte des größten Pogroms der deutschen Nachkriegsgeschichte gedacht. Man könnte also meinen, dass die mediale Resonanz sowie die in Rostock durchgeführten öffentlichen Gedenkfeiern vorbildlich seien und eine funktionierende Aufarbeitung bezeugen. Was dabei übersehen wird, ist das dieses Medienereignis aus vielfältigen Gründen problematische Züge aufweist und die Marginalisierung der Opfer dieses Pogroms auf anderen Ebenen reproduziert und fortsetzt. So wie das Zustandekommen und der Ablauf des Pogroms rassistische Gewalt und diskriminatorische Effekte auf allen Ebenen der deutschen Gesellschaft offengelegt hat, wurden diese Probleme nicht nur in der gescheiterten juristischen und politischen Aufarbeitung (vgl. Guski 2012: 31-38), sondern auch in der vergangenen und gegenwärtigen Gedenkpolitik weitergeführt.

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Bild: Das heutige Sonnenblumenhaus in der Mecklenburger Allee 19 ©KNH

Die Halbwertszeit der Entinnerung
Die Schwierigkeit eine glaubwürdige Erinnerungskultur zu etablieren fängt schon bei der Frage an, wem eigentlich zugestanden wird, für wen in diesem Rahmen zu sprechen. Während die dominante Weiße Kultur und ihre Mitglieder sich dieses Recht einfach nehmen, sind die Stimmen der People of Color-Opfer kaum zu vernehmen. Dies ist auch ein Ergebnis des rassistischen Pogroms selbst, da viele der angegriffenen Roma-Familien wie auch der vietnamesischen Vertragsarbeiter_innen weder staatliche Wiedergutmachungsleistungen noch Opferschutz erhielten und später abgeschoben wurden (Guski 2012: 35). Das Pogrom hat traumatisierende Spuren hinterlassen. Viele der in Deutschland Gebliebenen müssen sich wie andere postkoloniale Migrant_innen und Persons of Color mit fortgesetzter Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung auseinandersetzen, die den Betroffenen viel Energie zur Bewältigung ihres schwierigen Alltags raubt. Angesichts einer oftmals ignorant auftretenden mehrheitsdeutschen Umwelt, resignieren viele und suchen – wie die Lichtenhäger_innen – ihr Heil in der Verdrängung.

Die Widersprüche der asymmetrischen Gedenkdiskurse liegen nicht nurim mangelhaften Interesse der deutschen Medienlandschaft und der politischen Kultur begründet. Ebenso werden die Möglichkeiten zur kulturellen Repräsentationen und politischen Artikulationen durch gesellschaftliche Machtverhältnisse und rassifizierte Zugänge zu Ressourcen reguliert und beschränkt. Wie vor zehn Jahren ist auch diesmal die weitgehende Abwesenheit der Perspektiven der Opfer der rassistischen Angriffe ein strukturierendes Element der hegemonialen Erinnerungskultur, die durch mehrheitsdeutsche Wahrnehmungen und Deutungen geprägt ist. Ähnlich wie bei anderen markanten rassistischen Ereignissen ist die Aufarbeitung dieses Pogroms in der Weißen Mehrheitsgesellschaft bisher nur als zeitlich begrenztes Sonderthema zulässig. Die Thematisierung von Rassismus im gesellschaftlichen Mainstream findet gegenwärtig nur kurzfristig, ereignisabhängig und nachholend statt, aber nicht als systemimmanente Aufgabe, die uns ein anderes Bild der Normalität und ein verändertes Bewusstsein vermitteln könnte. Die Halbwertszeit von Rostock-Lichtenhagen beträgt daher genau zehn Jahre.

So gesehen spiegelt das Medienereignis „Rostock-Lichtenhagen“ vor allem seine diskursive und kulturpolitische Abwesenheit wider. Da ein Großteil des jüngeren Publikums unter 30 Jahren kaum eigene Erinnerungen mit „Rostock-Lichtenhagen“ verbindet, erscheint diese ritualisierte Wissensvermittlung zu den symbolischen Jahrestagen verständlich. Gleichzeitig offenbart diese medial praktizierte und gesellschaftlich akzeptierte Form der Gedenkkultur damit ihr offensichtliches Scheitern. Die Notwendigkeit alle zehn Jahre immer wieder die Gründzüge eines voraussetzbaren Wissens zu erläutern, zeigt auf, dass es keine bewusste Form der kontinuierlichen Auseinandersetzung gibt und die Aufklärungsarbeit immer wieder bei Null anfängt. Denn „das Wissen um die rassistischen Ausschreitungen [ist] auch zehn Jahre später sehr begrenzt“ (Guski 2012: 31). Auch heute ist das Pogrom nicht Bestandteil des gesellschaftlich verfügbaren Allgemeinwissens, sondern wurde in Nischen verbannt. Es erinnert Weiße Deutsche zu sehr an den eigenen hässlichen Michel, der betrunken im Nationaltrikot mit einer Urin befleckten Jogginghose den Hitlergruß zeigt und sich vor der Weltöffentlichkeit blamiert. Dieses Selbstbild ist wie das brennende Sonnenblumenhaus oder die hasserfüllten Gesichter eines entfesselten Mobs ein ikonografisches Bild, das uns alle unterschiedlich verfolgt. Es ist nur schwer aus dem Gedächtnis zu tilgen, weil es emotional besetzt ist. Bilder und Gefühle sind beständiger als faktisches Wissen und daher schwieriger zu kontrollieren und aus der Welt zu schaffen.

Selektion und Auslassungen
In den dominanten Erzählungen wird das Rostocker Pogrom in erster Linie als vergangen und abgeschlossen dargestellt, während Fragen nach unaufgearbeiteten Langzeitfolgen und politischen Verbindungen zur Gegenwart kaum von Interesse sind. Auch der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck betonte am 26.08.2012 in seiner Rede auf der zentralen Gedenkveranstaltung im ersten Satz diese historisierende Haltung: „Es ist Vergangenheit, was uns heute hier in Lichtenhagen zusammenführt – was wir erinnern, was wir beklagen, was uns beschämt: Alles war vor zwanzig Jahren. Es ist Vergangenheit.“ (Gauck 2012). Später nahm er sich das politische Privileg der Entscheidungsfreiheit über die zuvor selbst verkündete Abgeschlossenheit zu relativieren, nachdem er dieses Paradigma als Ausgangsbasis konstituiert und sichergestellt hatte.

Ein anderes Beispiel sind historisierende Chronologien, da es mehr als fraglich ist, ob mit selektiven Hervorhebungen und Auslassungen ein geschichtlich bedeutsames Ereignis mit vielen komplexen Einzelereignissen und Folgewirkungen sinnvoll rekonstruiert werden kann. Vielmehr besteht die Gefahr, dass mit solchen schnelllebigen journalistischen Kurzformaten ein eher verfälschendes Abbild einer vergangenen Realität erzeugt wird, das vor allem liebgewonnene Überzeugungen und verfestigte Geschichtsbilder des gesellschaftlichen Mainstreams bedient. Was sich banal anhört, hat im diesen Fall durchaus weitreichende Effekte: Beispielsweise wird Rostock-Lichtenhagen gerade in kritisch intendierten Analysen häufig in einer Reihe mit Mölln, Solingen und Hoyerswerda genannt, die als ikonografisch markierte Orte rassistischer Gewalt in das medial akzeptierte Bild Eingang gefunden haben. Was bei dieser Komplexitäts- und Realitätsreduzierung aus dem Blick gerät sind nicht minder gravierende Angriffe auf Flüchtlinge, Schwarze, türkisch aussehende Menschen und andere Personen of Color, die zum Ziel rassistischer Gewalt gemacht werden.

So ist das Pogrom in Mannheim-Schönau gegen ein Flüchtlingsheim zum Vatertag (26. bis 31. Mai 1992) weitgehend in Vergessenheit geraten (Möller 2007), genauso wie die Jagd auf eine Gruppe Schwarzer Menschen durch die Magdeburger Innenstadt am Himmelfahrtstag 1994 nur kurzfristig beachtet wurde (Härtung 1994). Andere Beispiele aus der Liste des unsichtbar gemachten Rassismus betreffen den von Mitgliedern der rechtsextremistischen Deutschen Aktionsgruppen durchgeführten Brandanschlag auf ein Hamburger Flüchtlingsheim, bei dem die jungen vietnamesischen Boat People Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô 1980 ermordet wurden (Keil 2012 und Ha 2012b). Im Unterschied zu den lange Zeit vertuschten Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sorgte die Hetzjagd gegen acht indische Männer im sächsischen Müggeln zunächst weltweit für Schlagzeilen (Wittstock 2007 und The Telegraph Calcutta 2007), ehe das mediale Vergessen als Form der Weißen deutschen Normalitätsvorstellung wieder die Oberhand gewann.

In diesem Kontext gehört auch die Kontroverse um die vom Bundesinnenministerium nicht anerkannten rechtsextremistischen Morde. Bis zur Aufdeckung des NSU-Terrors wurden offiziell lediglich 47 Morde anerkannt. Im Zuge der Kritik an der verharmlosenden Wahrnehmung und Darstellung des rechtsextremen Terrors sowie der skandalösen Arbeit deutscher Sicherheitsbehörden wurde von amtlicher Seite nachträglich weitere rechtsextremistisch motivierte Morde eingestanden, so dass im Mai 2012 nunmehr insgesamt 63 Mordopfer statistisch erfasst wurden. Dagegen sind in den Opfer-Chroniken des Sterns, der ZEIT, des Tagesspiegels, der Frankfurter Rundschau und der Amadeu Antonio-Stiftung 182 rechtsextremistische Mordopfer verzeichnet (Jansen 2012 und Erkol/Winter 2011).

Oftmals wird Rostock-Lichtenhagen nicht in Verbindung mit den anderen rassistischen Großereignissen in einem ideologie- und gesellschaftskritischen Zusammenhang analysiert, um an den damals konsensfähigen politischen Extremismus der Mitte zu erinnern. Im Zuge einer politisch-ideologisch motivierten Kampagne wurden nicht nur durch „BrandSätze“ (Jäger 1992) rassistische Gewalt durch Biedermänner und Rechtsextreme entfacht, sondern auch das Asylgrundrecht de facto ausgehebelt. Noch seltener wird Rostock-Lichtenhagen zum Anlass genommen, um über die rassistische Struktur und Geschichte der deutschen Gesellschaft zu reflektieren, die überhaupt erst ein Pogrom in diesem Ausmaß ermöglichen. Selbst so naheliegende Fakten wie die langjährig verschleppte und letztlich gescheiterte juristische wie politische Aufarbeitung der Gewalttäter und verantwortlichen Funktionäre stellen in einer Reihe von Presseberichten keine selbstverständliche Hintergrundinformation dar.

Solche Auslassungen und Defizite sind umso problematischer, wenn – wie in diesem Fall – nicht einmal die wissenschaftliche Erforschung dieses Pogroms als kritisches Korrektiv zur Verfügung steht. Anscheinend wird die wissenschaftliche Arbeit dazu als nicht relevant oder karrierefördernd erachtet, so dass die wissenschaftliche Aufarbeitung etwa in Form von detaillierten Studien auch nach 20 Jahren nur wenig Fortschritte gemacht hat. (1) Diese Leerstelle gilt auch für die journalistische Auseinandersetzung, die kaum über die tagespolitische Berichterstattung und Kommentierung hinausreicht. Dieser Sachverhalt ist umso verwunderlicher als die Weiß gefärbte öffentliche Kultur die mediale und gesellschaftspolitische Bedeutung des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen – zumindest in ihren offiziellen Stellungnahmen und Festreden zu den runden Jahrestagen – durchaus betont, aber ansonsten kaum praktische Schritte unternimmt, um diesem Einschnitt in der politischen Kultur und dem gesellschaftlichen Selbstverständnis vor dem Vergessen und der „Weißwaschung“ zu bewahren.

Gedenken in Weiß
Das ambivalente Missverhältnis zwischen Anspruch und Realität wurde auch in der „unfreiwilligen“ Rede von Bundespräsident Gauck vor dem Sonnenblumenhaus bezeugt als er – wie Journalist_innen recherchiert haben wollen – zum ersten Mal in seinem politischen Leben das Rostocker Pogrom in einer öffentlichen Rede zum Thema machte. Dies ist umso bemerkenswerter und symbolträchtiger als Gauck lange Jahre als Pastor und DDR-Bürgerrechtler in Rostock gewirkt hat und mit seiner Geburtstadt in besonderer Weise verbunden ist (Becker 2012). Obwohl seine Rede vielfach in der Presse als couragiert und respektabel gewürdigt wurde, enthält sie mehrfach fragwürdige Annahmen, wenn Gauck etwa stereotyp über „Fremdenfeindlichkeit“ redet und nur ein einziges Mal wagt den Begriff „Rassismus“ auszusprechen. Seine Beschwörung der naturwüchsigen „Angst vor dem Fremden“ geht mit einer Normalisierung der „Fremdenfeindlichkeit“ einher, die zu dem vor allem ein DDR-Spezifikum sei. In Gaucks Rede vermischt sie diese Konstruktion mit einer banalen Kulturkonflikttheorie, die kulturelle Differenzen als bedeutsame Quelle der „Fremdenfeindlichkeit“ ausmachen will. Vor diesem Hintergrund wirft seine Forderung „Unsere Heimat kommt nicht in braune Hände!“ (Gauck 2012) nicht nur die Frage nach dem dahinterstehenden Heimatbegriff auf, sondern auch die Frage, wer und wessen Erfahrungen, Werte und Perspektiven das gesellschaftliche Wir ausmachen.

Video: Rostock-Lichtenhagen 2012: Gedenken in weiß © leftvision

 

Rostock-Lichtenhagen 2012: Gedenken in weiß - leftvision

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Trotz oder gerade aufgrund der erschreckenden Dimensionen der NSU-Morde sind Verweigerungs- und Abwehrreflexe gegen Aufklärung kein Ausnahmephänomen wie die jüngsten Skandale über vertuschte Aktenvernichtung beim Bundesverfassungsschutz (Die Welt 2012) und Irreführung des Untersuchungsausschusses des Bundestags durch den Militärischen Abschirmdienst eindrucksvoll demonstrieren (Denkler 2012). Auch die politischen Elite sieht anti-rassistische Arbeit wohl eher als eine „peinliche Pflicht“ (Becker 2012) an, vor der man sich am liebsten drückt: Selbst zum 20. Jahrestag hielten sowohl die aus Mecklenburg stammende Bundeskanzlerin, der zuständige Bundesinnenminister als auch der Rostocker Oberbürgermeister es weder für nötig noch für politisch opportun an einem der wenigen offiziellen Gedenkveranstaltungen in Lichtenhagen teilzunehmen. Auch etliche Spitzenpolitiker_innen der Bundestagsparteien hatten – mit Ausnahme von Claudia Roth – scheinbar wichtigere Termine. Es wäre wohl eine Illusion anzunehmen, dass diese auferzwungenen Gedenktermine mehr als rhetorische Übungen darstellen (Becker 2012).

Das die dominante Form des Weißen Gedenkens immer wieder rassistische Diskurse und Praktiken produziert, lässt sich an weiteren Beispielen verdeutlichen. Während Weiße Mitglieder der gesellschaftlichen Elite nur selten Anteilnahme und Interesse bekunden, werden People of Color weder in die offiziellen noch in den alternativen Gedenkveranstaltungen auf gleicher Augenhöhe einbezogen. So wurde die wenigen verbliebenen vietnamesischen Opfer des Pogroms erst sehr kurzfristig von den Veranstalter_innen anfragt an der städtischen Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten teilzunehmen, da die Organisator_innen ihre Teilnahme offenbar als nicht wichtig erachteten. Erst nach Anregungen aus der vietnamesischen Community wurden mit große Mühe einige wenige Vietnames_innen zur Teilnahme überredet, wo sie leider nicht öffentlich das Wort ergreifen durften, sondern eher als schmückendes Beiwerk der öffentlichen Inszenierung dienten. Ähnlich erging es der Roma-Community, da niemand auf die Idee gekommen war, etwa den Zentralrat der Roma stellvertretend für die tagelang angefeindeten und später abgeschobenen Roma-Flüchtlinge einzuladen oder um einen Redebeitrag zu bitten. (2) Solche Ausgrenzungen führen zu einer homogenisierten Form des Gedenkens, das sich auch auf der Alltagsebene widerspiegelt. So wurden zwei Mitglieder des deutsch-afrikanischen Vereins „Daraja“ trotz persönlicher Einladung der Einlass zur zentralen Gedenkveranstaltung in Rostock-Lichtenhagen verweigert, während nachkommende Weiße Gäste passieren durften. (3)
 
Auch das Weiße linke Bündnis (4), das die bundesweite Demonstration am 25.08.2012 organisierte und die Anbringung einer Gedenktafel am Rostocker Rathaus durchführte, beteiligte sich an einer dominanzdeutschen Kultur. So wurden keine Organisationen von People of Color, Flüchtlinge und Muslim_innen in dieses Bündnis einbezogen, so dass ihre Perspektiven und Positionen sich nicht in diesem alternativen Erinnerungsraum wiederfanden und sie die Arbeit dieses Bündnisses nicht mitbestimmen konnten. Der Versuch Persons of Color individuell etwa als Gäste für Redebeiträge einzuladen, ist keine Alternative zur gleichberechtigten Zusammenarbeit und ist nicht frei von instrumentalisierenden Elementen. Mit welchen Unsichtbarmachungen und Problemen ein eurozentristischer Diskurs behaftet ist, lässt sich gut an der angebrachten Gedenktafel ablesen, die temporär von der Stadt geduldet wird und als Replikat an ein anderes historisches Ereignis erinnert. Beim Versuch eine gleichlautende Gedenktafel im Oktober 1992 anzubringen wurden Mitglieder der Gruppe „Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs“ um Beate Klarsfeld am Rathaus verhaftet. Während eine Ergänzungstafel über diesen historischen Hintergrund aufklärt, wird die Tatsache, dass vietnamesische Migrant_innen, postkoloniale Flüchtlinge und andere Persons of Color das tatsächliche Ziel rassistischer Gewalt sind, verschwiegen. Ebensowenig findet sich ein Hinweis auf die unkritische Verwendung problematischer Begriffe wie „Zigeunerlager“ oder „das deutsche Volk“.

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Bild: Replikat der Gedenktafel „Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs“ (1992) am Rostocker Rathaus, 25.08.2012, © KNH

Verdrängung und Unsichtbarmachung
Zur Struktur des Erinnerungsdiskurses zu „Rostock-Lichtenhagen“ gehört eine Dominanz, die sich auf die Perspektiven der Weißen Gesellschaft und ihr diskriminatorisches Wissen fokussiert. Nicht nur bei Gauck, sondern auch in vielen Medienberichten fällt auf wie unbekümmert oder trotz besseren Wissens stigmatisierende oder sinnwidrige Begriffe wie „Fremde“ „Ausländerfeindlichkeit“ und „Asylanten“ weiterhin Verwendung finden, wodurch Rassismus entnannt wird. Diese Kritik- und Aufklärungsresistenz beruht auf einer Machtstruktur, die auf der Marginalisierung anti-rassistischer Positionen und der Machtlosigkeit non-konformer Perspektiven beruht. Wie Unsichtbarmachung funktioniert, zeigt sich besonders deutlich im Film- und Fernsehbereich.

Auf dieser Ebene fällt zunächst auf, dass „Rostock-Lichtenhagen“ offensichtlich von den Programmverantwortlichen als unzumutbares oder uninteressantes Thema für den Massengeschmack angesehen wird. Entsprechend dieser Einschätzung wollte kein Fernsehsender mit einer Live-Übertragung der zentralen Gedenkveranstaltung sein Publikum vergraulen. Trotz des Bildungsauftrags der öffentlich-rechtlichen Sender hielten weder ARD noch ZDF es für nötig zum Jahrestag dieses Thema aufzugreifen. Das Gedenken an Rostock-Lichtenhagen wäre als Fernsehereignis beinahe komplett ausgefallen, wenn nicht der Sender „Phoenix“ einen Film über dieses Pogrom in einem Themenabend integriert und der NDR eine neue Dokumentation ausgestrahlt hätte (Bax 2012).

Auf der Ebene der Dokumentarfilme fällt eine Verschiebung auf, bei der die Opfer des Rassismus nicht nur visuell in den Hintergrund treten, sondern auch immer weniger selbst zu Wort kommen. Das lässt sich in einem historischen Längsschnitt gut aufzeigen: Der erste Dokumentarfilm, der sich dezidiert mit dem Lichtenhagener Pogrom auseinandersetzt, stammt von den englischen Dokumentarfilmer_innen Mark Saunders und Siobhan Cleary. „Die Wahrheit liegt/lügt in Rostock (1993) wurde mit Unterstützung von angegriffenen Vietnames_innen wie lokalen Antifa-Initiativen gedreht und verwendet zum Teil auch das selbst erstellte Videomaterial dieser Gruppen. Neben der Einbettung des Pogroms in zeitgeschichtliche und politische Zusammenhänge wird auch ein großer Wert auf die Opferperspektiven gelegt. Das sieht bei Kamil Taylans „Die Feuerfalle von Rostock. Der Brandstifter, der Jubel und ein verstörtes Land“ (2002) schon anders aus. Hier liegt der Fokus eindeutig auf persönlichen Narrativen und Erinnerungen, wobei die Erzählungen der rassistischen Täter und anderer Weißer eindeutig dominieren, während die Perspektiven der Angegriffenen im Verhältnis dazu in den Hintergrund rücken. Im neusten Dokumentarfilm „Als Rostock-Lichtenhagen brannte“ (2012) von Florian Huber wird dieses Missverhältnis noch krasser. Vietnamesische Zeitzeug_innen tauchen dort gar nicht mehr auf, während vor allem den Täter_innen großzügig Aufmerksamkeit geschenkt wird (Sakowitz 2012). Die Verdrängung und „Weißwaschung“ zeithistorischer Authentizität geht weiter und nimmt dabei auch neue Formen an: So tauchen in letzter Zeit eine Reihe von Erinnerungsberichten auf, in denen Journalist_innen sich selbst den Status von Zeitzeug_innen zusprechen, weil sie sich damals als Berichterstatter_innen mit den Angriffen in Lichtenhagen befasst hätten (vgl. Vestring 2012 und Biskup 2012).

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Bild: Ein Kameramann verfolgt das rassistische Treiben vom Sonnenblumenhaus aus. Szene aus: „Die Wahrheit liegt/lügt in Rostock“ (1993).

Verharmlosung und Rechtfertigung
Von wenigen Ausnahmen abgesehen wurde ein Großteil der Artikel in diesem erinnerungspolitischen Diskursfeld von Mitgliedern der Weißen Dominanzkultur geschrieben und visuell erstellt, so dass sich die Gefahr einer Monopolisierung der öffentlichen (Re )Konstruktion und Reflektion des Pogroms ergibt. Eine Folge besteht darin, dass das Pogrom mehrheitlich als „Krawalle“, „Übergriffe“ oder „Ausschreitungen“ relativiert wird und diese unterschiedlichen Gewaltkategorien mit ihren je eigenen Bedeutungen beliebig erscheinen.

Dabei wird die gesellschaftspolitische Bedeutung des Pogroms in Lichtenhagen jenseits einem einfachen Links-Recht-Schema von unterschiedlichen Akteuren in Frage gestellt und nachträglich umgedeutet. Beispiele dafür finden sich etwa in Publikationen, die gemeinhin unterschiedlichen Politiklagern zugeordnet werden. Ein ostdeutscher Autor, der bereits 1992 vor Ort war, wertet im Freitag die rassistischen Mordversuche als Aufstand der Deklassierten auf: „Als in Rostock-Lichtenhagen Molotowcocktails fliegen, sind es die Deklassierten, die aufbegehren. Ausländerhass spielt eine Nebenrolle, er ist nur Mittel zum Zweck“ (Laske 2012). In seiner Argumentation sind die Lichtenhäger_innen, als Verlierer_innen der Einheit, die eigentlichen Opfer, denn „die Rostocker traf es besonders hart“ wie die Zwischenüberschrift betont. Ihre Perspektive und ihre Lage sind Dreh- und Angelpunkt des hier konstruierten Geschichtsbildes. Nach dieser Darstellung wurden die im Sonnenblumenhaus eingeschossenen vietnamesischen Menschen nicht wirklich angegriffen, sondern sind nur Opfer einer Verwechselung: „Die Molotowcocktails, die gegen den Neubaublock fliegen – jeder kennt die Bilder – scheinen auf die Vietnamesen zu zielen, die in dem Plattenbau leben. Doch in erster Linie wendet sich der Volkszorn gegen Sinti (5) und Roma, die seit Wochen um das Haus herum campieren. Die sollen weg. Die vor allem und als Erste“ (ebd.). Vor dem Hintergrund des gezeichneten Sittengemäldes wirken die abschließenden Worte des Autors „Denn wir lieben Ausländer. Wir hassen nur ihre Armut“ (ebd.) zynisch.

Karsten Laske ist aber nicht der einzige, der Rassismus aus dem historischen Bild wegretuschiert und dem Pogrom als „Katalysator“ zur Bewältigung sozialer Missstände positive Seiten abgewinnt. Noch einen Schritt weiter geht Jasper von Altenbockum, verantwortlicher Redakteur für Innenpolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in seinem FAZ-Leitartikel, der unter der Überschrift „Lichtenhagen: Ende der Sozialromantik“ (6) erschien. Darin mokiert er sich über die zur „Übertreibung“ neigende Kritik gegen das staatliche Versagen und einer Regierungspolitik, die die Pogromstimmung damals forcierte und später durch organisierte Verantwortungslosigkeit ein beschämendes Bild abgab. Er möchte nicht, dass Politiker_innen „bis heute als halbe Nazis dämonisiert“ (Altenbockum 2012) werden, wenn sie – wie der Autor selbst – „Überfremdung“ als wahren Grund für die explosive rassistische Gewalt konstatieren: „Doch in Rostock und anderswo in Deutschland war längst ein makabres politisches und soziales Experiment im Gange: Wie lange hält es eine Gesellschaft aus, dass Monat für Monat zehn-, zwanzig- oder auch dreißigtausend Asylbewerber ins Land strömen? Das war verantwortungslos. Nur Romantiker können das nicht verstehen“ (ebd.). Den krönenden Abschluss dieser wahnwitzigen Tirade stellt jedoch folgende Behauptung dar: „Erst ‚Lichtenhagen‘ brachte manche dieser Sozialalchimisten zur Besinnung“ (ebd.), wodurch das Pogrom zum legitimen und vernunftsgeleiteten Korrektiv des „Volkszorns“ gegen einer unbesonnen handelnden Politik erhoben wird. Erst durch das Pogrom kehrte die Vernunft in die Politik zurück, weil dadurch vernünftigerweise der „Asylkompromiss“, das „Ende der Utopie namens Multikulturalismus“ und „neue rechtliche Möglichkeiten für eine gesteuerte Einwanderung“ herbeigeführt wurden. Dieser christlich-fundamentalistischen Argumentation folgend fragte der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende in seinem Offenen Brief an Altenbockum kritisch: „Und wen haben eigentlich die NSU-MörderInnen ‚zur Besinnung gebracht‘? (Enke 2012).

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Bild: Diskussionsrunde mit Nguyễn Quốc Toản, Angelika Nguyen, Mai-Phuong Kollath, Kien Nghi Ha, Thu Trang Tran Thi und Anh Ngo auf dem Berliner Festival gegen Rassismus 2012 © Karl

Widerstand und deutsch-vietnamesische Perspektiven
Trotz der aufgeführten Kritik wäre es falsch davon auszugehen, dass nicht immer wieder versucht wurde das Machtungleichgewicht, sowie das selbst verordnete oder aufgedrückte Schweigen auf deutsch-vietnamesischer Seite zu durchbrechen. Davon zeugen etwa Veröffentlichungen, die oftmals aus rassismuskritischen Perspektiven von People of Color- historische Spurensuche, Kultur- und Wissensproduktion mit analytischer Theoriearbeit verbinden (etwa Gutiérrez Rodriguez/Steyerl 2003, Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005 und Ha/Lauré al-Samarai/Mysorekar 2007, Arndt/Ofuatey-Alazard 2011). Der soeben erschienene Sammelband „Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond“ (Ha 2012a) knüpft an diese intellektuelle Tradition an. Damit liegt jetzt eine Anthologie vor, die großen Wert auf vielfältige vietnamesisch-deutsche Perspektiven, aber auch Cross-Community-Diskussionen mit Schwarzen, muslimischen Menschen sowie anderen Persons auf Color legt. Darin werden auch rassistische Gewalterfahrungen im Alltag etwa mit Weißen Polizist_innen oder auch in Rostock-Lichtenhagen bearbeitet.

Angesichts der weitverbreiteten Schweigens und der strukturellen Schwierigkeiten in den bestehenden vietnamesischen Migrant_innenvereinen angemessen das Rostocker Pogrom zu diskutieren (Ha 2012c), wurde für den 19.08.2012 spontan die intergenerative und mit gutem Feedback bedachte Podiumsdiskussion „Fire and forget? Deutsch-vietnamesische Perspektiven 20 Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen“ (7) auf dem Berliner Festival gegen Rassismus (8) organisiert. Dort waren mit Mai-Phuong Kollath (Interkulturelle Trainerin und Zeitzeugin in Rostock), Anh Ngo (Diplom-Padägogin im Netzwerk gegen Rassismus in Schulen), Angelika Nguyen (Filmwissenschafterin und Autorin), Nguyễn Quốc Toản (Erziehungswissenschaftler und Empowerment-Trainer), Thu Trang Tran Thi (Lichtenberg mit Courage) und dem Moderator Kien Nghi Ha (Vorstandmitglied des deutsch-vietnamesischen Netzwerks korientation) Sprecher_innen mit ost- und westdeutschen wie auch nord- und südvietnamesischen Hintergründen vertreten. Es war ein intensives und anregendes Gespräch, das bei allen Beteiligten den Wunsch auslöste in Zukunft verstärkt solche Foren und Räume aufzubauen. Unter anderem regte Mai-Phuong Kollath die Erstellung eines Dokumentarfilms über Rostock-Lichtenhagen mit Zeitzeug_inneninterviews aus deutsch-vietnamesischer Perspektive an. Das ist ein sehr lohnenswertes Projekt und würde an Widerstandspraktiken der angegriffenen Vertragsarbeiter_innen im Sonnenblumenhaus anknüpfen. Neben der provisorischen Selbstbewaffnung mit Holzstangen dokumentierten sie mit eigenen Videokameras den Ablauf des Pogroms. Dieses Zeitzeugnis hat auch Raum für Gegendiskurse geschaffen, in dem die Blickrichtung sich umkehrt und wir die Welt aus der minoritären Perspektive sehen.

 

Video: Kien Nghi Ha: „Ich bin hier, weil ihr hier seid“ (© leftvision)
Rede auf dem anti-rassistischen Kulturfestival „Beweg dich für Bewegungsfreiheit“ am 25.08.2012 vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen

Mein Leserbrief, den ich am 26.08.1992 als junger Student der Politikwissenschaft nach der Brandnacht im Lichtenhagen schrieb, ist ein anderes Beispiel für widerständige Praktiken. Er wurde in „der tageszeitung“ am 01.09.1992 in Auszügen veröffentlicht.

Leserbrief: Pogrom in Rostock, Berlin, 26.08.1992
Lothar Kupfer, Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, fühlte sich nach den Angriffen so „betroffen“, obwohl die rassistischen Angriffe gar nicht ihm galten. Wahrscheinlich fühlte sich Kupfer auch schon vor den Bränden als Opfer von Verleumdungen, in denen ihm Inkompetenz und Versagen vorgeworfen wird. Aber dies zeugt immerhin von einer guten Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Die „Betroffenheit“, falls sie bestand, reichte jedoch nicht zu einem Besuch des Flüchtlingsheims in Rostock-Lichtenhagen als Zeichen des Mitgefühls bzw. der Solidarität, was von AntifaschistInnen unter Lebensgefahr praktiziert wurde. Komisch bzw. traurig ist nur, daß der „Betroffene“ Kupfer sogleich das Asylrecht durch „Ergänzung“ abschaffen will, und sogar Verständnis für faschistisch-rassistische Gewalt aufbringen kann. Aber auch dieser Akt des triefenden Opportunismus und der Verlogenheit ist nur ein Kapitel im Buch „Politik auf Kosten von MigrantInnen“.

Gleichzeitig wurden und werden Opfer zu Täter gemacht, Verbrechen relativiert, „erklärt“ und entschuldigt und die versuchten Mörder damit entlastet, wenn nicht sogar freigesprochen. Das Prinzip der Machterhaltung hat in dieser Demokratie Vorrang. Schließlich sind die braven faschistoiden BürgerInnen das Stimmvolk von heute und die gewalttätigen Kids die WählerInnen von morgen. Die meisten Politiker der etablierten Parteien trauen sich nicht den Deutschen ihr Spiegelbild zu zeigen, das von der mangelnden Aufarbeitung der nazistischen Vergangenheit und dem allgegenwärtigen Rassismus in der deutschen Gesellschaft verzerrt ist. Durch die Sozialisation haben wir alle, bei dem einen mehr und bei dem anderen weniger, diese Auffassungen irgendwo verinnerlicht.

Es ist viel leichter mit bequemen Scheinwahrheiten zu leben, in denen die Deutschen sich als Opfer der „Flut der Asylanten“, der „kriminellen Ausländer“, die im Park herumlungern und damit das deutsche Ordnungsgefühl irritieren, der „Wohnungsklauer“ und „Dumpingarbeiter“ sehen. So werden aus Privilegierten plötzlich bedauernswerte Opfer, Benachteiligte und ungerecht Behandelte. Schließlich kommen noch „Zukunftsängste“, ein „Bruch in der Biografie durch das verfallende Sozialmilieu einschließlich Elternhaus“, „Werteverfall aufgrund des Zusammenbruchs der DDR und der sozialistischen Werte“, Arbeitslosigkeit, Alkohol und Langeweile hinzu, die das Bild abrunden. Müssen wir MigrantInnen und Flüchtlinge da nicht akzeptieren, daß die armen Jungs ein Ablaßventil brauchen. Aber keine Sorge, der nächste Aufschwung kommt bestimmt.

Die Realität ist jedoch, dass MigrantInnen und vor allem Flüchtlinge in einem viel stärkeren Maß unter Zukunftsängsten aufgrund der rechtlichen Ungleichbehandlung (unsichere Aufenthaltsstatuten, keine politische Partizipation und Bürgerrechte) und einer noch schlechteren Situation auf dem Arbeitsmarkt leiden. Hatten wir keinen Bruch in unserer Biografie als wir nach Deutschland kamen und Familien durch Bürgerkriege, politische, religiöse und ethnische Verfolgungen, Morde oder einfach durch Armut auseinander gerissen wurden? Wurden wir hier nicht mit einer neuen dominierenden Kultur mit anderen Werten konfrontiert? Und haben die Flüchtlinge, die keine Arbeit finden, nicht ebenfalls Langeweile? Aber wem interessiert das? Wir veranstalten, obwohl unsere Probleme denen der Ossis im nichts nachstehen, keine Pogrome! Daher kann dieser Erklärungsansatz kaum befriedigend sein. Diese Gewalt hat seine Wurzeln im gesellschaftsfähigen Nationalismus und Rassismus. Die rassistisch-faschistischen Gewalttäter unterscheiden sich nur durch die angewandte Gewalt von den ach so braven BürgerInnen, aber nicht durch ihre Auffassungen. Noch leugnen sie, die PolitikerInnen, die SoziologInnen, die BürgerInnen, aber wie lange noch?

 

I write to fight
erasure
to demand a voice,
to become visible
to claim
my history.
I write to turn on the light.

Lesbian Poet and Activst Dichterin und Aktivistin

Ich schreibe um zu kämpfen
gegen die Auslöschung,
um eine Stimme zu erhalten,
um sichtbar zu werden,
um mir meine Geschichte
anzueignen.
Ich schreibe um das Licht anzuschalten

Kitty Tsui, Asian American Kitty Tsui, asiatisch-amerikanische lesbische

 

(1) Die wissenschaftliche Literaturliste in Form von Sammelbänden und Monografien zum Thema ist extrem übersichtlich: Neben wenigen zeitgenössischen Analysen von Siegrid Jäger u.a. (1993), dem Kapitel „Rostock-Gate“ (S. 103-177) in Hajo Funkes Buch „Brandstifter“ (1993), sind in der Folgezeit nur vereinzelt weitere Studien erstellt worden wie die Diplomarbeit von Bernd Schulz (1999) oder das Heft der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock (2002) zum zehnten Jahrestag. Diesem Rhythmus folgend ist in diesem Jahr eine weitere Publikation zum Thema hinzugekommen, die von Thomas Prenzel (2012) herausgegeben wurde. Darüber hinaus ist nur noch das Buch des Journalisten Jochen Schmidt (2002) erwähnenswert, der seine Erinnerungen und Analysen zum letzten Jubiläum publizierte. Das Buch beruht auf seine politikwissenschaftliche Magisterarbeit von 1998.
(2) Bündnis „20 Jahre nach den Pogromen. Das Problem heisst Rassismus“, Pressemitteilung, 28.08.2012.
(3) http://kombinat-fortschritt.com/2012/08/26/unsere-heimat-kommt-nicht-in-braune-hande/ Die ZEIT-Online behauptet, dass die beiden zu spät gekommen seien. Allerdings klärt das nicht, warum andere Gäste zu einem noch späteren Zeitpunkt eingelassen wurden.
http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/08/28/rassismus-beim-offiziellen-gedenken-in-rostock-lichtenhagen_9618
(4) Bündnis "20 Jahre nach den Pogromen. Das Problem heisst Rassismus".
(5) Sinti ist eine Selbstbezeichnung von Roma, die in West- und Mitteleuropa leben. In der Zentralen Aufnahmestelle suchten 1992 ausschließlich Roma-Flüchtlinge aus osteuropäischen Ländern vergeblich nach Schutz. 
(6) Nach massiven Beschwerden wurde die Online-Fassung dieses Leitartikels ohne redaktionelle Anmerkungen mehrfach entschärft. Die Überschrift wurde in „Harte Bretter. Lichtenhagen“ umbenannt. Auch der Vorspann wurde mehrmals revidiert. In der Originalfassung stand noch: „Ein wütender Mob zündete vor 20 Jahren das Asylantenheim in Lichtenhagen an. Der Terror brachte manchen Sozialromantiker zur Besinnung und machte den Weg für eine gesteuerte Einwanderungspolitik frei“. Diese Formulierung erschien dann zu heikel, so dass es abgeändert wurde: „Die Exzesse gegen Asylbewerberheime Anfang der neunziger Jahre markierten das Ende der Utopie namens Multikulturalismus“ (Strohschneider 2012). Aktuell heißt es: „Wenige Monate nach den Exzessen gegen Asylbewerberheime wie in Lichtenhagen war nach jahrelangem Streit der ‚Asylkompromiss‘ möglich. Warum erst jetzt? Wie viel Verantwortung tragen die Utopisten des Multikulturalismus an diesem Versagen?“. Ursprüngliche Fassung.:http://www.politblogger.eu/files/faz250812.pdf
(7) http://korientation.de/2012/08/fire-and-forget-deutsch-vietnamesische-perspektiven-20-jahre-nach-dem-pogrom-in-rostock-lichtenhagen/
(8) http://festivalgegenrassismus.wordpress.com/

Literatur