„Weiter im Text - ein Tagebuch mit Bildern” Leseprobe von Feridun Zaimoğlu

 

Auszug aus dem Roman

 

Es entwickeln sich Bakterien,die bei Gänsen (und Enten)
Muskellähmung verursachen.Nicht gefressenes Brot zieht
Ratten an.
Lesung:gut.Menschen im Saal:glücklich.Liebesgeschichten
Gelesen.Liebe klappt auf dem Papier.Werde oft gefragt,
wer ich sei.Grübele halbnackt im Liegen darüber.Meine
Tarnidentität:Bürger.Mein wahres Selbst:keiner Klasse zugehörig.
Keine Hobbys.Keine beste Freundin.Keine Kumpels,mit denen
ich saufen gehe.Kein Computerkein verdammter Internet-
zugang.Kann nicht Auto fahren.Hasse Sonntagsausflüge
wie die Pest.Hasse Rock und alte Rocker auf der
Bühne.Liebe Mode,die Farben Schwarz und Flieder,Silberschmuck.
Habe kein Eigenheim.Hasse Gourmets und Weinkenner.Hasse
Köche,die glauben,sie sind Künstler,weil sie fünf Zutaten
mischen.Hasse die Adligen.Hasse schwule Komödianten.Liebe
die kleinen Utensilien des täglichen Nahverkerhs.Hasse
Handball und knollengesichtige Handballer.Hasse eisschleckende Familienväter.
Hasse Brunch und Studentenpartys.Hasse studentinnen mit hoher
Seifenoperstimme.Lese gedichte und Groschenromane.Hasse
Pfaffen.Hasse Deutschland-hassende Ausländer,die hier
viel Geld verdienen.Liebe schlaue Krähen.Liebe Menthol-
zigaretten.Liebe das Frühlingserwachen.Liebe Frauen,
die die Konservativen ärgern.Liebe Tom Sawyer.Liebe
Deutschland.Hasse Kopfschmerz…Mir wird kalt,ich
decke mich zu,geh zur Ruh.
Am nächsten Morgen im Hotelfoyer. Ich schau hin-ein Dackel.
Ich schau nochmal hin-kein Dackel.Ein Otter an roter
Leine,er fiept vor Wohlbehagen.Frauche,sehr nett:Wollen
Sie ihn auf der Schulter haben?Nemo,der Otter schnüffelt
an meinen Nackenhaaren,klettert an mir herunter,ver-
schwindet unterm Schrank.Frauchen:Wenn er Futter wittert,
fließt Blut!Wie jetzt?denke ich, er ne Stubenmaus
gewittert?Hat er nicht.Komm raus,robbt über den Teppich
zwischen die großen Terrakottaübertöpfe.Nemo ist wohl
weltberühmt,trat im Fernsehen auf und fiepte.
Bahnhof.Bosnier,Brecher im schwarzen Trainingsanzug,
bittet um ein Foto.Gerne,Seine Freundin knipst mit
dem Handy.Dann Kaffee an der Bude,schmeckt wie
Knüppel aufn Kopp.
Köln,wolkig, 12 Grad.Bin ich soweit?Das Hotel,ein
Sanierter Wasserturm.Vier Kacheln vor dem Waschbecken
Beheizt.Stehe auf dem warmen Fleck,schaue in den
Spiegel.Was seh ich?Trübe Rübe,fahles Antligtz,Nase glänzt.
Ohne Kaffee unerlöst.Umziehen,schwarzes kragenloses
Hemd,schwarzes Jackett,schwarze gewachste Jeans,bunte Socken,
schwarze Halbstiefel.Wenig später auf derBühne
in der Philharmonie,dreitausend Menschen,Elke Heidenbreich
machts möglich.Rauschendes Fest.Treffe mich in der
„Schokoladenfabrik“mit meinem Lektor.Er sagt:Alles fit
Für den nächsten Roman,kann los gehen.Ja.Die Limousine
Für den Pendelverkehr fährt vor,innen dunkelbeige und
Geräumig,ich drücke auf einen Schalter.Das Arschstövchen
Geht an.Steige mit beheiztem Hintern aus.
Uhren vorstellen,fünf Stunden Schlaf.Bin ich soweit?Klebe auf
Meinem Stuhl und warte auf das Spiegelei.Wackelglibber
Auf dem Dotter.Steche die Gabelzinken vorsichtig hinein.
Eigelb zerläuft,Schnittlauchdeko ruiniert,Mädchen am
Nebentisch macht große Augen.Es langwei(lig)t sich,ich will
Es erheitern.Tunke meine Nasenspitze in den Dotter.Mädchen gluckst.
Von meiner Nasenspitze tropft Dotter auf die Tischdecke.
Mädchen will mitmatschen,Mutti hindert es daran.Ich mal
Mir einen Eigelbbart auf die Oberlippe.Mädchen eskaliert,
Mutti böse,Hotelbediensteter ruft mich zur Ordnung.

 

 

Bild entfernt.
Feridun Zaimoğlu - Bild: www.frauzimmermann.com

 

Über Feridun Zaimoğlu
(weiter)