Im Kampf gegen Menschenhandel die Opfer in den Mittelpunkt stellen

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"mover at work"

Hinter dem Begriff „Menschenhandel“ verstecken sich unvorstellbare Lebensschicksale voll von Gewalt, Ausbeutung und Angst. Wenn man sie hört, verspürt man Fassungslosigkeit und ein starkes Gefühl, dass solche Geschichten verhindert werden müssen.

Das stimmt! Gegen Menschenhandel muss dringend etwas unternommen werden. Doch in Deutschland geschieht schon seit Jahren kaum etwas. Die Botschaft aus der Europäischen Union ist eindeutig, doch die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen ist keinen Schritt weiter.

Es ist schwierig, bei diesem Thema eine objektive Debatte zu führen, vor allem angesichts der bekannten persönlichen Erzählungen. Eine objektive Auseinandersetzung wäre aber notwendig, denn die Problematik ist einfach viel zu komplex, als dass es für sie einfache Generallösungen geben könnte: Was wir brauchen sind Gesetzesänderungen in vielen Teilbereichen, die sich direkt an die Opfer richten.

Unser Ziel ist eine Debatte, die frei von Vorurteilen gegenüber den in der Prostitution arbeitenden Frauen, Männern und Transsexuellen ist. Wir wollen eine Debatte, die frei vom persönlichen Nichtverständnis über die Ausübung dieser Tätigkeit ist. Wir wollen, dass auch die Arbeitsausbeutung in anderen Branchen, wie etwa Landwirtschaft, Bau, Gastronomie, Pflege, Transport und Haushaltsdienstleistungen, stärker in den Vordergrund rückt. Vor allem aber ist uns wichtig, dass über den Schutz der Opfer und ihre Rechte geredet wird. Egal in welcher Branche sie ausgebeutet werden.

Was ist Menschenhandel?

Menschenhandel ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte und ein international geächtetes Verbrechen. Der Begriff bezieht sich sowohl auf Ausbeutung der Arbeitskraft und sexuelle Ausbeutung als auch auf Organ- und Kinderhandel. Im Grunde reden wir von Menschenhandel, wenn eine Person durch Gewalt, Nötigung, Drohung oder Täuschung zu einer Tat (zum Beispiel zur Entnahme von Organen) oder zur Ausübung einer ausbeuterischen Tätigkeit gebracht wird. Das Ziel: wirtschaftlicher Gewinn für die Täter_innen, die oft in kriminellen Netzwerken aktiv sind und auch aus dem näheren sozialen Umfeld der Opfer kommen können.

Wie viele Opfer von Menschenhandel es in Deutschland und in Europa gibt, kann man aufgrund mangelnder Datenlage und Studien nur einschätzen. Belastbare Zahlen auf europäischer und nationaler Ebene gibt es nur über das sogenannte Hellfeld, das sich aus wenigen abgeschlossenen Ermittlungsverfahren zusammensetzt. Im September 2013 schätzte der „EU-Sonderausschuss für organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche“ (CRIM), dass in Europa rund 880.000 Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten und davon 30 Prozent (264.000) sexuell ausgebeutet werden.

In Deutschland wird Menschenhandel vor allem mit Arbeits- und sexueller Ausbeutung in Verbindung gebracht. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht auch mit dem Menschenhandel zum Zweck der Organentnahme beschäftigen sollen. Die strengen gesetzlichen Regulierungen machen den Organhandel hier zwar fast unmöglich, am globalen illegalen Handel beteiligen sich jedoch auch Bürger_innen aus Deutschland als Käufer_innen.

Zur aktuellen Diskussion in Deutschland

Berichten zufolge gibt es auch in Deutschland ein wachsendes Problem sowohl der sexuellen als auch der Arbeitsausbeutung. Konkrete Zahlen können jedoch kaum genannt werden. Tatsache ist aber, dass in den vergangenen Jahren keine Maßnahmen getroffen wurden, die die Lage der Opfer von Menschenhandel in Deutschland verbessern würden. Es fehlen umfassende Strategien, die präventiv und aktiv ansetzen und die eigentlichen Betroffenen – nämlich die Opfer – in den Mittelpunkt stellen würden. Statt gezielte Angebote zu entwickeln, werden auf politischer Ebene ideologische Diskussionen geführt, die den Opfern nicht unmittelbar helfen.

Im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen vor allem der Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und die (vermeintlichen) Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 2002. Während die Grüne Bundestagsfraktion schon in der 16. und 17. Legislaturperiode Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht hat, die deutlich gemacht haben, was in Deutschland und in Europa zur Bekämpfung des Menschenhandels erforderlich wäre, brachte die schwarz-gelbe Koalition erst kurz vor dem Ende der vergangenen Legislaturperiode einen unzureichenden und von Fachexpert_innen kritisierten Gesetzentwurf ein, der vom Bundesrat schließlich gestoppt wurde.

Nach einem Jahr der Großen Koalition sind wir allerdings auch noch keinen Schritt weiter bei der Umsetzung der EU-Menschenhandelsrichtlinie (Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer - Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011), die Deutschland schon bis April 2013 hätte umsetzen sollen.

Mehr Sachlichkeit in der öffentlichen Debatte herstellen

Dass es notwendig ist, das heute geltende Prostitutionsgesetz aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln, steht außer Frage. Für die Präzisierung von Maßnahmen gegen Menschenhandel erachten wir Grünen es allerdings als wesentlich, den Bereich der Prostitution vom Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu trennen. Auf der einen Seite brauchen wir klare Rahmen- und Arbeitsbedingungen und zwar unter Berücksichtigung der realen Vielfalt der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen, die freiwillig in der Prostitution tätig sind (mehr dazu im Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ´Rechte von Prostituierten schützen und stärken´), während im Bereich des Menschenhandels die Maßnahmen gegen mit Zwang und Gewalt einhergehende Ausbeutung präzisiert und verschärft werden müssen. Unabhängig davon, um welche Art der Ausbeutung es sich handelt. Denn auch Opfer von Arbeitsausbeutung benötigen Hilfe und Schutz.

Wie wir den Opfern helfen und Perspektiven aufzeigen können

Die geringe Zahl der Ermittlungsverfahren zeigt deutlich, wie schwierig es ist, Täter_innen sowie ihre Opfer aufzuspüren. An der Prävention und Bekämpfung aller Formen des Menschenhandels müssen deshalb sowohl die Behörden als auch die Zivilgesellschaft beteiligt werden. Dabei ist es unter anderem auch notwendig, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, die sich an Migrant_innen richten. Diese können durch fehlende Kenntnisse der Sprache, unseres Rechtssystems und vorhandener Unterstützungsangebote nämlich von den Täter_innen leichter in Abhängigkeit gebracht und gehalten werden.

Die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Behörden ist entscheidend für die Prävention, Aufdeckung und Strafverfolgung von Menschenhandel sowie die Betreuung der Zeug_innen vor, während und nach dem Prozess. Passgenaue Hilfsprogramme müssen diese Menschen direkt erreichen, was vor allem durch niedrigschwellige Hilfsangebote, die regelmäßig in bestimmten Szenen aktiv sind, gelingen kann. Diese Angebote sind häufig jedoch nur in größeren Städten zu finden und kämpfen mit Unterfinanzierung. Wir sehen die Bundesregierung deshalb in der Pflicht, sich weiter an der Finanzierung solcher Hilfsangebote zu beteiligen und die Mittel für einen weiteren Ausbau der Beratungsstellen deutlich aufzustocken.

Für eine ganzheitliche Strategie gegen Menschenhandel, die auch die EU-Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU) berücksichtigt, sind allerdings Maßnahmen auf mehreren Ebenen notwendig, die hier kurz vorgestellt und ausführlicher im Positionspapier „Die Opfer schützen – Menschenhandel wirksam verhindern“ erläutert sind.

Sensibilisierung in der Gesellschaft

Unsere Gesellschaft muss deutlicher zeigen, dass Zwang, Gewalt, Ausbeutung, Erniedrigung und Sexismus nicht akzeptabel sind. Auch Kund_innen tragen Mit-Verantwortung für Ausbeutung und Menschenhandel und sollten durch flächendeckende professionelle Kampagnen gegen alle Formen des Menschenhandels verstärkt sensibilisiert werden.

Verbesserung des Aufenthaltsrechts

Der Aufenthaltstitel von Menschen aus Nicht-EU-Ländern, die in Deutschland Opfer von Menschenhandel sind, ist momentan an ihre Bereitschaft, an einem Prozess mitzuwirken, gekoppelt. Bevor sie sich aber überhaupt den Täter_innen in so einem Prozess stellen können, ist oftmals eine therapeutische und soziale Unterstützung notwendig. Diese kann nur geleistet werden, wenn die Opfer einen Aufenthaltsstatus erhalten. Nicht zuletzt hängt die Zurückhaltung bei der Aussagebereitschaft in Prozessen auch mit der Angst vor Vergeltungsmaßnahmen ihnen und/oder ihren Familien gegenüber zusammen. Im „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland“ der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sind die erforderlichen gesetzlichen Änderungen angeführt, die einen solchen Aufenthaltstitel für Opfer ermöglichen würden.

Erweiterung der Opferentschädigungsrechte

Opfer von Menschenhandel in Deutschland, gegen die Gewalt bereits im Herkunftsland ausgeübt worden ist, haben derzeit keinen Anspruch auf Opferentschädigung. Staatliche Rehabilitationsleistungen sollten daher im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes auf alle Opfer von Menschenhandel erweitert werden. Weiterhin wollen wir, dass die arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche von Opfern von Menschenhandel an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis von anerkannten Verbänden gerichtlich geltend gemacht werden können. Somit wäre auch die Forderung aus der EU-Menschenhandelsrichtlinie, wirksame Verfahren zur Durchsetzung der ausstehenden Lohnzahlungen für Opfer von Menschenhandel zu ermöglichen, erfüllt.

Opferschutzprogramme

Die Opferschutzprogramme sollen auf die Bedürfnisse der Betroffenen und ggf. ihrer Familienmitglieder zugeschnitten werden, damit sie auch durch diese unterstützende Maßnahmen die berechtigte Zurückhaltung verlieren, gegen die Täter_innen auszusagen.

Rechtliche Maßnahmen und Kontrollen

Sowohl im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der Arbeitsausbeutung als auch zum Zweck der sexuellen Ausbeutung müssen die staatlichen Kontrollbehörden mit zusätzlichem Personal und Sachmitteln ausgestattet werden. Im Bereich der Arbeitsausbeutung spielt vor allem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit eine wichtige Rolle, während im Bereich der sexuellen Ausbeutung Kontrolltätigkeiten der Polizei verstärkt werden müssen. Wir wollen ein Prostitutionsstättengesetz vorlegen, das Prostitutionsstätten als Gewerbebetrieb reguliert und somit Kontrollmöglichkeiten für Behörden verbessert.

Im Zusammenhang mit Menschenhandel soll außerdem nachgeprüft werden, inwieweit aus der aktuellen Fassung des Tatbestandes Strafbarkeitslücken entstehen. Auch die gesetzliche Beseitigung der Grauzone zwischen legaler Beschäftigung und Arbeitsausbeutung wäre notwendig.

Datenlage verbessern

Wir machen uns stark für die Erstellung von Studien von Dunkelziffern, damit das Ausmaß von Menschenhandel klarer werden kann. Es ist aber auch Forschung auf der Nachfrageseite notwendig. Diese Informationen würden einen Beitrag dazu leisten, gezielte Maßnahmen gegen Menschenhandel zu treffen. Es ist außerdem überfällig, die durch EU-Menschenhandelsrichtlinie erforderliche Berichterstatterstelle gegen Menschenhandel einzurichten, die Empfehlungen für Politik, Exekutive, Zivilgesellschaft und Wirtschaft formuliert und für grenzübergreifende Kooperation im Kampf gegen Menschenhandel zuständig ist.

Stärkung der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und Beratungsstellen

Wir wollen die aufsuchende Sozialarbeit sowie Beratungsstellen personell und finanziell stärken. Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften gelingt es oft leichter als offiziellen Behördenvertreter_innen, Kontakt zu in Abhängigkeit stehenden Personen aufzunehmen und diese, oft auch in der Muttersprache der Opfer, auf ihre Rechte sowie Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen.

Nicht mit Scheinlösungen das Problem verdecken

Menschenhandel ist ein europaweites Problem. Die kriminellen Netzwerke agieren grenzübergreifend, also bedarf es auch Lösungen, die die internationale Zusammenarbeit stärken. Es ist deshalb unverantwortlich den Opfern des Menschenhandels gegenüber, die Umsetzung der EU-Menschenhandelsrichtlinie in Deutschland weiterhin zu verzögern. Es ist vor allem unverständlich und unerhört, dass dies nicht schon längst passiert ist. Die prekäre Lage der Opfer ist in aller Munde, doch es geschieht immer noch nichts, obwohl die zu ergreifenden Maßnahmen klar und umsetzbar sind.

Den in der Öffentlichkeit in Bezug auf Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oft diskutierten Lösungen der generellen Freierbestrafung sowie der Anhebung des Mindestalters für Prostitution auf 21 Jahre stehen wir kritisch gegenüber. Wir sind der Meinung, dass diese Maßnahmen das Problem des Menschenhandels in Deutschland nur verdrängen und verdecken, jedoch nicht direkt angreifen würden. Die Maßnahmen stellen keine unmittelbare Stärkung der Rechte für Opfer dar. Vielmehr wären sie dadurch für die Behörden und Opferschutzprogramme noch schwieriger zu erreichen.

Natürlich sollen Freier, die wissentlich oder sogar absichtlich sexuelle Dienstleistungen von Opfern von Menschenhandel in Anspruch nehmen und damit deren hilflose Lage ausnutzen, im Einklang mit Artikel 18 der EU-Menschenhandelsrichtlinie bestraft werden. Erfahrungen aus den bisherigen Ermittlungsverfahren haben allerdings gezeigt, dass Freier auch eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung und Strafverfolgung von Menschenhandel spielen können. Würde ihnen selbst Strafverfolgung drohen, würde sie dies von der Kooperation mit den Behörden abhalten.

Eine Anhebung des Mindestalters für Prostituierte auf 21 Jahre ist verfassungsrechtlich bedenklich. Bürger_innen sind ab dem Alter von 18 Jahren volljährig und dürfen selbstbestimmt und geschäftsfähig über ihre Lebensweise entscheiden: In § 232 Abs. 1 StGB zum Menschenhandel ist bereits geregelt, dass, wer eine Person unter 21 Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu dort bezeichneten sexuellen Handlungen bringt, bestraft wird. Mit einer Altersgrenze von 21 Jahren würde eine ganze Gruppe jüngerer Prostituierter in die Illegalität gedrängt. Die Forderung nach der Anhebung des Mindestaltes wird aber auch als Maßnahme gegen die „steigende Nachfrage nach immer jüngeren Frauen“ erwähnt. Es liegen allerdings keine Studien vor, aus denen diese steigende Nachfrage hervorgehen würde (siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Weiterentwicklung des Prostitutionsgesetzes“ – Bundestagsdrucksache 18/1705).

Dass auch in zahlreichen anderen Branchen in Deutschland Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen, ohne Arbeitsschutz, geregelte Arbeitszeiten oder Sozialversicherung arbeiten, muss in der Auseinandersetzung mit dem Menschenhandel in Deutschland noch stärker berücksichtigt werden. Wo fängt im Bereich des Niedriglohnsektors die Arbeitsausbeutung überhaupt an? Auch diese Frage muss endlich öffentlich diskutiert werden.