Plötzlich hatten wir eine afrodeutsche Geschichte: Die Rolle der Schwestern Diek

Hintergrund

Seit mehr als 400 Jahren leben Schwarze Menschen in Deutschland, trotzdem sind ihre Geschichten und Schicksale weitestgehend unerforscht. Mandenga Diek kam 1891 aus Kamerun nach Deutschland und erhielt als erster Afrikaner die deutsche Staatbürgerschaft. Historikerin Katharina Oguntoye gibt einen seltenen Einblick in die Geschichte einer afrodeutschen Familie, die nicht nur die Kaiserzeit und den Nationalsozialismus überdauerte, sondern noch heute in fünfter Generation in Deutschland lebt. 

Mandenga Diek Familie am Kaffeetisch
Teaser Bild Untertitel
Die Familie Diek am Kaffeetisch, 1920er Jahre

Unser Vater kam aus Kamerun, unsere Mutter war Ostpreußin, so definierten die Schwestern Erika und Doris Diek ihre Herkunft. Sie wurden in den 1920er Jahren in Danzig, zu dieser Zeit freie deutsche Hansestadt, geboren und wuchsen dort auf. Den Rest ihres Lebens lebten sie in Berlin-Schöneberg. Im Februar 2023 werden sie und ihre Familien in einer Sonderausstellung des Museums Schöneberg geehrt.

1984-1986 arbeiteten May Ayim, ich und der Orlanda Verlag an dem Buchprojekt „Farbe bekennen“. Mit der Unterstützung von Audre Lorde hatten wir uns vorgenommen, die Lebenswirklichkeit von Schwarzen Menschen in Deutschland darzustellen. May und ich waren Anfang Zwanzig und wir wollten herausfinden, wie Schwarze Menschen vor uns gelebt haben, die in Deutschland zuhause waren. Wir fanden afrodeutsche Frauen in unserem Alter und in ihren Vierzigern. Sie hatten afrikanische Väter oder Väter mit afro-amerikanischen Wurzeln. Eine von ihnen war Astrid Berger, die uns ihren Nenn-‚Tanten‘ vorstellte. Sie waren ein Teil ihrer Kindheit gewesen, da deren Vater, Mandenga Diek, wie auch Astrids Vater, Kala Kinger, noch vor dem Krieg aus Afrika gekommen waren.

Ein Glücksfall für die afrodeutsche Gemeinschaft

Die Begegnung mit den Schwestern Diek war ein großer Glücksfall für die afrodeutsche Gemeinschaft, da sie nicht nur sehr viele Informationen und Fotographien zu ihrer Familiengeschichte hatten, sondern auch über eine sehr lebendige mündliche Tradierung verfügten. Es ist wichtig zu wissen, dass nicht alle Zeitzeug*innen sprechen können oder wollen. Umso dankbarer waren wir für die Offenheit und Bereitwilligkeit, mit der Erika Ngambi und Doris Reiprich (verheiratete Namen der Schwestern Diek) bereit waren, mit uns zu sprechen. Die beiden Schwestern und Doris‘ Ehemann Herbert Reiprich nahmen uns in den folgenden Jahren sozusagen in ihre Familien auf und berichteten uns von ihrer Kindheit in der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus sowie ihrem Leben nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1990er Jahre.

Dies war ein Riesengeschenk, denn plötzlich hatten wir eine afrodeutsche Geschichte. Zuvor wussten wir nicht, ob Schwarze Menschen in der NS-Zeit in Deutschland lebten und wenn ja, ob und wie sie überlebt haben und wie die Verfolgung aussah. Erika und Doris gaben uns hier die ersten Zeitzeug*innenberichte und eröffneten Wege zur weiteren Erforschung afrodeutscher Geschichte. 

Auch Erikas Tochter Beryl Adomako und ihre Enkelin Abenaa Adomako ließen sich für das Buch „Farbe bekennen“ interviewen, so konnte die Geschichte einer afrikanisch-deutschen Familie über vier Generationen in Deutschland dargestellt werden. Mittlerweile sind die Enkelkinder der Schwestern Diek, Abenaa Adomako und Roy Adomako, erwachsen und haben selbst Kinder. Sie bilden die fünfte Generation. 

Der Vater der Schwestern Diek, Mandenga Diek, war in der deutschen Kolonialzeit aus Kamerun nach Deutschland gekommen. Als Zwanzigjähriger kam er 1891 in einer Gruppe mit anderen Afrikanern, darunter auch sein Bruder Anjo Diek, aus Kamerun zur Ausbildung nach Deutschland. Die genauen Umstände sind nicht bekannt. Erst aus dem Jahr 1897 erfahren wir mehr über den weiteren Verlauf seines Lebens. 

Einbürgerung Schwarzer Menschen bis zur NS-Zeit 

In der Naturalisationsakte (Einbürgerungsakte) im Staatsarchiv Hamburg fanden sich Dokumente zu seinem Werdegang und seine Einbürgerungsurkunde zum hamburgischen Staatsangehörigen und deutschen Reichsangehörigen von 1897. Dies entsprach einer vollen deutschen Staatsbürgerschaft, was nur für wenige Afrikaner*innen bis in die 1930er Jahre nachweisbar ist. Zwar ist bekannt, dass es etwa ein Dutzend solcher Einbürgerungen gegeben hat, doch bis heute ist es die einzige Urkunde dieser Art, die uns vorliegt. Aus der Akte erfahren wir, dass Mandenga Diek eine Schusterlehre mit einer Gesellenprüfung abgeschlossen hat und hierfür eine Auszeichnung für den zweiten Platz erhielt. Er war zu dieser Zeit, während des Einbürgerungsverfahrens, in fester Anstellung als Handelsreisender mit gutem Einkommen. Ihm wurde ein guter Ruf bescheinigt und die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes in Deutschland festgestellt. Er hatte die Einbürgerung beantragt, da er eine Hamburgerin ehelichen wollte. Es ist eine kleine Sensation, dass ihm dies auch gewährt wurde. Denn in allen ähnlichen Fällen wurden die Einbürgerungsanträge der Afrikaner*innen abgelehnt. 

Nach dem Reichsgesetz von 1900 waren nur deutsche Reichsbürger mit vollen Bürgerrechten ausgestattet. Die Bürger*innen der deutschen Staaten waren als Reichsbürger*innen anerkannt, diejenigen des Elsass und der überseeischen Kolonialgebiete waren nur mittelbar dem deutschen Reich zugehörig und somit deutsche Untertanen, aber nicht volle deutsche Bürger*innen mit allen Rechten und Pflichten. Sie konnten auf Antrag eingebürgert werden, hatten aber keinen Rechtsanspruch darauf. Dies erzeugte für die Afrikaner*innen in Deutschland eine prekäre Lage. So hatten sie keinen Anspruch auf Aufnahme in die Sozialversicherungen, auf Arbeitslosengeld oder auf die Gewährung von Ausweis- und Reisedokumenten.

In ihren Ausweisdokumenten stand etwa „Angehöriger des deutschen Schutzgebiets Togo“ (Deutsch Südwestafrika/DSWA, Deutsch Ostafrika/DOA, Kamerun oder andere). Diese Papiere wurden auch nach dem Ende der deutschen Kolonien 1919 weitergeführt. Jetzt hieß es darin: Angehöriger des ehemaligen deutschen Schutzgebiets … (Name der ehemaligen Kolonie). Nach 1933 wurden diese Dokumente von der NS-Regierung eingezogen und durch Fremdenpässe ersetzt. Ebenso erging es den Afrikaner*innen, die volleingebürgerte Reichsdeutsche waren, auch ihre Ausweise wurden eingezogen. Über Nacht waren sie ausgebürgert worden. Den Eltern der Familie Diek wurden die deutschen Ausweispapiere entzogen, auch der weißen deutschen Ehefrau, denn Ehefrauen wurden gesetzlich nach ihren Ehemännern eingeordnet. Emilie Diek, geborene Wedelinski, verlor ihre deutsche Staatsangehörigkeit und konnte diese bis zu ihrem Tod 1960 nicht wiedererlangen.

Gutbürgerlich und kaisertreu 

Die Schwestern Diek berichteten davon, wie integriert und angesehen ihr Vater gewesen war. Mandenga Diek lebte in Danzig und war in zweiter Ehe mit Emilie Wedelinski aus Ostpreußen verheiratet. Er hatte ein gutes Einkommen und sah sich als gutbürgerlich und kaisertreu. In den Fotos ist ein gut gekleideter Herr mittleren Alters mit seinen Töchtern zu sehen. Erika und Doris Diek erzählten, dass er in der Freiwilligen Feuerwehr und anderen Vereinen in Danzig engagiert war. In Danzig war Mandenga Diek stadtbekannt. Er war geachtet und sie nannten ihn ‚unseren alten Afrikaner‘.

Mandenga Diek und seine Töchter
Mandenga Diek und seine Töchter

Emilie Wedelinski hatte er auf einem privaten Treffen bei Freunden kennen-gelernt. Nach längerer Werbezeit konnte er sie für sich gewinnen. Ihre Familie war einverstanden, bis auf ihre Mutter, die nicht zur Hochzeit kam. Aber als das erste Enkelkind geboren wurde, erhielt sie ein Foto, auf dem der große Zeh eingeknickt war. Da kam die besorgte Großmutter gleich angereist und wollte sich überzeugen, dass die Kleine auch ganz gesund war. Nun lernte sie ihren afrikanischen Schwiegersohn kennen. Es wurde eine innige Freundschaft zwischen den beiden. Sie wurden ‚ein Herz und eine Seele‘ und die Großmutter lebte bis zu ihrem Lebensende, nach dem Krieg, bei der Familie.

Oft hatte die Familie viele Afrikaner zu Besuch, die auf Handelsschiffen in die Stadt Danzig kamen. Dann wurde nach afrikanischer Art gekocht und die Landsleute, wie sie sich gegenseitig nannten, waren gut miteinander vernetzt.

Mandenga Diek und die afrikanische Gemeinschaft   

Mandenga Diek war auch in der afrikanischen Gemeinschaft engagiert. So war er Mitglied in dem ersten afrikanischen Verein, von dem wir wissen, dem Afrikanischen Hilfsverein. Hier gibt es eine Mitgliederliste und einige Protokolle. Es war ein Zusammenschluss zur gegenseitigen Unterstützung. Mandenga Diek ist auch einer von etwa 20 Unterzeichnern einer Petition zur Anerkennung der Rechte der Afrikaner*innen in den deutschen Kolonien, verfasst 1919 von Martin Dibobe. Der Kameruner Martin Dibobe war 1896 zur Gewerbeausstellung nach Berlin gekommen und hat sich bis zum Zugführer bei der Berliner Hoch- und Untergrundbahn hochgearbeitet. Die Afrikaner*innen hatten sich nach der Errichtung der Weimarer Republik nach dem Ende des ersten Weltkrieges einen demokratischeren Umgang mit den deutschen Kolonien erhofft.

So erarbeiteten sie eine Eingabe an den neu konstituierten deutschen Reichstag, in der sie für die in Deutschland lebenden Afrikaner*innen und die Menschen in den afrikanischen Kolonien Rechte und Anerkennung einforderten. Einige Afrikaner*innen engagierten sich bereits in den 1920er Jahren in der kommunistischen und der sozialistischen Bewegung. Eine deutsche Sektion der internationalen Organisation „Liga zur Verteidigung der Schwarzen Menschenrechte“, heute Liga für Menschenrechte, wurde in Hamburg gegründet. Martin Dibobe und Joseph Bilé waren hier aktiv. Auf ihre Eingabe erhielten sie leider keinerlei Reaktion und es war klar, dass auch weiterhin die Stimmen der Afrikaner*innen nicht ernst genommen und nicht gehört werden würden.

Beginn der Nazi-Diktatur

Leider wurde die unbeschwerte Kindheit der Schwestern Diek mit dem Aufstieg der Nazi-Diktatur jäh unterbrochen. Es dauerte zwar noch einige Jahre, bis die Nazi-Ideologie und -Gesetzgebung in der freien Hansestadt Danzig zu greifen begann, doch mit der Einführung der NS-Gesetzgebung, nach der Eingliederung Danzigs ins Reich, wurden die Lebensumstände für die Familie immer schwieriger.
 
Während die ältere Schwester von der Schule abgehen musste und sich dann entschied, einen älteren Afrikaner, Louis Mpessa Brody, zu heiraten, ging Doris noch einige Jahre zur Schule. Das war eine schlimme Zeit. Doris sagte: „…ich hatte noch lange Albträume, bis ich nach Jahren die abgebrannte Schule gesehen habe.“ Die Freund*innen und Mitschüler*innen durften nicht mehr mit ihr spielen oder Umgang haben. Am schlimmsten waren die ideologisch verblendeten Lehrkräfte, die sie während des Unterrichts beschimpften und sogar in den Pausen bedrängten. So drückte sie sich aus Angst und weil sie nicht bei den anderen stehen konnte in eine Ecke neben den Mülltonnen, um ihr Pausenbrot zu essen. Da kam eine der Nazi-Lehrer*innen und sagte, es sei ja typisch, dass so eine wie sie beim Müll esse. 

Ein anderes Mal wollte die Mutter sie für einen Schulausflug zu einer Parade am Hafen befreien lassen, aber die Lehrerin bestand auf die Teilnahme. Dann aber, am anderen Ende der Stadt, wurde sie alleine wieder heimgeschickt, weil es Beschwerden gab. Es hieß, sie als Schwarze dürfe nicht hinter der deutschen Fahne laufen. Das Kind war sehr verschreckt und kam weinend nach Hause.

Ihre Schwester Erika wollte in Berlin eine Lehre in einem Fotogeschäft absolvieren. Ihr Chef war sehr nett und beschäftigte sie gerne. Auch mit der Kundschaft ging es zuerst meistens gut, bis ein Nazi-Funktionär in den Laden kam und sich auf das heftigste beschwerte, dass eine Schwarze ihn bedienen wollte. Daraufhin musste ihr Chef sie entlassen, was ihm sehr leid tat. Erika war mit Louis Brody verheiratet, der bei der UFA eine Art Filmstar war. Er hatte die Leadrollen, wenn afrikanische Statisten eingesetzt wurden und von den über hundert Filmen, in denen er mitwirkte, waren drei Haupt- und Sprechrollen. Mit seinen Gagen kamen sie ganz gut durch die Zeit und 1939 wurde ihre Tochter Beryl Mpesa geboren, später verheiratete Adomako. 

Gleich zu Beginn der NS-Zeit verlor Mandega Diek seine Stelle als Handelskaufmann. Auch wenn der SS-Mann, der seine Kunden übernahm, ihm zunächst noch die Provisionen zukommen ließ, wurde das Geld immer knapper. Bald konnten sie ihre schöne große Wohnung nicht mehr halten. Eine neue zu finden war sehr schwer. Frau Diek musste allein zu den Besichtigungen gehen, da niemand mehr an einen Afrikaner vermieten wollte. Sie wohnten dann sehr beengt. Sie hatten auch nur die Lebensmittelkarten für Frau Diek und da die Afrikaner  keine erhielten, wurde es immer schwerer die Familie zu versorgen. 

Mandenga Diek wurde irgendwann auf das Bürgermeisteramt einberufen und ihm wurde vorgeschlagen, er dürfe nach Kamerun ausreisen, wenn er bereit wäre, für das Regime zu werben. Er lehnte empört ab und sagte: „Wie stellen Sie sich das vor. Ich kann nicht für ein Land werben, das meine Hautfarbe ablehnt.“ Die Reaktion der Nazi-Beamten muss so heftig gewesen sein, dass er auf dem Heimweg einen Kollaps erlitt. Die Nachbarn dachten, der Zusammenbruch wäre dem Mangel an Nahrungsmitteln geschuldet und viele legten ihnen heimlich Lebensmittel an die Tür.

Zwangsarbeit und Zwangssterilisation

Mit Wendigkeit und großen Anstrengungen war es den Dieks möglich sich durchzuschlagen. Eines Tages war Doris mit ihren Arbeitskolleg*innen auf dem Heimweg von der Arbeit, da wurden sie von SS-Leuten in Uniform angehalten und überprüft. Wegen der SS-Metallplakette um ihren Hals und ihrer Brutalität wurden sie Kettenhunde genannt. Sie verschleppten Doris direkt dort auf der Straße in ein Zwangsarbeiterkommando am Hafen. Dort musste Doris drei Wochen ohne richtige Kleidung im nasskalten Winterwetter schwerste Zwangsarbeit verrichten. Ihre Mutter konnte sie erst nach Wochen frei bekommen. Die Kollegen hatten sie über die Verschleppung informieren können, aber zunächst wussten sie nicht, wo Doris genau war. Von der Zwangsarbeit und der folgenden Nierenentzündung trug sie einen dauernden Nierenschaden davon.

Ein andermal wurde Doris Diek von zwei Polizisten zuhause abgeholt und sollte zwangssterilisiert werden. Sie weinte die ganze Autofahrt lang. Dem einen Polizist, der ihren Vater kannte, tat es sehr leid und er versuchte, sie zu trösten. Als sie in der Arztpraxis ankamen, ließ er sie alleine im Wartezimmer sitzen und die Türe offen angelehnt. Da reagierte Doris geistesgegenwärtig und lief davon. Nach dem Krieg hatte sie zwei Kinder und war sehr glücklich darüber, dass sie der Sterilisation entkommen war. Ihre Kinder hatten am Anfang blonde Locken und sie dachte bei sich, da sind die blonden Kinder, aber nicht für dich (Hitler).

Verfolgung durch den NS-Staat und Flucht nach Westen

Aufgrund der Rassengesetze von 1936 war es nicht-arischen Kindern und Jugendlichen verboten, eine höhere Schule zu besuchen oder Beziehungen mit sogenannten arischen Personen einzugehen.

Die Familie Boholle waren gute Freunde der Dieks. Vater Joseph Boholle war in den 1930er Jahren bereits ein älterer Mann. Der Kameruner hatte sein halbes Leben in Deutschland verbracht und als er und seine Ehefrau aufgefordert wurden, sich zu trennen, zogen sie es vor, ins KZ zu gehen. Wegen ihres hohen Alters hatten sie kaum eine Überlebenschance. Beide kamen nicht mehr zurück. Ihre Tochter Josepha Boholle lebte auch in Danzig. Sie war mit dem Holländer Cornelius van der Wandt zusammen. Sie konnten nun nicht mehr heiraten, aber als sie ein Kind bekamen, wurde ihre Beziehung nach außen sichtbar. Beide wurden verhaftet und aus ihrer Wohnung verschleppt. Er kam in Zwangsarbeit und sie wurde ins Gefängnis gesperrt.

Der Krieg ging langsam zu Ende. Sie konnten nicht in Danzig bleiben und so machten sich Doris und ihre Mutter, der Vater war schon verstorben, alleine auf den Weg nach Westen. Sie wollten nach Berlin, da ja die Schwester Erika mit ihrem Mann dort lebte. Es war eine lange, beschwerliche und auch gefährliche Reise. Einmal wurden sie von russischen Soldaten aufgehalten. Glücklicherweise wollten sie Doris nichts tun, da sie sie als Verfolgte des Nazi-Regimes sahen. Doch sie wollten nicht glauben, dass Emilie ihre Mutter war und drohten, sie zu töten. Da fiel Doris das Familienbild ein, auf dem sie zu viert am Kaffeetisch sitzen, die Eltern Diek und die Töchter. Dann glaubten sie ihr und so rettete dieses Foto das Leben ihrer Mutter. 

Katharina Oguntoye

Katharina Oguntoye ist eine afrodeutsche Schriftstellerin, Historikerin, Aktivistin und Unternehmerin. Bekanntheit erlangte sie durch die Mitherausgabe des Buches "Farbe bekennen" mit May Ayim (damals May Opitz) und dem Orlando Verlag. In den 1990er Jahren hat sie viele Aspekte der Familientradierung durch ihre historische Recherche verifizieren und durch Archivfunde belegen können. 1997 erschien diese Recherche mit dem Titel „Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenserfahrung von Afrikanern in Deutschland von 1884 bis 1950. Neuauflage 2022 „Schwarze Wurzeln. Afro-deutsche Familien.“


Die Rolle der Schwestern Diek für die afrodeutsche Community

Als wir den Schwestern Diek Mitte der 1980er begegneten, waren sie zwei lebensbejahende Personen, die uns, gemeinsam mit Doris Ehemann Herbert Reiprich, ein ganz wunderbares Geschenk machten. Die Geschichte der Schwarzen Deutschen wurde erstmals sichtbar. Das war ein ganz wichtiger Beitrag für das Buch ‚Farbe bekennen‘.

‚Farbe bekennen‘ wurde so etwas wie das Startsignal für die aktuelle Schwarze Community in Deutschland und ist auch heute, über 30 Jahre später, noch aktuell. Natürlich gab es auch vorher einzelne Aktivitäten und Organisationen von Schwarzen Menschen, Afrikanern und Afrikanerinnen in Deutschland. Jetzt war aber die Zeit gekommen, dass es eine kritische Masse von jungen Menschen im Alter von 15 – 25 Jahren gab, die sich nach ihrem Ort in einer Heimat fragten, die sie oft nicht sehen wollte oder sie sogar ablehnte. So fand im Dezember 1987 das erste afrodeutsche Bundestreffen in Berlin statt. Es gründeten sich die ISD – Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland und viele weitere Schwarze Selbstorganisationen sollten folgen.

Das Dossier wird vieles davon ausführlich besprechen und auf eine spannende Gegenwart und Zukunft verweisen. Der obenstehende Text zur Familie Diek wollte an die aufregenden Anfänge unserer modernen Bewegung erinnern und in Dankbarkeit den Schwestern Erika und Doris Diek gedenken und ihres unschätzbar wertvollen Beitrags zu unserer Geschichte und Community.    

 


Dieser Beitrag ist Teil eines bald erscheinenden Dossiers zum Thema Schwarze Community in Deutschland, das von Mehret Haile-Mariam kuratiert wird.