Diversity ist gut für den Standort Deutschland

Deutschland hat es schwer: Während die Nation weiter an ihrer Wiedervereinigung arbeitet, ist auch nach Jahren der Rezession noch keine eindeutige Besserung der wirtschaftlichen Situation absehbar. Ängste machen sich breit und breiter. Zu den reflexartigen Reaktionen gehört das Sich-Einigeln und das Sich-Besinnen auf Altbewährtes. In derart schlechten Zeiten, bei knappen Kassen und geringen Geburtenraten stehen traditionelle Familien mit Kindern hoch im Kurs. Gleichzeitig entsteht für Globalisierung, Zuwanderung und Individualität ein ungünstiges Umfeld, unter anderem aufgrund der Angst vor dem sozialen Abstieg.

Für die Wirtschaft stellt sich die Frage, ob mono-kulturelle gesellschaftliche Entwicklungen eine ökonomische Erholung begünstigen oder hemmen. Internationale Investoren und Fachkräfte erwägen in diesem Zusammenhang, ob sie in Deutschland tätig werden wollen. In diesem Umfeld stellt sich für ArbeitgeberInnen die Frage, ob sie politische Themen und kulturelle Trends aufgreifen und sich zu eigen machen wollen, um so eigene Akzente zu setzen und gesellschaftliche Entwicklungen mitzugestalten.

Der häufige Unternehmensfokus auf Familienfreundlichkeit legt nahe, dass das Gros der Wirtschaft demvermeintlichen Reproduktionstrend folgt, ohne bei seiner Umset zung auf eine breite, ganzheitliche Berücksichtigung aller potenziell Beteiligten zu achten. Konkret gefragt: Warum kommen immer mehr Family-Produkte auf den Markt, während die Zahl der Familien sinkt?

Marketing-Spezialisten sowie andere Meinungsführer der Wirtschaft, der Politik und der Medien beziehen sich allzu leicht, allzu oft und allzueinseitig darauf, man müsse die Gegebenheiten in der Gesellschaft berücksichtigen, dürfe die Menschen nicht überfordern, hätte den Markt zu nehmen, wie er ist. Zwei Aspekte sind hier nachzutragen: Wer entscheidet,welche Gegebenheiten tatsächlich berücksichtigt werden und welche als „nicht relevant“ ausgeblendet werden? Und: Woher erhält eine Gesellschaft ihre Impulse für eine Weiterentwicklung, wenn nicht von der Politik, der Wirtschaft und den Medien?

Gerade wegen der wenig günstigen Wirtschaftslage und künftiger Herausforderungen wie demographischer Wandel, Globalisierung und technischer Fortschritt müsste den ManagerInnen von und in Deutschland daran gelegen sein, ihren Standort international gut zu positionieren. Hierzu empfiehlt eine aktuelle Studie („Deutschland – ein Perspektivenwechsel“ von BCG) höflich „fundamentale Stärken zukunftsorientiert weiter zu entwickeln“ und fordert dazu einen „emotionalen Turnaround“. Dies bedeutet zum einen ,traditionelle Tugenden wie Qualität, Fleiß, Effizienz und Präzision neu zu interpretieren, so dass sie auch in Zukunft Mehrwerte bieten. Es bedeutet zum anderen, neue Werte wie Aufgeschlossenheit und Respekt, Neugier und Innovationslust sowie Kompetenzen wie Einbeziehung und Integrationsvermögen auszubauen.

Bislang hat es Deutschland versäumt, historische Schwächen in Bezug auf kulturelle Offenheit auszugleichen und es fehlt die Fähigkeit, Gewohntes kritisch zu hinterfragen. Leider sind schon etliche Unternehmen ihrer Unflexibilität und ihrem alleinigen Vertrauen auf ‚gute deutsche Wertarbeit’ zum Opfer gefallen.

Zum emotionalen Turnaround sollte auch gehören, ein modernes und offenes Bewusstsein für „Deutsch-Sein“ zu etablieren, das als Grundlage für eine gesunde Gesellschaft dient, in der ethnisch-kulturelle Gruppen positiv integriert sind. Eine gemeinsame nationale Identität kann als verbindendes gesellschaftliches Element dienen, wie das Beispiel Großbritannien belegt: Der Studie „Morgan Stanley Great Britons“ zufolge fühlen sich Angehörige ethnischer Minderheiten in Großbritannien sogar „britischer“ als die Britten selbst. „Britishness“ wird von den Befragten mit Migrationshintergrund dabei mit gemeinsam geteilten Begriffen Motivation, Fleiß, Kreativität und Respekt beschrieben. Angesichts der deutschen Debatte um Leitkultur versus Parallelgesellschaften und der zögerlichen Haltung gegenüber Zuwanderung scheint Deutschland vonderart hoher Identifikation weit entfernt zu sein. Positive Effekte könnte unser Land für Deutsche mit undohne Migrationshintergrund dennoch gut gebrauchen.

Es ist Sache aller Beteiligten, auch der Wirtschaft, in dieser Hinsicht neue Schwerpunkte zu setzen, um dieWettbewerbsfähigkeit, Anerkennung und Einbindung Deutschlands langfristig weltweit zu sichern. Deutsche und internationale Unternehmen haben langjährige Erfahrungen im Umgang mit und in der Nutzung von Unterschiedlichkeiten.

Unternehmen müssen deutlicher als Vorbild für Staat und Gesellschaft dienen und sozio-politische Entwicklungen fördern. Als Beispiel mögen die Anzeigen der Deutschen Bank dienen, die Ende 2004 in großen Printmedien für Vielfalt und Offenheit warben. Die politische Führung und die MedienmacherInnen Deutschlands können von ManagerInnen lernen, wie eine respektvolle Kultur entsteht und wertschätzendes Verhalten gefördert werden kann. Die Kampagne „Du bist Deutschland“ ist ein Beispiel für das Engagement von Unternehmen, das in Richtung Leistungsbereitschaft und Offenheit zielt. Diesem Beispiel sollten weitere folgen.

 

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Michael Stuber ist Gründer der Diversity Consulting "ungleich besser mi.st" (www.ungleich-besser.de)