Engagiert, selbstbewusst, stark - Muslimische Fraueninitiativen

 

von Betül Yilmaz

Wenn Halime Cengiz, Leiterin der Frauen- und Mädchenabteilung der Mevlana-Moschee in Bremen, Tagesausflüge für Frauen ihrer Gemeinde organisiert, wird sie nicht müde den Frauen gegenüber zu betonen, dass es sich um eine Bildungs- und keine Shoppingfahrt handelt. „Sonst müsste ich die Frauen wieder einsammeln, weil sie sich nicht an den Ablaufplan halten würden.“, sagt sie. 2001 organisierte sie den ersten Ausflug nach Berlin, nachdem sie selbst begeistert von einer Reise mit anderen Migrantinnen aus Rom zurückkam. Nach Berlin waren in den nächsten Jahren die Ausflugsziele u.a. Köln und Hannover, Amsterdam und in diesem Frühling Rotterdam.   Die Frauen zwischen 30 und 65 Jahren freuen sich jedes Mal. Sie singen im Bus, schalten ab, sind unter sich - fern von Kindern und Ehemännern und lernen viel Neues kennen. Einige von ihnen waren noch nie außerhalb Bremens, und wieder andere waren noch nie in ihrem Leben in einem Restaurant. Ihren Ehemännern muss diese Begeisterung nicht entgangen sein, denn sie haben Halime Cengiz gefragt, ob sie nicht auch für die Männer eine Reise organisieren könne. „Das können sie ruhig selber machen.“, meint sie. Für das Jahr 2008 plant sie eine Reise für Christen und Muslime nach Istanbul - diesmal aber für Frauen und Männer.

Engagierte muslimische Frauen gibt es viele –  ob mit oder ohne Kopftuch. In der Öffentlichkeit wird ihre Arbeit aber selten als ein positiver Beitrag wahrgenommen. Vor allem kleinere Initiativen und Projekte finden kaum öffentliche Aufmerksamkeit.

Im Februar diesen Jahres saßen sich rund 25 muslimische Frauen an einem großen Konferenztisch in Hannover gegenüber – mit Erwartungen, Hoffnungen und Forderungen.  Erwartungen an die Gesellschaft ihr Engagement an zuerkennen, Hoffnungen an die anderen Frauen, dass dieses Treffen keine Eintagsfliege sein möge und Forderungen an die Politik ihre Arbeit zu unterstützen. Initiiert wurde die Tagung von der Muslimischen Akademie mit Unterstützung des Bundesfrauenministeriums. Besonders an diesem Treffen war, dass engagierte Frauen mit unterschiedlichen Biographien aus ganz Deutschland zusammen kamen:  Sunnitische, schiitische und alevitische Frauen, säkulare und religiöse, von großen Verbänden und kleinen Frauenvereinen, aus Medien und Politik.

Engagement gegen Gewalt an Frauen und Zwangsehen

Besonders am Herzen liegt den Teilnehmerinnen die Seelsorge. Sie äußerten den Wunsch nach mehr Unterstützung von Behörden, um Frauen in Krisensituationen besser und effektiver helfen zu können. Das ZIF (Zentrum für islamische Frauenforschung und -förderung) in Köln und Huda e.V. in Hannover haben einen Bedarf nach Sorgentelefonen für muslimische Frauen gesehen. Manche betroffene Frauen meinen, dass ihre Lebensumstände und die Traditionen mit denen sie zu kämpfen haben, von nicht-muslimischen Einrichtungen nicht verstanden werden, berichtet Hamideh Mohagheghi. Sie ist Theologin und zuständig für das Sorgentelefon von Huda e.V.

Oft herrscht unter den Frauen große Unsicherheit bei religiösen Fragen und traditionellen Ansichten, wie z.B. bei der Auffassung, dass die Ehefrau dem Mann gegenüber absoluten Gehorsam zeigen muss. Die Beraterinnen beider Vereine ermutigen die Frauen dazu, ihre Religion selbstständig zu erforschen. Über die telefonische Beratung hinaus können sie meist jedoch aus Kapazitäts- und Finanzgründen nicht viel weiter helfen. Wesentlich handlungsorientierter ist der Berliner Hilfsverein Hatun und Can e.V., der nach Hatun Sürücü, die 2005 von ihrem jüngeren Bruder ermordet wurde, und ihrem Sohn Can benannt worden ist. Die zumeist türkischstämmigen Frauen leisten anonym Soforthilfe für Frauen, die Opfer von gewalttätigen Männern oder Zwangsehen sind, indem sie ihnen z.B. schnellstmöglich Geld für eine Unterkunft zukommen lassen. Der Frauenausschuss der Schura Hamburg hat in einem öffentlichen Brief Gewalt an Frauen, sowie Zwangsehe und Ehrenmord verurteilt. Die insgesamt acht Schura-Frauen stehen regelmäßig auf Podiumsveranstaltungen Rede und Antwort zu Themen wie „Frauen im Islam“ oder „Islamischer Feminismus“.

Hilfe zur Selbsthilfe

Auch Frauen mit schlimmen Erlebnissen und schwierigen Lebensumständen schaffen es immer wieder, sich aufzurappeln und gesellschaftlich aktiv zu werden. Dies gilt vor allem für Flüchtlingsfrauen aus Kriegsgebieten. 1998 gründeten bosnische Frauen in Berlin den Verein Srebrenica e.V. für traumatisierte Frauen aus Bosnien. Neben psychotherapeutischen Angeboten war es den Frauen ein wichtiges Anliegen, sich selbst zu vertreten und ihre Interessen zu formulieren. Eine Gruppe tschetschenischer Mütter wiederum organisiert zurzeit ein Gastelternprojekt für Kinder aus Tschetschenien, damit sie sich in den Sommerferien in Deutschland von den Schrecken des Krieges erholen können. Refugium, ein Wohnheim für traumatisierte Kriegsflüchtlinge in Berlin-Wedding, hilft ihnen dabei.
Andere Mütter engagieren sich für einen sicheren Kiez, indem sie nachts an Orten  patrouillieren, an denen Drogen gedealt wird. „Mütter ohne Grenzen“ heißt die Initiative, die regelmäßig Kundgebungen in Berlin-Kreuzberg organisiert und Unterschriften für ein dealerfreies Kreuzberg sammelt.

Frauenstimmen

Muslimische Frauen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, haben dieser Gesellschaft trotz Sprachbarrieren viel zu berichten. Das hat auch die Künstlerin Sigrun Drapatz erkannt und arbeitet nun an einer Radiosendung mit einem Deutschkurs, der aus vorwiegend palästinensischen Frauen einer Moscheegemeinde besteht. „Zwischenstimmen von Frauen – meine Radiosendung“ heißt das Projekt, bei dem die Frauen selbst entscheiden, worüber sie erzählen wollen.
Bild entfernt.
Die Themen werden in der Gruppe zusammen erarbeitet, die Texte auf Deutsch einstudiert. Die Frauen haben das Bedürfnis über Integration und Religion zu berichten, aber aus ihrer Sicht und ihrer persönlichen Situation heraus. „Viele Frauen haben einen ungeklärten Aufenthaltstatus und befinden sich in einer Kippsituation.“, erklärt Sigrun Drapatz. „Aber dennoch haben sie Zukunftswünsche in Deutschland.“ Die Künstlerin begleitet zusammen mit zwei Kollegen die erste Radiosendung, die im Offenen Kanal Berlin ausgestrahlt wird. Die nächsten Sendungen sollen die Frauen selbst in die Hand nehmen.

Neue Orte für Begegnungen
 

Um sich in entspannter Atmosphäre zu begegnen und Muslime in einem anderen Licht zu zeigen, haben muslimische Frauen in Potsdam den „Suq“ (arabisch für Markt) initiiert. Ein besonderes Anliegen ist es, Handwerker und Künstler zu fördern. „Das Handeln und das Handwerk hat im Islam eine lange Tradition.  Bild entfernt.
 Bild entfernt. Gerade in der heutigen schnelllebigen Wegwerf- und Konsumgesellschaft, ist es wichtig den Dingen, die mit Liebe und Fertigkeiten hergestellt werden, einen großen Stellenwert beizumessen.“ heißt es in ihrer Projektbeschreibung. Gleichzeitig bekommen die Besucher Einblick in das religiöse Leben, indem sie das Gemeinschaftsgebet der Muslime im Freien miterleben können.
 

Innermuslimischer Austausch

Die Begegnung und Verständigung innerhalb der heterogenen türkischen Community ist Mürvet Öztürk ein großes Anliegen. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Bundes der alevitischen Frauen Deutschland e.V. Deshalb hat sie in Zusammenarbeit mit Kölner Moscheegemeinden einen Workshop mit alevitischen und sunnitischen Jugendlichen zum Thema interkonfessionelle Ehe mitorganisiert. Jugendliche im Alter zwischen 16 und 20 Jahren haben anhand von Rollenspielen über ihre Vorurteile und Stereotypen des jeweils anderen gesprochen  und sich ausgetauscht.

An der Tagung in Hannover hat Mürvet Öztürk auch teilgenommen. Sie und die anderen Teilnehmerinnen sind sich einig, dass dieses Treffen eine Fortsetzung haben muss, um die Ressourcen und Potentiale, die in jeder dieser Frau stecken, zu bündeln, sich zu vernetzen und zu unterstützen. Dies scheint in Zeiten, wo Zwangsehen und Ehrenmorde Schlagzeilen machen, ein vernünftiger und notwendiger Schritt zu sein, damit ihr Engagement von den Medien und der Politik stärker wahrgenommen wird. Denn auch wenn hier nur eine kleine Auswahl an Fraueninitiativen vorgestellt werden kann, zeigen diese deutlich, welch großen gesellschaftlichen Beitrag diese Frauen leisten.

 

Betül Yilmaz, geboren 1985 in Berlin, studiert Islamwissenschaft an der Freien Universität. Sie ist Mitinitiatorin des Internetprojektes Muslimische-Stimmen.de.