Soziale Integration migrantischer Studierender an deutschen Universitäten

von Payam Ghalehdar

An unseren Hochschulen tut sich etwas. Bologna-Prozess, Exzellenzinitiative, Überschreitung der Zwei-Millionen-Grenze der Studierendenzahlen, vermeintliche Elite-Universitäten und der bundesweite Bildungsstreik haben in den letzten Jahren die Schlagzeilen beherrscht, wann immer es um die Themen Bildung, Forschung und Hochschulentwicklung ging. Zweifellos befindet sich das deutsche Hochschulwesen in einem bemerkenswerten, wenn auch nicht unumstrittenen Umbruch. Doch so bedeutend diese Themen und Reformen auch sind, in ihrem langen Schatten gibt es ein weiteres Phänomen, das ohne große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen das Bild der deutschen Universitäten nachhaltig verändern wird: der beachtliche Anstieg der Anzahl migrantischer Studierender.

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Steigende Präsenz migrantischer Studierender (Foto:?)

Als ich letztes Jahr nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt wieder in die Universitätsbibliothek ging, fiel mir zum ersten Mal die Vielfalt meiner Mitstudierenden auf. Ich hatte ein wenig das Gefühl, die unglaubliche Vielfalt an Menschen, die ich während meiner Zeit in Amerika gesehen und kennen gelernt hatte, mit mir zurück nach Deutschland gebracht zu haben.

Dass meine persönliche Erfahrung kein subjektiver Eindruck ist, zeigen aktuelle Statistiken. Laut der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hatten 2006 rund 136.000 Studierende, also 8 Prozent der Immatrikulierten an deutschen Universitäten und Fachhochschulen, einen Migrationshintergrund. Dazu zählen Eingebürgerte (46 Prozent), Studierende mit doppelter Staatsbürgerschaft (11 Prozent) und BildungsinländerInnen, also AusländerInnen mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung (43 Prozent). Darüber hinaus waren im selben Jahr rund 189.450 ausländische Studierende mit einer nicht-deutschen Hochschulzugangsberechtigung an den deutschen (Fach-)Hochschulen immatrikuliert - so genannte BildungsausländerInnen, die 9,5 Prozent aller Studierenden ausmachten.

Aktuellere Zahlen über die Entwicklung der Studierenden mit Migrationshintergrund liegen nicht vor. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Studierende mit Migrationshintergrund  an Hochschulen mit 8 Prozent immer noch deutlich unterrepräsentiert sind, wenn man bedenkt, dass nach Schätzungen des Mikrozensus 2006 fast ein Fünftel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Diese Zahlen sind durchaus differenziert zu betrachten. Denn während die Zahl ausländischer Studierender ansteigt, besteht bei den hier lebenden MigrantInnen immer noch Steigerungspotenzial. Ob durch bessere Förderung, sozialen und ökonomischen Aufstieg oder mehr Bildungsaffinität, über kurz oder lang werden deutsche Hochschulen die Vielfalt der deutschen Gesellschaft widerspiegeln müssen. Doch was ändert sich dadurch im deutschen Hochschulalltag?

Befürchtungen und Ängste ernst nehmen

Wenn man sich an den Universitäten umschaut, ist eine gewisse Skepsis bei Lehrenden und Studierenden nicht zu übersehen. Teilt man diese Unsicherheit, möchte man meinen, dass zu häufig Negatives wie Armut und Bildungsferne mit MigrantInnen assoziiert wird, als dass man dieser neuen Entwicklung optimistisch entgegenblicken könnte. Dass Bilder, die das Fremd- und Anderssein betonen, zu tief sitzen, als dass skeptische Erwartungen sich gleich einer self-fulfilling prophecy nicht selbst bewahrheiten würden. Und dass die wirtschaftliche und soziale Lage vieler MigrantInnen zu schlecht ist, als dass man meinen könnte, der Anstieg würde die Universitäten als eine der letzten Bastionen gut gestellter Schichten von Niedergang und Proletarisierung verschonen. Gewiss, viele dieser Befürchtungen offenbaren mehr über die Mehrheitsgesellschaft als über Studierende mit Migrationshintergrund, doch sollten die Herausforderungen nicht ignoriert und die Ängste, die vielleicht nicht ausgesprochen, aber aufgrund weit verbreiteter Unsicherheit vorhanden sind, ernst genommen werden.

Soziale Integration nicht garantiert

In der Integrationsforschung wird zwischen verschiedenen Stufen der Integration unterschieden. Strukturelle Integration ist erreicht, wenn Menschen mit Migrationshintergrund Zugang zu gesellschaftlichen Positionen der Mehrheitsgesellschaft erhalten. Soziale Integration erfordert zusätzlich, dass die Mehrheitsgesellschaft und Menschen mit Migrationshintergrund einen freien Umgang in ihrem Privatleben haben. Eine höhere Durchlässigkeit im Schul- und Hochschulsystem und ein einfacherer Zugang zu Universitäten und Fachhochschulen sind somit keine Garantie dafür, dass migrantische Studierende auch sozial integriert sind, beispielsweise Lerngruppen mit anderen Studierenden bilden oder etwa mit Nicht-MigrantInnen gemeinsam auf Partys gehen.

Tatsächlich besteht die Gefahr, dass migrantische BildungsaufsteigerInnen trotz gelungener struktureller Integration sozial keinen Anschluss finden und unter sich bleiben. Fehlender Austausch zwischen den Gruppen würde gegenseitige Unsicherheiten und den ängstlichen Umgang miteinander nur noch weiter verfestigen. Daher wird neben dem Abbau der strukturellen Hindernisse es darauf ankommen, die Skepsis auf beiden Seiten zu verringern und Gemeinsamkeiten statt Unterschiede hervorzuheben. Somit wird soziale Integration ermöglicht und echte Chancen für migrantische Studierende geboten.

Vielfalt nutzen

Viel wurde in letzter Zeit darüber berichtet, dass der zunehmend international ausgerichtete Arbeitsmarkt von den kulturspezifischen Kompetenzen und vielseitigen Sprachkenntnissen der Studierenden mit Migrationshintergrund profitieren kann. Doch welche Chancen bietet der Anstieg migrantischer Studierender für den Hochschulbetrieb und -alltag? Besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften werden Lehrpläne und -inhalte von steigender Vielfalt profitieren können, wenn zum Beispiel andere Perspektiven einbezogen werden, die allzu oft eurozentrischen Mainstream-Erklärungen unserer Hochschulen ergänzen und relativieren.

Die universitäre Forschung kann verbessert und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, wenn sie sich mit Themen befasst, die nicht mehr nur von einem kleinen, traditionell privilegierten Teil der Gesellschaft stammen und erforscht werden. Und steigende MigrantInnenzahlen können nicht zuletzt dazu beitragen, dass Universitäten stärker als bisher mit ihren Städten und den dort lebenden Menschen zusammenwachsen, Identifikation stiften und die lokale Bevölkerung repräsentieren, der in größeren Städten eine beachtliche Anzahl migrantischer Menschen angehört.

„Color Blindness“ als Ziel

Wenn die Potenziale, die migrantische Studierende mitbringen, genutzt werden, kann Deutschland seinem Anspruch näher kommen, ein Land der Toleranz, Aufgeschlossenheit und Kreativität zu sein. Die zunehmende Durchlässigkeit und die Präsenz migrantischer Studierender ist ein guter Anfang, der uns ein Ansporn für weitere Anstrengungen sein sollte. Der strukturellen Integration muss die soziale Integration folgen. Dann könnte am Ende eines langen, aber lohnenswerten Prozesses eine „farbenblinde“ Gesellschaft entstehen, also eine Gesellschaft, in der der Unterschied zwischen MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen nicht mehr ausschlaggebend für den Zugang zu Positionen und sozialen Netzwerken ist.

Dezember 2009

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Payam Ghalehdar, 24, studierte von 2004 bis 2009 Politikwissenschaft an der Universität Mannheim und an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland.