Diskriminierung als Normalzustand? - Eine Situationsanalyse des Leipziger Fußballs

Fussballstadion Leipzig

 

von Ulrike Fabich und Adam Bednarsky

„... wir [werden] gerne als Zecken oder Juden beschimpft. Dass wir Zigeuner sind, weiß mittlerweile auch jeder.“
„Aufhören sollen [sie] jetzt endlich, (…) aufhören sollen sie, sage ich!“

Diese verzweifelte Anweisung wäre sicherlich, ähnlich wie bei Konstantin I. (4. Jahrhundert in der Konstitutionsversammlung), nur eine ohnmächtige und ineffektive Gebärde. Wer sich also gegen Diskriminierungen im Fußball wehren möchte, muss mehr tun, als höflich oder hilflos um die Veränderung der beschriebenen Situation zu bitten.

Dies verdeutlichen auch die Ergebnisse unserer im Jahr 2008 veröffentlichten Studie „Fußball und Diskriminierung – Eine qualitative Studie am Beispiel Leipziger Fußballfans“. Dafür wurden von uns Fans und FußballexpertInnen aus Leipzig befragt.

Aktuelle Studien belegen die Verschiebung von Diskriminierung und Gewalt aus den Profi-Ligen in die Amateurklassen (1). Phänomene, die vormals lediglich im Profibereich zu beobachten waren, werden vermehrt im Amateurbereich wahrgenommen. Eine fortschreitende Kommerzialisierung, zunehmende Überwachung und Repression, sozialpädagogische und antirassistische Fanarbeit in den oberen Ligen und eine unzureichende Sensibilisierung im Breitensport-Fußball sind Ursachen dieser Entwicklung.

In Anbetracht der Situation, dass der Fußballsport sowohl in der aktiven Ausübung als auch als ‚Zuschauersport‘ eine bedeutende Sozialisationsinstanz für viele Jugendliche darstellt, ist es problematisch, dass Diskriminierungen scheinbar Bestandteil der Fußballkultur sind. Da neonazistische Organisationen und Einzelpersonen besonders im ländlichen Raum versuchen die identitätsstiftende Funktion des Fußballs für die Verbreitung ihrer Ideologie zu nutzen, ist hier dringender Handlungsbedarf geboten.

Welche Diskriminierungstypen treten im Stadion auf?

Es können unter Fußballfans eine Reihe von Diskriminierungstypen beobachtet werden. Hierbei muss jedoch strikt zwischen unbewussten feindseligen Einstellungsmustern und einer manifesten, also auch öffentlich erklärten Menschenfeindlichkeit, die oft mit zerstörerischen Handlungen einhergeht, unterschieden werden. Wenn beispielsweise ein Fan das antisemitische „U-Bahn-Lied“ („Eine U-Bahn bauen wir – von XY bis nach Auschwitz. Eine U-Bahn bauen wir!“) gemeinsam mit anderen Fans im Stadion singt, muss er oder sie nicht zwangsläufig über ein gefestigtes neonazistisches Weltbild verfügen.

Von Diskriminierungen sprechen wir, wenn eine Person oder eine Gruppe ohne sachlich gerechtfertigten Grund anders behandelt wird als andere oder wenn diesen beispielsweise bestimmte als negativ gebräuchliche Eigenschaften zugeschrieben und sie damit abgewertet werden.

Rassismus

Rassistische Schmähungen wie Affenlaute, Bananenwürfe, persönliche Beleidigungen von schwarzen Spielern des gegnerischen Teams als „Scheiß-Neger“ oder Unmutsäußerungen bzw. ungerechte Bewertungen der Spielerleistung gegenüber „Nicht-Weißen“ im eigenen Team waren weit verbreitet in den Stadien. Sie gehörten speziell in den neunziger Jahren zur akzeptierten Stadionfolklore. Diese Form der Diskriminierung wurde auch von den InterviewteilnehmerInnen am deutlichsten wahrgenommen.

„Es war durchaus an der Tagesordnung, wie ich jetzt mal zu behaupten wage, in jedem ostdeutschen Fußballstadion, dass es Affen-Laute (...) gab.“

Mittlerweile ist die Sensibilität gegenüber Rassismus in den Fanszenen deutlich gestiegen. Rassistisch motivierte Schmähungen sind rückläufig, was aber nicht zwangsläufig eine nachhaltige Änderung der Einstellungsmuster der betreffenden Personen nach sich ziehen muss. Oftmals wurde den Fans von Seiten der Vereine, welche auf medialen Druck reagierten, klar gemacht, dass sie mit ihrem Verhalten ihrem Verein schaden würden. Beim Halleschen FC, welcher durch die Übergriffe Hallenser Fans auf den damaligen Spieler des FC Sachsen Leipzig Adebowale Ogunbure im März 2006 in die Schlagzeilen geriet (Vgl. Berichterstattung in Bunte Kurve, Adebowale Ogunbure im Interview), wurde beispielsweise bei darauf folgenden Spielen mit großer Pressepräsenz ein hoher sozialer Druck innerhalb der Fanszene aufgebaut, um rassistische Schmähungen zu verhindern.

Im Breitensport, bereits beginnend im Jugendbereich, müssen jedoch rassistische Ausfälle nach wie vor beobachtet werden. So kommt es beispielsweise zu verbalen Übergriffen von zuschauenden Eltern gegenüber gegnerischen Spielern (Vgl. Film des Erich-Zeigner-Haus e. V.) oder von Spielern untereinander, wie nach der D-Jugendpartie (11-Jährige) Roter Stern Leipzig gegen Lindenthal II im November 2008, als ein Spieler des Roten Stern mit den Worten „Neger“ und „Behinderter“ beschimpft wurde. In den seltensten Fällen haben die verursachenden Vereine sportgerichtliche Sanktionen zu befürchten, weil es an glaubhaften Zeugen mangelt, Aussage gegen Aussage steht oder es die Vorfälle erst gar nicht in den Spielbericht schaffen. Verfahren wie gegen Lindenthal, die sich über Monate hinziehen und nicht zu einer Bestrafung führen, sind für die Opfer eine weitere Form der Schmähung und für die Täter eine Bestätigung. Hier übernehmen MultiplikatorInnen nicht die nötige Verantwortung, welche ihnen als SozialisationsagentInnen Heranwachsender obliegt.

Antisemitismus

Eine ähnliche Diskriminierungsform ist der Antisemitismus. Nach der Überwindung des eliminatorischen Antisemitismus im NS-Deutschland verlor der Antisemitismus zwar seine Funktion als politische Ideologie – als diffuses, offiziell unterdrücktes Vorurteil existiert er weiter. Die Wirkungsmacht von antisemitischen Einstellungsmustern bedarf nicht der physischen Anwesenheit von jüdischen Menschen. Befragte Fans, die nie Kontakt zu jüdischen Personen hatten, lehnen diese konsequent und ihrer Meinung nach begründet ab.

„Für mich ist das [die Bezeichnung: „Du Jude“] eine Beleidigung, weil Juden für mich am Ende auch das Letzte sind. Schon aus der Geschichte heraus begründet, hasse ich Juden. Ich hasse genauso Neger. Da brauchst du keine Gründe für. Gründe findest du immer. Ich hab da jetzt nicht gleich ein Beispiel. Ich kenne eigentlich kaum Juden. Aber vom Hören und Sagen weiß ich, dass die schlecht sind.“

Ein derartig offen geäußerter Antisemitismus scheint lediglich noch im Fußballstadion legitim zu sein. Zumindest wurde er hier jahrzehntelang geduldet. Häufige antisemitische Sprechchöre sind „Berlin, Berlin – Judenberlin“, „Wismut Aue – Jude, Jude, Jude“ oder das „U-Bahn-Lied“.

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Bild 1: antisemitische Schmierereien am Fanprojekt

Sexismus

Aus einer Reihe weiterer identifizierter Diskriminierungstypen sollen zwei Typen, der Sexismus und Homophobie, exemplarisch herausgegriffen werden.

Auch wenn der Frauenanteil unter den Aktiven und in den Fankurven allmählich steigt, ist das deutsche Fußballstadion auch weiterhin ein Ort, in der eine männliche Vorherrschaft besteht. Als Erklärungsmuster dienen den Fans zumeist sportspezifische Argumente:

„Fußball ist schon ein sehr körperbetonter und, na ja, aggressiver Sport. Und da würde das Bild zu Frauen eben nicht passen. Durch die Ursprünge und Entwicklung ist der Fußball eben ein typischer Männersport.“

Der Fußball gilt in seinen Ursprüngen als klassischer Arbeitersport. Kraft und Ausdauer sind zentrale Grundbedingungen des Spiels. Fußball steht für „Körperbetonung“ und „Aggressivität“. Gesellschaftlich werden diese Attribute als typisch männlich definiert, wodurch eine „natürliche“ Ausgrenzung von Frauen abgeleitet wird. Frauenfußball und weibliche Fans sind marginale Randerscheinungen des Spektakels und dienen in erster Linie als Farbtupfer, oft verbunden mit der Reduzierung auf Körperliches. Letzteres wird oftmals nicht wahrgenommen, da hier lediglich gesellschaftlich gültige weibliche Rollenmuster im Stadion reproduziert werden.

Die Beliebigkeit derartiger Konstruktionen belegt der Blick in Richtung USA, wo Soccer als ein klassischer Sport für Frauen definiert wird. Die jeweilige Auslegung, ob Fußball männlich oder weiblich ist, wird also gesellschaftlich ausgehandelt und produziert geschlechtsbezogene Rollenzuschreibungen.

Für Mädchen und Frauen ist der Einstieg in die aktive Fußballszene nur durch hohes persönliches Engagement zu realisieren und geht zumeist einher mit einer Partnerschaft zu einem männlichen Fan des jeweiligen Vereins. Zwei weibliche Fans bestätigten, dass es Frauen speziell in der Ultraszene schwer haben, sich Akzeptanz zu verschaffen. Ihnen wird per se unterstellt, dass sie nicht am Fußball und dessen Kultur interessiert seien, sondern sich in erster Linie in die Szene begeben, um einen Partner zu finden. Die beiden Befragten waren sehr stolz darauf, dass sie nunmehr vollwertige Mitglieder der Gruppe sind, da man schon „nicht zart besaitet“ sein darf und ihnen jahrelang die formale Mitgliedschaft in der Gruppe aufgrund ihres Geschlechts verwehrt worden war.

„Wir sind seit dem 1. Mai des letzten Jahres Mitglieder (...). Das war aber echt eine Qual. Als ich ins Stadion gekommen bin, da hieß es immer: Mädchen in der Gruppe, nein! Die bringen nur Streit, die ganzen Liebschaften und hin und her (...).Da wurdest du immer so schön ausgegrenzt, aber hast dich eigentlich immer mit allen gut verstanden. Also ich habe (...) gefragt, ob wir denn endlich mal in die Gruppe aufgenommen werden könnten. Weil wir uns auch soviel engagieren, wie andere Leute auch. Weil wir genauso in dem Ding drin sind, genauso zu jedem Spiel fahren, Choreos basteln. (...) Das war von Anfang an ein großer Streit in der Gruppe, ob Frauen aufgenommen werden dürfen oder nicht. Es gab da Versammlungen, bei denen sich alle getroffen haben und wo wir das Thema waren.“

„In dieser Hinsicht wurden wir schon diskriminiert, weil wir eben Mädchen sind. Da könnten Liebschaften entstehen und wenn dann Schluss gemacht wird, dann ist das Geheule groß und dann überträgt sich das auf die Gruppe.“

„Das ist bestimmt auch so ein Klischee und da steckt auch viel Erziehung dahinter. Man hat als Frau einfach andere Interessen und dann kommt man mit seinem Freund dahin und dann wird man von den anderen Männern im Block schief angeguckt. So kommt man dann aus der Sache auch immer recht schnell wieder raus. Man muss schon hart im nehmen sein als Frau beim Fußball. Dadurch dass es eine Männerdomäne ist, darf man echt nicht zart besaitet sein. Man muss einstecken können, aber nach Möglichkeit auch in der Lage sein auszuteilen. Um sich als Frau in der Ultraszene durchsetzen zu können, benötigt man ein ordentliches Selbstbewusstsein. (...) Aber letztlich denke ich, dass es auch immer auf die Typen ankommt. Wenn man sich da als Frau dazwischen stellt, dann ist man bestimmt schnell eingeschüchtert. Man muss sich echt durchsetzen.“

„Auf jeden Fall. Man braucht da schon ein bisschen Zeug und Persönlichkeit.“

„Auch der Umgangston ist ja oftmals nicht der netteste.“

Wenn sich Frauen jahrelang in der Fanszene aufhalten, steigt die Akzeptanz der männlichen Fans, ohne dass sich generell die männliche Konnotation ändern muss. Trotzdem kommt es auch weiterhin vor, dass sie als Frauen nicht vollwertig in die Kommunikation integriert werden, da ihnen zum Beispiel der Fußballsachverstand abgesprochen wird.

Sexismus im Fußball führt demnach dazu, dass ein öffentlicher Raum wie das Fußballstadion, der quasi für alle zugänglich ist, für Mädchen und Frauen zu einem unsicheren Ort wird. Frauen können hier ihre eigene Identität nicht ausleben aufgrund einer – wenn eine Akzeptanz in der (Fan-)Gruppe erreicht werden soll – notwendigen Fixierung auf männliche Wertmaßstäbe und Verhaltensweisen im Stadion. (Vgl. F_in Frauen im Fußball)

Homophobie

Im Gegensatz zu Homosexualität in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist die gleichgeschlechtliche Liebe ein großes Tabu im Fußball. Bislang outete sich in Deutschland kein aktiver Profi. Selbst im Frauenfußball werden die SpielerInnen aufgefordert, eventuelle gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht in der Öffentlichkeit auszuleben, weil ihnen ansonsten Karrierenachteile entstehen könnten.

Besonders paradox erscheint das Spannungsverhältnis zwischen offen artikulierter, wenn auch häufig in ihrer Bedeutung abgeschliffener Homophobie und der ritualisierten und emotionalen Körperlichkeit unter den Fans auf den Rängen. Bei vielen Gelegenheiten umarmen sich wildfremde Männer und drücken so ihre Zugehörigkeit zum Verein aus. Trotzdem kann im Stadion Homophobie noch weitgehend ungestört und unreglementiert entfaltet werden.

„‚Judenschweine’ benutze ich nicht, aber ´Schwuler´, das kann schon passiert sein. Der Schieri ist schnell mal ein Schwuler. (...) Na und manchmal hast du ja wirklich einen, der schwul aussieht, mit tuckigen Haaren oder pinken Fußballschuhen, da kann das schon passieren.“

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Bild 2: Metros angreifen

In unserer Studie konnte eine Hierarchisierung, also eine unterscheidende Bewertung von Diskriminierungen festgestellt werden. Während Rassismus und Antisemitismus stark wahrgenommen und mehrheitlich abgelehnt wurden, ist dies im Falle der Homophobie und des Sexismus kaum oder gar nicht der Fall. In diesen Bereichen fehlen weitgehend die Sensibilität und das Problembewusstsein der Fans.

„Ganz einfach, ´du Schwuchtel´ oder so sind schon so weit akzeptiert, dass sich da keiner mehr weiter Gedanken macht. ´Du Lutscher´, wer sagt denn nicht alles ´du Lutscher´ zu irgendwem? Das wird schon gar nicht mehr von diesem Hintergrund aus betrachtet. Das ist schon so in den Sprachgebrauch übergegangen.“

Besonders im Breitensport und im Nachwuchsbereich obliegt es den BetreuerInnen, den allgemeinen Duktus unter Heranwachsenden: „Was ist denn das für ein schwuler Ball (oder schwuler Pass oder schwules Tor...)?“, nicht unkommentiert zu akzeptieren. (Vgl. Seite der Queer Football Fanclubs)

Diskriminierungsformen

Die medial bekannteste Variante einer diskriminierenden Handlung ist die Anwendung physischer Gewalt. Dabei ist die Mehrzahl von direkten körperlichen Angriffen zwischen zwei Fangruppierungen nicht politisch oder diskriminierend (im Sinne der oben geschilderten Definition) motiviert. In erster Linie handelt es sich hierbei um Gewalt, die mit der internen Abgrenzungslogik des Fußballspiels zwischen den AnhängerInnen der verschiedenen Vereine begründet wird. Ein herausragendes Beispiel für einen gewaltsamen rassistischen Übergriff im zuschauerrelevanten Fußball war der bereits genannte Übergriff auf Ogunbure in Halle 2006.

Der Angriff von 50 bewaffneten Neonazis während der Bezirksklassebegegnung zwischen dem FSV Brandis und Roter Stern Leipzig auf Fans und Spieler des RSL im Oktober 2009 in Brandis stellen eine neue Qualität der politisch motivierten körperlichen Gewalt im Breitensport-Fußball dar. Bei dem Angriff wurden drei Personen schwer verletzt, mehrere Personen erlitten leichte Verletzungen. (Vgl. den Blog tatortbrandis)

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Bild 3: Brandis

Neben bereits beschriebener verbaler Diskriminierung ist eine weitere Artikulationsform die der optisch transportierten Schmähung. Transparente, Kleidung, Fanaccessoires, Graffitis oder auch Kfz-Kennzeichen zeugen von diskriminierenden Einstellungsmustern. Beispiele für offene Schmähungen, weil hier eine Solidarisierung mit einer beispiellos menschenfeindlichen Ideologie erfolgt, sind die von Lok Leipzig-Fans beim Derby gegen den FC Sachsen im Oktober 2002 gezeigten Schriftrollen mit den Aufschriften: „Wir sind Lokisten – Mörder und Faschisten“ und „Rudolf Heß – bei uns rechts außen“. Auf subtil-codierter Ebene sind Kleidungsartikel der Marke „Thor Steinar“ oder Nummernschilder wie L-OK 88 [Anm d. Red. 88: bezieht sich auf den 8. Buchstaben im Alphabet und ist in rechtsextremen Kreisen die Geheimabkürzung für „Heil Hitler“] zu nennen. Eine für Deutschland neue Qualität wurde im Februar 2006 während eines A-Jugendspiels des 1. FC Lok erreicht. Fans postierten sich in ihrem Fanblock derart, dass sie mit ihren Körpern ein menschliches Hakenkreuz bildeten.

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Bild 4: Hakenkreuz

Haben Diskriminierungen ein Heimspiel im Fußball?

Es bleibt die Frage zu beantworten, was Fußballfans motiviert, sich anderen Individuen oder Gruppen gegenüber diskriminierend zu verhalten.
Vielfach wird die Schmähung von Fans und Spielern des gegnerischen Teams als fan-immanentes Verhalten missdeutet. Dennoch konnten wir kein homogenes Normensystem der Fußballfans feststellen. Während einige InterviewpartnerInnen die Schmähung des Gegners als akzeptabel werteten, gab es andere Fans, die sich lediglich auf die positive Unterstützung der eigenen Mannschaft beschränkten. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass im Fußballstadion, zumindest bezüglich diskriminierender Äußerungen und Handlungen, keine eigenen Normen gelten und deshalb Diskriminierungen nicht zwangsläufig Teil der sozialen Welt Fußball sein müssen. Die beobachteten unterschiedlichen Handlungsmuster sind eher ein Abbild der Gesamtgesellschaft und nicht ein fußballspezifisches Phänomen.

Trotzdem treten Diskriminierungen in den Stadien vergleichsweise gehäuft auf oder werden dort verstärkt wahrgenommen. Wir konnten ein Zusammenspiel mehrerer, von den InterviewpartnerInnen genannter Ursachen, sowohl sportspezifischer als auch sportübergreifender Art, feststellen.

Der Soziologe Dembowski zu den sportspezifischen Faktoren: „Der Fußballsport liefert durch sein Identitätsangebot, starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung ein Präsentationsfeld für konventionelle Werte und autoritäre Charaktere. Er kann durch seine Strukturen und Institutionen autoritäre Charakterstrukturen, Nationalismus, Rassismus, Gewalt, Identitätsdenken und Sexismus verstärken.“ (Als sportübergreifende Faktoren wurden unter anderem gruppenspezifische Phänomene, wie die Konstruktion einer Wir-Gruppe bei gleichzeitiger Abwertung der Anderen, oder die Zuschauerstruktur („…ein Sport der Unterschicht, (…) der kommt von der Straße“) festgestellt.

Eine ganz entscheidende Rolle spielt die gezielte Einflussnahme von Neonazis, sowohl aus Partei- (NPD), als auch aus freien Strukturen (Freie Kräfte etc.), wobei die Versuche der Beeinflussungen, besonders die gezielte Unterwanderung des Breitensports, heute wesentlich offensichtlicher und offensiver erfolgen.

„… zumindest Anfang der Neunziger war das so. (…) Die NPD hat ja auch direkt versucht, in diesem Umfeld zu werben. (...) Die aus dem Fußballumfeld waren politisch eher weniger motiviert, die sind nur hingegangen, weil klar war, jetzt können wir uns mit den Bullen kloppen. Na ja, und wie der Ossi damals war, dem hat man einen Kuli in die Hand gedrückt und ’nen Aufkleber und da war der glücklich. Egal, von wem es kam. Und die NPD war sehr aktiv.“
„Früher war es mehr so unter der Hand, vielleicht im engen Freundeskreis. Heute wird es halt offen gezeigt. Vor ein paar Jahren wurde es versteckt und heute wird es offen gezeigt.“

Diskriminierungen – leider auch im Fußball Normalzustand!

 

Endnote

(1) Siehe hierzu Professor Gunter A. Pilz: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus im Zuschauerverhalten und Michaela Glaser/ Gabi Elverich (Hg.): Sammelband zum Thema „Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Fußball."

 

Literatur

  • Fabich, U./ Bednarsky, A.: Fußball und Diskriminierung. Eine qualitative Studie am Beispiel Leipziger Fußballfans, Saarbrücken 2008
  • Dembowski, G.: Strukturelle jugendpolitische Sozialarbeit mit Fußballfans, Duisburg 1998, S.18).

 

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Ulrike Fabich ist Politologin und leitet die Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball (IVF). Adam Bednarsky, Politologe, ist Mitarbeiter des IVF. Beide forschen aktuell zum Schwerpunkt Diskriminierung im Fußball.