Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen eines islamischen Religionsunterrichts

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Islamischer Religionsunterricht kann im Rahmen der derzeitigen Sach- und Rechtslage eingeführt werden – die rechtlichen Spielräume bieten jedoch nur Übergangslösungen

 

von Heinrich De Wall

Die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in deutscher Sprache an den öffentlichen Schulen ist eine schon seit langem erhobene Forderung, die bereits seit dem 20. Dezember 2001 auch von den Regierungschefs von Bund und Ländern unterstützt wird. Dass sie seither – trotz ermutigender Schulversuche und vorbereitender Schritte – nicht verwirklicht wurde, verweist auf schwierige praktische und rechtliche Probleme. Die Klärung der rechtlichen Fragen war auch ein Anliegen der Arbeitsgruppe 2 „Religionsfragen im Deutschen Verfassungsverständnis“ der ersten Runde der Deutschen Islamkonferenz (DIK) 2006 – 2009.

Ausgangspunkt der Erwägungen waren dabei in der Rechtsprechung, namentlich im Urteil des BVerwG vom 23. Februar 2005 (BVerwGE 123, 49), benannte Anforderungen, die eine Religionsgemeinschaft erfüllen muss, um die Erteilung von Religionsunterricht i.S.d. Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verlangen zu können. Die Arbeitsgruppe 2 der DIK hat es sich darüber hinaus zur Aufgabe gemacht, auch die Voraussetzungen dafür zu formulieren, dass ein konfessioneller Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen eingeführt werden darf, ohne dass dem ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch einer Religionsgemeinschaft korrespondiert. Insofern wurde auch nach Wegen gesucht, wie möglichst rasch auf der Grundlage der derzeitigen Sach- und Rechtslage Religionsunterricht im Konsens der Beteiligten eingeführt werden kann.(1)

Die Bestimmung der Grundsätze des Religionsunterrichts durch Religionsgemeinschaften

Der in Art. 7 Abs. 3 des GG als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen vorgesehene Religionsunterricht ist keine bloße vergleichende Religionskunde, sondern soll in konfessioneller Gebundenheit unterrichtet werden. Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Das bedeutet nicht nur, dass der Unterricht in der Sache mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft übereinstimmen muss. Vielmehr sind diese Grundsätze durch die jeweilige Religionsgemeinschaft selbst festzulegen, da die Behörden des religiös-weltanschaulich neutralen Staates dazu keine Befugnis haben. Aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG lässt sich daher als Voraussetzung für die Einrichtung eines Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ableiten, dass eine Religionsgemeinschaft vorhanden sein muss, die ihre Grundsätze für den Religionsunterricht definiert und die Organe oder Personen benennt, die diese Grundsätze gegenüber den Behörden zur Geltung bringen.

Der Verfassungsbegriff der Religionsgemeinschaft i.S.v. Art. 7 Abs. 3 GG

Der Verfassungsbegriff der Religionsgemeinschaft ist durch vier Merkmale geprägt. Die Erfüllung dieser, im folgenden aufgezählten Merkmale ist Voraussetzung dafür, dass eine Gemeinschaft Partnerin der nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG erforderlichen Kooperation mit dem Staat bei der Einrichtung und Durchführung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen sein kann:

  • Eine Religionsgemeinschaft umfasst – mit Besonderheiten für Dachverbandsorganisationen – natürliche Personen. 
  • Ein Minimum an organisatorischer Struktur gehört zum Wesen einer Gemeinschaft. Eine Mehrzahl von Personen muss sich mit dem Ziel verbunden haben, sich für eine längere Zeit der gemeinsamen Ausübung ihrer Religion zu widmen. 
  • Gegenstand der Religionsgemeinschaft ist die Pflege eines gemeinsamen religiösen Bekenntnisses. Andere Zwecke, etwa die Kultur- oder Brauchtumspflege, konstituieren keine Religionsgemeinschaft. Sie dürfen daher nur Nebenzwecke einer Religionsgemeinschaft sein.
  • Von religiösen Vereinen unterscheiden sich Religionsgemeinschaften dadurch, dass sie der umfassenden Erfüllung der durch das religiöse Bekenntnis gestellten Aufgaben dienen. Dagegen widmet sich ein religiöser Verein nur Teilaspekten des religiösen Lebens.

Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion um die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts bedürfen diese Kriterien der Konkretisierung. Dies gilt insbesondere wegen der Dachverbandsstruktur islamischer Gemeinschaften in Deutschland. Vorab kann aber festgestellt werden, dass eine bestimmte Rechtsform einer Religionsgemeinschaft nicht Voraussetzung dafür ist, dass ein Religionsunterricht nach ihren Grundsätzen eingerichtet wird. Sowohl BVerfG als auch BVerwG haben insbesondere ausdrücklich festgehalten, dass der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts dafür nicht erforderlich ist (BVerfGE 102, 396; BVerwGE 123, 70).

Die innere Ordnung einer Religionsgemeinschaft unterliegt deren Selbstbestimmungsrecht. Eine Religionsgemeinschaft braucht nicht demokratisch strukturiert zu sein, um als Kooperationspartnerin für den Religionsunterricht in Frage zu kommen. Entscheidend für die erforderliche Mitwirkung bei der Einrichtung des Religionsunterrichts sind aber klare Regeln über die Vertretung der Gemeinschaft, die für die zuständigen Behörden erkennen lassen, ob der jeweilige Verhandlungspartner autorisiert ist, die erforderlichen Festlegungen verbindlich und außenwirksam im Namen der Gemeinschaft zu treffen.

Anforderungen an die mitgliedschaftliche Struktur der Religionsgemeinschaften

Es ist nicht erforderlich, dass eine Religionsgemeinschaft in ihrem jeweiligen örtlichen Bereich alle oder auch nur die Mehrheit der Angehörigen einer Religion oder einer Glaubensrichtung umfasst. Begrifflich reicht für eine Religionsgemeinschaft eine geringe Zahl von Personen aus. Allerdings lassen sich aus dem Grundgesetz gewisse Mindestanforderungen an die Mitgliederzahl solcher Religionsgemeinschaften ableiten, in deren Sinne ein Religionsunterricht gem. Art. 7 Abs. 3 GG eingerichtet werden soll. Das BVerwG geht davon aus, dass eine Religionsgemeinschaft, die einen Anspruch auf Religionsunterricht geltend machen will, nach Verfassung und Zahl der Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten muss. Dieses Erfordernis sei angesichts des Aufwands für die Einführung des Religionsunterrichts unverzichtbar und in Art. 7 Abs. 3 GG im Begriff „ordentliches Lehrfach“ angelegt (BVerwGE 123, 70).

Die Länder haben in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Mindestschülerzahlen für die Einrichtung des Religionsunterrichts festgelegt. Daraus folgt, dass für eine Religionsgemeinschaft, deren Mitgliederzahl nicht ausreicht, um diese Mindestschülerzahl zu erreichen, auch kein Religionsunterricht eingerichtet werden muss. Es reicht auch nicht aus, dass diese Mindestschülerzahl nur ganz vorübergehend erreicht werden wird. Vielmehr ist von einem „ordentlichen Lehrfach“ nur dann zu sprechen, wenn es voraussichtlich über einen längeren Zeitraum erteilt wird. Nur dann ist auch der mit der Einrichtung verbundene Aufwand im Vergleich zu den übrigen Schulfächern zu rechtfertigen.

Da der Religionsunterricht – vorbehaltlich der in Art. 7 Abs. 2 GG enthaltenen Abmeldemöglichkeit – für die konfessionsangehörigen SchülerInnen Pflichtfach ist, bedarf es eindeutiger Regelungen über die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, damit die Schule feststellen kann, für welche SchülerInnen sein Besuch verbindlich ist (BVerwGE 123, 71). Das BVerwG hat indes herausgestellt, dass dies nicht bedeutet, dass die SchülerInnen selbst die formale Mitgliedschaft in der betreffenden Religionsgemeinschaft besitzen müssen. Vielmehr reicht es aus, wenn mindestens ein Elternteil bzw. Erziehungsberechtigter Mitglied ist.

Das BVerwG hat zudem die Freiheit der Religionsgemeinschaften hervorgehoben, „ein ihrem Selbstverständnis entsprechendes, von der förmlichen Vereinsmitgliedschaft unabhängiges Kriterium für die Zugehörigkeit zu ihnen vorzusehen“ (BVerwGE 123, 72). Entsprechendes gilt auch für die Dachverbandsorganisationen. Hier kommt es für die mitgliedschaftliche Zurechnung nicht auf die Zugehörigkeit zum Dachverband an, sondern es reicht die Zugehörigkeit zu einer der Mitgliedsorganisationen aus. Zum Schutz der Religionsfreiheit kann der Staat Regeln über die mitgliedschaftliche Zurechnung nur akzeptieren, wenn niemand „einseitig und ohne Rücksicht auf (seinen) Willen“ (vgl. BVerfGE 30, 423) als Mitglied einer Religionsgemeinschaft in Anspruch genommen wird.

Zur Einheitlichkeit des Bekenntnisses und des Religionsunterrichts

Unstreitig ist, dass der Islam in seinen unterschiedlichen Ausprägungen eine „Religion“ bzw. ein „Bekenntnis“ ist. Eine Religionsgemeinschaft kann auch Angehörige unterschiedlicher, aber verwandter Glaubensbekenntnisse umfassen. Welche Bekenntnisse insofern „verwandt“ sind, kann nur unter Zugrundelegung des Selbstverständnisses der jeweiligen Gemeinschaft bestimmt werden. Religion bzw. Bekenntnis werden durch das religiöse Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften konstituiert bzw. definiert. Im Grundsatz können daher muslimische Gemeinschaften selbst darüber entscheiden, ob Angehörige einer bestimmten islamischen Glaubensrichtung ihnen angehören können oder nicht. Die Beschränkung auf die Anerkennung von Koran und Sunna als gemeinsame Glaubensgrundlage reicht aus. Eine weitergehende vollständige konfessionelle Homogenität der Gemeinschaft ist für den Religionsunterricht nicht erforderlich. Auch dies hat das BVerwG ausdrücklich festgehalten (BVerwGE 123, 64f.).

Da der konfessionelle Religionsunterricht gem. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft gestaltet ist, deren Definition dem Selbstbestimmungsrecht unterliegt, sind auch mehrere islamische Religionsunterrichte unterschiedlicher Bekenntnisse möglich und ggf. rechtlich geboten. Umgekehrt können sich auch Religionsgemeinschaften unterschiedlicher Glaubensrichtungen innerhalb einer Religion zur Formulierung gemeinsamer Grundsätze für einen einheitlichen Religionsunterricht zusammenfinden.

Zuständigkeit der Bundesländer für den Religionsunterricht und territoriale Struktur der Religionsgemeinschaften

Die innere Struktur der Religionsgemeinschaften unterliegt ihrem Selbstbestimmungsrecht. Es kann im religiösen Selbstverständnis wurzelnde Gründe dafür geben, dass sich eine Religionsgemeinschaft vorrangig auf Ortsebene organisiert. Wenn eine hinreichende Anzahl solcher auf Ortsebene organisierten Religionsgemeinschaften eines (oder verwandter) Bekenntnisse gemeinsame Grundlagen eines Religionsunterrichtes formuliert, ist kein verfassungsrechtlich durchgreifender Grund ersichtlich, ihnen die Einrichtung eines Religionsunterrichtes zu verweigern. Entsprechend ist es auch denkbar, dass in einem Land ein von mehreren örtlichen oder regionalen Religionsgemeinschaften getragener Religionsunterricht eingerichtet wird, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind. In diesem Fall muss auch gewährleistet sein, dass praktikable, nachvollziehbare Vertretungsregelungen bestehen, die die dauerhafte und verbindliche, gegenüber den Behörden wirksame Festlegung der Grundsätze des Religionsunterrichts ermöglichen. Diese Festlegung kann beispielsweise durch ein gemeinsames Gremium erfolgen, in das die örtlichen oder regionalen Religionsgemeinschaften von ihnen legitimierte Persönlichkeiten entsenden.

Kooperationspartner der Religionsgemeinschaften für den Religionsunterricht sind auf staatlicher Seite die für das Schulwesen zuständigen Länder. Dass sich eine Religionsgemeinschaft gerade auf Landesebene organisiert, ist indes weder Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt Religionsgemeinschaft i.S.d. Grundgesetzes ist, noch dass sie als Kooperationspartnerin für einen Religionsunterricht in Frage kommt. Entsprechendes gilt auch für Dachverbandsorganisationen.

Dachverbände als Religionsgemeinschaften – Gemeinsame Vertretung von Religionsgemeinschaften

Zum durch Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG geschützten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gehört es, über die eigene Organisation und Verfassung zu entscheiden. Davon umfasst ist auch das Recht, sich zu Dachverbänden zusammenzuschließen. Indes wird nach der Rechtsprechung ein Dachverband erst dann als „Religionsgemeinschaft“ im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG anerkannt, wenn er nicht

(…) auf die Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen oder auf die Koordinierung von Tätigkeiten der Mitgliedsvereine beschränkt (ist). Vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden. (BVerwGE 123, 59).

Danach kann ein Zusammenschluss von Religionsgemeinschaften allein zu dem Zweck, die Grundsätze des Religionsunterrichts i.S.v. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gegenüber dem Staat geltend zu machen, nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, wenn die Entscheidung über die Grundsätze bei den Mitgliedsverbänden verbleibt.

Auch danach ist freilich die Mitwirkung einer solchen, auf die Vertretung gemeinsamer Interessen beschränkten Dachverbandsorganisation bei der für die Einrichtung des Religionsunterrichts erforderlichen Kooperation mit den staatlichen Behörden nicht ausgeschlossen. Das BVerwG formuliert in der genannten Entscheidung die Voraussetzungen, die eine Gemeinschaft erfüllen muss, um als Religionsgemeinschaft einen eigenen Anspruch auf Einrichtung eines Religionsunterrichts geltend zu machen. Auch wenn ein solcher Anspruch beim Dachverband aus den genannten Gründen nicht besteht, können die Mitgliedsorganisationen des Dachverbands Träger des Religionsunterrichts sein, sofern sie selbst Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG sind.  Mehrere Religionsgemeinschaften, die einen gemeinsamen Religionsunterricht wünschen, können ihre Interessen bei den erforderlichen Verhandlungen mit den Behörden über die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts einzeln oder gemeinsam vertreten lassen. Träger eines Anspruchs auf Einrichtung des Religionsunterrichts sind freilich in diesem Fall die einzelnen Religionsgemeinschaften. Sie müssten dann auch – einzeln oder durch gemeinsame VertreterInnen – die Grundsätze des Religionsunterrichts i.S.v. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG formell festlegen.

Dass die Definition der Grundsätze des Religionsunterrichts i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG den Religionsgemeinschaften obliegt, ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Danach darf nicht der Staat den Inhalt religiöser Bekenntnisse festlegen; vielmehr sind diese Grundsätze staatsunabhängig durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Auch ausländischen Staaten kann nicht das Recht eingeräumt werden, die Grundsätze der Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG zu definieren. Dies würde bedeuten, einem ausländischen Staat Hoheitsrechte einzuräumen, die der deutsche Staat nach der Regelung des Grundgesetzes selbst nicht hat.

Ein Religionsunterricht, dessen Grundsätze nicht Ausdruck religiöser Selbstbestimmung, sondern wesentlich durch einen anderen Staat beeinflusst sind, entspricht nicht dem Grundgesetz. Eine Gemeinschaft, die durch einen anderen Staat so beeinflusst wird, dass ihre Grundsätze nicht Ausdruck ihrer religiösen Selbstbestimmung sind, kann daher nicht Kooperationspartnerin der Länder beim Religionsunterricht sein. Freilich schließt das nicht aus, dass ausländische Würdenträger Einfluss in einer Religionsgemeinschaft haben, auch wenn sie gleichzeitig staatliche Ämter bekleiden. Entscheidend ist in einem solchen Fall aber, dass dieser Einfluss als Ausdruck des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft auf deren Selbstbestimmung beruht, nicht aber auf einseitig obrigkeitlicher Bestimmung durch den Staat.

Zur Verfassungstreuepflicht der Religionsgemeinschaften

Neben den genannten formalen Kriterien muss eine Religionsgemeinschaft, die die Einführung von Religionsunterricht ihrer Konfession begehrt, auch die Gewähr bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen, fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts nicht gefährdet. Religionsgemeinschaften dürfen selbstverständlich einen Exklusivitätsanspruch erheben. Es ist jedoch unzulässig, ihn mit staatlichen Machtmitteln durchzusetzen. Eine Religionsgemeinschaft, die darauf hinarbeitet, kann nicht Kooperationspartnerin für den Religionsunterricht sein. Der Staat kann es nicht hinnehmen, dass der Inhalt eines wertevermittelnden Unterrichts durch eine Religionsgemeinschaft bestimmt wird, die die grundlegenden Prinzipien in Frage stellt, auf denen eben dieser Staat beruht (BVerwGE 123, 73 mit Hinweis auf BVerfGE 102, 370 (392)). Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, Religionsfreiheit, Neutralität oder Parität sind als Grundlagen der staatlichen Ordnung zu akzeptieren, nicht aber als Forderung an die Binnenstruktur und das religiöse Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft.

Das Bestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über die Inhalte des Religionsunterrichts, die staatliche Schulaufsicht und die allgemeinen Erziehungsziele
Auch wenn die Religionsgemeinschaften die Grundsätze des Religionsunterrichts festlegen und damit seinen Inhalt wesentlich bestimmen, bleibt er staatlicher Unterricht, der nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ausdrücklich der staatlichen Schulaufsicht unterliegt. Diese erschöpft sich nicht in der Aufsicht über die äußeren Umstände des Unterrichts. Vielmehr kann der Staat für die Qualifikation der Lehrkräfte und die pädagogischen und wissenschaftlichen Standards Vorgaben machen und ihre Einhaltung sicherstellen. Darüber hinaus ist der staatlichen Schulaufsicht gem. Art. 7 Abs. 1 GG die Befugnis des Staates zu entnehmen, in den Grenzen der Verfassung eigene Erziehungsziele für das Schulwesen zu formulieren. Dazu gehört auch die Vermittlung der genannten Verfassungsgrundsätze. Auch der Religionsunterricht muss diesen allgemeinen Erziehungszielen des Unterrichts, die in Länderverfassungen und Schulgesetzen formuliert werden, entsprechen. Sollten im Einzelfall die allgemeinen Erziehungsziele und die Grundsätze der Religionsgemeinschaften kollidieren, kann das Recht zur Bestimmung der Grundsätze des Religionsunterrichts zugunsten dieser allgemeinen Erziehungsziele eingeschränkt werden.

Ausarbeitung der Lehrpläne, Bestimmung der Lehrkräfte

Um für den Religionsunterricht Lehrpläne zu entwickeln, die sowohl den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften als auch den allgemeinen Erziehungszielen und pädagogischen Standards entsprechen, sind in den Ländern unterschiedliche Verfahren entwickelt worden. Die vorbereitende inhaltliche Arbeit wird dabei durch fachkundig besetzte Kommissionen bei den zuständigen Landesbehörden geleistet. Diese Verfahren können auch als Vorbild für die Entwicklung der Lehrpläne eines islamischen Religionsunterrichts dienen. Ungeachtet der Frage, ob ein Dachverband selbst Religionsgemeinschaft i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ist, können dabei auch fachkundige VertreterInnen der Dachverbandsorganisationen einbezogen werden.

Die Mitwirkung der Religionsgemeinschaften beim Religionsunterricht erschöpft sich nicht in der Festlegung der inhaltlichen Grundsätze des Religionsunterrichts. Vielmehr haben sie auch das Recht zu entscheiden, ob eine Lehrkraft Religionsunterricht ihrer Konfession erteilen darf. Diese Entscheidung wird bei den christlichen Kirchen in Form der erforderlichen kirchlichen „Vokation“ bzw. „missio canonica“ getroffen. Auch bei einem islamischen Religionsunterricht müsste sichergestellt werden, dass aufgrund klarer Vertretungsregelungen die für die Erteilung einer solchen Lehrerlaubnis zuständigen Organe benannt werden.“

Übergangslösungen

Während die vorangegangenen Ausführungen von allen Teilnehmern der AG 2 der Islamkonferenz - VertreterInnen der islamischen Verbände, nicht verbandsgebundene MuslimInnen, muslimische Eltern, WissenschaftlerInnen, VertreterInnen der Ministerien in Bund und Ländern und der Kommunen - befürwortet wurden, konnte über mögliche Übergangslösungen kein Konsens gefunden werden. Das lag vor allem daran, dass die islamischen Verbände eine möglichst rasche, endgültige Lösung anstrebten.

Wegen der besonderen Bedeutung des Religionsunterrichts für die Religionsfreiheit der SchülerInnen und Eltern sollte seine Einführung aber bei Bedarf nicht daran scheitern, dass z.B. die Qualifikation einer Organisation als Religionsgemeinschaft noch nicht endgültig feststeht - etwa wegen der Frage der mitgliedschaftlichen Struktur. In solchen Fällen ist es als Übergangslösung zu einem Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG denkbar, mit im Land verbreiteten Organisationen zu kooperieren, die Aufgaben wahrnehmen, welche für die religiöse Identität ihrer Mitglieder wesentlich sind.

Damit ist die Erwartung verbunden, dass diese Organisationen innerhalb einer absehbaren Frist alle Merkmale einer Religionsgemeinschaft unzweifelhaft erfüllen. So ist es beispielsweise denkbar, dass Mängel im Mitgliedschaftsrecht der Gemeinschaft dadurch vorübergehend kompensiert werden, dass zu einem solchen Unterricht eine Anmeldung durch die Erziehungsberechtigten erfolgt – sog. Anmeldelösung. Die freiwillige Anmeldung zum Religionsunterricht ersetzt für eine Übergangszeit die formelle Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese den Interessen und Rechten der Beteiligten Rechnung tragende Zwischenlösung beschränken sich auf die Unsicherheit, ob die beteiligten Verbände tatsächlich „Religionsgemeinschaften“ sind oder werden. Solche Unsicherheiten können aber für eine Übergangszeit hingenommen werden.

Endnote

(1) Dieser Beitrag ist eine leicht gekürzte und überarbeitete Version des Ergebnisses der Arbeitsgruppe 2 der Deutschen Islamkonferenz vom 20.2 2008, für die der Verfasser die Vorlage erarbeitet hatte. Der vollständige Wortlaut des Ergebnisses ist in der Broschüre „Drei Jahre Deutsche Islamkonferenz (DIK) 2006 – 2009“ abgedruckt, Berlin 2009, S. 53 – 63.

 

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Professor Heinrich de Wall ist Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht, Staats- und Verwaltungsrecht sowie Leiter des Hans-Liermann-Instituts für Kirchenrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.