Die Welt zu Gast bei Freunden – manchmal wird ein Motto wahr!

Fußballmannschaft mit "Fußball gegen Rassismus" Banner

von Özcan Mutlu

Die Gast zu Gast bei Freuden, ist das Motto der Fußballweltmeisterschaft des Jahres 2006.
Ich möchte das mögliche Urheberrecht der FIFA auf diese einfache Formel gar nicht streitig machen, wenngleich sich über deren Begehren, alles mögliche und unmögliche als geistiges Eigentum zu beanspruchen, im Einzelfall durchaus streiten ließe. Ich will lediglich feststellen, dass jenes Motto der Sache nach durchaus Wahrheit beanspruchen kann, jedenfalls was das gegenwärtige Weltsportereignis Nummer eins angeht.

Tatsächlich scheint die fußballinteressierte Welt, soweit sie dieser Tage in Deutschland weilt, bei Freunden zu Gast zu sein und sich auch untereinander freundschaftlich verbunden zu fühlen. Ich für mein Teil kann das zugegeben hauptsächlich für Berlin behaupten, schließe dadurch aber einfach mal positiv auf die anderen zehn Turnierstädte und das übrige Land. Nicht nur, dass sich der leider traditionelle Rowdy- und Hooligan-Tourismus in doch immerhin engen Grenzen hält, die ganze Stimmung unter den Schlachtenbummlern ist entspannt, freudig und freundschaftlich.

In eine Stadt wie der unsrigen trifft sich die Welt normalerweise auch ohne Weltmeisterschaft, aber mit ihr wird es besonders augenfällig. Menschen aus aller Herren Länder bewegen sich feiernd und hupend durch Berlin, als feierten und behupten sie nicht nur sich selber und ihre jeweiligen Nationalmannschaften, sondern auch einander. Alles wirkt mehr wie ein gut gelaunter Karneval der Kulturen als wie das verbissene Zusammentreffen gegnerischer Fans. Vielleicht gibt es ja doch noch so etwas wie den Sportsgeist alter Schule.

Aber nicht nur die Gäste, sondern auch die Ansässigen zeigen sich dieser Stadt und diesem Land verbunden. Ich meine jetzt besonders all jene Untertanen von König Fußball, die türkischer Herkunft sind. Ohne Zweifel bleibt bei vielen Wehmut in der Seele aufgrund der Tatsache, dass ihr Herkunftsland sich nicht für die WM qualifizieren konnte. Aber sie leben schließlich in Berlin und in Deutschland. Und so haben sie sich das Recht angeeignet, Fans der Bundeself zu sein.

Ich gestehe, dass ich das nicht unbedingt für selbstverständlich gehalten habe. Wir sind nämlich noch lange nicht so weit, uns in allen unseren Facetten untereinander als eine Republik zu bekennen. Und fußballmäßig kann man sowieso für alle möglichen Mannschaften fiebern und jubeln, so avanciert ja bekanntlich Brasilien für viele zur zweiten Heimat (zumindest bis zum neunten Juli). Aber unsere türkischstämmigen Mitbürger geben ihrer realen Heimat den Vorzug, nämlich dem Land, in dem sie leben und in dem sie in ihrer übergroßen Mehrheit mittlerweile geboren und auch aufgewachsen sind.

Man sieht's an ihren Autos: Neben den obligatorischen türkischen Fahnen und Wimpeln flattert auch Schwarzrotgold, die Farben der deutschen Demokratie. Trotz all der bleischweren Bedenken und Mahnungen, wie weit Integration gehen kann und ob sie nicht sowieso von Grund auf und im Ansatz und überhaupt gescheitert sei und notwendig scheitern musste, flattert das Bekenntnis zu Deutschland im Fahrtwind junger Berliner Türken.

Dieser Fahrtwind bläst freilich kein einziges der Integrationsprobleme weg, denen sich Politik und Gesellschaft, Mehrheitskultur und Einwanderer-Community zu stellen haben. Doch ist er immerhin ein kleiner Hinweis, dass integrationspolitisch in diesem Land Windstille nur für jene herrscht, die schon immer alle Fenster und Türen von innen verrammeln wollten. Diese Weltmeisterschaft ist für mich – bei allen Problemen die wir in unserem Land haben  - ein auch ein Symbol für ein wenig gelungene Integration. Und hätten die Herrschaften in den vorderen Reihen des DFB die Realitäten dieses Landes akzeptiert und etwas schneller reagiert, hätten wir Top-Talente wie Altintop, Bastürk oder Sahin nicht an die türkische Nationalmannschaft verloren!

Wir können auch nicht alle Tage Weltmeisterschaft haben. Aber ihr Motto, "die Welt zu Gast bei Freunden", muss deswegen nicht auch Geschichte werden. Sein Geist kann und sollte uns gegenwärtig bleiben, denn die Welt ist recht verstanden immer beieinander zu Gast.

1:0 zu Null für Deutschland – Yaşasin Almanya! (Übersetzt: Es lebe Deutschland)

Juni 2006

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Özcan Mutlu ist bildungspolitischer Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin.