Gewalt und Rassismus als Risikofaktoren für die Gesundheit von Migrantinnen

von Nivedita Prasad

Über die gesundheitliche Versorgung von Migrantinnen ist in den vergangenen Jahren sehr viel geschrieben, diskutiert und geforscht worden. Während manche Arbeiten schon in Titeln wie „Macht Migration krank?“ Migration an sich pathologisieren, konzentrieren sich andere auf tatsächliche oder konstruierte Unterschiede zwischen Frauen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Unterschiede werden in der Regel als „kulturelle“ analysiert.

Viele AutorInnen verlieren sich in „kulturspezifischen Betrachtungen“ mit entsprechenden Handlungsempfehlungen oder Anleitungen im Umgang mit dem konstruierten Anderen (zum Beispiel die Website Kultur und Gesundheit). Im Gegensatz hierzu sind „Erkrankungen durch psychosoziale Belastungen infolge der Trennung von der Familie oder politischer Verfolgung im Herkunftsland“ (Razum/Zeeb/Schenk 2008), der Einfluss von ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen und Rassismus als gesundheitlicher Risikofaktor weniger häufiger thematisiert.

Rassismus als Trauma?

Dass Rassismus und andere Diskriminierungsformen das Leben von MigrantInnen maßgeblich beeinflussen können, ist bekannt. Viele MigrantInnen und andere People of Color erleben Rassismus in all seinen vielfältigen alltäglichen Ausprägungen und haben unterschiedlichste Formen des Umgangs hiermit gefunden. Diese Erlebnisse jedoch als möglicherweise traumatisierend zu analysieren, ist vergleichsweise jung und nicht ganz unumstritten. Eine der wenigen, die dieses Konzept sehr überzeugend darstellt, ist die Psychologin Grada Kilomba Ferreira, die davon ausgeht, dass

„die Absenz der Benennung von Rassismus als Trauma daran liegt, dass die Geschichte der rassistischen Unterdrückung und deren psychologischen Auswirkungen innerhalb des westlichen Diskurses bisher vernachlässigt wurden. Menschen der Afrikanischen Diaspora sind damit jedoch tagtäglich konfrontiert. Sie müssen nicht nur auf einer individuellen Ebene, sondern auch auf einer historischen und kollektiven Ebene mit den Traumata der Sklaverei und des Kolonialismus sowie dem Gefühl der Scham umgehen.“ (Ferreira 2004)

So untersucht Ferreira in diesem Text u.a. die Beschimpfung mit dem Wort "Neger" als eine Form von Trauma. Sie geht von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Trauma aus, was soviel wie 'Wunde' oder 'Verletzung' bedeutet. Ferreira macht deutlich,

„dass in der Psychoanalyse ein Trauma durch seine Intensität, die es unmöglich macht, adäquat zu reagieren, definiert wird. Es beinhaltet die Idee eines gewalttätigen Schocks, der plötzlich die Beziehung mit anderen und mit der Gesellschaft auseinander reißt. Ebenso ist es die Idee einer unbeschreiblichen Wunde, auf die man/frau keine Worte und Symbole zum Reagieren hat. Es hinterlässt psychologische Narben in Form von Ängsten, Albträumen und 'Flashbacks' oder hat zusätzliche körperliche Auswirkungen.“ (Ferreira 2004

Die fortdauernde Begegnung mit solchen sprachlichen und anderen rassistischen Entgleisungen, die Schwierigkeit der „angemessenen“ Reaktion und vor allen Dingen der nachhaltige Einfluss dieser Konfrontationen auf Migrantinnen lassen das Konzept von Rassismus als traumatisierend und damit auch als krankmachend durchaus als realistisch erscheinen.

Dies deckt sich mit den Untersuchungen der amerikanischen Professorin Nancy Krieger , die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Rassismus und einer erhöhten gesundheitlichen „Vulnerabilität“(Anfälligkeit) festgestellt hat

Gewalt gegen Migrantinnen

Neben dem tatsächlichen Erleben von Diskriminierung kann die Angst, Rassismus zu schüren, zu besonders fatalen Situationen führen; dies betrifft u.a. Migrantinnen, die innerethnische Gewalt erlebt haben (siehe hierzu auch Prasad 2006). Eine neuere Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Gesundheit-Gewalt-Migration von 2009 zur Häufigkeit von Gewalterlebnissen bei Frauen mit und ohne Migrationshintergrund bestätigt dies. Sie weist darauf hin, dass Migrantinnen „ ... sich schwer aus Gewaltsituationen lösen können, weil sie durch soziale und psychische Diskriminierung in Deutschland geschwächt und beeinträchtigt werden.“

Das Thema „Gewalt gegen Migrantinnen“ ist von besonderer politischer Brisanz. In der öffentlichen Wahrnehmung entsteht der Eindruck, es handele sich hierbei ausschließlich um innerethnische Gewalt in Communities, die als muslimisch konstruiert werden. Interethnische Gewalt, insbesondere die Beteiligung deutscher Männer ohne Migrationshintergrund an Gewalt an Migrantinnen, wird dagegen vernachlässigt. Diese einseitige Sicht bietet die Möglichkeit der politischen Instrumentalisierung des Themas, um Einwanderungsmöglichkeiten zu beschränken.

Besonders deutlich wurde dies bei der letzten Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes im August 2007. Hier wurden mit der Begründung, Gewalt gegen Migrantinnen – insbesondere Zwangsheirat – verhindern zu wollen, sehr diskriminierende Maßnahmen verabschiedet, die die Migration von HeiratsmigrantInnen maßgeblich erschwert haben.

Die überproportionale Präsenz von Migrantinnen in Frauenhäusern spielte in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. Je nach politischem Hintergrund kann diese statistisch belegte Realität unterschiedlich gewertet werden. Häufig werden jedoch auch hier kulturalisierende Deutungen präferiert, mit denen suggeriert wird, dass es sich bei Gewalt um eine kulturell akzeptierte Normalität handele. Stefan Gaitanides beispielsweise trägt mit seiner Analyse zu einer neuen Deutung dieser statistischen Tatsache bei. Er weist daraufhin, “dass mit der Überrepräsentation in den ‚Endstationen’ der sozialen Arbeit – wie zum Beispiel in Frauenhäusern – eine Unterrepräsentation von Migranten vor allem in den präventiven Bereichen der sozialen Dienste einhergeht.“ (Gaitanides 2007, S. 38). Gewalt gegen Migrantinnen und der Einfluss von Rassismus, der u.a. dafür sorgt, dass Migrantinnen in gewalttätigen Situationen verbleiben, sind Faktoren, die sich negativ auf die Gesundheit von Migrantinnen auswirken.

Aufenthaltsstatus und Gesundheit

Der Aspekt der strukturellen Diskriminierung – insbesondere der Einfluss der aufenthaltsgesetzlichen Rahmenbedingungen –, der das Leben von MigrantInnen maßgeblich beeinflusst, wird in Studien manchmal erwähnt, aber häufig nur am Rande. Dies ist unverständlich und für die Praxis fatal, denn im Leben von MigrantInnen sind die Regelungen im Aufenthaltsgesetz entscheidend für den Zugang zum Hilfesystem, zu Sozialleistungen etc. Der Aufenthaltstatus kann variieren zwischen keinem vorhandenen Status und einer Niederlassungserlaubnis; entsprechend unterschiedlich sind auch die verschiedenen Interventionsmöglichkeiten bzw. die Möglichkeit der Inanspruchnahme von gesundheitlichen Leistungen. Dies hat natürlich einen direkten Einfluss auf den tatsächlichen Gesundheitszustand.

„Personen ohne rechtlich gesicherten Aufenthaltsstatus sind besonders vulnerabel, über ihre gesundheitliche Situation sind aber kaum belastbare Daten verfügbar.“ ((Razum/Zeeb/Schenk 2008). Die einzige mir bekannte deutschsprachige Studie zu diesem Thema ist bezeichnenderweise keine deutsche, sondern eine Schweizer Studie von 2004, die eindeutig feststellte, dass:

„…die Mehrheit der Migrantinnen ihren unsicheren Aufenthaltstatus als ihre psychosoziale Gesundheit beeinträchtigend wahrnehmen. Der negative Einfluss eines unsicheren Status auf Gesundheit ist umso größer, je weniger externe Ressourcen einer Migrantin zur Verfügung stehen. Eine unsichere Aufenthaltssituation ist mit so vielen Schwierigkeiten verbunden, dass die vorhandenen internen Ressourcen nicht als Schutz für die Gesundheit eingesetzt werde können“ (Hunkeler/Müller 2004 S. 6).

Im Einzelnen kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass „Menschen in einer unsicheren Aufenthaltssituation Menschen in sicheren Aufenthaltsverhältnissen auf allen Ebenen der Lebensgestaltung unterlegen sind.“ (ebd. S.166). Sie stellen auch fest, dass es einen Zusammenhang zwischen einer unsicheren Aufenthaltserlaubnis und der Wohn- bzw. Arbeitssituation gibt (ebd. S. 172). Besonders deutlich dürfte dies werden, wenn wir uns die Lebensbedingungen von Menschen ohne Papiere (s. Homepage von PICUM), Flüchtlingen (s. Homepage Flüchtlingsrat Berlin) und Betroffenen des Menschenhandels (s. Homepage von Ban-Ying) vor Augen führen.

Aber auch andere Gruppen von Migrantinnen sind aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen, die der körperlichen wie psychischen Gesundheit nicht zuträglich sein dürften. Ein eklatantes Beispiel hierfür bietet § 31 Aufenthaltsgesetz. Dieser sieht vor, dass nichtdeutsche EhepartnerInnen mindestens 2 Jahre nach Ausstellung ihres – von der Ehe abhängigen – Aufenthaltsstatus mit dem deutschen Ehepartner zusammenleben müssen. Diese Ehebestandszeit von 2 Jahren muss im Zweifel nachgewiesen werden. Sollte die Ehe vor Ablauf dieser Zeit scheitern, müssen die nicht-deutschen EhepartnerInnen und ihre nicht-deutschen Kinder ausreisen.

Wenn die Fortsetzung der Ehe „eine besondere Härte“ bedeutet, ist es theoretisch möglich, vor Ablauf dieser 2 Jahre einen eigenständigen Aufenthaltsstatus zu erhalten. So kann Gewalt in der Ehe als Härte anerkannt werden, sofern diese nachgewiesen werden kann, was in der Praxis allerdings sehr schwierig ist. Das Gesetz ist natürlich geschlechtsneutral formuliert, aber wenn es um Gewalt in der Ehe geht, sind in der Regel die Frauen die Leidtragenden, sodass dieses Gesetz als eines gesehen werden muss, welches – zwar unintentional – aber dennoch Frauen überproportional betrifft.

Die Regelungen des § 31 AufenthaltG machen es vielen Migrantinnen beispielsweise unmöglich, vom Gewaltschutzgesetz zu profitieren. Dieses Gesetz ermöglicht es u.a., dass der Gewalttäter – zumindest vorübergehend – der gemeinsamen Wohnung verwiesen wird. Diese Wegweisung und damit auch eine – zumindest vorübergehende – Trennung des Ehepaares ist damit aktenkundig. Dies hat zur Folge, dass die Mindestehebestandszeit als nicht erfüllt gilt und der nicht-deutsche Ehepartner in der Regel die Aufenthaltserlaubnis verliert.

In einer besonders schwierigen Situation sind Kinder von Migrantinnen, die vom deutschen Stiefvater sexuell missbraucht wurden. Zwar ist sexueller Missbrauch von Kindern explizit als Härtefall genannt – aber auch dieser muss nachgewiesen werden. Es entsteht also die fatale Situation, dass die betroffenen Kinder gezwungen werden, über sexuelle Gewalt zu sprechen, um den eigenen Aufenthaltstitel und den der Mutter nicht zu gefährden. Die Folge dieser Regelung ist, dass viele von Gewalt betroffene Migrantinnen sich entschließen, die Gewalt in Kauf zu nehmen, bis sie den Anspruch auf einen eigenständigen Aufenthaltsstatus haben. Auf diese spezifische Vulnerabilität weisen auch Hunkeler/Müller hin, die zudem davon ausgehen, dass „diese Vulnerabilität auch für die Anfälligkeit für physische und psychische Beeinträchtigungen gilt.“ (Hunkeler/Müller 2004, S. 166).

Die absurdeste Verknüpfung zwischen einem Aufenthaltsstatus und dem Gesundheitszustand eines Menschen wird hergestellt, wenn der Aufenthaltsstatus eines Migranten bzw. einer Migrantin auf einer ernsthaften Erkrankung und/oder Traumatisierung basiert, wie zum Beispiel im Fall von bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen, die unter schweren posttraumatischen Belastungsstörungen leiden (siehe hierzu auch Veranstlatungsdokumentation: Krankheit als Abschiebehindernis). Eine Genesung in solchen Fällen hat notgedrungen die Abschiebung zur Folge. Gesundheit in solchen Fällen wieder herzustellen, ist meiner Ansicht nach nicht nur nicht leistbar; vielmehr erscheint eine solche Regelung besonders geeignet, den Gesundheitszustand weiter zu verschlechtern. Auch dies deckt sich mit den Ergebnissen von Hunkeler/Müller, die darauf hinweisen, dass „die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus sich zuerst auf der psychischen, später auf der physischen Ebene zeigt.“ (Hunkeler/Müller 2004, S. 172).

Ausblick

Gesundheit wird von der WHO definiert als „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur als das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 1946). Das Recht auf Gesundheit im Sinne der WHO ist in vielen Menschenrechtsdokumenten festgeschrieben – so auch in Artikel 12 des UN-Sozialpakts, wo das Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit sowie das Recht auf medizinische Versorgung für jeden Menschen bestimmt ist.

Nach der Auslegung des UN Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beinhaltet dieses Recht nicht nur die Verfügbarkeit von quantitativ ausreichenden und qualitativ genügenden öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, sondern auch den diskriminierungsfreien Zugang zu den vorhandenen Gesundheitseinrichtungen (Allgemeine Erklärung General Comment Nr. 14 des Ausschusses für WSK-Rechte).

Es stellt sich also die Frage, ob MigrantInnen in Deutschland in den Genuss dieser – ihnen zustehenden – Menschenrechte kommen oder nicht. Bei undokumentierten MigrantInnen dürfte die Verneinung dieser Antwort leicht fallen, ebenso bei Asylsuchenden und Betroffenen des Menschenhandels, die per Gesetz (§ 4 Asylbewerberleistungsgesetz) nur einen Anspruch auf limitierte gesundheitliche Leistungen haben. Bei anderen Gruppen von MigrantInnen ist es schwerer, diese Frage zu beantworten.

Natürlich kann der Staat für die rassistische Diskriminierung einzelner privater AkteurInnen nur sehr begrenzt verantwortlich gemacht werden. Dennoch bin ich der Ansicht, dass hierzulande von einem diskriminierungsfreien Zugang zu vorhandenen Gesundheitseinrichtungen keine Rede sein kann. Auch die weitgehende Ignoranz von Rassismus als krankmachenden Aspekt ist in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar.

Am schwersten ist aber vorstellbar, dass Migrantinnen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus bzw. einem Aufenthaltsstatus, der sich beispielsweise direkt von einem Ehemann ableitet, sich in einem Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens befinden. Vielmehr wurde hier eine Situation geschaffen, in der von Gewalt betroffene Migrantinnen in Lebensbedingungen ausharren, die ihnen physisch wie psychisch Schaden zufügen. Für diese Regelung hingegen kann der Staat verantwortlich gemacht werden, sodass die Frage nach dem Genuss des Menschenrechts auf Gesundheit für viele Gruppen von Migrantinnen verneint werden muss.

April 2009

Literatur

 

Erster Anne-Klein-Frauenpreis für Dr. Nivedita Prasad

Die Heinrich-Böll-Stiftung vergibt den diesjährigen Anne-Klein-Frauenpreis an eine mutige Vorkämpferin gegen die Ausbeutung von MigrantInnen in haushaltsnahen Dienstleitungen, an die Frauenrechtsaktivistin Dr. Nivedita Prasad. Die Vergabe des Preises versteht die Heinrich-Böll-Stiftung als eine politische Stellungnahme. Der Preis soll durch die mit ihm verbundene Aufmerksamkeit, finanzielle Unterstützung und politische Anerkennung helfen, die feministischen und frauenpolitischen Anliegen der Preisträgerin voranzubringen. Somit versteht die Heinrich-Böll-Stiftung die Ehrung Nivedita Prasads auch als Ansporn an sich selbst, sich verstärkt mit dem Thema Transnationaler Care-Ökonomie in Verbindung mit Menschenrechten, Menschenhandel, Frauenhandel, Arbeitsmigration auseinanderzusetzen.

Mehr Informationen zum Preis finden Sie hier

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Dr. Nivedita Prasad ist wissenschaftl. Mitarbeiterin bei Ban Ying und arbeitet als Dozentin für verschiedene Unis zu den Themen Rassismus, Migration, Diskriminierung und Menschenrechte. 2008 wurde sie zum Thema „Gewalt gegen Migrantinnen“ promoviert.