Grundrechte für Familien im illegalen Aufenthalt gewährleisten

Demo-Plakat "Gleiches Recht für alle"
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Demo-Plakat "Gleiches Recht für alle" (Hamburg 2013)

 

von Christa Götsch und Antje Möller

In Hamburg als Metropole und Hafenstadt leben Tausende Menschen ohne Papiere. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Ob die Größenordnung vier-, fünf- oder sechsstellig ist, lässt sich nur schätzen. Wenn schon die Städte München und Leipzig jeweils von fünfstelligen Zahlen ausgehen, warum sollten es in Hamburg weniger sein?

Abwälzen der Verantwortung auf zivilgesellschaftliche Initiativen

Über das Leben der Menschen wissen wir wenig. Wer Kontakt zu den Illegalisierten hat, dem droht Strafverfolgung und wenn sie um Hilfe bitten, folgt in der Regel die unmittelbare Abschiebung.

Die Hamburgische Regierungspolitik zeichnet sich dadurch aus, dass die zuständigen Behörden sich für nicht zuständig erklären, da „sich die Fragestellung mit den Begriffen ‚in der Illegalität lebende Menschen’ und ‚Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus’ auf Ausländerinnen und Ausländer bezieht, die sich in Hamburg oder im Bundesgebiet aufhalten, ohne dass dieser Umstand den Ausländerbehörden bekannt ist“.  

In den Antworten des Senats auf die Große Anfrage der GAL zum Leben in der Illegalität wurde klar: Weder verfügt der Senat über eine annähernde Schätzung der Zahl der Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, noch kann der Senat eine einzige Institution benennen, die mit Unterstützung der Stadt humanitäre Hilfe für Menschen in der Illegalität anbietet, um deren teilweise menschenunwürdigen Lebensumstände zu erleichtern.

In München wurde schon im Jahr 2001 vom Stadtrat eine wissenschaftliche Studie über das Leben in der Illegalität in Auftrag gegeben. Die Verfasser der Studie gehen von 30.000 bis 50.000 erwachsenen Personen und mehreren hundert Kindern in München aus und haben konkrete Vorschläge entwickelt, die vom Sozialausschuss der Stadt München aufgegriffen wurden.

In Hamburg konnte im schwarz-grünen Bezirk Altona eine Konferenz organisiert werden, bei der vor allem über die gesundheitliche Versorgung und auch den Schulbesuch diskutiert wurde, konkrete Projekte entwickelten sich daraus bisher nicht. Der anonyme Zugang zu medizinischen Untersuchungen ist nur in der Zentralen Beratungsstelle für sexuelle Krankheiten möglich. Außerdem können sich Frauen in Notfällen bei pro familia gynäkologisch untersuchen lassen und es gibt die Mobile Hilfe der Caritas Hamburg für Obdachlose. Diese Angebote haben jedoch schon mehr als genug mit ihren eigentlichen Zielgruppen zu tun. Von einem risikolos nutzbaren Angebot der medizinischen Grundversorgung kann in Hamburg keine Rede sein. Praktische Hilfe bieten in Hamburg nur zivilgesellschaftliche Initi-ativen, die jenseits des staatlichen Gesundheitssystems medizinische Hilfe vermitteln.

Allgemeine Menschrechte für alle?

Nun erfordert die Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht nur ein Mindestmaß an medizinischer Hilfe (Art. 25), es sollte auch Schutz vor Ausbeutung in Arbeitsverhältnissen geboten werden (Art. 4, Art. 23), was praktisch kaum durchsetzbar ist.

Die von der Stadt Hamburg betriebene Öffentliche Rechtsauskunft leitet die Daten der Hilfesuchenden zwar nicht an die Ausländerbehörde weiter, hat aber jenseits von Beratung über die Möglichkeiten, die Illegalität zu verlassen, keine Befugnisse. Des Weiteren gibt es in Hamburg keine Regelung analog der durch den Berliner Senat erfolgten Klarstellung, dass Arbeitsgerichte nicht verpflichtet sind, den ausländerrechtlichen Status der Klagenden zu erfragen.

Das Recht auf Bildung

Besonders dramatisch ist jedoch die faktische Verweigerung des allgemeinen Menschenrechts auf Bildung (Art. 26 der UN-Menschenrechtserklärung). Nachdem in Hamburg ein Mädchen in der elterlichen Wohnung, sozusagen unter den Augen des Jugendamtes, verhungerte, wurde in einem Untersuchungsausschuss nicht nur die Jugendhilfe umstrukturiert, sondern auch ein SchülerInnen-Zentralregister eingeführt, auf das die Ausländerbehörde direkten Zugriff hat. Da die Schulen nun verpflichtet sind den Aufenthaltsstatus der Kinder zu ermitteln, bringt das Ziel, vernachlässigte Kinder zu erfassen, die nicht zur Schule gehen oder plötzlich verschwinden, den Verlust des Zugangs zu Bildung für Kinder ohne Papiere mit sich. Die beabsichtigte Aufdeckung des Aufenthaltstatus wird im Zweifel dazu führen, dass Kinder aus diesen Familien von den Schulen genommen werden oder nicht mehr angemeldet werden, um eine Abschiebung zu vermeiden.

Faktisch wird das Recht auf Bildung damit ausgehöhlt. In der Folge werden Kindern jegliche Bildungs- und Integrationschancen genommen. Dieses Vorgehen als einzigen Weg zur Wahrung des Kindeswohls zu bezeichnen ist zynisch und ignorant gegenüber der Lebenssituation der betroffenen Familien. Allerdings ist dies auch typisch für die politische Debatte von CDU und SPD zum Thema „Menschen ohne Papiere“.

Einem von der GAL initiierten öffentlichen Appell für den Schutz dieser Kinder haben sich Hunderte von Menschen angeschlossen. Einzelne Schulen forderten weiterhin das Recht, in Einzelfällen auf das Ab-fragen des Aufenthaltstatus zu verzichten. Die GAL-Bürgerschaftsfraktion hat einen Bürgerschaftsantrag erarbeitet, der die Verordnung über die Einrichtung des Schülerregisters so ändert, dass keine Daten über den ausländerrechtlichen Status der Kinder erhoben werden und dass die Innenbehörde nicht auf den Datenbestand zugreifen kann.

Außerdem wird eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Meldegesetzes gefordert, um sicherzustellen, dass die Kinder von MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus an staatlichen Schulen beschult werden können, ohne dass Eltern und Kinder ihre Festnahme und Abschiebung befürchten müssen. Eine parlamentarische Mehrheit fand sich dafür nicht. Unter dem öffentliche Druck sah sich die alleinregierende CDU zu einer Regelung gezwungen, die nun den Senat auffordert: „sofern der Abgleich ergibt, dass kein legaler Aufenthaltsstatus gegeben ist, ist hinsichtlich des weiteren Vorgehens jeweils eine sorgfältige Einzelfallprüfung vorzunehmen; bei dieser sollen im Rahmen der rechtsstaatlichen Vorgaben sowohl schulische als auch persönliche Belange der betroffenen Schüler so weit wie möglich berücksichtigt werden.“ (Ausschussbericht, Drucksache 18/6816, Hamburgische Bürgerschaft, S.7)

Den Zugriff auf Daten verhindern

Eine erste Auswertung nach einem Jahr SchülerInnen-Zentralregister hat keine Erkenntnisse über aufgedeckte Familien gebracht. Andererseits gibt es natürlich überhaupt keine Möglichkeit zu ermitteln, wie viele Kinder aus Angst vor Entdeckung eben nicht an einer Schule angemeldet wurden. Die GAL-Fraktion bleibt bei ihrer Auffassung, nach der Schulen und Lehrpersonal sich verantwortungsvoll für das Recht der Kinder auf Bildung und damit gegen die Abfrage des Aufenthaltsstatus entscheiden können. Im Übrigen ist die große Koalition in Berlin aufgefordert, im Zusammenhang mit dem geplanten  Bundeszentralregister für SchülerInnen, auch den Kindern aus Familien im illegalen Aufenthalt ihr Recht auf Bildung nicht zu versagen. Im europäischen Ausland, wie zum Beispiel in Spanien, haben Ausländerbehörden keinen Zugriff auf die Sozialdaten, daran sollte Deutschland sich orientieren.

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Christa Goetsch (re) ist Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und Vorsitzende der GAL-Fraktion; Antje Möller ist Mitglied der Hamburger Bürgerschaft sowie innen- u. flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL-Fraktion.