Sport als Mittel der interkulturellen Verständigung?

Fußballmannschaft mit "Fußball gegen Rassismus" Banner

von Dirk Halm

Der Sport sieht sich großen Erwartungen hinsichtlich seines integrativen Potentials ausgesetzt. Sport "spricht alle Sprachen", ist "Integrationsfeld Nummer 1" und "kennt keine Grenzen" - treffende Zustandsbeschreibungen oder bloße Imperative? Wohl Imperative, die als Zustandsbeschreibungen getarnt durch den gesellschaftlichen Diskurs geistern. Die Realität indessen ist ambivalent: Sport bietet nicht nur die Möglichkeit zu Verständigung unter dem Dach überkultureller Normen und Regeln, sondern ebenso die Gelegenheit zu ethnischer und nationaler Selbstvergewisserung in Konkurrenzsituationen, die besonders im Fußball dem Wettbewerb, den alternative soziale Systeme und Lebensbereiche bereithalten, oft in nichts nachstehen. Sport birgt die Chance für interkulturelle Verständigung und die Gefahr von Dissens gleichermaßen.

Sport als Konfliktfeld

Der vom Sport abgegrenzte Raum wird denn auch extensiv zur Austragung von Konflikten genutzt: Fans konkurrierender Teams verabreden sich wochenends zwecks Scharmützel an niederländischen Autobahnraststätten. In ihrer nationalen Ehre gekränkte Kolumbianer exekutieren nach verloren gegangenen Weltmeisterschaften ihre Fußballstars. Zu engagiert zu Werke gehende Nationalmannschaftstorhüter provozieren Krisen in den deutsch-französischen Beziehungen. Englische Fußballfans bezahlen die Verunglimpfung der türkischen Flagge mit dem Leben. Schiedsrichter werden zum Spielball für frustrierte Kicker bei deutsch-türkischen "Länderspielen" in der Kreisklasse, die im Übrigen aufgrund der wachsenden Zahl eigenethnischer Teams immer zahlreicher stattfinden.

Der vorherrschende Diskurs interpretiert diese Vorfälle als Ausnahmeerscheinungen und reagiert soweit möglich mit auch sprachlich manifest werdender Ausgrenzung der Beteiligten ("Das sind keine Fans, das sind Kriminelle"). So berechtigt oder unberechtigt derartige Feststellungen im Einzelfall auch sein mögen - die Frage, bis zu welchem Grad auch Unsportlichkeit in Wirklichkeit systemimmanent ist, tritt in den Hintergrund.

Will der Sport sich gegenüber derartigen Vorgängen in Zukunft stärker verwahren, so gilt es, die sprachliche (und sonstige zeichenhafte) Konstruktion seiner selbst bewusster gegenüber chauvinistischen/nationalistischen Diskurssträngen abzugrenzen. Das Verhältnis von Nationalismus und Globalisierung ist dabei im Übrigen höchst widersprüchlich: Denn gerade im Profifußball haben, die Spielregeln der global economy längst Einzug gehalten - die Akzeptanz von Multikulturalität und Supranationalität und chauvinistische Selbstvergewisserung fristen eine erstaunliche Koexistenz.

Konstruktion von Differenz

Sport ist Ausdrucksmittel ethnisch-kultureller Identität und als solches kann er Grenzen zwischen Menschen verfestigen. Die Missverständnisse hinsichtlich der Verständigungsleistung des Sports sind oft darin begründet, dass Schnittmengen im Verhaltensrepertoire der Akteure zu falschen Annahmen über die gegenseitige Verständigung führen. Tatsächlich divergiert der Zugang zum Sport - was das Verhältnis zu Körperlichkeit, das Verständnis von Fairness, die Engagementbereitschaft und viele weitere Punkte betrifft, mitunter zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft ganz erheblich.

Die allenthalben betriebene Entkontextualisierung des Sportwesens ("Unser Sport muss sauber bleiben") wird vor diesem Hintergrund zum Problem für seinen interkulturellen Verständigungsbeitrag - ermöglicht doch erst die Anerkenntnis der Tatsache, dass Wunsch und Wirklichkeit beim interkulturellen Kontakt mitunter weit auseinander klaffen, eine Sicht auf die Bedingungen, unter denen der Sport die ersehnte Verständigungsleistung zu erbringen vermag. Die Konstruktion des Sports unter Herauslösung aus seinem sozialen Kontext ist nicht nur problematisch für die Herstellung interkultureller Verständigung im Sinne des Selbstbildes der Akteure, sondern kann auch den Blick auf die systemischen Bedingungen für Verständigung verstellen.

Trotz aller angebrachter Skepsis sind die Bedingungen für die Erzielung von Verständigung im Sport keineswegs schlechter, eher sogar besser einzuschätzen als auf anderen gesellschaftlichen Kontaktfeldern - allerdings gilt dies im Fußball insbesondere für gemischtethnische Mannschaften. Hier ist Kontaktregelmäßigkeit und die Arbeit für ein gemeinsames Ziel sowie eine zumindest durch die sportlichen Regeln vermittelte Statusgleichheit gegeben. Für diese gemischtethnischen Mannschaften lässt sich durchaus eine deutliche Kausalität hinsichtlich der Herstellung von interkultureller Gemeinsamkeit im und durch den Sport konstatieren.

Voraussetzung ist also das Miteinander und nicht Gegeneinander im Sport. Die Grundlagen hiefür kann der Sport nur in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive schaffen. Wie weit die soziale Entkontextualisierung besonders im Fußballsport und die gesellschaftliche Sonderrolle, die er sich selbst zuschreibt, geht, macht einen unvoreingenommene Sicht auf die Kommunikationsweisen und Konfliktbewältigungsstrategien im Spielbetrieb klar: Diese Strukturen sind durchaus autoritär. Ihre Angemessenheit für eine pluralistische und multiethnische Gesellschaft kann keineswegs als sicher gelten - denn a priori ist nicht immer von einem gemeinsam geteilten Handlungsrepertoire im Sport auszugehen, das aber Voraussetzung für die Akzeptanz einer im Kern autoritär vertretenen Normsetzung wäre. Die Differenzierung der von Einstellungen und Lebensentwürfen ist dabei längst nicht abgeschlossen.

Der Sport muss sich angesichts dieser Herausforderungen in mancher Hinsicht reformieren, wenn nicht neu erfinden. Dazu gehört zuvorderst ein neues Selbstverständnis des Sports, seine stärkere Verortung in der Gesamtgesellschaft anstatt die Stilisierung zu einer Insel der Glückseligen. Nicht nur der Kenntlichmachung der vom Sportsystem nicht zu verantwortenden Diskriminierungen und Chauvinismen wäre dies zuträglich, auch die Identifizierung der desintegrativen Muster, die der Sport selbst reproduziert, würde ermöglicht. Neben der gesamtgesellschaftlichen Perspektive gilt es indessen, auch die kulturell vermittelten Selbstbilder zu thematisieren - Regeln und Normen im Sport sind nicht fix, sondern unterliegen der individuellen Konstruktion der Akteure. Gemeinsamkeit in der Verschiedenheit - dieser Imperativ eröffnet den Blick auf die Möglichkeit interkultureller Verständigung im Sport.
 

Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung eines in der Zeitschrift "Quadratur ", No. 2/2000, erschienenen Textes mit dem Titel "Sport als Mittel und Hindernis interkultureller Verständigung".

Juni 2006

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Dr. Phil. Dirk Halm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen und Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster.