Wie soll der religiöse Pluralismus in Deutschland organisiert werden? (V. Beck)

 

Antworten von Volker Beck    

Soll der Islam als eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft den christlichen Kirchen in Deutschland gleichgestellt werden?

Die rechtliche Situation des Islam in Deutschland ist gegenwärtig mehr als unbefriedigend: Den christlichen Kirchen und der jüdischen Religionsgemeinschaft garantiert ihr Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts Partizipation und damit auch die Ausübung ihrer - verfassungsrechtlich verbrieften - kollektiven Religionsfreiheit. Sie verfügen über Repräsentationsstrukturen, die dem Staat eine enge Kooperation und den Dialog mit ihren Vertretern ermöglichen. Beim Islam fehlt bislang dergleichen. Das bemängelt mittlerweile übrigens auch die Bundesregierung, wie aus einer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Ds. 16/5033) jetzt hervorgeht.

Menschenrechtler und sogar Kirchenvertreter kritisieren die fehlende rechtliche Gleichstellung des Islam als Grundrechtseingriff: Wie alle Menschenrechte verlange die Religionsfreiheit Gleichberechtigung, sagt etwa der renommierte Direktor des deutschen Menschenrechtsinstituts, Heiner Bielefeldt. Die mangelnde Anerkennung verletze die Religionsfreiheit der hier lebenden Muslime und ihren Anspruch auf Gleichberechtigung bei der Religionsausübung. Auch die katholische Kommission Justitia et Pax hat unlängst die rechtliche Gleichstellung des Islam angemahnt und die Bundesrepublik kritisiert, weil sie die Religionsfreiheit nicht „konsequent“ verwirkliche. Der Staat habe „für die Förderung des religiösen Lebens günstige Bedingungen zu schaffen, damit die Bürger auch wirklich in der Lage sind, ihre religiösen Rechte auszuüben und die religiösen Pflichten zu erfüllen“. Eine „Ausgrenzung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum von Staats wegen“ verstoße gegen die Religionsfreiheit; denn diese umfasse immer auch das öffentliche Bekenntnis bzw. das öffentliche Wirken der Religionsgemeinschaften“.

Welche Repräsentationsformen für Muslime sind wünschenswert und welche notwendig für die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft?

Wünschenswert wäre eine Struktur, die den über 3 Millionen Muslimen in unserem Land eine Teilhabe an unserem gesellschaftlichen Leben gewährleistet, die der der christlichen und jüdischen Organisationen gleich kommt. Auch wenn das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religions- Weltanschauungsgemeinschaften dem Staat eine gewisse Zurückhaltung gebietet, muss man sich dennoch alle Mühe geben und auf eine angemessene Repräsentationsform vorantreiben.

Eine abstrakte „Anerkennung“ von Religionsgemeinschaften kennt das deutsche Verfassungsrecht nicht. Eine solche würde sich auch mit der im Grundgesetz angelegten Konzeption des Verhältnisses von Staat und Kirchen/Religionsgemeinschaften, die auf dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften und deren Unabhängigkeit vom Staat basiert, nicht vertragen.

Üblicherweise versteht man aber unter einer Religionsgemeinschaft einen Verband, der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst. Wann diese Voraussetzungen bei muslimischen Organisationen vorliegen, ist nicht immer ganz leicht, wie diverse Gerichtsverfahren in der Vergangenheit zeigen: So wurde zum Beispiel der Islamischen Föderation in Berlin mit Urteil des OVG Berlin vom 04. November 1998 bestätigt, dass sie im Hinblick auf § 23 des damals geltenden Berliner Schulgesetzes alle Merkmale einer Religionsgemeinschaft erfüllte. Wegen Erteilung von Religionsunterricht ist im Land Nordrhein-Westfalen noch ein Gerichtsverfahren anhängig, in dem es zunächst um die Vorfrage ging, ob die klagenden Verbände – Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V. und Zentralrat der Muslime e. V. – Religionsgemeinschaften im Sinne von Artikel 7 Abs. 3 GG seien. Das Verfahren ruht derzeit.

Dabei ist klar, für den gesellschaftlichen Dialog braucht der Staat oder die Politik keine bestimmte Form der Repräsentation. Man kann auch die Meinungen von mehreren Interessenverbänden einholen, wenn es um die islamischen Interessen etwa beim Tierschutzgesetz (Stichwort: Schächten) oder beispielsweise der Bestattungsordnung geht.

Da wo der Staat beim Religionsunterricht oder bei der Ausbildung von Theologen mit den Religionsgemeinschaften eine Partnerschaft eingeht, reicht die Verfasstheit als Verbände nicht aus. Wer Katholik oder Protestant ist, wird von der jeweiligen Kirche als Mitglied geführt und besitzt das Wahlrecht zu den Vertretungsorganen der Gemeindemitglieder, bei den Protestanten auch zu den Synoden. Für diese Mitglieder handelt dann auch die Leitung der Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger als von der Kirchen ist auch von den Muslimen zu verlangen.

Welche Fragen müssen zwischen Staat und islamischen Repräsentanten bearbeitet werden?

Eine der wichtigsten Fragen wird sein: Wie schafft man es, eine Repräsentation zu gründen, die auch die vielen, in Deutschland lebenden Muslime, die nicht in irgendeiner der aktuell bestehenden Islam-Organisationen Mitglied sind, mit vertritt oder ihnen zumindest das entsprechende Angebot unterbreitet? Oder auch: Würde eine solche Organisation wirklich im Widerspruch mit der Verfasstheit des Islam stehen, wie einige Verbandsvertreter immer gerne behaupten? Und auch:  Welche staatliche Einflussnahme ist angesichts unseres Religionsverfassungsrechtes möglich? Brauchen wir gegebenenfalls gesetzliche Änderungen?

Die Beantwortung dieser Fragen ist auch Voraussetzung für eine verfassungskonforme Lösung der dringenden integrationspolitischen Probleme in diesem Zusammenhang: Islamischer Religionsunterricht, Ausbildung islamischer Religionslehrer und deutschsprachige Imame an eigenen theologischen Fakultäten.

Welche Rolle sollte hierbei die Deutsche Islamkonferenz spielen?

Die Bundesregierung sagt in ihrer Antwort auf die Anfrage der Grünen, dass sie es begrüßen würde, wenn von muslimischer Seite auf der Ebene des Bundes und der Länder repräsentative Vertretungen gebildet würden, die als Ansprechpartner in den Angelegenheiten auftreten könnten, bei denen ein Zusammenwirken zwischen staatlichen Stellen und Religionsgemeinschaften entweder verfassungsrechtlich geboten ist (z. B. hinsichtlich der Erteilung von Religionsunterricht gemäß Artikel 7 Abs. 3 GG oder der Organisation einer Militär- oder Anstaltsseelsorge nach Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 141 WRV) oder sonst im gemeinsamen Interesse liegt (z. B. Vertretung in Gremien, Anhörung bei Rechtsetzungsverfahren o. ä.). Gleichzeitig schreibt sie aber, dass sie mit Rücksicht auf das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften „keine Möglichkeit“ zu einer staatlichen Einflussnahme auf eine Institutionalisierung sieht. Das ist mir ehrlich gesagt zu mutlos: Staaten wie Spanien, Österreich oder Frankreich haben längst Modelle entwickelt, die eine Gesamtrepräsentanz der Muslime ihres Landes sicherstellt. Der streng laizistische französische Staat hat sich mit Schaffung des Islamrates als Geburtshelfer betätigt, was für die reine verfassungsrechtliche Lehre in Deutschland als Sakrileg gilt. Und in Österreich steht die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) als autorisierte Ansprechpartnerin des Staates in allen religiösen und gesellschaftspolitischen Fragen zur Verfügung. Im österreichischen Islamgesetz von 1979 wird bestimmt, dass alle Muslime, die ihren Aufenthalt in Österreich haben, dieser Gemeinschaft angehören.

Ich wünsche mir, dass die Islamkonferenz wenigstens eine Art „road map“ zur Gleichstellung entwirft: Die Hilfestellung des Staates bei der Erlangung der Voraussetzung unseres Religionsverfassungsrechtes, ohne Rabatt bei den Voraussetzungen, und eine klare Zusage der gleichberechtigten gesellschaftlichen Partizipation für eine oder mehrere islamische  Religionsgemeinschaften sollten zentrale Eckpunkte einer verbindlichen Vereinbarung zwischen Staat, Bund und Ländern, und islamischen Verbänden sein.

 

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Volker Beck ist erster Parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Menschenrechtspolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen.