Zwölf Antworten auf vier Fragen: Sichtweisen und Erfahrungen von Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund

Die folgenden Interviews stehen exemplarisch für die vielfältigen Lebenswege von gewählten KommunalpolitikerInnen mit Migrationshintergrund, die sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagieren. Drei von ihnen beantworten Fragen nach ihren Beweggründen, sich in ihrer und für ihre Stadt zu engagieren, nach ihren besonderen Erfahrungen als Angehörige einer ethnischen Minderheit oder People of Color, nach den Zielen, die sie mit ihrer Arbeit verfolgen, sowie nach ihrer Einschätzung, wie die Repräsentation und aktive politische Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund verbessert werden könnte.

Dr. Karamba Diaby
ist seit 2009 für die SPD im Stadtrat von Halle (Saale). Der promovierte Chemiker und Geoökologe wurde 1961 in Senegal geboren und lebt seit 1986 in Deutschland. Er leitet hauptamtlich den Bereich Migration und Integration in einer Jugendeinrichtung der Stadt.

Onur Ocak
ist 2009 für die Partei Die Linke in den Bielefelder Stadtrat gewählt worden. Mit 21 Jahren ist er das jüngste Ratsmitglied mit Migrationshintergrund in einer deutschen Großstadt. Er studiert Rechtswissenschaften in Bielefeld und arbeitet als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl. Der in Istanbul geborene Onur kam im Alter von 2 Jahren nach Deutschland mit seinen Eltern, die aus politischen Gründen das Land verlassen mussten.

Niombo Lomba
ist seit 2009 gewählte Stadträtin im Stuttgarter Stadtrat. Die studierte Politologin war von 2000 bis 2002 Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen und anschließend als Beraterin für Public Affairs & Relations bei der Agentur PRGS - ECCO in Berlin tätig. Seit 2011 ist sie Leiterin der Stabsstelle für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Staatsministerium von Baden-Württemberg.

Bild entfernt. Was waren ihre Motive für ihr politisches Engagement in einer Partei?

Dr. Karamba Diaby: Politisch aktiv bin ich schon seit meinem 14. Lebensjahr, damals noch im Senegal in der Schule, später nach meiner Ankunft in Deutschland an der Hochschule in Halle an der Saale. Seit 3 Jahren bin ich Mitglied der SPD und seit 2 Jahren Mitglied des Stadtrates. Meine Motive für mein Engagement sehe ich in den Möglichkeiten, eigene Ideen und Vorstellung umzusetzen und Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen zu können. Als Mitglied einer Partei erhalte ich Einblicke in Strukturen und gewinne praktische Erfahrungen im demokratischen Willensbildungsprozess, die auch für das Einbringen und die Durchsetzung von eigenen Themen wichtig sind. Nicht zu unterschätzen ist neben den vielen Informationen, die ich bekomme, auch der persönliche Kontakt zu vielen Menschen. Denn Politik wird von Personen bestimmt.

Onur Ocak: Ich bin in einem politisch interessierten Haushalt aufgewachsen. Meine Eltern waren in der Türkei selber politisch aktiv, so dass Politik bei uns in der Familie immer ein Thema war. So habe ich relativ früh erfahren müssen, dass einem in dieser Gesellschaft nichts geschenkt wird und man sich seine Rechte, Ansprüche und Interessen erkämpfen und erstreiten muss. Ich habe lernen müssen - insbesondere in der Schule, dass man sich zwar alleine durchkämpfen kann, aber man nur wirklich erfolgreich ist, wenn man sich gemeinsam mit Gleichgesinnten organisiert, um seine Interessen durchzusetzen. Anlass für meine Politisierung waren die schreienden Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft. Die Einführung der Hartz IV Gesetze (von denen meine Familie und ich betroffen waren) und insbesondere der Irak- und Afghanistankrieg haben mich stark politisch beeinflusst. Mir ist klar geworden, dass weder soziale Gerechtigkeit noch eine klare Friedenspolitik („Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg“) in der bestehenden Wirtschaftsordnung garantiert sind. Ich bin in die Partei Die Linke eingetreten, um eine solidarische, friedliche und demokratische Gesellschaft zu erkämpfen, in der die Wirtschaft sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet und nicht nur nach dem Profit. Ich nenne diese Gesellschaftsform den demokratischen Sozialismus.

 

Niombo Lomba: Ich komme aus einer sozial und ökologisch engagierten Familie und hatte immer mitbekommen, dass es sich lohnt, für etwas zu arbeiten, an was man/frau glaubt. Dazu gehören in meinem Fall Werte wie Freiheit, Ökologie, Gerechtigkeit. Ich habe während der Uni-Zeit festgestellt, dass es sich lohnt, sich zu engagieren. Dann wurde mir klar, dass ich das auch in der Politik machen wollte.

Bild entfernt. Welche förderlichen bzw. hinderlichen Bedingungen finden Sie in ihrem politischen Alltag vor?

Dr. Karamba Diaby: Förderlich sind die vielen Erstinformationen, das Bestimmen und Platzieren von Themen, die einem wichtig sind. Das Gefühl zu haben mitzubestimmen ist enormer Motor für mein Engagement. Als hinderlich empfinde ich manchmal die Überschneidung von Kompetenzbereichen – es ist nicht immer leicht zu unterscheiden, ob ein Thema kommunale, Länder- oder Bundessache ist. Hier empfinde ich manchmal, dass die kommunale Ebene einen zu engen Handlungsspielraum hat, der nicht zuletzt von akuten Haushaltszwängen bestimmt wird.

Onur Ocak: Innerhalb meiner Partei hat man es sehr einfach, als junger Student mit Migrationshintergrund an irgendwelche Posten oder verantwortungsvollen Ämter zu gelangen. Problematisch ist höchstens, dass man schnell „verheizt“ wird, wenn man all die Angebote und Möglichkeiten annimmt, die einem die Partei bietet. An Unterstützung und Fördermöglichkeiten fehlt es nicht. Ich habe im Rahmen der Parteiarbeit keine hinderlichen Bedingungen erfahren. Außerhalb der Partei, insbesondere im Rat, muss man sich erst mal etwas Respekt verschaffen. Man muss also einigen Alteingesessenen auch mal „so richtig an den Karren fahren“, damit sie einen ernst nehmen. Aber das ist kein Problem für mich. Das sind aber eher Hindernisse, die mit dem Alter verbunden sind. Hindernisse aufgrund meines Migrationshintergrundes sind eher unterschwellig. Neulich wurde mir von einem Zuschauer im Rat gesagt: „Oh, sie sprechen aber gut Deutsch!“. „ Sie aber auch!“ ist meine klassische Antwort auf solche zwar nett gemeinten, aber unterschwellig doch schon diskriminierenden Aussagen.

Niombo Lomba: Ich habe ein Umfeld an Parteifreundinnen und -freunden, das mich unterstützt. Das hilft, ebenso wie das Mentoringprogramm, an dem ich teilgenommen habe, mir geholfen hat, ein eigenes Netzwerk aufzubauen. In der Kommunalpolitik, wie sie in Stuttgart stattfindet, ist es schwer, wenn die Stadträte und -rätinnen nicht flexibel genug sein können. Die Erwartungen und Belastungen, die mit diesem Ehrenamt verbunden sind, sind sehr hoch. Die Anzahl an Sitzungen, Terminen, E-Mails, Einladungen steigen mit der Zeit. Dafür müssen die Stadträte und Stadträtinnen erst einmal viel Zeit investieren. Das ist schwer.

Bild entfernt. Haben Sie negative Erfahrungen im Laufe ihres politischen Engagements gemacht? Wenn ja welche?

Dr. Karamba Diaby: Natürlich gibt es latente, nicht ausgesprochene Vorbehalte bei vielen Menschen, auch gegenüber meiner Person. Doch ich habe immer dagegen gearbeitet. Ich führe hauptamtlich regelmäßig interkulturelle Trainings für alle gesellschaftlichen Gruppen durch, die darauf zielen, die Menschen über interkulturelle Themen aufzuklären und zu sensibilisieren. Als Mitglied in vielen Gremien, Netzwerken und Ausschüssen bin ich an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen beteiligt und kann mich aktiv einbringen. Die ehrenamtliche parteipolitische Arbeit ist daher nur ein Arbeitsfeld unter vielen.

Onur Ocak: Abgesehen von ausländerfeindlichen Sprüchen an Infoständen oder verächtlichen Äußerungen über meine politische Gesinnung, habe ich glücklicherweise keine negativen Erfahrungen gemacht.

Niombo Lomba: Sicherlich habe ich die ein oder andere negative Erfahrung gemacht. Dazu gehört beispielsweise, dass ich in Zeitungsartikeln Hinweise auf meine Hautfarbe gelesen habe. Das hat aber in Interviews oder in meiner Art, Politik zu machen, gar keine Rolle gespielt. Im Großen und Ganzen kann ich mich aber über negative Erfahrungen nicht beklagen.

Bild entfernt. Was sollten die Parteien tun, um die Repräsentation der Menschen mit Migrationshintergrund in Parlamenten zu verbessern?

Dr. Karamba Diaby: Gerade in meiner Partei wird das Thema der interkulturellen Öffnung sehr stark diskutiert. Aber es darf nicht bei gutgemeinten Absichtserklärungen bleiben. Der Prozess der interkulturellen Öffnung der Partei muss auch praktisch umgesetzt werden. Ich hoffe sehr, dass uns das gelingt. Da die Parteien als Repräsentantinnen der Gesellschaft gelten, sollte sich der Anteil von Bürger und Bürgerinnen mit Migrationshintergrund auch in der Zusammensetzung der Partei und in der Besetzung parteiinterner Ämter sowie in der Besetzung der Wahllisten widerspiegeln. Der Weg dahin ist noch lang, aber wenn beide Seiten, die MigrantInnen und die Parteien, aufeinander zugehen, kann sich die Tendenz ins Positive wandeln.

Onur Ocak: Parlamente sollen die politischen Mehrheitsverhältnisse der Bevölkerung widerspiegeln. Dazu gehört auch, dass sich sowohl die Geschlechter, wie auch die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (soziale und ethnische) widerspiegeln. Wir haben bei der Aufstellung unserer Liste für die Kommunalwahl gerade auf solche Kriterien Wert gelegt. So besteht unsere Fraktion nicht nur zur Hälfte aus Frauen, sondern auch zur Hälfte aus Migranten und Migrantinnen. Selbstverständlich geht das nur, wenn man auch entsprechend Migranten in der Partei organisieren kann. Der Repräsentation der Migranten in den Parlamenten muss jedoch die Repräsentation der Migranten in der Zivilgesellschaft vorausgehen. Da gibt es jedoch strukturelle und geistige Barrieren, die eingerissen werden müssen. Das geht vom konsequenten Antifaschismus über ein egalitäres Bildungssystem bis hin zu einem grundlegenden Politikwechsel. Denn man muss erst die sozialen Bedingungen für Teilhabe und politisches Engagement schaffen. Leider bedeutet Migrationshintergrund gleichzeitig viel zu oft auch Armut. Deshalb ist Migrationspolitik Bestandteil einer umfassenden Sozialpolitik. Letztendlich ist diese Aufgabe eine Herausforderung für die kommenden Jahrzehnte. Ich bezweifele, ob Parteien der Motor für diesen Wandel sein können, ich halte nichts von Stellvertreterpolitik. Parteien können aber helfen, die Selbstorganisation der Migranten zu unterstützen und zu fördern. Letztendlich gilt: Man muss seine Interessen gemeinsam erkämpfen, es wird einem nichts geschenkt.

Niombo Lomba: Das ist eine gute Frage. Im Grunde geht es im ersten Schritt, wahrzunehmen, dass hier Menschen leben, die eine andere Geschichte haben, eine Einwanderungsgeschichte. Man muss erkennen, dass sie aufgrund dieser Besonderheit all zu oft diskriminiert werden und nicht die gleichen Chancen haben, gesellschaftlich aufzusteigen. Die Parteien sollten sich für diese Menschen öffnen und sie bewusst fördern, wobei ich hoffe, dass es auch ohne die Einführung von Quoten gelingt. Darüber hinaus müssen Menschen, die länger hier leben und keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, das Wahlrecht bekommen. Es ist wichtig, dass sie als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden, und dass sie alle Rechte erhaten, sie mitzugestalten. Schließlich muss die Bildungs- und Integrationspolitik verändert werden, damit die Migrantenkinder bessere Chancen haben, in allen gesellschaftlichen Bereichen zu partizipieren  – auch in der Politik.

Die Interviews führte Cihan Sinanoglu im September 2011.

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Karamba Diaby, Onur Ocak und Niomba Lomba