Über das Dossier Welcome to Germany III – Visapolitiken und Willkommenskultur

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„Visum: (...) seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchliche Bezeichnung für ‚Sichtvermerk im Reisepass’“, so beginnt der Eintrag im Duden-Herkunftswörterbuch. Schon im Mittelalter gab es „Geleitbriefe“, die privilegierte Reisende schützen sollten, während arme Reisende mit Willkürmaßnahmen zu rechnen hatten. In den absolutistisch regierten Staaten Europas wurde dann zur Kontrolle von Reisen der Reisepass eingeführt. 

Die Bedingungen für die Vergabe von Sichtvermerken/Visa und für Reisefreiheit haben sich über die Jahrhunderte immer wieder geändert. Ob Kriegs- oder Friedenszeiten, Visa-Bestimmungen unterlagen und unterliegen einem permanenten Wandel.

Aktuell können EU-Bürger_innen auf Grund bestimmter Abkommen in den meisten Fällen ohne ein Visum in andere Länder der Welt einreisen oder leicht ein Touristenvisum erhalten. Umgekehrt unterliegen vor allem Bürger_innen des globalen Südens komplizierten und kostenpflichtigen Visa-Verfahren. Nicht immer sind diese Verfahren transparent; Kriterien wie „Rückkehrbereitschaft“ sind schwer zu belegen und leicht in Frage zu stellen. Während für Europäer_innen Reisefreiheit und Mobilität ein hohes und vielgenutztes Gut sind, ist dieses Gut umgekehrt für Menschen aus dem globalen Süden viel schwerer zugänglich. Sie müssen alle möglichen Nachweise erbringen, oft lange auf die Bearbeitung von Anträgen warten und Gebühren zahlen, die für lokale Verhältnisse horrende Summen sein können.

Das spiegelt sich auch auf der Website des Auswärtigen Amtes. Beim Thema Visum gibt es zwei Rubriken: für Staatsangehörige von EU-Staaten, die für Deutschland kein Visum benötigen, und für Staatsangehörige von Nicht-EU-Staaten, die bis auf bestimmte Ausnahmen grundsätzlich visumspflichtig sind. Dann folgt eine lange „Staatenliste zur Visumspflicht“.

Doch Visapolitiken verteilen nicht nur die Möglichkeiten frei zu reisen – sie berühren auch Bereiche wie Ausbildung und Studium, freiwilliges Engagement, Arbeit, Familienzusammenführung und humanitäre Notsituationen. Während es für deutsche und EU-Bürger_innen dazu gehört, „die Welt gesehen“ oder im Ausland studiert oder gearbeitet zu haben oder sich dort als Freiwillige_r zu engagieren -, bleibt dies für Bürger_innen des globalen Südens oft ein hürdenreiches oder unmögliches Unterfangen.

Die Freiwilligenorganisation „Zugvögel“ etwa, die Freiwillige aus dem globalen Süden an Einsatzstellen in Deutschland vermittelt, hat immer wieder Schwierigkeiten, wenn es um die nötigen Visa geht. Nachdem der Antrag einer jungen Frau aus Uganda endgültig abgelehnt wurde, entschied sich die Organisation deshalb, eine Visa-Kampagne zu starten. 

Die unterschiedlichen Visa-Regelungen führen auch dazu, dass beim Ehegattennachzug je nach Staatsbürgerschaft unterschiedliche Regelungen gelten, was den Sprachnachweis angeht. Ein Flyer des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gibt eine Übersicht – offen bleibt, warum deutsche Sprachkenntnisse für bestimmte Staatsangehörige zwingend sind und für andere nicht. Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes zeigt, dass Visa-Bestimmungen wie die zum Sprachnachweis und EU-Recht kollidieren können.

In Europa bietet zwar der Schengen-Raum durch den Wegfall von Binnenkontrollen eine größere Reisefreiheit. Aber er deckt sich zum einen nicht mit dem Gebiet der EU-Mitgliedsstaaten. Zum anderen bedeutet der Beitritt mitteleuropäischer Staaten für Bürger_innen osteuropäischer Staaten neue Hürden bei der Aufrechterhaltung privater und geschäftlicher Kontakte.

Eine restriktive Visa-Politik kann auch immer ein Einfallstor für Geschäftemacher_innen sein. Der Handel mit Botschaftsterminen für die deutsche Botschaft in Beirut ist ein Beispiel dafür, wie die Not syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge ausgenutzt wurde.

„Visapolitiken und Willkommenskultur“ – das ist ein komplexes Thema, das unser Dossier nur in Ausschnitten beleuchten kann. Nach einer juristischen Einführung nähern wir uns dem Thema vor allem durch Erfahrungsberichte von Menschen und Organisationen. Auf der einen Seite gibt es positive Erfahrungen und Einschätzungen der deutschen Visapolitik als „hart, aber fair“. Auf der anderen Seite stehen aber auch Beiträge, die ein anderes Licht auf die Willkommenskultur gegenüber Fachkräften oder binationalen Familien werfen. Sie zeigen, wie man trotz Stelle als Integrationslotsin oder trotz eines Volontariats bei einer renommierten Tageszeitung plötzlich um seinen Aufenthalt bangen muss. Wie der 2007 eingeführte Sprachnachweis beim Familiennachzug völlig unterschiedliche Voraussetzungen schafft für Menschen mit ein und demselben Anliegen – je nach Staatsbürgerschaft und lokalen Gegebenheiten. Wie sich die deutsche Visapolitik aus Sicht einer ukrainischen Nichtregierungsorganisation darstellt. Wie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut die Situation syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge erlebt. Und wie man trotz eines gültigen Schengen-Visums und als eingeladener Referent für eine internationale Konferenz in Abschiebehaft landen kann.

 

Julia Brilling                                                               Elisabeth Gregull

Heinrich-Böll-Stiftung                                                Dossier-Redaktion