Diversity gegen Diskriminierung? Das Zusammenwirken von Diversity und Anti-Diskriminierung

Grafik von Tanja Föhr

von Michael Stuber

 

Betrachtet man die gängige betriebliche Praxis, vom Massenmarketing bis zur gleichmacherischen Personalpolitik, so entsteht ein weitgehend homogenes Bild: Berufstätige Frauen, gar in Führungspositionen, ältere Leistungsträger oder solche mit Migrationshintergrund bleiben hochgelobte Ausnahmeerscheinungen.

Für Interessensgruppen belegt diese fehlende Vielfalt, dass Diskriminierung in Organisationen noch tief verankert ist. Auffallend ist daher das Diversity-Engagement einiger weniger innovativer Unternehmen, die die Individualität von MitarbeiterInnen und KundInnen gezielt als Stärke einsetzen. Der neue Management-Ansatz basiert einerseits auf der wachsenden Erkenntnis, dass sich die bewusste Nutzung, der - oft unbewussten - Belegschaftsvielfalt erfolgssteigernd auswirkt, andererseits auf neuen demographischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen.

Mit den Antidiskriminierungsrichtlinien der EU, die ihre Gültigkeit bereits erlangt haben, müssen sich künftig alle ArbeitgeberInnen auf neue Anforderungen einstellen. Zwar lässt die längst überfällige Umsetzung der Richtlinien in Deutschland weiter auf sich warten, doch ist klar, dass die Einführung eines deutschen ADGs in nächster Zukunft erfolgen muss und wird. Was aber hat Diversity mit dem bevorstehenden Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland zu tun? Sind die Konzepte deckungsgleich, kompatibel oder gar widersprüchlich?

Diversity: (K)ein Gleichstellungsansatz?

Als Instrument der Unternehmensführung beschreibt Diversity die Gesamtheit der Maßnahmen, die dazu führen, dass Unterschiedlichkeiten in und von einer Organisation anerkannt, wertgeschätzt und durch Einbeziehung als positive Beiträge genutzt werden. Ziel ist die optimale Berücksichtigung und effektive Förderung aller Fähigkeiten und Potenziale der Beschäftigen. Hierin besteht ein Unterschied zu manchen defizit-orientierten Differenz-Ansätzen der Vergangenheit, die die jeweils fokussierten Gruppen überwiegend mit „Problemen“ assoziierten.

Vorteile, die sich z. B. aus der Mehrsprachigkeit vieler MigrantInnen ergeben können oder die durch die Qualifikationen und Perspektiven von Frauen eingebracht werden, wurden lange Zeit kaum thematisiert. Dagegen lautet ein Grundgedanke von Diversity: Unternehmen, die die gesellschaftliche Vielfalt in ihrer Belegschaft widerspiegeln, sind erfolgreicher als monokulturelle. Treten klassische Gleichstellungsansätze für das Recht auf Repräsentation und Teilhabe bestimmter zuvor benachteiligter Gruppen ein, so stehen Nutzenüberlegungen im Fokus von Diversity. Insofern stellt Diversity ein ökonomisches Konzept dar, kein politisches oder ethisches.

Eine mögliche Strukturierung der verschiedenen Faktoren von Unterschiedlichkeit stellen die sogenannten Kern-Dimensionen von Diversity dar. Sie umfassen sechs biologische oder soziale Faktoren, die Menschen von Natur aus gegeben sind, ihre Lebenswelten prägen oder praktisch nicht veränderbar sind: Alter, Befähigung oder Behinderung, ethnisch-kulturelle Herkunft oder Prägung, biologisches und soziales Geschlecht, sexuelle Orientierung und Identität sowie religiöse Glaubensprägung.

Diese Faktoren stimmen mit den Diskriminierungsmerkmalen der EU Richtlinien überein und ermöglichen Gruppenbildungen sowie Unterteilungen in Mainstream (Hauptkultur) und Randkulturen. Während sich frühe Gleichstellungsansätze vor allem mit benachteiligten Gruppen befassten, z. B. Menschen mit Behinderung, nehmen sich spätere Chancengleichheits- oder Integrationsansätze eher einem Thema an, z. B. Migration.

Diversity beleuchtet zusätzlich zu Gruppen und Themen die Zusammenhänge und das Zusammenwirken verschiedener Faktoren, von denen jeder Mensch je eine Ausprägung aufweist und dadurch zum einzigartigen Individuum wird. Weiterhin zielt Diversity auf eine – soweit möglich – synergetische Bearbeitung verschiedener Themen im organisationalen Kontext ab. Dieser umfassende Charakter macht den Diversity-Ansatz besonders effektiv, führt zu hoher Akzeptanz und vermeidet den Eindruck einer umgekehrten Bevorzugung.

Das Antidiskriminierungsgesetz und seine Auswirkungen

Grundlage des in Deutschland umzusetzenden Antidiskriminierungsgesetzes sind die vom Europäischen Rat in den Jahren 2000 und 2003 verabschiedeten Antdiskriminierungsrichtlinien. Sie sollen helfen, Diskriminierungen auf Basis der sechs genannten Faktoren zu bekämpfen und zu verhindern.

Alle drei Richtlinien gelten für den  Bereich der Beschäftigung und umfassen dort folgende Geltungsbereiche: Zugang zu Beschäftigung, Aus- und Weiterbildung, Arbeitsbedingungen (inklusive Vergütung) sowie Mitgliedschaft und Mitwirkung in Organisationen. Mit Blick auf die festgelegten Tatbestände direkte und indirekte Diskriminierung sowie Belästigung müssen ArbeitgeberInnen ihre Beschäftigungspraxis überprüfen und ggf. anpassen, um zu gewährleisten, dass keine Person durch bestehende Prozesse oder Regeln benachteiligt und niemand innerhalb der herrschenden Kultur belästigt wird.

Da in Streitfällen der oder die ArbeitgeberIn nachweisen muss, dass keine Diskriminierung oder Belästigung vorgelegen hat, erscheint eine Auditierung von Prozessen auf Neutralität und Durchlässigkeit ebenso erforderlich wie eine Überprüfung der Unternehmenskultur mit Blick auf Belästigungspotenziale. All dies zumindest bezüglich der sechs Kerndimensionen von Diversity. Hierin bestehen jedoch nicht die einzigen Berührungspunkte der beiden Konzepte.

Anti-Diskriminierung: Folge statt Mission!

Die Umsetzung von Diversity folgt meist in einem mehrstufigen Vorgehen. Ausgangspunkt bildet eine Erstanalyse, die dazu dient, den Ist-Zustand einer Organisation zu ermitteln. Da hierbei die Sichtweisen vielfältiger Beschäftigtengruppen und die Wirkung von Prozessen auf unterschiedliche Individuen untersucht werden, entspricht sie weitgehend einem Anti-Diskriminierungs-Audit.

Auf dieser Grundlage entstehen Policies, die als interne ADGs angesehen werden können. Bei der Implementierung nutzt Diversity z. B. MitarbeiterInnennetzwerken und eine breite Kommunikation mit der Belegschaft. Diese Instrumente entfalten informierende und einbeziehende Wirkung, die vor allem mit Blick auf mögliche Belästigungen von Bedeutung sind.

Die Durchführung von Diversity-Workshops für Führungskräfte stellt eine qualifizierende Maßnahme dar, die für eine Beweisführung der Anti-Diskriminierung wesentlich sein dürfte. In diesen und anderen Zusammenhängen entfaltet Diversity somit anti-diskriminierende Wirkung. Gleichwohl besteht darin nicht das primäre Anliegen von Diveristy; Diversity ist kein Antidiskriminierungskonzept im engeren Sinne. Zwar zielt Diversity darauf ab, Systeme durchlässig und neutral, und Kulturen offen und flexibel zu gestalten, allerdings nicht mit politischen Zielsetzungen. Vielmehr ist eine diskriminierungsfreie und belästigungsfreie Arbeitsumgebung, in der Frauen und sogenannte Minderheiten erfolgreich sein können, das Resultat der Maßnahmen von Diversity. Diversity strebt als geschäftszentrierter Ansatz eine Steigerung von Erfolg, Produktivität und Kundennähe an.

Durch das ADG gewinnt der Ansatz weiter an Bedeutung, da er hilft, die rechtlichen Anforderungen auf eine positive, erfolgsorientierte Weise zu erfüllen.

 

 

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Michael Stuber ist Geschäftsführer der Ungleich Besser Diversity Consulting in Köln.