Kommunale Antidiskriminierungsarbeit in Deutschland: Erste Schritte auf einem langen Weg hin zu einer bundesdeutschen Antidiskriminierungskultur

Gegen Rassismus in Deutschland

 

von Florencio Chicote Guimerans

Jahrelang haben sich verschiedene Antidiskriminierungsstellen in der Bundesrepublik Deutschland für die rasche Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU und ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz eingesetzt. Am 18. August 2006 war es nun endlich soweit: das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) trat in Kraft. Nach jahrelangen, meist kontrovers geführten Diskussionen kommt die Bundesregierung schließlich ihrer Verpflichtung nach und setzt die vier EU-Richtlinien gegen Diskriminierung in nationales Recht um.

Wenngleich die Bundesregierung den Hauptforderungen vieler unabhängiger Antidiskriminierungsstellen und Betroffenenverbänden mit dem Gesetz nicht nachkommt und das Gesetz an einigen wichtigen Stellen sogar unter den Vorgaben der Richtlinien zurück bleibt (1) , bekommen von Diskriminierung Betroffene nun dennoch ein wichtiges Instrument in die Hand, das ihnen ermöglicht, sich gegen ihre erlebte Diskriminierung auch rechtlich zur Wehr zu setzen und Ansprüche geltend zu machen.

Neben vielen anderen Neuerungen sieht das AGG ferner die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle des Bundes vor, die "Betroffene auf unabhängige Weise bei der Durchsetzung ihrer Rechte und zum Schutz vor Benachteiligung unterstützen soll." Hierbei soll sie insbesondere:

  1. über die Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens im Rahmen gesetzlicher Regelungen zum Schutze vor Benachteiligung informieren,
  2. Beratung durch andere Stellen vermitteln und
  3. eine gütliche Beteiligung zwischen den Beteiligten anstreben." (§ 27 Absatz 2 AGG).

Ferner kann sie Betroffene mit ihrem Einverständnis an die Beauftragten des Bundestages weiterleiten. Es liegt auf der Hand, dass eine einzelne, an einem Ministerium angegliederte Stelle (2)  nicht ausreicht, um insbesondere die Beratung und Begleitung der in der Bundesrepublik Betroffenen zu gewährleisten. Noch abwegiger erscheint dabei der Gedanke, dass durch eine Bundesstelle und durch das Hinzuziehen der Bundesbeauftragten ein angemessener und flächendeckender Zugang zur Beratung sichergestellt werden kann, denn auf kommunaler und regionaler Ebene mangelt es bundesweit noch an spezialisierten Stellen.

Die Erfahrungen der unabhängigen Antidiskriminierungsberatungsstellen zeigen, dass Betroffene insbesondere nicht-deutscher Herkunft meist mit Resignation und Ohnmacht auf Diskriminierungserfahrungen reagieren und meinen, dass sie nichts gegen ihre erlebte Ungleichbehandlung tun können. Eine vom Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB des TBB) durchgeführte Umfrage (3)  unter BerlinerInnen mit Migrationshintergrund bestätigt diese Erfahrungswerte. So zeigen die Ergebnisse dieser Umfrage u.a., dass eine Mehrheit der Befragten auf ihre erlebte Ungleichbehandlung überhaupt nicht reagierten oder eine eher unwirksame Reaktion auswählten. Ferner zeigen die Ergebnisse, dass Menschen mit Migrationshintergrund in den verschiedenen für sie relevanten Lebensbereichen Diskriminierungen erlebt haben. Ein Drittel der Befragten gibt sogar an, in fast allen Lebensbereichen mindestens einmal eine Diskriminierung erfahren zu haben.

Angesichts dieser Erfahrungen und der Tatsache, dass eine spezialisierte Stelle auf Bundesebene Betroffene bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen soll, wird schnell deutlich, dass die Antidiskriminierungsarbeit und -beratung in den Kommunen und Gemeinden nicht nur an Bedeutung gewinnen sondern zugleich auch notwendiger denn je sein wird.

Anforderungen an eine kommunal wirksame Antidiskriminierungsarbeit

Eine erfolgreiche und wirksame Antidiskriminierungsarbeit auf regionaler und kommunaler Ebene braucht neben gut vernetzten und professionellen Beratungsstellen auch gut ausgebildete Beratungskräfte. Die Antidiskriminierungsarbeit sollte jedoch über eine professionelle Beratung und Unterstützung der Betroffenen in Einzelfällen hinausgehen und auch andere Ebenen wie die gesamtgesellschaftliche und politische Ebene mit einbeziehen. So können die Dokumentation der Fälle sowie ihre statistische Aufbereitung Erkenntnisse über spezifische Problemfelder hinsichtlich der Orte, Strukturen und Institutionen liefern, in denen (mittelbare oder unmittelbare) Diskriminierungen stattfinden und für eine gesellschaftliche und politische Intervention auf kommunaler Ebene von Bedeutung sind.

Dieses systematische Monitoring ist ferner für die Glaubhaftmachung einer Diskriminierung in Einzelfällen vor Gericht von großem Nutzen. Damit verbunden kommt gerade den unabhängigen Antidiskriminierungsverbänden und -stellen eine weitere wichtige Funktion zu, um in Einzelfällen Betroffene gerichtlich zu unterstützen oder um die Öffentlichkeit und die Politik auf Missstände auf kommunaler Ebene aufmerksam zu machen und Interventionen einzufordern.

Ein wichtiges Instrument hierfür, das sich insbesondere für die Aufdeckung von Diskriminierungen hinsichtlich des Zugangs beispielsweise zu öffentlich angebotenen Dienstleistungen und Gütern wie Diskotheken und Fitnessstudios als auch zu Wohnraum oder Arbeitsplätzen eignet, ist das sog. testing .(4) Eine öffentlichkeitswirksame Aufbereitung der Erkenntnisse aus der alltäglichen Antidiskriminierungsarbeit, sei es durch Veröffentlichungen, Falldokumentationen oder auch die Einbindung von Medien bei den sog. testings sind nur einige Beispiele dafür, wie auf Problemlagen einer Kommune aufmerksam gemacht werden kann. Neben einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit, die darauf abzielt zu informieren und zu sensibilisieren, stehen unabhängigen Antidiskriminierungsstellen beispielsweise auch die Konzeption und Umsetzung von (auch politisch wirksamen) Kampagnen sowie die Bildungsarbeit vor Ort als weitere Maßnahmen zur Verfügung, um auch jene, die von Diskriminierung betroffen sind, über ihre Handlungsmöglichkeiten zu informieren und zu empowern.

Antidiskriminierungsarbeit ist als Querschnittsaufgabe zu denken und zu verstehen. Die Gewinnung, Einbindung und Vernetzung von gesellschaftlichen Akteuren und Organisationen auf kommunaler Ebene sind entscheidend, um nachhaltig den Gedanken der Gleichbehandlung und Chancengleichheit in das Selbstverständnis der Kommune zu integrieren und vor Ort kleinteilig umzusetzen. Insbesondere die Einbindung der Perspektive der Betroffenen durch Einbindung von Betroffenenverbände und -organisationen vor Ort ist unabdingbar. Um auch in die öffentliche Verwaltung hineinzuwirken, gilt es Behörden und PolitikerInnen in diesen Vernetzungsprozess ebenfalls zu integrieren. Beispielsweise ist die Einbindung der Gewerbeämter auf lokaler Ebene von großer Bedeutung, um bei Diskriminierungen durch Gewerbetreibende (z.B. Clubs, Gastronomie, Fitnessstudios) zu intervenieren und nachhaltige Strategien zu entwickeln.

Hierbei sei auch erwähnt, dass eine Antidiskriminierungsstelle aus dem NGO-Bereich ein wichtiger Partner für die Gewerbeämter vor Ort sein kann, um über das bereits angesprochene testing Ungleichbehandlungen aufzudecken und negative (in Form von Sanktionen wie der Entzug der Gewerbeerlaubnis) als auch positive Maßnahmen (in Form von beispielsweise Runden Tischen) einzuleiten.

Antidiskriminierungsstellen in Deutschland – ein kurzer Überblick über Entwicklungen und Trends

Wenngleich Diskriminierungserfahrungen ein alltäglicher und wesentlicher Bestandteil des Lebens vieler Menschen und Gruppen in Deutschland sind, ist die gezielte Antidiskriminierungsarbeit und –beratung relativ neu in der Bundesrepublik. Die ersten Beratungsstellen, die sich gezielt dem Bereich der Antidiskriminierungsarbeit widmeten, entwickelten sich erst Mitte der 1990er Jahre in Form eines eigenständigen Vereins  oder als Initiative eines freien Trägers mit besonderer Nähe zur Betroffenengruppe.(5) Den Schwerpunkt ihrer Arbeit legten diese Beratungsstellen meist auf die Intervention bei rassistischer Diskriminierung.

Mit einem Pilotprojekt im Jahre 1997 förderte das Landesministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport Nordrhein-Westfalen landesweit neun Projekte, mit dem Ziel zum einen, einen Überblick über die Form und das Ausmaß an individueller, institutioneller und struktureller Diskriminierung von Menschen nicht-deutscher Herkunft zu gewinnen, zum anderen Strategien und Maßnahmen gegen Diskriminierung zu entwickeln und zu überprüfen. Ein bedeutsamer Aspekt dieser landesweiten Förderung war die Vernetzung der geförderten Projekte untereinander.

Spätestens seit dem Erlass der ersten, sog. Antirassismusrichtlinie der EU (RL 2000/43/EG) im Jahre 2000 haben sich weitere kommunal oder regional agierende Antidiskriminierungsstellen und –netzwerke gebildet, wie das unter der Trägerschaft des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg geführte Projekt „Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin(6)  (ADNB des TBB). Ferner wurden in einzelnen Gemeinden und Ländern Antidiskriminierungsstellen direkt an die öffentlichen Verwaltungen angebunden wie in München (7)  oder Berlin (8) .

Während bislang viele Antidiskriminierungsstellen für Menschen nicht-deutscher Herkunft sich auf den Tatbestand der rassistischen Diskriminierung spezialisiert hatten, ist gerade in den letzten Jahren ein Paradigmawechsel zu beobachten. Der Aspekt der Mehrfachzugehörigkeit bzw. der damit verbundenen Mehrfachdiskriminierung nimmt sowohl in der Beratungstätigkeit als auch in der Strategieentwicklung immer mehr an Bedeutung zu. Und spätestens seit dem Inkrafttreten des AGG ist eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den staatlichen oder an der öffentlichen Verwaltung angesiedelten Antidiskriminierungsstellen und den unabhängigen Stellen und Verbänden zu beobachten.

So zeichnet sich beispielsweise das sog. „Berliner Modell“ dadurch aus, dass zum einen über das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit des Senats von Berlin das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB als unabhängige Antidiskriminierungsstelle gefördert wird, zum anderen der Senat von Berlin im Februar 2005 die Leitstelle gegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion und Weltanschauung eingerichtet hat. Zwischen beiden Stellen findet ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch statt. Die Zusammenarbeit beschränkt sich dabei nicht nur auf den Aspekt der Beratung sondern erstreckt sich darüber hinaus auch auf die Bereiche der Prävention und Strategieentwicklung.

Anforderungen an Länder und Kommunen: Antidiskriminierungsarbeit fördern, Nachhaltigkeit sichern

Trotz diesen auf den ersten Blick positiven Entwicklungen kann jedoch weder von einer sich festigenden Antidiskriminierungskultur noch von einer flächendeckenden Infrastruktur, die Betroffenen den Zugang zur Beratung und Unterstützung ermöglicht, gesprochen werden. Hier sind nun spätestens seit Inkrafttreten des AGGs vor allem Länder und Kommunen gefordert, entsprechende Strukturen aufzubauen sowie Mittel für unabhängige Antidiskriminierungsstellen langfristig zur Verfügung zu stellen und diese zu fördern. Für die Verfestigung einer Antidiskriminierungskultur auf kommunaler und regionaler Ebene ist darüber hinaus die Einbindung der Betroffenenperspektive unerlässlich.

 

Endnoten

(1) Stellungnahme von unabhängigen Antidiskriminierungsstellen zum AGG (Download)

(2)  Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist angesiedelt beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

(3) In: Antidiskriminierungsreport Berlin 2003-2005. Herausgegeben vom Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB im September 2006.

(4) Das sog. Testing oder Situationstesting ist ein Instrument, um in einer bestimmten Situation oder an einem bestimmten Ort zu prüfen, ob eine Ungleichbehandlung aufgrund vor allem eines äußerlichen Merkmals wie Hautfarbe, zugeschriebene Herkunft, eine Behinderung etc. systematisch betrieben wird. Ein klassisches Beispiel ist das Verhalten von Türstehern und Clubbetreibern hinsichtlich des diskriminierungsfreien Zugangs in ihren Club. Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden die Türsteher hinsichtlich ihres Einlassverhaltens gegenüber einem weißen deutschen Jugendlichen und einem nicht-deutsch aussehenden oder Schwarzen Jugendlichen geprüft. Wichtig wäre in diesem Fall, dass beide Jugendliche sich nur hinsichtlich ihrer Hautfarbe oder der (zugeschriebenen) Herkunft unterscheiden. Beide sollten gleich oder sehr ähnlich gekleidet sein.
  
(5)  Wie das Antidiskriminierungsbüro Bielefeld Ende 1993, das Antidiskriminierungs-Büro Berlin e.V. im Jahre 1995 und das damalige Büro gegen ethnische Diskriminierung Berlin-Brandenburg im Jahre 1996, das heute die Bezeichnung Bund gegen ethnische Diskriminierung in der Bundesrepublik Deutschland führt.
  
(6) Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB existiert seit Juli 2003 und wird im Rahmen des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit durch den Integrations- und Migrationsbeauftragten des Senats von Berlin gefördert. Das ADNB des TBB hat drei Schwerpunktbereiche: (1) Vernetzung, (2) Intervention und Prävention sowie (3) Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeit des ADNB des TBB ist dabei auf Menschen nicht-deutscher Herkunft und People of Colour ausgerichtet, die aufgrund ihrer nicht-deutschen Herkunft, Sprache oder Hautfarbe rassistisch diskriminiert werden bzw. wurden oder aufgrund eines anderen Merkmals wie Geschlecht, sexuelle Identität, Religion oder Weltanschauung, Alter oder eine Behinderung eine Ungleichbehandlung erlebt haben. Die Förderung von Gleichbehandlung, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit, die Beratung von Diskriminierung Betroffenen und deren Unterstützung gehören zu den Zielen des ADNB des TBB. Mitgetragen werden diese Ziele durch zwei vom ADNB des TBB initiierte Netzwerke in Berlin: (1) das Beratungsnetzwerk gegen Diskriminierung und Rassismus, ein Zusammenschluss von unterschiedlichen Beratungsstellen und -projekten und (2) das Netzwerk Berliner Anwältinnen und Anwälte gegen Diskriminierung. Weitere Informationen: 
   
(7) Beschwerdestelle für Diskriminierungsfälle der Stadt München.

(8) Senatsleitstelle gegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion und Weltanschauung, angesiedelt beim Integrations- und Migrationsbeauftragten des Senats von Berlin.

 

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Florencio Chicote Guimerans ist Projektkoordinator im Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB und Diversity- Berater und Trainer.

 

Liste der Unabhängigen Antidiskriminierungsstellen in Deutschland
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