Wirtschaftliche Chancen durch Migration, Integration und Diversity

Ein Literaturüberblick von Andreas Merx

Zahlreiche internationale, europäische und deutsche Studien und Diskussionsansätze untersteichen die wirtschaftlichen Chancen einer ethnisch-kulturell vielfältigen Gesellschaft. Im folgenden werden die wichtigsten vorgestellt.

  1. Antidiskriminierungspolitik ist kein Standortnachteil - Europäischer Vergleich
  2. Diskriminierungen verursachen Kosten – Antidiskriminierungs- und Diversitymaßnahmen schaffen Kostenvorteile 
  3. Von der Antidiskriminierung zur freien Entwicklung aller Talente und Potenziale
  4.  Vielfalt als Chance – die zunehmende Verbreitung von Diversity Management
  5. Europäische und deutsche Umfragen belegen: Vorteile durch Diversity
  6. Die Erschließung neuer Marktsegmente in einer vielfältigen Republik– das Beispiel Ethnomarketing
  7. Nutzung der Potentiale der ethnischen Ökonomie
  8. Fremdenfeindlichkeit schadet dem Ansehen des Standorts Deutschland
  9. Positiver Standortfaktor „Toleranz“
  10. Positive Standortfaktoren ethnisch-kulturelle Vielfalt und gezielte Einwanderung

1) Antidiskriminierungspolitik ist kein Standortnachteil - Europäischer Vergleich

Durch eine Umsetzung des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsauftrags des Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes (AGG) in Diversity-Strategien sind positive beschäftigungspolitische Effekte zu erzielen. Aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die schon längere Zeit zum Teil wesentlich umfassendere Antidiskriminierungsregelungen kennen, sind negative Effekte auf den Beschäftigungsmarkt nicht bekannt. Eine Lähmung der Wirtschaft hat weder in Großbritannien, noch in Schweden oder den Niederlanden stattgefunden. Vielfalt und Antidiskriminierungsrecht sind wesentlicher Bestandteil einer humanen und modernen Gesellschaft und eines zukunftsgewandten und weltoffenen Standorts Deutschland. Großbritannien, die Niederlanden oder Schweden sehen im Zusammenhang mit ihrer Antidiskriminierungsgesetzgebung auch eine Chance für Entwicklung und wirtschaftlichem Gewinn und werben offensiv für den Standortfaktor „Vielfalt“. So schätzt etwa die britische Regierung den möglichen wirtschaftlichen Nutzen durch die Umsetzung der Richtlinien in Ergänzung der bestehenden umfassenden Antidiskriminierungsgesetzgebung auf zwischen 102 und 567 Mio. britische Pfund. Die durchschnittlichen Kosten für die Implementierung der neuen Maßnahmen werden hingegen auf etwa 157 britische Pfund pro Arbeitgeber geschätzt.

EU-Studie „Kosten und Nutzen personeller Vielfalt in Unternehmen“Bild entfernt.

2) Diskriminierungen verursachen Kosten – Antidiskriminierungs- und Diversity-Maßnahmen  schaffen Kostenvorteile

Diskriminierungen verursachen Kosten in betrieblichen Strukturen. Reibungen und Spannungen durch Diskriminierungsfälle, insbesondere aber Mobbing oder sexuelle Belästigungen verringern die Motivation der betroffenen MitarbeiterInnen und führen oft zu langen Krankheiten und Ausfällen. Durch individuelle Wertschätzung und gelungene Integration aller MitarbeiterInnen sowie durch gutes Konfliktmanagement können Motivation und Zufriedenheit der Belegschaften erhöht werden. Kosten durch etwaige Klagen vor Gericht wegen Diskriminierungen sowie Kosten durch Unzufriedenheit, Demotivation und Folgekonflikten nach Diskriminierungsfällen können durch proaktives Diversity Management reduziert werden. Das AGG und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollten hierzu motivieren. So berichtete etwa der Personalleiter eines mittelständischen Unternehmens auf einer Fachtagung der BDA zum Antidiskriminierungsgesetz, dass in seinem Betrieb seit Einführung einer an Gleichbehandlung und Diversity orientierten Personalpolitik der Krankenstand im Unternehmen auf 3,3 % gesenkt werden konnte. Im Bundesdurchschnitt liegt der Krankenstand bei Unternehmen zwischen fünf und acht Prozent. Die Gesamtkosten für die Durchführung der Maßnahmen bezifferte der Personalleiter auf insgesamt 105.000 Euro, die Kosten für ein Prozent Krankenstand hingegen auf 180.000 Euro.

In der Fachliteratur werden die folgenden zentralen Vorteile von Diversity-Maßnahmen genannt:

• Kostensenkung durch gute Motivation und weniger Diskriminierungen
• Verbesserung der organisatorischen Flexibilität durch vielfältige Teams
• Erhöhung von Kreativität und Innovationsfähigkeit bei Problemlösungen
• Verbesserung des Personalmarketing und somit größere Auswahl an BewerberInnen
• Verbesserung des Marketing
• Verbesserter Umgang mit der zunehmenden Internationalisierung

EU-Factsheet „Was können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber tun, um Diskriminierungen zu verhindern und Vielfalt zu fördern?“ Bild entfernt.

3) Von der Antidiskriminierung zur freien Entwicklung aller Talente und Potenziale

Das AGG kann ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal sein, die gleichberechtigten Teilhabechancen aller Bürgerinnen und Bürger deutlich zu verbessern. Dies ist aber nicht nur ein Gebot des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes sondern auch eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft. Allein aufgrund der demographischen Entwicklung und der zunehmenden Internationalisierung der Arbeits- und Absatzmärkte wird es längerfristig für den wirtschaftlichen Erfolg wichtig sein, die Talente, Ressourcen und Potentiale aller Menschen zu fördern und zu nutzen. Bei der Rekrutierung geeigneten Personals wird es daher zunehmend darum gehen, etwa die Potentiale der gut ausgebildeten jungen Frauen, der zunehmenden Anzahl der Hochschulabsolventen mit Migrationshintergrund und das Erfahrungswissen älterer ArbeitnehmerInnen zu fördern und nicht durch Ausgrenzungen ungenutzt zu lassen.

So weist Deutschland laut einer aktuellen OECD-Studie „Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern“ Bild entfernt. im internationalen Vergleich im Bereich der beruflichen Integration von hochqualifizierten Zuwanderern (Int. Vergleich der Unterschiede in den Erwerbsquoten von hochqualifizierten Immigranten und im Land geborenen Personen, 25-64 Jahre alt) große Lücken auf, insbesondere bei der Situation der Frauen. Bereits heute leben in Deutschland 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von knapp 19 %. Immer häufiger arbeiten Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionen in interkulturellen Teams, insbesondere international agierende Unternehmen und Organisationen setzen dabei oft gezielt auf MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund, um durch deren spezifischen Kenntnisse wie Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenzen einen besseren Zugang zu neuen Absatzmärkten und Kooperationspartnern in aller Welt zu erhalten. Durch die wachsende Integration des europäischen Wirtschaftsraums und immer internationaler verflochtene Märkte, wird die Zukunft des Handelns von Unternehmen und Organisationen von einer Zunahme interkultureller Kontakte und Verhandlungen sowie immer stärker internationalisierten Zusammenhängen geprägt sein.

Im Zeitalter wirtschaftlicher Globalisierung und internationaler Migration werden Interkulturalität und Internationalität damit zu Schlüsselfaktoren für erfolgreiches Handeln in Wirtschaft und Gesellschaft. Bereits heute wandern aber auch schon viele qualifizierte, in Deutschland geborene MigrantInnen, frustriert über mangelnde Anerkennung, Diskriminierungen und schlechte Chancen der beruflichen Integration aus Deutschland aus. Es ist von daher auch eine pragmatische wirtschaftliche Frage, ob man die Potentiale qualifizierter MigrantInnen in einer vielfältigen Republik überhaupt ungenutzt lassen kann.

EU-Factsheet „Umgang mit Vielfalt – wie können Unternehmen davon profitieren?“ Bild entfernt.

4) Vielfalt als Chance – die zunehmende Verbreitung von Diversity Management

Viele Maßnahmen zur Förderung personaler Vielfalt zielen auf einen Wandel der Organisationskultur, hin zu mehr Offenheit und verbesserter Inklusion aller MitarbeiterInnen sowie einem Klima der wechselseitigen Wertschätzung und Respekt. Die positiven Folgen dieser Maßnahmen drücken sich dann etwa in einer höheren Motivation, verbessertem Betriebsklima oder einem niedrigeren Krankenstand aus. Nicht immer lassen sich diese positiven Effekte direkt quantitativ messen und mit den Diversity-Maßnahmen unmittelbar in Verbindung bringen. Ein entscheidendes Argument für Diversity ist von daher die zunehmende Verbreitung von Managing Diversity in den USA, Europa und Deutschland.

Erste US-Unternehmen haben bereits Ende der 70er Diversity-Maßnahmen ergriffen, einen Boom erlebte der Ansatz dort dann in den 80 er Jahren. Heute praktizieren in den USA bereits 90% der Fortune 500 Unternehmen, also der wichtigsten Großunternehmen, Diversity. Von Unternehmen, die nach einer Einführung von Diversity den Ansatz wieder zurückgenommen hätten ist nichts bekannt. In Europa ergab eine Untersuchung aus dem Jahr 2000, dass etwa 60 Großunternehmen Diversity praktizieren. Da auch in den USA die Antidiskriminierungsgesetzgebung der wichtigste push-Faktor für die Implementierung von Diversity-Maßnahmen in Unternehmen war, ist durch die Notwendigkeit der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien auch auf europäischer Ebene von einer stark steigenden Tendenz auszugehen.

In Deutschland ist das Konzept des Managing Diversity im europäischen oder internationalen Vergleich noch wenig verbreitet. Ein Unternehmensbefragung unter deutschen Großunternehmen aus dem Jahr 2005 zeigte, dass Diversity-Management in Deutschland noch kein selbstverständlich angewendetes Managementkonzept darstellt. Nur 38,5% der befragten Unternehmen hatten Diversity-Management implementiert. In weiteren 18,5% war das Konzept bekannt, war jedoch nicht implementiert. Bisher praktizieren insbesondere Großunternehmen in der Privatwirtschaft Maßnahmen im Bereich, so etwa die Commerzbank, Daimler Chrysler, Deutsche BP, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, FORD, IBM, Lufthansa, SAP und Siemens. Es gibt aber auch bereits einige wenige kleine und mittlere Unternehmen, die den Ansatz für sich entdeckt haben, so etwa LIMO-Microoptik. Diversity-Ansätze gewinnen nun auch im non-profit-Bereich zunehmend an Bedeutung. So finden sich Ansätze etwa in der Kommunalverwaltung in Berlin, Frankfurt, Hamburg und Leipzig oder auch in den Statuten der Deutschen Arbeiterwohlfahrt. Es ist anzunehmen, dass die Umsetzung der arbeitsrechtlichen Herausforderungen des AGG zu einem deutlichen Schub für eine Ausweitung des Diversity-Ansatzes in Deutschland führen wird.

Diversity-Management in Deutschland: Eine Unternehmensbefragung der Fernuni Hagen Bild entfernt.

5) Europäische und deutsche Umfragen belegen: Wirtschaftliche Vorteile durch Diversity

Immer mehr Unternehmen in der Europäischen Union setzen auf Maßnahmen zur Förderung der personalen Vielfalt, um erfolgreicher zu handeln. Eine von Focus Consultancy und The Conference Board Europe im Auftrag der Europäischen Kommission im Jahr 2005 durchgeführte Studie zum „Geschäftsnutzen von Vielfalt“ zeigte, dass die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien ein wichtiger push-Faktor für die Implementierung von Gleichstellungsinitiativen und Diversity-Ansätzen war. Die Befragung von insgesamt 919 europäischen Unternehmen ergab allerdings auch, dass es nicht die rechtlichen Gründe alleine sind, die Unternehmen dazu bewegen, sich für Diversity zu entscheiden. Im Gegenteil, es sind vor allem ökonomische Gründe, die für Diversity-Ansätze sprechen. 83 % der befragten Unternehmen gaben an, dass ihnen ihre Bemühungen zur Förderung der personalen Vielfalt bereits bei der Verbesserung ihres Geschäftserfolgs geholfen haben. Als wichtigsten Grund für Diversity geben die Unternehmen den verbesserten Zugang zu neuen Arbeitskräftereservoirs an (43 %). Aufgrund des demografischen Wandels, der kurz mit dem Schlagwort „weniger, älter, bunter“ zusammengefasst ist, werden es sich Unternehmen nicht mehr leisten können, einzelne Gruppen aus dem Arbeitsmarkt, die sie bisher evt. vernachlässigt haben, nicht an sich binden zu können. Als wichtigste Gründe für die Vorteile von Maßnahmen zur Förderung personaler Vielfalt gaben die befragten Unternehmen an:

• Zugang zu neuem Arbeitskräftereservoir: 43%
• Imagesteigerung: 38%
• Gleichstellung und Vielfalt als Unternehmenswerte: 35%
• Mehr Innovation und Kreativität: 26%
• Größere Motivation und Effektivität: 24%
• Einhaltung von Rechtsvorschriften: 24%
• Wettbewerbsvorteile: 17%
• Höhere Wirtschaftlichkeit und Rentabilität: 17%
• Breitere Kundenbasis: 16%
• Kundenzufriedenheit und höheres Dienstleistungsniveau: 15%

EU-Studie „Geschäftsnutzen von Vielfalt, bewährte Praktiken am Arbeitsplatz“.Bild entfernt.

Bei einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Personalführung aus dem Jahr 2003 sahen deutsche Unternehmen Vorteile durch Diversity bei:
• Personalrekrutierung, Personalbindung: 85%
• Antidiskriminierung: 78%
• Kreativität, Innovationskraft: 76%
• Image: 72%
• MitarbeiterInnenzufriedenheit, Produktivität: 67%
• Chancengleichheit: 65%
• Interne Kommunikation und Zusammenarbeit: 63%
• Flexibilität: 44%
• Zugang zu neuen Märkten: 41%
• Lern- und Umwandlungsressourcen: 40%
• Kunden- und Lieferantenbeziehungen: 21%
• Shareholder Value: 19%
• Kostenersparnisse: 14%

DGFP-Unternehmensbefragung zu Managing Diversity. Bild entfernt.

6) Die Erschließung neuer Marktsegmente  in einer vielfältigen Republik– das Beispiel Ethnomarketing

Beschäftigungspolitisch betrachtet führt das AGG zu keinen übermäßigen Belastungen der Angebotsseite, stärkt aber durch die Verbesserung der Marktzugangschancen für alle Bürgerinnen und Bürger die Nachfrageseite. Durch die Verringerung des Ausschlusses bestimmter ausgrenzungsgefährdeter Gruppen können neue Marktsegmente erschlossen und ausgebaut werden.

So werden in Deutschland etwa die Marktpotentiale älterer Menschen (Stichwort „best agers“) oder der ethnischen Minderheiten (Stichworte „Ethnische Ökonomie“ und „Ethno-Marketing“) im internationalen Vergleich noch wenig genutzt. Viele Unternehmen stellen indes gezielt Angehörige ethnischer Minderheiten ein, um sich besser auf die Bedürfnisse ihrer zunehmend ethnisch-kulturell vielfältigen Kundschaft einstellen zu können, hier liegen viele Chancen. Für eine Apotheke in einem Stadtteil mit einem hohem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist es z.B. sinnvoll, einige Angestellte einzustellen, die Sprache und Gewohnheiten der wichtigsten ethnischen Minderheiten verstehen. Dies erhöht die Zufriedenheit auf der Kundenseite und hilft so den Gewinn des Unternehmens zu steigern. Das Unternehmen FORD hat beispielsweise eine türkische MitarbeiterInnengruppe mit türkischen IngenieurInnen und MarketingspezialistInnen eingerichtet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Marke FORD in Deutschland und der Türkei noch attraktiver zu machen.

Die 15,3 Mio in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund stellen ein beträchtliches Marktpotential dar. Bereits jetzt hat ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Von Marketing-Maßnahmen werden sie allerdings in Deutschland bisher noch wenig gezielt angesprochen, zum Teil werden sie als Kundschaft gar nicht richtig ernst genommen. Vorurteile und Unkenntnis bestimmen das Feld. Sie seien keine finanzkräftige Zielgruppe, nur wenig konsumfreudig oder würden ihr Geld sowieso nicht in Deutschland ausgeben. Betrachtet man aber allein die Gruppe der etwa 2,5 Mio starken türkischen Community, so besitzen etwa die türkischen Haushalte eine jährliche Kaufkraft von 17 Mrd. Euro, man geht zusätzlich von etwa 20 Mrd. Euro Ersparnissen aus. Sie geben 97 % ihres Geldes in Deutschland aus und investieren in vielen Bereichen, wie z.B. für Elektrogeräte oder  Autos, vergleichsweise mehr Geld  als Deutsche; sie haben einen Hang zu Statussymbolen und gelten als sehr mode- und markenbewusst, so türkische Marketing-ExpertInnen. Allerdings unterscheidet sich ihr Konsumverhalten auch deutlich von dem deutscher KonsumentInnen, so dass auch die Kommunikation für die Produkte anders ankommt und von daher auch anders gestaltet werden muss.

Einige deutsche Unternehmen haben diese Marktchancen bereits entdeckt und investieren etwa in türkischsprachige Werbung in der Tageszeitung „Hürriyet“ oder lancieren Werbespots auf einem der 60-70 türkischsprachigen Fernsehprogramme, die in Deutschland zu sehen sind. Ein weiteres Beispiel für eine bewusste zielgruppenorientierte Ansprache von KundInnen ist auch das Verhalten mancher Autohändler in Stadtteilen mit hohem MigrantInnenanteil. So lädt der Verkäufer einer Mercedes-Niederlassung in Kreuzberg die potentiellen Käufer oft erst mal zu einem unverbindlichen Gespräch beim cay, dem türkische Tee ein. Der harmlose Smalltalk ist Teil der geschätzten Mentalität der Gastfreundschaft, dass auch gezielt türkische Verkaufsberater eingesetzt werden versteht sich von selbst. Ein großer Erfolg war auch ein spezieller Telefontarif des Mobilfunkanbieters E-Plus mit dem Namen „Ay Yildiz“ (Mond und Sterne) mit einheitlichen Tarifen für Gespräche in Deutschland und in die Türkei. Auch für andere Zielgruppen gibt es inzwischen erfolgreiche Beispiele. So warb etwa Karstadt Berlin gezielt in russischsprachigen oder polnischen Magazinen. Bedenkt man, dass alleine in Berlin 130.000 polnischstämmige und 115.000 russischsprachige Menschen leben, eine durchaus erfolgsversprechende Investition. Ethno-Marketing ist in den USA oder UK selbstverständlich, in Deutschland tun sich viele Unternehmen noch schwer damit, auf diese Marktpotentiale gezielt einzugehen. Ein Potential, das umgekehrt aber auch von den migrantischen Unternehmen mehr entdeckt werden muss, den auch der deutsche Kunde, der meist den Großteil der Gesamtkundschaft stellt, will zum Teil anders angesprochen werden als die eigene Ethnie.

>Literatur zum Thema:
• Doris Lindner: Interkulturelles Marketing. Grundlagen, Strategien, Chancen, Risiken.
• Natalie Ugurdemir-Bricks/Folker Krauss-Weysser: Ethno-Marketing. Türkische Zielgruppen verstehen und gewinnen

7) Nutzung der Potentiale der ethnischen Ökonomie

Die Potentiale der ethnischen Ökonomie werden in Deutschland bisher noch wenig erkannt und noch weniger genutzt. Allzu oft werden die wirtschaftlichen Aktivitäten von MigrantInnen als reine Nischenökonomie betrachtet und lediglich mit der Dönerbude oder der Änderungsschneiderei assoziert. Wenig bekannt ist indes, dass heute bereits mehr als 300.000 migrantische Selbstständige mehr als eine Million Arbeitsplätze geschaffen haben und dabei jährlich mehr als 17 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Sie geben dabei auch vielen deutschen ArbeitnehmerInnen einen Arbeitsplatz und haben oft auch den Großteil ihres KundInnenstamms nicht in der eigenen Ethnie. Zunehmend ist eine Ausweitung und ein bedeutender Qualitätszuwachs des wirtschaftlichen Engagements migrantischer Selbstständiger festzustellen. Sie bilden einen immer bedeutsameren ökonomischen Faktor, der besser mit den jeweiligen regionalen Wirtschaftsstrukturen verknüpft, werden muss, um hier noch bessere Erfolge zu erzielen. 

Thesenpapier des Institus für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim Bild entfernt.
Beschluss der BAG Wirtschaft und Finanzen der GRÜNEN/Bündnis 90 Bild entfernt.
Weitere Informationen zur Ethnischen Ökonomie:
Schader-Stiftung
Zentrums für Türkeistudien

8) Fremdenfeindlichkeit schadet dem Ansehen des Standorts Deutschland

In Zeiten zunehmender Standortkonkurrenz erlangen auch so genannte „weiche“ Standortfaktoren wie das „Image“ immer mehr an Bedeutung. Diskriminierungen in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Miteinander schaden dem Ansehen des Standorts Deutschland. Vorurteile und Diskriminierungen stehen oft am Anfang gewaltsamer Übergriffe auf Menschen. Ein Klima der Angst, in dem Vorurteile, Diskriminierungen und Fremdenfeindlichkeit Raum finden, ist auch ein entscheidendes Investitionshemmnis. „Nazis kosten Geld“ schrieb das Manager-Magazin schon 1992, als zahlreiche Unternehmen aufgrund fremdenfeindlicher Übergriffe Auftragsstornierungen ihrer KundInnen aus aller Welt hinnehmen mussten. Diesen Zusammenhang belegt auch die Studie des Kriminologen Bussmann und des Soziologen Werle. In ihrer Unternehmensbefragung zum Einfluss von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und rechter Gewalt auf den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland gaben 65 % der Firmen an, der Faktor Fremdenfeindlichkeit sei sehr entscheidend für die Güte des Standorts. Besonders Großunternehmen mit stark internationalisierten Strukturen scheuen Investitionen in Regionen mit hoher Fremdenfeindlichkeit. 11% der Befragten gaben gar an, dass sie BewerberInnen wieder ziehen lassen mussten, weil diese mit dem Argument „Angst vor rechter Gewalt“ den Job abgelehnt hätten. Der Präsident des DIHK Braun nahm die Ergebnisse der Studie zum Anlass, PolitikerInnen wie WirtschaftsvertreterInnen in die Pflicht zu nehmen: „(…) müssen den Bürgern deutlich machen, dass Ausländerfeindlichkeit schädlich für das Image des Landes und damit auch dessen wirtschaftliche Entwicklung ist.“ Unternehmen forderte er zu einer „starken Koalition der Vernunft [auf], die Reformen voran treibt und Extremisten nicht zum Zug kommen lässt“.

Mehr zur Studie Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt - Standortnachteile für ostdeutsche Wirtschaft

9) Positiver Standortfaktor „Toleranz“

Zahlreiche Studien aus den USA zeigen, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen hohen Innovations- und Wachstumsraten und einem kreativen, von Weltoffenheit und Toleranz geprägtem Klima von Wirtschaftsstandorten gibt. Nach den Thesen des US-amerikanischen Ökonomen Richard Florida, in dessen Weltbestseller zur „kreativen Klasse“ gelten die drei Ts als entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg eines Standorts: Talente, Technologie und Toleranz.

Hier finden Sie eine ausführliche Buchbesprechung zu Richard Florida´s „Rise of the creatice class“ .

10) Positive Standortfaktoren ethnisch-kulturelle Vielfalt und gezielte Einwanderung

Die Studie „The Economic Value of Cultural Diversity“der US-Ökonomen Ottaviano und Peri  belegt anhand des Vergleichs von 160 US-Städten den positiven Zusammenhang von Lohnzuwächsen sowie Wachstumsraten und dem Zuwachs an ethnisch-kultureller Vielfalt. Für die untersuchten US-Metropolen konnte eine enge Korrelation des Nutzen von Vielfalt (Diversity-Index) mit Produktivitätssteigerungen bewiesen werden. In den Regionen, die seit 1970 überdurchschnittlich frequentierte Zielorte von MigrantInnen gewesen waren, legten auch die Löhne der  in den USA geborenen ArbeitnehmerInnen am stärksten zu. Wo der Diversity-Index wie in Los Angeles um 10 % zunahm, lagen die durchschnittlichen Löhne am Ende um 11 % höher als etwa in Cleveland, wo es nahezu zu keinerlei Veränderungen durch Einwanderung gekommen war. In Regionen, in denen der Anteil der MigrantInnen nach 1970 um ein Viertel anstieg, lagen die Löhne der Einheimischen 1990 sogar um fast 15 % höher als in Cleveland, so die beiden Autoren.

Als Begründung für diesen Zusammenhang bestätigen Ottaviano und Peri die Thesen aus zentralen Argumentationen für Diversity-Ansätze in der Forschungsliteratur: Eine größere Vielfalt unterschiedlicher Kompetenzen und sich wechselseitig ergänzender individueller Fähigkeiten führt zu mehr Innovation und Kreativität. Durch die erhöhte Vielfalt der Erfahrungen, Sichtweisen und Arbeitsstile kommen vielfältige Gruppen oft zu innovativeren und kreativeren Problemlösungen als einheitliche Gruppen. Vielfalt erzeugt also ein mehr an Problemlösungsmöglichkeiten und ermöglicht so oft eine höhere Qualität der Entscheidungen. Die beiden Autoren betonen, dass die positiven Effekte dieser ethnisch-kulturellen Vielfalt die evt. entstehenden Kosten aufgrund der unterschiedlichen Sprachen, Kulturen etc. überwiegen. Multikulturelle Gesellschaften sind kreativer und offener für neues, außerdem seien viele NeuzuwanderInnen eher zu den dynamischen und mutigeren Menschen zu zählen, so Ottaviano und Peri. Um den „multikulturellen Lohn- und Wachstumsschub“ ernten zu können, müsse sich Deutschland der ethnisch-kulturellen Vielfalt mehr öffnen und „in Sachen Marketing von anderen Kulturen noch lernen“ urteilte Thomas Fricke, Chefökonom der Financial Times Deutschland, der die Studie unter der Überschrift „Reich werden mit Ali“ in der FTD vorgestellt hatte. Und es bliebe insbesondere das Problem, „dass die Deutschen mehr dafür werben müssten, talentierte und qualifizierte Leute ins Land zu holen.“

Juni 2007

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Andreas Merx ist Politologe und Geschäftsführer von Pro Diversity .  

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Andreas Merx ist Politologe, Diversity-Berater und Geschäftsführer von Pro Diversity.