Sicherheitsrisiko: Klimabedingte Umweltmigration

von Kristin Hoffmann

 

Unter Klimaexperten ist heute unbestritten, dass der menschenverursachte Klimawandel stattfindet. Welche Auswirkungen der Klimawandel haben wird, ist jedoch in vielerlei Hinsicht noch unsicher. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) zeigt in seinem neuesten Gutachten „Sicherheitsrisiko Klimawandel“, dass der Klimawandel nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung in weiten Teilen der Welt gefährdet, sondern darüber hinaus auch erhebliche Sicherheitsrisiken hervorrufen dürfte, sollten entschiedene Gegenmaßnahmen ausbleiben. Dem Gutachten zufolge könnte klimabedingte Umweltmigration bei der Entstehung von Sicherheitsrisiken eine zentrale Rolle spielen.

Umweltmigration: Keine Erscheinung der Moderne

Migration als Reaktion auf lebensfeindliche Umweltfaktoren ist eine alte Strategie. In der afrikanischen Sahel-Zone beispielsweise, einem Gebiet, das schon seit je her von Dürren betroffen ist, wanderten Nomadenstämme traditionell im Westen des Sudans zyklisch entlang festgelegter Wege auf der Suche nach fruchtbarem Weideland für ihre Viehherden. Auf diese Weise sicherten sie sich ihren Lebensunterhalt. Heute reichen diese traditionellen Überlebensstrategien häufig nicht mehr aus, um auf die veränderten Umweltbedingungen zu reagieren. Durch den Anstieg der Bevölkerungsdichte und die zunehmende Umweltzerstörung sind Ausweichmöglichkeiten vielerorts nicht mehr vorhanden. Weiträumigere Migration und eine zunehmende Zahl an Migranten sind die Folgen. So auch in der Sahel-Zone, in der durch die Dürren von 1968–73 und 1982–84 Millionen von Menschen vertrieben wurden.

Aber auch in anderen Regionen der Erde konnte und kann man umweltbedingte Migration beobachten. In Haiti trug Bodenerosion als Folge von Entwaldung zur zunehmenden Verarmung und später zur Abwanderung der ansässigen Bevölkerung bei. Aufgrund von Naturkatastrophen verlassen in Indien jedes Jahr etwa 4 Mio. Menschen zumindest temporär ihre Heimat. Für die Südostküste der USA, die durch den Hurrikan Katrina im August 2005 teilweise fast völlig zerstört wurde, wird erwartet, dass 300,000 Menschen dauerhaft abwandern. 1,5 Mio. Menschen flüchteten zumindest vorübergehend aus ihren Wohnorten.

Klimawandel verstärkt Umweltmigration

Der Klimawandel wird sich in weiten Teilen der Erde negativ auf die natürliche Umwelt und damit auch auf die ökonomischen Bedingungen auswirken, wodurch Umweltmigration an Bedeutung gewinnen könnte. Klimaexperten gehen heute beispielsweise davon aus, dass weltweit Veränderungen der regionalen Niederschläge zu erwarten sein werden, die zu Dürreperioden, Starkregenereignissen und Überschwemmungen führen. Diese Veränderungen und der mit ihnen einhergehende Verlust fruchtbarer Böden könnte in zahlreichen Ländern  die Nahrungsmittelproduktion erheblich beeinträchtigen.

Diese Prognosen wiegen besonders schwer, wenn man bedenkt, dass bereits heute weltweit über 850 Mio. Menschen unterernährt sind und 1,1 Mrd. Menschen keinen sicheren Zugang zu ausreichend Trinkwasser haben. Bedingt durch den Klimawandel könnte sich diese Situation noch verschärfen. Durch den Anstieg des Meeresspiegels gehen zudem Küstenflächen langfristig verloren, wodurch Lebens- und Wirtschaftsräume dauerhaft zerstört werden. Darüber hinaus wird vermutet, dass die Intensität und Häufigkeit von Wetterextremen, wie Hurrikanen, Sturmfluten oder Stürmen durch den menschenverursachten Klimawandel zunimmt. Dass die Folgen dieser Veränderungen dramatisch sein könnten, hat Hurrikan Katrina gezeigt, welcher ganze Städte und Industrieregionen in Küstennähe zerstörte, tausende Menschen in die Flucht trieb und nicht wenige Todesopfer forderte. Der Klimawandel kann sich also einerseits über schleichende Veränderungen zeigen und andererseits sehr plötzlich in Form von wetterbedingten Naturkatastrophen entstehen.

In Abhängigkeit von den Erscheinungsformen des Klimawandels dürfte auch Umweltmigration unterschiedlich verlaufen: Im Falle von plötzlichen Ereignissen, wie Dürren, Überschwemmungen oder Wirbelstürmen, ist häufig eine große Anzahl von Menschen betroffen, die überstützt und unvorbereitet fluchtartig ihre Heimatorte verlassen müssen. Entsprechend groß sind die logistischen Herausforderungen. Innerhalb kürzester Zeit müssen im Falle einer Katastrophe in den betroffenen, meist völlig zerstörten Gebieten Infrastrukturen errichtet werden, um die Versorgung der Opfer gewährleisten und die öffentliche Ordnung schnellstmöglich wieder herstellen zu können.

Im Gegensatz dazu vollzieht sich Umweltmigration als Folge von schleichenden Veränderungen, wie Bodendegradation, Desertifikation oder dem Verlust von Küsten durch Überschwemmungen, über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg. Bei dieser Art der Umweltmigration haben die politisch Verantwortlichen deutlich mehr Zeit, um auf die Umweltmigranten adäquat zu reagieren, beispielsweise indem langfristig die Umsiedlung aus lebensfeindlichen Gebieten gefördert wird und Integrationsmaßnahmen in den Empfängerregionen unterstützt werden oder indem Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Umweltmigration verhindern.

Ob Menschen tatsächlich aufgrund von Umweltveränderungen ihre Existenz bedroht sehen und deshalb abwandern, ist allerdings nicht allein von klimabedingten Umweltveränderungen abhängig, sondern wird nicht zuletzt von einer Vielzahl individueller, ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Faktoren bestimmt. Aus der Migrationsforschung weiß man, dass Menschen umso eher abwandern, je weniger wirtschaftliche Möglichkeiten ihnen in ihrer Heimat offenstehen und je anfälliger sie gegen klimabedingte Umweltveränderungen sind.

Darüber hinaus bestimmen strukturelle Rahmenbedingungen das Ausmaß von Umweltmigration maßgeblich. Fehlen beispielsweise Frühwarnsysteme oder Evakuierungspläne, verursachen Wetterextreme vergleichsweise größere Schäden und zwingen mehr Menschen zur Flucht als in Staaten, die für den Notfall institutionell gut vorbereitet sind. Gleiches gilt für die Bewältigung von schleichenden Umweltveränderungen. Anhaltende Bodendegradation beispielsweise kann durch effiziente Landnutzungstechnologien und Landnutzungssysteme vermieden werden.

Entwicklungsländer besonders stark betroffen

Entwicklungsländer werden durch den Klimawandel besonders stark betroffen sein, weil in diesen Ländern die Lebensweise der Menschen stark durch die natürliche Umwelt geprägt ist. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt dort nach wie vor von der Landwirtschaft. Zudem haben die Menschen meist nur wenige Möglichkeiten, sich Veränderungen der natürlichen Umwelt anzupassen, weil es ihnen an Bildung oder finanziellen Mitteln fehlt. Es ist daher zu befürchten, dass die Auswirkungen des Klimawandels bestehende Probleme, wie Armut, Unterernährung und Krankheit derart verstärken könnten, dass der Entwicklungsprozess der Länder dauerhaft gefährdet ist.

Sind die Auswirkungen so gravierend, dass ein Überleben in den betroffenen Gebieten kaum mehr möglich ist und die wirtschaftliche Lage aussichtslos erscheint, werden die Betroffenen ihre Heimat verlassen und anderorts Zuflucht suchen. Einem Bauer, dessen Saat vertrocknet, weil über Monate oder sogar Jahre kein Regen fällt und dessen Vieh stirbt, weil die Weideflächen ganzer Regionen verdorrt sind, könnte Migration als einziger Ausweg verbleibenden, um sein Leben zu retten. Umweltmigration wäre die Folge. Dass aber auch hochentwickelte Industriestaaten von Umweltmigration betroffen sein könnten, hat Hurrikan Katrina eindrücklich gezeigt. Allerdings haben Industriestaaten deutlich größere Kapazitäten, um Umweltmigration zu steuern beziehungsweise, um vorsorgend Maßnahmen zu treffen, damit Umweltmigration gar nicht erst entsteht.

Sicherheitsrisiko Umweltmigration

Schätzungen gehen davon aus, dass bereits heute etwa 25 Mio. Umweltmigranten existieren und deren Zahl im Jahr 2050 auf 150 Mio. ansteigen könnte. Diese Schätzungen sind nur sehr grob. Trotzdem geben sie einen Vorgeschmack darauf, was uns in Zukunft erwarten könnte, wenn Klimaschutz nicht betrieben wird und Anpassungsstrategien an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels ausbleiben. Dass Migration in diesem Ausmaß bereits bestehende Konflikte verstärken oder zu neuen konfliktträchtigen Situationen führen kann, ist aus der Konfliktforschung bekannt.

Sicherheitsrisiken durch Klimawandel

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Die Karte zeigt beispielhaft Regionen, in denen sich die Auswirkungen des Klimawandels besonders stark zeigen werden und die sich zu Krisenherden entwickeln könnten.
Quelle: WBGU: Welt im Wandel - Sicherheitsrisiko Klimawandel, Berlin 2007

Als besonders konfliktgefährdet, gelten dabei Entwicklungs- und Übergangsgesellschaften, also diejenigen Länder, die vermutlich auch von klimabedingter Migration am stärksten betroffen sein werden. Zwei Faktoren erhöhen die Konfliktwahrscheinlichkeit in diesen Ländern besonders: Zum einen vermutet man heute, dass Umweltmigranten kaum Staatengrenzen überschreiten werden und damit Vertriebene in ihren Heimatländern sein werden. Durch Umweltmigration bedingte Konflikte werden deshalb vor allem innerhalb von Staaten erwartet und damit in Entwicklungsländern. Sicherheitsrelevante Risiken können in diesem Zusammenhang entstehen, weil für den Schutz der sog. Binnenvertriebenen die betroffenen Regierungen zuständig sind, die meist nicht fähig oder willens sind, ihnen genau diesen Schutz zu gewähren. Die Folgen könnten humanitäre Katastrophen sein, die in gewalttätigen Auseinandersetzungen eskalieren.

Zum zweiten gelten Entwicklungsländer häufig als schwach und fragil, also als Staaten, in denen die Regierungen nicht mehr fähig sind, staatliche Kernaufgaben wahrzunehmen. In schwachen und fragilen Staaten lassen sich sehr häufig gewalttätige Konflikte beobachten. Sollten solche Länder von Umweltmigration betroffen sein, dürften sie in der Regel kaum Handlungsmöglichkeiten haben, um auf die Bedürfnisse der Umweltmigranten adäquat zu reagieren. Die Folgen wie Unmut, Frustration und gefühlte Ausweglosigkeit unter den Umweltmigranten könnte die Bereitschaft, ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen, fördern und die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Konflikte weiter erhöhen.

Grundsätzlich nimmt man an, dass migrationsbedingte Konflikte aus dem Zusammenspiel von Migration und verschiedenen anderen Faktoren resultieren, die zu einem diffusen Konfliktgefüge beitragen. Empirische Studien zeigen beispielsweise, dass Migranten soziale Konflikte auslösen oder verstärken können, wenn sie mit den einheimischen Bewohnern um knappe Ressourcen wie Land, Siedlungen, Wasser, Arbeit oder soziale Grunddienste konkurrieren und diese Konkurrenz in Feindschaft umschlägt. Einwanderer und Flüchtlinge werden zudem häufig zu Sündenböcken für einen tatsächlichen oder wahrgenommenen wirtschaftlichen Niedergang in der Aufnahmeregion gemacht.

Von großer Bedeutung ist Migration auch im Hinblick auf ethnische Konflikte. Die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit von Migranten spielt dann eine Rolle, wenn sich durch den Zuzug von Migranten die ethnische Balance in der Aufnahmeregion verändert und sich hieraus Fremdenfeindlichkeit und gewalttätige Auseinandersetzungen entwickeln. In Indien beispielsweise geraten muslimische Migranten aus Bangladesch immer wieder in Konflikt mit den hinduistischen Einwohnern Indiens. In den frühen 1980er Jahren forderte solch ein Konflikt im indischen Bundesstaat Assam mehr als 3000 Tote.

Klimapolitik als Sicherheitspolitik verstehen

Klimawandel im Kontext von Sicherheit zu diskutieren ist neu. Kaum eine sicherheitspolitische Strategie weltweit nimmt heute Bezug auf den Klimawandel als sicherheitsrelevante Bedrohung der Zukunft. Klar ist dabei eins: Klimaschutz ist die beste vorbeugende Maßnahme gegen klimabedingte Umweltmigration und die daraus folgenden potentiellen Sicherheitsrisiken. Die Vermeidung des Ausstoßes treibhauswirksamer Gase muss demnach Priorität haben.

Als Antwort auf die Folgen des unvermeidbaren Klimawandels gilt es zudem, frühzeitig geeignete Anpassungsmaßnahmen wie Katastrophen-Frühwarnsysteme oder verbesserte Anbaumethoden in der Landwirtschaft auf den Weg zu bringen. Lässt sich umweltbedingte Migration dennoch nicht aufhalten, kommt es auf die Steuerung dieser Migrationsprozesse an, um Konflikte zu vermeiden. Entwicklungsländer brauchen hierbei die Unterstützung der westlichen Industriestaaten. Die entwickelte Welt steht einmal mehr in der Pflicht. Schließlich sind die Industriestaaten die Hauptverursacher des heutigen Klimawandels, während die Menschen in den Entwicklungsländern die Hauptleidtragenden sind.

Literatur

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Kristin Hoffmann ist Doktorandin im Bereich Entwicklungsökonomie an der ETH Zürich. Bis April 2007 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).