Diversity an deutschen Hochschulen

Hörsaal, Universität

 

von Ute Zimmermann

Die aktuellen Sieger des Wettbewerbs „Britains got Talent“ machen es vor: die Streetdancer mit dem Namen Diversity sind verschieden in Alter, Größe, Haut- und Haarfarbe, jedoch gleich in Bezug auf die Aufgabe, die es zu erledigen gilt – sie wollen die perfekte Performance. Wäre das nicht ein gutes Modell für Hochschulen?
Mitglieder der universitären Dominanzkultur zeichnen sich jedoch eher durch große Ähnlichkeit aus. Sie sind vorwiegend männliche Bildungsbürger, Mitte 30 bis Mitte 50, deutscher Herkunft, nicht behindert und heterosexuell.

Die eine Norm-Abweichung in punkto Geschlecht droht seit ca. 100 Jahren, seit Frauen zum Studium zugelassen sind. Der Anteil an Professorinnen dümpelt allerdings immer noch um 16%. Eine Variation der Studierenden-Gruppe forcierte der politische Wille in den 1970er Jahren, der Hochschulen in NRW auch für bildungsferne Schichten attraktiv machen wollte. Dies führte zur vermehrten Gründung von Universitäten und Fachhochschulen und bundesweit zur Einführung des BAföG. Belange behinderter Menschen werden seit 1986 gesetzlich geschützt, die von Frauen seit 1989. Seit 2006 verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Diskriminierung aufgrund biologischer oder sozialer Differenzkategorien (1).

Beauftragte für Frauen oder Behinderte an Hochschulen agieren vor dem gesetzlichen Hintergrund und werden daher als Interessenvertretung wahrgenommen, als LobbyistInnen, die den optimalen Ablauf der Bestenauslese stören. Denn das Credo „Wir wollen die Besten“ solle doch für alle gelten, egal ob Muslima oder RollstuhlfahrerIn. Vielfalt wird qua Diskriminierungsverbot und Gleichstellungspolitik verwaltet. Mit Vielfalt produktiv und kreativ umzugehen, diese Zukunftsaufgabe sehen aktuell immer mehr Hochschulen.

Multi-Kulti-Unis

Der Prozess der europäischen Angleichung von Studiengängen (Bologna-Prozess) will zu einer größeren Mobilität von Studierenden führen – was allerdings bislang nicht gelingt – und auch mit der im Hochschulkonzept 2010 festgelegten Erhöhung der Studienplatzkapazitäten für MINT-Fächer, also der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, wird die Studierendenschaft bunter werden. Diskutiert werden derzeit Absenkungen des numerus clausus in den relevanten Fächern, so dass auch Studierende ohne die beste Anpassung an das Schulsystem aufgenommen werden können. Geschlechter-Gleichstellungsfragen erhalten aktuell einen höheren Stellenwert in der Hochschulentwicklung.

Die Exzellenzinitiative des Bundes zur Auszeichnung von Spitzenuniversitäten, das Professorinnen-Programm der Bund-Länder-Kommission und die von den Universitäten unterzeichneten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft forcieren die Diskussion und den Handlungsbedarf vor Ort. Rückholprogramme zur Verhinderung des brain drain ins Ausland bei gleichzeitiger Forderung und Förderung von internationaler Erfahrung der werdenden professoralen Elite, dual career-Unterstützung für zu gewinnende ProfessorInnen und Entwicklung von familienfreundlichen Hochschulen sind gute Indikatoren dafür, dass Vielfalt und Diversität mehr und mehr in den Fokus von Hochschulentwicklung genommen wird.

Diversity Management beinhaltet Prozesse von Integration bzw. Inklusion von Personen oder Gruppen verschiedener Differenzkategorien. Diversity Management betont – stärker als Gleichstellungskonzepte – die Erfordernisse eines gezielten Managementhandelns und damit auch Anforderung an organisationale Lern- und Veränderungsprozesse. Die konkrete Ausgestaltung liegt jedoch bei der einzelnen Hochschule mit ihrer jeweiligen Organisationskultur und tradierten Selbstorganisation, dem Engagement und der ethischen Werteorientierung ihrer Mitglieder und der Organisation als Ganzes.

Mit Beginn der Exzellenzinitiative haben einige Universitäten in Deutschland begonnen, über die bislang ausdifferenzierte Gleichstellungspraxis hinaus weitere Organisationseinheiten zu schaffen, deren Aufgabe die Förderung von Chancengleichheit und Diversity sind (2). Bereits erfolgreiche Hochschulen im Exzellenzwettbewerb haben ihr Engagement auf unterschiedliche Art bereits realisiert:

Fünf Beispiele für Gender- und Diversity-Management

1. Das Integration Team – Human Resources, Gender and Diversity Management der Aachener Elite-Universität RWTH, eine Stabstelle des Rektorats, wurde im Rahmen der Exzellenzinitiative als bundesweit erste bereits im November 2007 gegründet. Mit seiner wissenschaftlichen Kompetenz ist das Integration-Team die zentrale Anlaufstelle für Fakultäten und Einrichtungen der Hochschule für Gender- und Diversity-Fragen. Die RWTH Aachen sieht in der Entwicklung von Chancengleichheit und Vielfalt unter den Hochschulangehörigen das entscheidende Merkmal einer innovativen und lebendigen Hochschule mit exzellenter Forschung und Lehre.

2. Mit ihrem Munich Dual Career Office, Gender Consulting und Family-Service hat die TU München Chancengleichheitsthemen in ihren Planungsstab Exzellenzinitiative integriert. Sie positioniert sich als unternehmerische Hochschule, die den Gender- und Diversity-Ansatz als Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Exzellenz nutzt.

3. Andere Hochschulen stellen sich ebenfalls auf, um im kommenden Exzellenz-Wettbewerb punkten zu können: die Leuphana-Universität Lüneburg  formuliert als eines ihrer Leitziele die Integration von Gender und Diversity in Forschung, Lehre, Studium, Hochschulorganisation und in den Transfer. Sie setzt auf „Integratives Gendering", einen Ansatz, der vor Ort entwickelt wurde und bundesweit nachgefragt ist. Umgesetzt wird es mithilfe eines interaktiven Gender-Diversity-Portals, das alle Mitglieder der Universität über Theoretisches und Praktisches der Gender- und Diversityansätze informieren und in ihren Tätigkeitsbereichen unterstützen soll.

4. Eine neue Strategievariante verfolgt die Universität Duisburg-Essen, die bereits seit 2005 mit ihrem Zentrum für Hochschul- und Qualitätsentwicklung (ZfH) die Universität, Fachbereiche und WissenschaftlerInnen dabei unterstützt, hochwertige Leistungen zu erbringen. Diese zentrale wissenschaftliche Serviceeinrichtung der Universität vereinigt Evaluation & Qualitätsentwicklung, Hochschuldidaktik, E-Learning und Karriereentwicklung unter einem Dach und entwickelt innovative Projekte, indem sie die Dimensionen von Gender und Diversity als Querschnittsthemen in alle Angebote integriert. Eine eigene Arbeitsstelle Gender and Diversity
unterstützt alle Mitglieder der Universität bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming, bei der Berücksichtigung von Diversity-Aspekten in Studium und Lehre sowie bei der akademischen Personalentwicklung. Interessanterweise findet diese Strategie auch auf Hochschulleitungsebene ihren Niederschlag in einem Prorektorat für Diversity Management, eine bundesweite Einzigartigkeit.

5. Auch die TU Dortmund hat jüngst einen entscheidenden Schritt in Richtung Diversity-Management gemacht: im Juli 2009 hat sie eine neue Abteilung Chancengleichheit, Familie und Vielfalt gegründet. Diese soll die Hochschulleitung bei Entscheidungs-, Planungs-, Umsetzungs- und Bewertungsprozessen beraten und Vorschläge für Strategien, Instrumente und praktikable Methoden zur Umsetzung von Chancengleichheit, Familienfreundlichkeit und Vielfalt erarbeiten. Außerdem sollen dort einschlägige Projekte für die gesamte Universität durchgeführt werden und die derzeit von verschiedenen Aktiven realisierten Maßnahmen systematisch zusammengeführt und strategisch gebündelt werden. Auf dieser Basis soll ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept für die TU entwickelt werden.

Diversity-Motor Wettbewerb

Unternehmerische Universitäten engagieren sich in lukrativen Wettbewerben, sie werben Drittmittel ein, um damit ihren Forschungsetat auszubauen und international sichtbar zu werden. Und natürlich auch, um wissenschaftliches Personal einstellen zu können und bei der Verteilung der Landes-Haushaltsmittel zu gewinnen.

Dazu brauchen Universitäten ForscherInnen mit innovativen Ideen und Drittmittel-Erfahrung. Ihre Berufungspolitik richtet sich darauf aus, aussichtsreiche Fachgebiete mit sinnvollen Vernetzungsoptionen innerhalb und außerhalb der Hochschule hochkarätig zu besetzen. Individuelle und fachliche Diversität entwickelt sich so zu einem Auswahlkriterium, aber auch außerfachliche Qualitäten können stark punkten: immer häufiger dominiert in Berufungsverfahren die Drittmittel-Potenz der KandidatInnen die Kriterien der inhaltlichen Passung.

Dass die Auswahl von ProfessorInnen nach Exzellenzmerkmalen einem Gender-Bias unterliegt, hat die europaweite Studie von Margo Brouns schon 2004 eindrucksvoll gezeigt (3). Danach sind Frauen in Berufungsverfahren seltener erfolgreich als Männer und müssen länger auf eine adäquate Stelle warten, auch wenn sie die gleichen Abschlussnoten haben. Brouns beschreibt dieses Phänomen als ein komplexes Geschehen, das auf fortdauernden subtilen Gender-Stereotypen basiert.

Zusätzlich erschwerend wirkt die Finanzautonomie der Hochschulen – in NRW und ggf. auch in anderen Bundesländern – bei der Gewinnung von attraktiven WissenschaftlerInnen, denn sie birgt eine Altersdiskriminierung. BewerberInnen auf eine Professur, die über 45 Jahre alt sind, können nicht mehr verbeamtet werden. Es bleibt die Möglichkeit eines Angestelltenverhältnisses, allerdings sind die dann anfallenden Lohn-Nebenkosten von der Hochschule zusätzlich zu tragen. Aus Finanznot werden ältere KandidatInnen daher bereits frühzeitig aus dem Verfahren ausgeschlossen. Als ausgleichende Maßnahme hat das Wissenschaftsministerium NRW aktuell die Anrechenbarkeit von Kindererziehungszeiten verbrieft: für jedes minderjährige Kind wird die Verbeamtungsgrenze um 1 Jahr erhöht (gilt für Väter und Mütter).

Hochschulen konkurrieren auf dem nationalen, europäischen und internationalen Wissenschaftsmarkt mit diversen hochschulpolitischen Systemen und gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen (USA, Frankreich, Portugal, Polen, Weißrussland, China), die einen Teil der hiesigen Probleme bereits gelöst haben oder sie nie hatten und die zum Teil bessere Bedingungen zum Forschen (Lehrdeputatsreduzierung für Forschende in den USA und GB) und Leben (flächendeckende Kinderbetreuung in Frankreich, Dual Career-Programme an Hochschulen in den USA) für WissenschaftlerInnen bieten. Ein aktuelles Beispiel dafür ist aktuell an der Freien Universität Berlin zu beobachten: Die höchstdotierte Auszeichnung in Deutschland, eine Humboldt-Professur mit 5 Millionen Euro für fünf Jahre, hat der diesjährige Preisträger ausgeschlagen und bleibt lieber an der Rockefeller-Universität in New York, weil die Berliner Uni seine Personalwünsche nicht realisiert.

In den Feldern Berufungs- und Einstellungspolitik liegt also ein wichtiges Handlungsfeld für Diversity-Management. Ziel der Hochschule ist es, die Finanzkraft und wissenschaftliche Präsenz des Unternehmens Universität auszubauen. Diversity-Management kann an dieser Stelle mit dazu beitragen, dass eine Kultur der Offenheit gegenüber Unterschiedlichkeit entsteht. Dabei wird die Variation der bisherigen Dominanzkultur ein Nebeneffekt sein, wenn es tatsächlich um die Gewinnung der Besten geht.

Investitionen in die Zukunft

In den letzten drei Jahren haben viele Hochschulen Gender- und Diversitätsmanagement als eine wesentliche Aufgabe identifiziert und diese Aufgabe auf die eine oder andere Weise institutionalisiert. Wie für alle neuen Aufgaben an Hochschulen erfordert dies Investitionen in ausreichende Ressourcen und Kompetenzen. Die Gewinner-Universitäten des Exzellenzwettbewerbs sind hier finanziell deutlich im Vorteil und haben damit eine gute Chance auf einen return on investment. Allen anderen Hochschulen verbleiben im Rahmen ihrer Möglichkeiten ebenfalls einige Chancen, z.B. durch Zusammenführung von vorhandenen Potentialen, ein Mehr an Kreativität und Attraktion in den Wettbewerb um die Guten und Besten einzubringen.

Optimistisch gesehen könnten die bereits realisierten neuen Gender- und Diversity-Strategien als Start eines Gender & Diversity Managements beschrieben werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass hier fälschlicherweise das „Einkaufen“ von ExpertInnen-Wissen mit der Veränderung einer Organisationskultur gleichgesetzt wird. Expertise kann einen solchen Prozess konzeptuell vorbereiten und beratend begleiten. Gender- und Diversity-Management muss notwendigerweise als ein länger andauernder Prozess betrachtet werden. Allein durch die Etablierung einer Stabstelle, einer Abteilung oder eines Zentrums wird das Unternehmen Universität sich jedoch nicht weiter entwickeln. Die Aufgabe von Diversity Management sollte also darin bestehen, Impulse für ein universitäres Selbstverständnis als lernende Organisation zu geben oder zu verstärken. Die Entwicklung einer offenen, akzeptierenden und wertschätzenden Hochschulkultur über Hierarchien und Unterschiedlichkeiten hinweg ist das weiterführende Ziel von Gender- und Diversity-Management.

Ute Zimmermann leitet die neu gegründete Abteilung Chancengleichheit, Familie und Vielfalt der TU Dortmund. Seit 2002 war sie zentrale Gleichstellungsbeauftragte der TU mit dem Schwerpunkt Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses.

 

Endnoten

(1) AGG § 1: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

(2) Universitäten in Österreich und der Schweiz waren schon viel früher bereit, das Thema Diversity als Hochschulaufgabe zu konkretisieren, z.B. Graz, Wien, St. Gallen, Zürich.

(3) Brouns, Margo & Addis, Elisabetta (2004): Gender an Excellence in the Making, Bericht Nr. EUR 21222 für die Europäische Kommission, ergänzt durch umfangreiche Literatur.

 

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Dr. Ute Zimmermann leitet die neu gegründete Abteilung Chancengleichheit, Familie und Vielfalt der TU Dortmund. Seit 2002 ist sie zentrale Gleichstellungsbeauftragte der TU mit dem Schwerpunkt Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses.