Editorial Dossier Politische Partizipation & Repräsentation in der Einwanderungsgesellschaft

„Integration ist sinnlos ohne Teilhabe an der Macht.
Wenn ich von Integration spreche, dann meine ich ...
eine wirkliche Aufteilung von Macht und Verantwortung.“
(Martin Luther King)

Die Gesellschaften in Europa werden durch zunehmende Mobilität und fortgesetzte Einwanderung immer vielfältiger. Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Anzahl der MigrantInnen in Folge des demografischen Wandels ist ihre soziale sowie ihre politische Integration durch gleichberechtigte Teilhabe an den politischen Entscheidungsprozessen eine Herausforderung für die Legitimität der europäischen Demokratien.

Im Hinblick auf die politische Inklusion der EinwanderInnen finden sich in den EU-Staaten sehr unterschiedliche institutionelle Arrangements, die sich auf das Ausmaß der Beteiligung und der Einflussnahme von MigrantInnen mehr oder weniger förderlich auswirken. Parallelen, aber auch gravierende Unterschiede bestehen nach wie vor bei der Einräumung von demokratischen Grundrechten wie dem Wahlrecht. Während das allgemeine Wahlrecht, mit wenigen Ausnahmen, generell den eigenen StaatsbürgerInnen vorbehalten ist, genießen BürgerInnen aus EU-Mitgliedsländern das kommunale Wahlrecht in allen anderen EU-Ländern. Hingegen sind in einigen EU-Ländern EinwanderInnen aus Drittländern immer noch vom Kommunalwahlrecht ausgeschlossen. Deutschland gehört dazu.

Demokratische Wahlrechte sind für die Teilhabe und Integration von MigrantInnen elementar. Auch Deutschland wird sich hier bewegen müssen. Die Koppelung von Wahlrechten an die Staatsangehörigkeit kann in den Einwanderungsgesellschaften des 21. Jahrhunderts nicht mehr als Prinzip gelten. Bereits heute hat jeder fünfte in Deutschland lebende Mensch einen Migrationshintergrund; in mehreren Großstädten sogar jedes zweite Kind. Viele von ihnen besitzen nicht die Staatsbürgerschaft. Sollen sie ausgeschlossen bleiben?

Politik und Gesellschaft, aber auch die Wissenschaft haben sich bislang wenig mit diesem Thema auseinandergesetzt.

 

 
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(PDF, 742 KB, S. 45)

Die eklatante Diskrepanz jedoch zwischen dem Anteil der MigrantInnen an der (Wahl-)Bevölkerung und ihrer unterdurchschnittlichen Präsenz in Stadträten und Parlamenten deutet auf einen Handlungsbedarf, der allmählich anerkannt wird. Auch die politischen Parteien reagieren darauf: Die Ernennung von türkeistämmigen Ministerinnen in Niedersachsen oder Baden-Württemberg oder die jüngste Diskussion über die Einführung von innerparteilichen Quoten zur Förderung von MigrantInnen in der SPD und den Grünen sind Indizien für ein wachsendes Problembewusstsein.

Die politische Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund, mit und ohne Wahlrecht, ist keinesfalls auf den Gang zur Wahlurne beschränkt. Sie engagieren sich in unterschiedliche Organisationen, nutzen vielfältige institutionalisierte und zivilgesellschaftliche Wege und Formen, um sich Gehör zu verschaffen. Sie gestalten tagtäglich diese Republik mit.

Dieses Dossier beleuchtet Aspekte der politischen Partizipation und Inkorporation von Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte. Welche Möglichkeiten haben sie, ihre Interessen politisch zur Geltung zu bringen und wie nutzen sie sie? Welche Potentiale und welche Sichtweisen bringen sie ein? Welche Hindernisse stellen sich ihrer Beteiligung entgegen und wie können sie beseitigt werden?

Im ersten Teil geht es um die Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund Gremien und Organisationen wie Stadträte, Ausländer- und Integrations(bei)räte und Gewerkschaften.

In zweiten Teil kommen politisch Aktive selbst zu Wort und beantworten Fragen nach ihren Beweggründen, ihrem Selbstverständnis sowie ihren Erfahrungen und Wünschen.

Im dritten Teil wird der Blick auf die Policies und Erfahrungen europäischer Nachbarländer zugunsten der Partizipation und Repräsentation vom Menschen mit Migrationshintergrund geworfen.

Das Dossier wurde von Daniel Volkert und Cihan Sinanoglu konzipiert und redigiert.
Gesamtredaktion: Olga Drossou, MID-Redakteurin

September 2011

 

 

Daniel Volkert ist Diplom-Sozialwirt und Doktorand am Max-Planck-Institut für multireligiöse und multiethnische Gesellschaften in Göttingen. Cihan Sinanoglu ist Diplom-Sozialwirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter ebendort.

This project has been funded with support from the European Commission.
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"Deutsch für Ausländer" - Cartoon von Henning Studte (www.studte-cartoon.de)