Soziale Integration durch Fußball- Fiktion oder Realität?

Fußballmannschaft mit "Fußball gegen Rassismus" Banner

von Ulf Gebken

„Heute machen wir mit!“

Da standen sie nun vor mir. 15 Mädchen aus unterschiedlichen Nationen waren mit der Mädchengruppe des Kulturzentrums zum Vereinstraining der G- Jugend gekommen und forderten ein: „Heute machen wir mit!“. Schnell machten sich zwei Bälle selbstständig und das Kicken begann. Schuhwerk und Kleidung waren bei einigen Spielerinnen nicht angemessen, aber es machte auch in der großen Gruppe sehr viel Spaß. Am Ende des Mädchentrainings war für die Mehrzahl der Mädchen klar: „Nächste Woche kommen wir wieder!“

Fußball spielen im Gegensatz zu anderen Sportarten Menschen aus allen Schichten und Milieus

Keine Sportart übt in Deutschland eine so große Faszination auf junge Menschen aus wie der Fußball. Der Ball rollt und Millionen Jungen und nun auch Mädchen spielen mit. Trainings- und Punktspieltermine sind selbstverständliche Bestandteile ihres Wochenplans. Kinder und Jugendliche aus allen Bevölkerungsschichten, Milieus und Nationen kicken mit, bejubeln gemeinsam ihre Siege und die erzielen Tore. In der G- und F-Jugend werden die Spiele zum sozialen Treffpunkt der Ortschaft oder des Stadtteils. Eltern, Geschwister, Freunde, aber auch die Großeltern kommen zusammen, feuern ihre Kleinsten an, lernen sich kennen und „erleiden“ gemeinsam die Niederlagen. Diese integrative Leistung des Fußballs wird selten herausgestellt, weil sich die öffentliche Wahrnehmung immer noch nur auf die besten Mannschaften konzentriert. Fußball vor Ort führt die Menschen zusammen und wirkt als „sozialer Kitt“ im Gemeinwesen. Gute Trainer, Übungsleiter und Betreuer genießen bei Kindern und Eltern auch über den Sport hinaus einen ausgezeichneten Ruf und übernehmen damit auch unbewusst eine Vorbildfunktion für die jungen Menschen.

„Wer keinen Erfolg hat, der hört auf!“

Bereits am Ende der E-Jugend ist allerdings für die Mehrzahl der 11 jährigen Vereinsfußballer das organisierte Fußballspiel beendet. Dominierendes Erfolgsdenken bei Trainern, Eltern und Kindern, erweiterte Freizeitinteressen, aber auch der Schulwechsel am Ende der Klasse 4 verstärken den „Dropout“ zu Beginn der Pubertät. Das Spielen auf dem Großfeld erfordert im Übergang von der E- zur D-Jugend eine neue Aufteilung der Mannschaften. Statt 7 spielen nun 11 Spieler in einem Team. Viele Fünftklässler hören auf.

In der B- und A-Jugend können nur noch sehr wenige Vereine eine Mannschaft für den Punktspielbetrieb melden. Leistungsstarke Vereine werben gute Jugendspieler ab. Dies führt zu einem Rückzug der verbliebenen Spieler, denn wer keinen Erfolg hat, der hört auf. Eine Nische bilden die stetig wachsenden ethnischen Fußballvereine, die sich aber nicht einem multikulturellen Ansatz verpflichtet fühlen und nur selten engagiert Jugendarbeit (zu meist nur in der A-Jugend) betreiben.

Mädchen-Fußball boomt

Starkes Wachstum verzeichnet der Mädchen-Fußball. Zunehmend etablieren sich Mädchenmannschaften. Nur noch in der G- und F-Jugend müssen sich die jungen Spielerinnen mit Jungen messen. Dieser Leistungsvergleich ist vor allem für leistungsschwächere Mädchen mit Frustrationen verbunden. In geschlechtsheterogenen Teams werden sie in der Regel auf die linke Verteidigerposition geschoben.

Noch fällt die Fluktuation der Mädchen mit Jugendalter gering aus, da die Mannschaften von der E- bis zur B-Jugend bestehen bleiben können. Die Anzahl der Spielerinnen ändert sich nicht. Auch 16 jährige spielen auf dem Kleinfeld und bilden mit 7 Spielerinnen ein Team. Spannend bleibt die Frage, ob der Mädchenfußball sich in Deutschland als ein Spiel für die Unter- und Mittelschicht etabliert. In den USA zeigt sich eine gegenteilige Tendenz.. Dort entwickelt sich Mädchen- und Frauenfußball zu einem Sportspiel für die Mittel- und Oberschicht.

Herausforderungen bleiben bestehen

Die Teilhabe an Spiel, Sport und Bewegung hängt in Deutschland erheblich vom sozialen Status ab. Die Ergebnisse der PISA-Studie lassen sich auch auf den Bereich der sportlichen Aktivitäten übertragen. GymnasiastInnen treiben mehr Sport als Hauptschüler- oder SonderschülerInnen. Der Organisationsgrad der MigrantInnen in den Sportvereinen liegt weit unter dem der gleichaltrigen Deutschen. Dennoch, auf den Schulhöfen und in den Fußballvereinen spielen In- und Ausländer gemeinsam. Andere Sportarten wie Handball, Volleyball, Turnen oder Schwimmen betreiben nur ganz wenige Heranwachsende mit Migrationshintergrund.

Auf die Sportpolitik und die Sportpädagogik warten zahlreiche Herausforderungen: Zum Beispiel fehlen die Aussiedler-Mädchen in den Fußballvereinen. Auf den Schulhöfen dominieren die Jungen in den „Fußball“-Pausen. Der Schulsport zeigt gegenüber dem Fußball ein autistisches Verhalten. Nur ausnahmsweise dürfen Mädchen und Jungen im Sportunterricht auch mal kicken. Zu wenig Sportvereine erlassen Kindern und Jugendlichen, deren Erziehungsberechtigte Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beziehen, den Mitgliedsbeitrag. Auch wird übersehen, dass benachteiligte junge Menschen nicht auf das Eltern-Taxi zurückgreifen können und somit bei jedem Auswärtsspiel oder bei jedem entfernt liegenden Training ein erhebliches Mobilitätsproblem zu lösen haben. Wenn ihnen kein Erwachsener (meist der Trainer) hilft, können sie nicht mitspielen, obwohl gerade der Fußball ihnen Selbstwertgefühl und soziale Anerkennung geben kann.

Vorbildliche Integrationsprojekte

Die Mädchengruppe: Im Kulturzentrum des Stadtteils hat sich eine Mädchengruppe für Grundschülerinnen etabliert, die sich einmal pro Woche zum gemeinsamen Spielen, Klönen und für gemeinsame Aktionen trifft. Die 15 Mädchen aus verschiedenen Ländern gehen im Mai zweimal zum Mädchenfußballangebot des benachbarten Stadtteilvereins. Hier können sie diese populäre Sportart kennenlernen und ausprobieren. Die Hemmschwelle, in einen Verein einzutreten, wird abgesenkt. Der Übergang von einem Angebot der Gemeinwesenarbeit zur Aktivität in einem Sportverein wird erleichtert. Für den Verein ist es selbstverständlich von Kindern, deren Eltern Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe beziehen, keinen Beitrag zu verlangen.

Kooperation Schule und Sportverein: Die deutsche Schullandschaft ist durch einen sehr hohen Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund an Haupt- und Förderschulen geprägt. In einigen Kooperationen von Schulen mit Sportvereinen gelingt es, betroffene Jugendliche für den Vereinssport zu rekrutieren. In den Projekten wird für Turniere, Wettkämpfe trainiert. Dabei fällt auf, das besonders viele zugewanderte Schüler auch noch mit 15 Jahren den Weg in den Fußballverein finden. Die zum Teil sehr engagierten Übungsleiter bieten ihren Teilnehmern auch an Schiedsrichterausbildungen mitzumachen, gemeinsam Bundesligaspiele zu besuchen und sie geben den jungen Menschen vor allem Anerkennung für ihre sportliche Leistung.

Und die 15 türkischen, kurdischen, serbischen und pakistanischen Mädchen aus dem Eingangsbeispiel?

Sie sind bis auf zwei Ausnahmen zum nächsten Vereinstraining des FC Ohmstede wieder gekommen. Für ihre Familien ist Mädchenfußball aber noch etwas Fremdes. Der organisierte Fußball braucht „Grenzgänger“, Menschen, die zwischen den unterschiedlichen Welten vermitteln, helfen und auf die Probleme, aber auch Chancen der Integration aufmerksam machen. Ziel muss es sein, nicht nur leistungsstarke junge Fußballer, die den Weg von Nuri Sahin und Miroslav Klose einschlagen, zu fördern, sondern viele Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund über ein Netzwerk von Schule, Sportverein und Jugendhilfe für Spiel, Sport und Bewegung zu begeistern. Dem beliebten Fußball kann dies gelingen.

Juni 2006

Bild entfernt.

Dr. Ulf Gebken vertritt den Lehrstuhl für Sportdidaktik an der Uni Hannover. Sein besonderes Interesse und Engagement gilt dem Schulsport sowie der Förderung von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen durch Sport.