„Eltern aktiv“: Einbeziehung von Eltern mit Migrationshintergrund in die Berufsorientierung ihrer Kinder

 

von Sabine Kümmerle, Alexei Medvedev, Toralf Gonzales

Der Anteil junger Migrantinnen und Migranten an der dualen Ausbildung in Hamburg ist seit Jahren rückläufig. Die Gründe dafür liegen zum einen in strukturellen Besonderheiten des Hamburger Ausbildungsmarktes, zum anderen sind bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund häufig familienbezogene Faktoren ausschlaggebend.

Eltern spielen bei der Berufswegeplanung ihrer Kinder eine bedeutende Rolle. Das verdeutlichte unter anderem eine Umfrage unter Hamburger Schülerinnen und Schülern.1 Nach dieser Studie sind Eltern die wichtigste Instanz in der Berufsorientierung. Mit 89 % rangieren sie vor allen anderen Instanzen wie beispielsweise Unterricht (86 %), Praktikum (77 %) oder Freunde (76 %). Aber: Gerade Eltern mit Migrationshintergrund, die sich im Bildungs- und Ausbildungssystem Deutschlands oft wenig auskennen, können vielfach keine ausreichende Unterstützung bieten.

Vor diesem Hintergrund wurde 2006 von der BQM - Beratungs- und Koordinierungsstelle zur beruflichen Qualifizierung von jungen Migrantinnen und Migranten ein umfangreiches Konzept im Bereich der interkulturellen Elternarbeit entwickelt. Die Grundidee von „Eltern aktiv“ ist es, Migranteneltern durch ein zielgruppenspezifisches Informationsangebot das notwendige Hintergrundwissen über die Möglichkeiten der beruflichen Bildung in Deutschland bereitzustellen. Damit und durch flankierende Empowermentmaßnahmen sollen sie darin bestärkt werden, ihre Kinder im Prozess der Berufsorientierung aktiv zu unterstützen, um ihnen somit den Zugang zur Ausbildung zu erleichtern. Die Elternarbeit soll stadtteilorientiert, niedrigschwellig und praxisorientiert sein. Zielgruppe sind Eltern mit Migrationshintergrund, deren Kinder sich in der Sekundarstufe I oder II an allgemein bildenden Schulen bzw. in den ausbildungs- oder berufsvorbereitenden Klassen der beruflichen Schulen befinden.

Das Konzept basiert auf drei Säulen: 

  • Angebot von mehrsprachigen Informationsveranstaltungen für Eltern mit Migrationshintergrund unter Einbeziehung der herkunftssprachlichen Lehrkräfte und wichtiger Akteure im Stadtteil, 
  • Etablierung von Elterntreffs im privaten Umfeld nach dem peer-to-peer Prinzip als innovative und zielgruppengerechte Form der Elternansprache, 
  • Gewinnung und Einbeziehung von Unternehmen für die Elternarbeit.

Im Rahmen einer Pilotphase von Mai bis Dezember 2007 wurden gemeinsam mit herkunftssprachlichen Lehrkräften und Eltern aus verschiedenen Herkunftsländern Methoden und Materialien zur Elterninformation entwickelt. Daraus ist das „Handbuch für die interkulturelle Elternarbeit“ in Ordnerform entstanden. Ebenso wurde der BQM-Film „Zukunft durch Ausbildung“ in die Sprachen Englisch, Farsi, Polnisch, Russisch und Türkisch übersetzt. Engagierte herkunftssprachliche Lehrkräfte und Migranteneltern wurden als Multiplikatoren/-innen geschult. Sie haben an Pilotschulen und im privaten Umfeld zahlreiche Elternveranstaltungen durchgeführt. Dabei zeigten sich sowohl das sehr große Interesse der Eltern als auch der enorme Informationsbedarf. Die Voraussetzungen des Projektes, sein Aufbau und die Praxiserfahrungen während der Pilotphase werden im Folgenden vorgestellt.

Ausgangssituation

In Hamburg haben 34,8 % der Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren einen Migrationshintergrund, 17,8 % haben einen ausländischen Pass.2 Während der Anteil der Jugendlichen mit ausländischer Staatsbürgerschaft an den Schulabgängern 2006 bei 18,6 % lag, waren in der dualen Ausbildung nur 6,3 % der Auszubildenden ausländischer Staatsangehörigkeit. Dieser Anteil ist bei gleich bleibendem Absolventenanteil seit Jahren rückläufig. Die angespannte Ausbildungssituation in Hamburg wirkt sich für Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders negativ aus. Sie werden zunehmend vom Ausbildungsstellenmarkt verdrängt.

Ursachen dafür liegen unter anderem im Bildungsniveau gekoppelt mit einer Strukturverschiebung auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt. Jugendliche mit ausländischer Staatsbürgerschaft haben im Vergleich zu deutschen Jugendlichen häufiger einen Hauptschulabschluss (33,4 % vs. 20,1 %) und es gibt deutlich weniger Abiturienten (18,0 % vs. 41,3 %).(2) Auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt konkurrieren sie mit schulisch gut qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Umland:3 Gleichzeitig sind auf dem Hamburger Arbeitsmarkt Ausbildungsplätze vor allem in den traditionell ausbildungsstarken technischen Berufsfeldern abgebaut worden. Da gerade das Handwerk derjenige Ausbildungsbereich ist, der vielen Jugendlichen mit Hauptschulabschluss eine duale Berufsausbildung ermöglicht, wirkt sich diese Strukturverschiebung für Jugendliche mit Migrationshintergrund negativ aus.

Der geringe Ausbildungsanteil hat allerdings nicht nur wirtschaftliche Ursachen. Häufig sind bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund familienbezogene Faktoren ausschlaggebend. Mangelnde Information in den Familien über die Wichtigkeit einer Ausbildung in Deutschland und auseinander gehende familiäre Zukunftsentwürfe können sich negativ auf einen gelungenen Ausbildungs- und Berufseinstieg auswirken. Eine gezielte Elternarbeit kann dem entgegenwirken.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Eltern bei der Berufswegeplanung ihrer Kinder häufig eine entscheidende Rolle spielen. Bisher fehlten in Hamburg allerdings flächendeckende Modelle zur Beteiligung von Eltern an der Berufsorientierung ihrer Kinder. Gestützt auf wissenschaftliche Untersuchungen und Erfahrungen der BQM sowie anderer Träger ist davon auszugehen, dass viele Eltern mit Migrationshintergrund eine duale Berufsausbildung ihrer Kinder nur unzureichend unterstützen können. Häufig verfügen Eltern aufgrund von geringen Deutschkenntnissen nicht rechtzeitig über alle relevanten Informationen. Mitunter glauben sie auch, dass sie ihren Kindern nicht helfen können, wenn sie selbst nicht hinreichend schulisch qualifiziert sind. Hinzu kommt, dass sie zumeist das duale Ausbildungssystem aus ihrem Herkunftsland oft nicht kennen und nicht einschätzen können, dass diese Ausbildungsform die tragende Säule der beruflichen Qualifizierung in Deutschland ist. Ihre in vielen Fällen negativen Erfahrungen mit technisch-gewerblicher und handwerklich-manueller Arbeit übertragen sich auf die betriebliche Ausbildung. Notwendig ist folglich eine umfassende Einbeziehung der Eltern in die Berufsorientierung, da der berufliche Weg von Jugendlichen entscheidend von der Unterstützung ihrer Eltern abhängt.

„Eltern aktiv“: Voraussetzungen

Die Grundidee von „Eltern aktiv“ ist es, Migranteneltern ein zielgruppengerechtes Informationsangebot über die Möglichkeiten der beruflichen Bildung in Deutschland zu unterbreiten, so dass sie ihre Kinder im Prozess der Berufsorientierung unterstützen können. Eltern mit Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich stark hinsichtlich ihres Informationsbedarfes, ihrer Vorbildung, ihrer Sprachkenntnisse und ihrer eigenen Berufserfahrung. Je nach Kulturkreis sind die Wege der Ansprache und Informationsvermittlung unterschiedlich. Diese Voraussetzungen gilt es bei der Erstellung von Materialien und der Vermittlung von Informationen zu beachten.

Die Elternarbeit sollte stadtteilorientiert verankert sein. Schulen sind ein wichtiger Partner bei der Elternarbeit, können diese Aufgabe aber oft nicht alleine bewältigen. Erfahrungsgemäß nimmt die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule im Laufe der Schulzeit ab. Gerade Eltern mit Migrationshintergrund werden von der Schule in der Sekundarstufe besonders schwer erreicht.

Erfolgreiche Elternarbeit erfordert daher die Zusammenarbeit einer Vielzahl von Einrichtungen. Von zentraler Bedeutung ist die Einbeziehung von Organisationen, die Migranten/-innen erreichen wie z. B. Migrantenselbstorganisationen, Religionsgemeinschaften, Vereine, Elternschulen und Stadtteileinrichtungen. Dabei ist es zentral, dass die Ansprechpartner das Vertrauen der Eltern genießen und idealerweise die Sprache des Herkunftslandes beherrschen. Seitens der Schulen können dies zum Beispiel herkunftssprachliche Lehrkräfte sein.

Die Elternarbeit muss niedrigschwellig angesetzt sein. Herkömmliche Informationsangebote erreichen Migranteneltern nur begrenzt, da die Hemmschwelle gegenüber den informierenden Institutionen wie z. B. Schule, Agentur für Arbeit etc. recht hoch ist. Die Distanz wird durch sprachlich bedingte Verständigungsschwierigkeiten unter Umständen noch verstärkt. Um Migranteneltern im Sinne eines Empowermentprozesses zu stärken, sich aktiv für die Berufsorientierung ihrer Kinder zu engagieren, ist eine Ansprache auf gleicher Augenhöhe notwendig. Daher wird für die Umsetzung ein peer-to-peer Konzept gewählt, das direkt in der privaten Lebenswelt der Eltern verortet ist und auf die Eltern sowohl sprachlich als auch inhaltlich gemäß ihrer individuellen Ausgangslage eingeht. Wichtig ist dabei die Umsetzung durch Akteure, die denselben kulturellen Hintergrund haben und die jeweilige Herkunftssprache beherrschen.

Die Elternarbeit sollte praxis- und ergebnisorientiert sein. Die Informationsvermittlung soll greifbar mit entsprechenden Praxiserfahrungen gekoppelt sein. Daher ist die Einbeziehung von Unternehmen sowie Kammern, Gewerkschaften, der Agentur für Arbeit, team.arbeit.hamburg und den Beratungsstellen der Behörde für Bildung und Sport unerlässlich. Ebenso wichtig ist es, den Eltern nicht nur reine Information zu vermitteln, sondern konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

„Eltern aktiv“: die Umsetzung der Pilotphase

Die Umsetzung der drei Eckpunkte des Konzeptes: Elterninformationsveranstaltungen an Schulen, Elterntreffs im privaten Umfeld und die Einbeziehung von Unternehmen, wurde in fünf Schritten realisiert.

Eine tragende Rolle für die erste Säule spielte die Aktivierung herkunftssprachlicher Lehrkräfte für die Elternarbeit. Die Lehrkräfte für herkunftssprachlichen Unterricht sind vorwiegend im Grundschul- und Gesamtschulbereich tätig. Neben ihren Aufgaben als Lehrkraft nehmen sie vielfach Beratungsfunktionen wahr und sind wichtige Ansprechpartner und Vertrauenspersonen für die Eltern an den Schulen. Dasselbe gilt für pädagogische Kräfte mit Migrationshintergrund. Diese wichtige Mittlerrolle ist von den Schulen größtenteils noch nicht entsprechend (an-)erkannt. In Absprache mit der Behörde für Bildung und Sport wurde die enge Zusammenarbeit mit interessierten herkunftssprachlichen Lehrkräften ermöglicht.

Bei der Projektkonzeptionierung wurde davon ausgegangen, dass die Elterninformationsveranstaltungen bei den Eltern weiteren Informations- und Diskussionsbedarf wecken und dass nicht alle Eltern über die Informationsveranstaltungen erreicht werden können. Um diese Lücke zu schließen, die Eltern in ihrer Rolle zu stärken und begleitende Hilfestellung für die Familien im oft spannungsgeladenen Thema „Berufswahl“ zu geben, sollte als zweiter Eckpunkt parallel in den Stadtteilen Elterntreffs initiiert werden. Die Elterntreffs sollten durch ihren niedrigschwelligen Ansatz insbesondere Eltern ansprechen, die durch die herkömmlichen, institutionalisierten Informationsangebote nicht gut erreicht werden. Sie beruhen auf dem peer-to-peer Prinzip. Es geht davon aus, dass die Eltern selbst verschiedene Erfahrungen, Fähigkeiten, Wissen und Können mitbringen und beim Thema „Berufswahl“ oft vor ähnlichen Problemen stehen. Diesbezüglich wurden gute Ergebnisse in der Schweiz mit dem Projekt „Femmes Tische“ und in Bayern mit dem Projekt „Elterntalk“ erzielt. Die Einbeziehung von Unternehmen und Experten wurde bei der Umsetzung als Querschnittthema behandelt.

Die Entwicklung zielgruppengerechter, mehrsprachiger Informations- und Arbeitsmaterialien für Elterninformationsveranstaltungen und Elterntreffs

Für die Umsetzung von Elterninformationsveranstaltungen an Schulen / in Stadtteilorganisationen sowie für die Durchführung von Elterntreffs sollten mehrsprachige Informationsmaterialien entwickelt werden. Um die Bedarfe von Eltern zielgruppengerecht zu erfassen, wurden sowohl herkunftssprachliche Lehrkräfte aus Hamburg als auch engagierte Eltern angesprochen. In vier dreistündigen Workshops mit Lehrkräften und Eltern aus verschiedenen Herkunftsländern wurden zentrale Fragen geklärt:

  • Welche Materialien und Inhalte sollen in einer Schulung für herkunftssprachliche Lehrkräfte eingesetzt werden?
  • Welche Materialien und Inhalte sollen in einer Schulung für Elternmultiplikatoren eingesetzt werden?
  • Welche Informationsmaterialien benötigen die Eltern? Ist ein individueller Zuschnitt auf unterschiedliche Migrantengruppen notwendig?
  • Wie können möglichst viele Eltern für das Thema Berufswahl interessiert werden? Auf welche kulturellen Unterschiede muss geachtet werden? Wie werden die Eltern am besten erreicht?

Aus den Inputs der Workshops sind unterschiedliche Materialien entstanden. Sie können den drei Themenbereichen „Schule“, „Beruf“ und „Bewerbung“ zugeordnet werden. Insgesamt wurden mehr als 20 verschiedene Vorlagen erarbeitet. Sie stellen ein breites Spektrum von Unterrichtsmaterialien dar: Schaubilder, Glossare, Adressenverzeichnisse, Tabellen, Ratgeber, Berufsbilderkartei u. v. m.

Eine große konzeptionelle Herausforderung ist die Übersetzung der deutschen Vorlagen in andere Sprachen. Dies ist in erster Linie auf die Schwierigkeiten adäquater Wiedergabe vieler deutschlandspezifischer Gegebenheiten aus dem Schul- und Berufsalltag zurückzuführen. So ist zum Beispiel das duale Prinzip der Ausbildung in den meisten Ländern der Zielsprachen / Kulturen unbekannt. Eine weitere Herausforderung war es, dem niedrigschwelligen, leicht verständlichen Charakter von Veranstaltungen und Anschauungsmitteln gerecht zu werden. Aus diesem Grund wurden herkunftssprachliche Lehrkräfte und Übersetzer beauftragt, eine interkulturelle Expertise der zu übersetzenden Materialien vorzunehmen, um diese optimal auf die Zielgruppe abzustimmen. Das betraf sowohl reine übersetzerische Arbeitstechniken, wie die Übersetzung von deutschlandspezifischen Gegebenheiten, als auch grundsätzliche Visualisierungsmöglichkeiten. Ziel war es die Materialien für alle Eltern verständlich zu machen, unabhängig von ihrer eigenen Vorbildung.´

Kontrovers diskutiert wurde der Aufbau des Konzepts. Den meisten Teilnehmer/-innen war aus ihrer eigenen Erfahrung heraus lediglich die Gattung „Elternabend“ bekannt. Dabei wurde häufig betont, dass Elternabende als Form der Lehrer-Eltern-Kommunikation nicht gerade das beste Format seien, um Migranteneltern zu erreichen.

Qualifizierung von herkunftssprachlichen Lehrkräften für die Umsetzung von Elterninformationsveranstaltungen an Schulen

Aufbauend auf den Ergebnissen der Workshops wurde eine 19 Zeitstunden umfassende Schulung entwickelt. Sie bereitet die Lehrkräfte auf ihre Aufgabe als Moderator/-in von Elterninformationsveranstaltungen und Elterntreffs zur Berufsorientierung vor. Die Lehrkräfte wurden geschult, Elterninformationsveranstaltungen unter Einbeziehung aller relevanten Partner selbstständig zu entwickeln, zu planen, zu organisieren und durchzuführen. Sie erlernten die Abläufe rund um das Abstimmen der Veranstaltungsziele. In der Schulung wurden die Grundzüge des deutschen Berufsbildungssystems sowie grundlegende Kenntnisse zum Berufsorientierungs- und Bewerbungsprozess vermittelt. Dazu wurden Experten und Expertinnen aus den jeweiligen Bereichen als Referenten und Referentinnen eingesetzt. Die Schulung wurde in enger Absprache mit der Behörde für Bildung und Sport und dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung entwickelt und kann von den Lehrkräften als reguläre Lehrerfortbildung angerechnet werden.

Das Interesse an der Schulung war groß. 20 herkunftssprachliche Lehrer/-innen von Hamburger Schulen nahmen an der Fortbildung teil. Damit konnte fast ein Drittel der Zielgruppe bereits in der Pilotphase qualifiziert werden.

Die Reaktion auf das Thema und die vorgeschlagenen Ansätze war zunächst eher reserviert. Das hatte mehrere Gründe, zum einen mangelnde Informationen oder Reflexionsdefizite zum Thema „Berufsorientierung“ im Allgemeinen, zum anderen auch negative Erfahrungen in der Elternarbeit, insbesondere im Migrantenmilieu. Es kostete daher viel Überzeugungskraft, die Lehrkräfte für neue Formen der Elternarbeit wie muttersprachliche Elterninformationsveranstaltungen in der Schule oder Elterntreffs im Stadtteil zu gewinnen.

Im Laufe beider Schulungen wuchs das Vertrauen der Teilnehmer/-innen in die von der BQM konzipierten Veranstaltungsformate trotz ihrer unterschiedlich ausgerichteten Ansätze - privat vs. öffentlich. Die Anfangsskepsis lässt sich z. T. durch negative Erfahrungen erklären, die beide Seiten im Umgang miteinander gemacht haben. Außerdem waren viele Teilnehmer/-innen, insbesondere von Seiten der Eltern skeptisch, ob sie genug Interessenten im eigenen Kulturkreis finden würden. Die Idee, Elterntreffs im privaten Rahmen bei einer Gastgeberin oder einem Gastgeber zu organisieren stieß auf große Bedenken. Die Ergebnisse in der späteren Realisierungsphase können dies aber nur zum Teil bestätigen.

Qualifizierung von Moderatoren/innen für Elterntreffs im privaten Rahmen

Ebenfalls als Resultat der Entwicklungsworkshops wurde ein Schulungskonzept für Eltern entwickelt. Es umfasst 16 Zeitstunden und behandelt die Themen: Grundzüge der Moderationstechnik, deutsches Schul- und Berufsbildungssystem, praktische Hinweise zur Ausbildungsplatzsuche, Selbstreflexion der eigenen Rolle als Moderator/-in von Elterntreffs.

Über private Netzwerke der herkunftssprachlichen Lehrkräfte und Mitarbeiter/-innen sowie durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Trägern und Institutionen wurden engagierte Eltern aus unterschiedlichen Herkunftsländern angesprochen und motiviert, in der Elternarbeit tätig zu werden. Für die Schulung, die an fünf Vormittagen stattfand, konnten 17 Teilnehmer/-innen gewonnen werden.

Im Vorfeld wurden die Sprachen der vier großen Hamburger Migrantengruppen ausgewählt, die in der Konzeptionierungsphase miteinbezogen werden sollten: Farsi, Polnisch, Russisch und Türkisch. Die Erfahrungen mit der ersten Moderatorenstaffel zeigten, dass das Interesse an einer Tätigkeit als Moderatorin oder Moderator bzw. am Thema „Berufsorientierung“ diesen künstlich geschaffenen Rahmen sprengt. Unter den Schulungsteilnehmern gab es Vertreter folgender Länder: Afghanistan, Polen, Russland, Türkei, Ukraine, Spanien, Marokko / Frankreich, Kamerun. Die Sprachenvielfalt war auch dementsprechend viel bunter als ursprünglich angedacht. Da die Arbeitssprache der Schulung Deutsch war, gab es keine Probleme mit der Verständigung.

Hinsichtlich ihrer Motivation und ihres sozialen Hintergrunds lassen sich die Moderatorinnen und Moderatoren in drei unterschiedliche Gruppen unterteilen. Zum einem waren es Migranteneltern, die an diesem Thema persönliches Interesse hatten (aufgrund ihrer eigenen Familiensituation als Elternteil), zum Teil waren es Vertreter diverser Migrantenorganisationen, die sich in ihrer Arbeit mit gleichen oder ähnlichen Inhalten befassen. Eine dritte Gruppe bildeten Moderatorinnen und Moderatoren, die über andere Netzwerke, wie z. B. dem MiMi-Projekt, auf „Eltern aktiv“ stießen und sich im Bereich Berufsorientierung weiter- bzw. neu qualifizieren wollten.

Auch hier wurde Wert darauf gelegt, durch die Referentenauswahl und Exkursionen Kontakte zu möglichst vielen Einrichtungen aufzubauen. Im Rahmen der ersten Schulung besuchte die Gruppe das Schul- und das Berufsinformationszentrum und bekam die Möglichkeit, mit den Vertreterinnen und Vertretern der Bundesagentur für Arbeit und der Firma Iwan Budnikowsky GmbH & Co. KG ins Gespräch zu kommen.

Trotz der nachhaltigen Progression der Inputs bedurfte es großer Aufklärungsarbeit, bis alle Teilnehmer/-innen von der Idee des Eltertreffs als einer eher in privatem als institutionellem Rahmen stattfindenden Veranstaltung überzeugt waren. Es gab in der Gruppe keine einheitliche Meinung, ob Eltern aus den eigenen Kulturkreisen für so eine Form der intrakulturellen Zusammenkunft, die neben Interesse auch einen gewissen Grad an Vertrauen und Zuneigung erfordert, überhaupt gewonnen werden würden.

Organisation Elterninformationsveranstaltungen an Schulen und in Stadtteileinrichtungen

Gemeinsam mit der Behörde für Bildung und Sport wurde die Ansprache von 10 Schulen aller Schultypen abgestimmt, an denen geschulte herkunftssprachliche Lehrkräfte Informationsveranstaltungen anbieten sollten. Allen Schulen ist ein hoher Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund gemeinsam. Im Dezember 2007 konnten 5 Elternveranstaltungen an 5 Schulen durchgeführt werden. Darüber hinaus wurde eine Veranstaltung bei der Türkischen Gemeinde Hamburg und Umgebung e. V. umgesetzt.

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Die Ansprache der Schulen war nicht in allen Fällen erfolgreich. Die erste Bilanz der Kooperation mit den Schulen zeigt, dass es großer Überzeugungskraft bedarf, die Schulen für dieses Projekt zu gewinnen. Ein Hindernis der Erprobung war sicherlich die knappe Zeit der aktiven Umsetzung der Konzeptionierungsphase, die auf das Jahresende mit allen damit verbundenen Konsequenzen fiel. Manche Veranstaltungen wurden deswegen auf das Jahr 2008 verlegt, mache wurden aufgrund viel zu hoher Überlastung der Schulen abgesagt oder verschoben. Umso erfreulicher waren die Ergebnisse der durchgeführten Elterninformationsabende.

Es gelang, eine große Zahl von Eltern für die Elterninformationsveranstaltungen, die jeweils abends stattfanden, zu mobilisieren. Dies war vor allem den bereits bestehenden, gut funktionierenden Netzwerken der Lehrkräfte und Pädagoginnen geschuldet, die die Organisation übernahmen. So konnten die Eltern über die bestehenden Kontaktnetzwerke persönlich und telefonisch angesprochen und eingeladen werden. Darüber hinaus wurden jeweils seitens der Schulleitung schriftliche Einladungen an die Eltern versandt. Die Doppelstrategie aus persönlicher Ansprache und „offizieller“ Einladung funktionierte in den meisten Fällen sehr gut.

Bei den Elterninfoveranstaltungen stellten die Referentinnen und Referenten zunächst das deutsche Schulsystem und die beruflichen Perspektiven der Jugendlichen mit den verschiedenen Abschlüssen dar. Die zweite Hälfte der i. d. R. zweistündigen Veranstaltungen war für Fragen und Diskussion reserviert.

Die Beurteilung der Elterninformationsabende durch die Teilnehmer/-innen war durchweg positiv. Die Inhalte wurden überwiegend als „sehr interessant“ oder „interessant“ eingestuft. Nur zwei Personen wollten die Veranstaltung nicht weiter empfehlen und wünschten sich selbst keine weiteren Elterninformationsveranstaltungen.

Etablierung von Elterntreffs nach dem peer-to-peer Prinzip als innovative und zielgruppengerechte Form der Elternansprache

Innerhalb von „Eltern aktiv“ war die Durchführung von jeweils zweistündigen Elterntreffs durch herkunftssprachliche Moderatorinnen und Moderatoren vorgesehen. Jeweils 6 - 8 Eltern sollten sich im privaten Rahmen treffen.

Die geschulten Moderatorinnen und Moderatoren haben dafür eine Moderatorentasche und ein Moderatorenhandbuch erhalten. Sie enthalten eine Reihe von Informationsmaterialien, die sowohl als Nachschlagewerk für die Moderatorinnen und Moderatoren dienen können, als auch als Infomaterialien für die Eltern.
Die Elterntreffs waren so angelegt, dass sie je nach Bedarf der Eltern unterschiedliche Inhalte thematisieren können. Neben den Ängsten und Sorgen der Eltern zur Berufswahl an sich, können Themen sein: „Berufswünsche der Eltern = Berufswünsche der Kinder?“, „Keine Lust auf Ausbildung?“ „Welche Möglichkeiten zur Berufswahl gibt es?“ „Wie findet mein Kind einen Ausbildungsplatz?“ „Was ist für eine Bewerbung wichtig?“ Wie kann ich mein Kind bei der Ausbildungsplatzsuche unterstützen?
Die engagierten Moderatorinnen haben im Laufe der Konzeptionierungsphase bis einschließlich Januar 2008 14 Elternkreise mit ca. 100 Teilnehmer/-innen durchgeführt:

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Wie bei den Elterninfoveranstaltungen spielte auch hier das soziale Kapital der Moderatorinnen eine große Rolle. Je besser die Frauen mit verschiedenen Einrichtungen oder
aber auch im Bekanntenkreis vernetzt sind, desto mehr Eltern können sie für die Elterntreffs gewinnen. Auffällig war, dass die Elterntreffs vor allem Frauen ansprechen. Nur zwei der 94 Teilnehmer/-innen waren männlich. Im Gegensatz zu den Elterninformationsveranstaltungen überwiegen bei den Eltertreffs Eltern mit jüngeren Kindern (54 %). Entsprechend stark nachgefragt waren Themen rund um das deutsche Schulssystem.
Die Elterntreffs außerhalb der Schulen wurden über Gästekarten fast identisch bewertet. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden den Elterntreff „sehr interessant“ oder „interessant“ und würden ihn auch weiter empfehlen. Nur zwei Frauen fanden das Thema und die Diskussion „weniger interessant“. Ansonsten herrschte in Bezug auf das Thema, die Materialien und die Diskussion eine einhellig positive Meinung.

Ergebnisse

Die Pilotphase von „Eltern aktiv“ hat eine Reihe von Ergebnissen hervorgebracht.

Allgemeine Ergebnisse zur interkulturellen Elternarbeit

  • Es herrscht quer über alle Kulturkreise und Elterngruppen hinweg ein sehr hoher Informationsbedarf von Eltern mit Migrationshintergrund. Überraschend hoch ist das Informationsdefizit im Bereich „Schulsystem“. Die bisher von den Schulen angebotenen Informationsformate greifen für die Migranteneltern zu kurz.
  • Es herrscht großes Interesse von Eltern am Thema „Berufsorientierung“. Entscheidend ist es, das  Vertrauen der Eltern zu gewinnen und sie für die Informationsveranstaltungen zu mobilisieren.  Zugleich gilt es auch Schulen zu aktivieren, diesem Thema mehr Raum zu widmen. Die Distanz  zwischen Schule und Eltern beruht oft auf Gegenseitigkeit. 
  • Erfolgreiche Elternarbeit braucht geeignete Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Die persönlichen Netzwerke und das soziale Kapital der Moderatorinnen und Moderatoren sind zentrale Faktoren für die Erreichung der Zielgruppe. Sie können im Bereich Elterninformation an Schulen helfen, die Distanz zur Schule zu überbrücken. 
  • Einzelne Informationsveranstaltungen sind nicht ausreichend, um Eltern über das komplexe Thema „Berufsorientierung“ zu informieren und zum eigenen Handeln zu befähigen. Die Information sollte immer mit konkreten Handlungsmöglichkeiten für die Eltern gekoppelt sein.
  • Neben den vorgesehenen Themen wird auch das Thema „Diskriminierung durch das Schulsystem“ insbesondere durch türkischstämmige Eltern immer wieder angesprochen.

Projektspezifische Ergebnisse

  • Sowohl der Ansatz, Eltern über die Schule zu erreichen, als auch der Ansatz mit Elterntreffs im privaten Umfeld das Thema zu behandeln, sind erfolgversprechend. Während das Konzept der Elterninformationsveranstaltungens direkt umsetzbar ist, bedarf die Idee der Elterntreffs auf der peer-to-peer Ebene weiterer Konkretisierungsschritte. 
  • Die Grenzen zwischen Elterninfoveranstaltungen und Elterntreffs verschwimmen mitunter in der  Praxis. Die Elterntreffs haben teilweise Fortbildungscharakter erhalten, was unter anderem am Status und dem Selbstverständnis der meist auch professionell im Migrationsbereich tätigen Moderatorinnen begründet ist. Hier gilt es, weitere Elternmoderatorinnen und -moderatoren, die auf Augenhöhe Elterntreffs durchführen können, zu finden und zu schulen. 
  • Um Elterntreffs auch für Väter attraktiv zu machen, wäre die Gewinnung männlicher Moderatoren empfehlenswert.
  • Die im Konzept vorgesehene Fokussierung auf die Berufsorientierung lässt sich in der Praxis nicht 1:1 umsetzen. Die inhaltlichen Nachfragen der Eltern hängen vom Alter der Kinder ab. Gerade in den Elterntreffs ist der Anteil von Eltern hoch (ca. 50 %), deren Kinder die Grundschule und Orientierungsstufe besuchen. Dies führt dazu, dass dort vor allem über das Schulsystem diskutiert wird. Eine stärkere Modularisierung des Themas sollte angestrebt werden. 
  • Einige jüngere Eltern haben ebenso ein Interesse an der „höheren“ Schulbildung und einer akademischen Laufbahn ihrer Kinder. Insofern wäre es unangemessen, sie nur mit dem Wissen über die duale Ausbildung zu versorgen.

Anmerkungen

1 „Berufswahl in Hamburg“, Arbeitskreis EINSTIEG und psychonomics AG, 2006.
2 Quelle: Mikrozensus 2005.
3 2006 stammten bereits 34,1 % der Hamburger Berufsschüler mit Ausbildungsvertrag aus dem Hamburger Umland (Quelle: BBS). Im Bereich der Handwerkskammer stammen ca. 52 % aus dem Umland, im Bereich der Handwerkskammer 21 %.

Februar 2008

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Sabine Kümmerle und Dr. Alexei Medvedev arbeiten bei der Beratungstelle zur beruflichen Qualifizierung junger MigrantInnen-BQM in Hamburg. Toralf Gonzales ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Departement Stadtplanung der Hafencity Universität Hamburg.