Realität der Diskriminierung in Deutschland – Vermutungen und Fakten

Realität der Diskriminierung in Deutschland

 

von Markus Schlaab

Auch mehr als dreieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) herrscht beim Thema Diskriminierung in Deutschland immer noch eine große Unklarheit. Es ist wenig bekannt darüber, in welchen Lebensbereichen Diskriminierungen vorwiegend vorkommen und welche Personen häufig von Diskriminierungen betroffen sind.

 

Das Forschungsprojekt

Zur Erforschung der gesellschaftlichen Realität von Diskriminierung hat das Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung an der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Hubert Rottleuthner zusammen mit Dr. Matthias Mahlmann,  Professor am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, eine empirische Studie zu dem Thema "Realität der Diskriminierung in Deutschland – Vermutungen und Fakten" durchgeführt. (1)

Ziel der Untersuchung war es, den Forschungsstand über Benachteiligungen aufgrund von Alter, Behinderung, „Rasse“ (2) und ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung sowie sexueller Identität zu verbessern. Im Besonderen ging es darum, für verschiedene Sozialbereiche ein realistisches Bild der Arten und Häufigkeit von Diskriminierungen und Diskriminierungsmustern zu ermitteln. In diesem Beitrag soll es im Schwerpunkt um Diskriminierungen von MigrantInnen aufgrund der ethnischen Herkunft gehen.

Bei der Frage nach der Realität von Diskriminierung ist zwischen verschiedenen Wahrnehmungsebenen zu unterscheiden, nämlich den subjektiven Diskriminierungserfahrungen von Betroffenen, der Interpretation dieser Vorkommnisse durch Dritte, sowie autoritativen Entscheidungen u.a. durch Gerichte. Natürlich liegt es auf der Hand, dass es ein großes Dunkelfeld gibt. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Diskriminierungen aus verschiedenen Gründen nicht öffentlich gemacht werden.
 
Um diese Realitäten möglichst wirklichkeitsnah abzubilden, wurden verschiedene Methoden der empirischen Sozialforschung kombiniert. Befragt zu ihren Erfahrungen mit Diskriminierungsfällen wurden insgesamt 126 Verbände (nicht-staatliche Antidiskriminierungsbüros, MigrantInnenselbstorganisationen, etc.) und 50 staatliche Stellen (Beauftragte der Bundesregierung, Beauftragte in den Bundesländern, Antidiskriminierungsstellen), 8 Beauftragte politischer Parteien sowie 49 RechtsanwältInnen.

Außerdem erfolgte eine Analyse der Rechtsprechung zum AGG durch eine Gerichtsumfrage an insgesamt 173 Gerichten. Während im Rahmen eines Pretests in den drei Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin und Brandenburg zunächst Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Zivilgerichte befragt wurden, ist die in den Bundesländern Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen durchgeführte Hauptuntersuchung auf Arbeits-, Verwaltungs- und Sozialgerichte beschränkt worden (3). Darüber hinaus wurde eine JURIS-Recherche zum AGG durchgeführt (4). Mit Hilfe eines Online-Fragebogens, der neben Deutsch auch in fünf weiteren Sprachen auf der Webseite des Forschungsprojektes verfügbar war, konnten Betroffene Diskriminierungserfahrungen schildern und so ihre individuellen Erfahrungen mitteilen. Außerdem wurden bereits bestehende relevante Untersuchungen ausgewertet und verschiedene Tageszeitungen nach Hinweisen auf Diskriminierungen analysiert.

Zahl der Diskriminierungsfälle in Deutschland

Aussagen darüber zu treffen, wie hoch die Zahl der ethnisch motivierten Diskriminierungen in Deutschland tatsächlich liegt, ist schwierig angesichts der Tatsache, dass es keine bundesweiten Statistiken zu Diskriminierungsfällen gibt. Die Vielfalt der mitgeteilten Diskriminierungsfälle, die Tatsache, dass nahezu alle Lebensbereiche betroffen sind und die Feststellung, dass für viele MigrantInnen Benachteiligungen ein fester Bestandteil ihres Alltags sind, deuten jedoch daraufhin, dass ethnisch motivierte Diskriminierungen in Deutschland nicht nur in Einzelfällen vorkommen.

Wer wird diskriminiert?

MigrantInnen sind nicht selten von Mehrfachdiskriminierungen betroffen, wie von zahlreichen Antidiskriminierungsstellen berichtet worden ist. Das bedeutet, dass Benachteiligungen häufig nicht nur aufgrund der ethnischen Herkunft erfolgen, sondern dass zusätzlich andere Merkmale wie etwa Geschlecht und Religion zum Tragen kommen. Dies trifft insbesondere zu auf muslimische Migrantinnen, die ein Kopftuch tragen. Diese werden in vielen Bereichen des täglichen Lebens stark ausgegrenzt. Um Mehrfachdiskriminierung in Form der intersektionellen Diskriminierung geht es beispielsweise dann, wenn junge, männliche Migranten durch diskriminierende Einlasspraxen beim Zugang zu Clubs, Diskos und Bars benachteiligt werden. Hier greifen die Diskriminierungsmerkmale ethnische Herkunft und (männliches) Geschlecht gleichzeitig und interagieren so miteinander, dass sie zu einer Einheit werden.

Wo wird diskriminiert?

Benachteiligungen kommen in sämtlichen Lebensbereichen in unterschiedlichster Art und Weise vor. Für das Merkmal ethnische Herkunft sind deutliche Schwerpunkte im Bereich Arbeit sowie im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen festzustellen.

  • Diskriminierungen im Arbeitsleben

Für den Lebensbereich „Arbeit“ besitzt das AGG die höchste Regelungsdichte und listet im Vergleich zu den übrigen Bereichen (Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Bildung, Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen) sehr detailliert auf, welche Benachteiligungen unzulässig sind. Tatsächlich wurden in Zusammenhang mit dem Arbeitsleben die meisten Diskriminierungsfälle berichtet.

Bereits ein ausländischer Name führte – so wird in zahlreichen Fällen berichtet – dazu, dass BewerberInnen nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden (5).

„Ich habe mittlerweile genug von der allgemeinen Diskriminierung aufgrund meiner (türkischen) Herkunft. Am Telefon (akzentfrei) ist alles bestens, allerdings wenn mein Name ins Spiel kommt oder ein persönlicher Kontakt zustande kommt, dann gibt es sofort eine Ausrede, warum ich den Job, die Wohnung und vieles andere nicht bekomme.“ (Quelle: Online-Befragung)

Beim Zugang zur Erwerbstätigkeit ist ein klarer Diskriminierungsschwerpunkt festzustellen. Aus der Online-Befragung ergibt sich, dass etliche Arbeitgeber bei einer Stellenbesetzung Hautfarbe und Herkunft für legitime Auswahlkriterien halten, was der folgende Fall verdeutlicht:

„Ich wohnte als Au Pair Mädchen in Hannover und wollte eine Arbeitsstelle auf Sylt annehmen. Ich wurde am Telefon interviewt. Klang alles top bis er nach meinem Aussehen fragte. So wie er fragte, wusste ich, er geht davon aus, dass ich weiß bin. Ich sagte, dass ich Schwarz bin, woraufhin das Angebot zurückgenommen wurde. Es würde seine Kunden überfordern, wenn ich dort arbeiten würde.“ (Quelle: Online-Befragung)

Die fehlende Chancengleichheit im Bewerbungsverfahren veranlasste kürzlich auch die neue Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, anonymisierte Lebensläufe in Bewerbungsverfahren zu fordern, was von Seiten der Wirtschaft allerdings unverzüglich als zu bürokratisch zurückgewiesen wurde (6).

Berichtet wurde auch von Diskriminierungen am Arbeitsplatz durch Vorgesetzte und KollegInnen. Das Bewusstsein für ethnische Diskriminierung ist in Deutschland häufig nur sehr gering entwickelt. So berichtete ein Rechtsanwalt:

„Ein Mandant mit Migrationshintergrund schilderte nur im Nebenbei, wie sein Vorarbeiter einmal äußerte, „Ausländer müsste man alle verbrennen“ und dies jedoch dahingehend relativierte, dass er den Mandanten ja kenne und nichts gegen ihn habe. Dieser Vorfall war für den Mandanten jedoch gar nichts besonderes und nicht Gegenstand seines rechtlichen Anliegens, da er sich mit derartigen Äußerungen schon quasi abgefunden hatte.“

AnwältInnen schilderten einige Fälle von offen rassistischem Mobbing. Gerichtliche Auseinandersetzungen gibt es diesbezüglich jedoch nur selten (vgl. hierzu den Beitrag von Simone Schmollack in diesem Dossier). Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes dürfte viele Betroffene davon abhalten, sich juristisch zur Wehr zu setzen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass neben dem Zugang zur Erwerbstätigkeit auch der berufliche Aufstieg für MigrantInnen wesentlich schwieriger zu realisieren ist. Im Rahmen der Online-Befragung wurde mehrfach berichtet, dass Beschäftigte ohne Migrationshintergrund mit kürzerer Beschäftigungszeit und geringerer Erfahrung regelmäßig schneller befördert wurden als qualifizierte MigrantInnen.

  • Diskriminierungen bei Gütern und Dienstleistungen

Ein weiterer Diskriminierungsschwerpunkt ist beim Zugang und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen festzustellen.

Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt

Ethnische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ist ein bekanntes Problem und kommt nach Auswertung der Befragungen nicht nur in Einzelfällen vor. Viele MigrantInnen werden vom Zugang zu bestimmten Wohnungsteilmärkten ausgeschlossen. Während es in der Regel in vielen Städten kein Problem ist in den klassischen Einwanderungsvierteln eine Wohnung anzumieten, stellt sich dies für MigrantInnen – unabhängig von ihrer sozialen Stellung – in den „besser situierten“ Stadtteilen nach Auskunft von Antidiskriminierungsstellen und RechtsanwältInnen als großes Problem dar. Diskriminierungen gehen dabei nicht nur von privaten HauseigentümerInnen, sondern auch von MaklerInnen und Wohnungsgesellschaften aus. MigrantInnen wird mitgeteilt, dass die Wohnung schon anderweitig vergeben sei – und dies selbst bei einer Anfrage früh am Tag des Erscheinens der Wohnungsanzeige. Bereits das Nennen eines ausländischen Namens kann dazu führen, dass MigrantInnen die Anmietung einer Wohnung verweigert wird:

„Ich habe eine Wohnung nicht bekommen, weil ich einen ausländischen Namen habe. Nachdem die Vermieterin gefragt hat, woher mein Name kommt (angeblich interessiere sie sich für Namen), habe ich eine Absage erhalten.“ (Quelle: Online-Befragung)

Im Rahmen der Online-Befragung berichtete eine Migrantin, die sich telefonisch auf eine Wohnungsanzeige gemeldet hatte, dass die Vermieterin ihr unvermittelt am Telefon unterstellte, sie würde bestimmt irgendwann Kinder haben wollen. In ihrem Haus seien Kinder jedoch unerwünscht. Als die Vermieterin dann während der Wohnungsbesichtigung feststellte, dass der Ehemann der Migrantin Deutscher war, schlug sie plötzlich selber die Nutzung eines Raums als Kinderzimmer vor (7).

Diskriminierungen im Einzelhandel

Im Rahmen der Online-Befragung wurden zahlreiche Diskriminierungsfälle geschildert, die den Einzelhandel betreffen. Insbesondere muslimische Migrantinnen, die ein Kopftuch tragen, berichteten von Benachteiligungen in Geschäften durch Angestellte und KundInnen. Die geschilderten Fälle reichen von abschätzigen Blicken, über die Verweigerung der Bedienung bis hin zu rassistischen Beleidigungen durch KundInnen und Angestellte. Sowohl im Rahmen der Online-Befragung als auch von Seiten der RechtsanwältInnen wurde von Fällen berichtet, in denen MigrantInnen grundlosen Diebstahlverdächtigungen ausgesetzt waren. So schilderte ein Rechtsanwalt, dass einem Mandanten in einer Filiale einer großen Drogerie-Kette ein Hausverbot erteilt wurde.

Hintergrund war offenbar die türkische Herkunft des Mandanten. Zwei Mitarbeiterinnen der Filiale hatten den Mandanten fälschlich beschuldigt immer dort zu klauen und ihn dabei regelmäßig geduzt. Der Vorfall war für den Mandanten besonders schwerwiegend, da er in der Nähe der Filiale eine Arztpraxis betrieben hat und daher eine Rufschädigung fürchtete. Der Mandant stellte Strafanzeigen gegen die beiden Mitarbeiterinnen, die per Strafbefehl zu Geldstrafen verurteilt wurden. Weiterhin erging außergerichtlich eine Abmahnung an den Betreiber der Drogerie-Kette, der als Entschädigungsleistung einen Gutschein in belangloser Höhe erteilte.

Diskriminierungen beim Zugang zu Diskotheken, Clubs und Bars

Auch nach Inkrafttreten des AGG sind beim Zugang zu Diskotheken, Clubs und Bars diskriminierende Einlasspraxen nach Auskunft zahlreicher Antidiskriminierungsstellen und RechtsanwältInnen immer noch an der Tagesordnung. Vor allem betroffen sind männliche Jugendliche und junge Männer mit türkischem oder arabischem Aussehen und Schwarze Männer. Insbesondere die Antidiskriminierungsstelle der Stadt Hannover war in den vergangenen Jahren mit verhältnismäßig vielen Beschwerden beschäftigt, die Benachteiligungen beim Zugang zu Diskotheken und Clubs zum Gegenstand hatten. Dies führte unter anderem dazu, dass die Stadt Anfang 2009 mit einer Postkartenaktion DiskobesucherInnen und TürsteherInnen gezielt auf dieses Problem und die Möglichkeiten sich zur Wehr zu setzen, aufmerksam gemacht hat.

Nach der bundesweit offenbar ersten Gerichtsentscheidung in einem Diskotheken-Fall, in dem das Amtsgericht Oldenburg einem Kläger 500 Euro zugesprochen hatte (Urteil vom 23. Juli 2007, Aktenzeichen: E2 C2126/07), waren Zivilgerichte nur in wenigen Einzelfällen mit diskriminierenden Einlasspraxen beim Zugang zu Diskotheken befasst. Nach Auswertung der Gerichtsumfrage lagen lediglich dem Amtsgericht Berlin-Mitte zwei Fälle vor, in denen den Klägern wegen ihrer Herkunft der Zutritt zu einer Diskothek verweigert worden war. Eines der Verfahren endete mit einem zweifelhaften Vergleich, in dem sich die Diskobetreiber entschuldigten, den Kläger sowie drei Begleiter zum Essen einluden und ihm die Telefonnummer des Geschäftsführers für den Fall gaben, dass er von den Türstehern wieder abgewiesen würde.

  • Diskriminierungen im Bildungsbereich

Diskriminierungsbeschwerden, die den Bildungsbereich betreffen, sind insbesondere für nicht-staatliche Antidiskriminierungsbüros ein alltägliches Thema. Es wird von Fällen berichtet, in denen SchülerInnen mit Migrationshintergrund von LehrerInnen aufgrund ihrer Herkunft schlechter bewertet wurden, mehr leisten mussten und häufiger sanktioniert wurden als ihre MitschülerInnen ohne Migrationshintergrund. Aufgrund der schlechteren Bewertungen und darauf basierender schlechterer Schulempfehlungen kommt es auch beim Zugang zu weiterbildenden Schulen zu Benachteiligungen. Nach den Ergebnissen der Online-Befragung stellt rassistisches Mobbing durch MitschülerInnen untereinander ein weiteres Problem dar.

  • Diskriminierungen im Gesundheitswesen

Während im Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zum Thema Migration und Gesundheit unter Verweis auf andere Studien festgestellt wird, dass Diskriminierung im Gesundheitsbereich weder ein häufiges noch ein bedeutendes Problem darstellt (8), gibt es nach Auswertung der Befragungen Hinweise darauf, dass es auch im Gesundheitswesen und im Umgang mit sozialen Diensten zu ethnisch motivierten Diskriminierungen kommt. Insbesondere muslimische Migrantinnen mit Kopftuch berichteten davon, dass ÄrztInnen explizit die Behandlung verweigerten unter Hinweis darauf, dass MitpatientInnen kopftuchtragende Frauen im Wartezimmer nicht zugemutet werden könnten. Berichtet wurde auch von rassistischen Beleidigungen durch Pflegepersonal in Krankenhäusern.

  • Diskriminierungen durch Ämter und Behörden

Ein Großteil der Diskriminierungsbeschwerden beim Umgang mit Ämtern und Behörden betrifft Benachteiligungen durch Arbeitsagenturen, Jobcenter sowie durch Ausländerbehörden. In etlichen der geschilderten Fälle, wie auch im folgenden, wird die ethnisch motivierte Diskriminierung deutlich:

„Mein Auto wurde abgeschleppt. Als ich den Polizei-Notruf anrief und meinen ausländischen Namen durchgab, wollte man mir keine Auskunft darüber geben, wo mein Auto nun steht. Als ich sagte, dass das in diesem Land nicht passieren darf, sagte mir der Polizist wortwörtlich, dass ich dorthin gehe soll, wo ich herkomme und legte auf. Danach rief ich die Feuerwehr-Notrufnummer, erzählte alles und er stellte mich wieder zum gleichen Polizisten durch, der mir erst beim 3. Anruf gesagt hat, auf welchem Autohof mein abgeschlepptes Auto steht.“ (Quelle: Online-Befragung)

Ethnisch motivierte Diskriminierung (k)ein Thema für Gerichte?

Abschließend ist festzustellen, dass für die Gerichte in Deutschland ethnisch motivierte Diskriminierung eine sehr geringe Rolle spielt. Für den Zeitraum vom Sommer 2006 bis Ende 2009 ging es in gerade einmal 4% der im Rahmen der Gerichtsumfrage mitgeteilten 1.121 AGG-Verfahren um Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft. Die Diskriminierungsmerkmale Alter, Behinderung und Geschlecht standen bei den Gerichten deutlich im Vordergrund. Die geringe Zahl der Gerichtsverfahren könnte mit der schwierigen Beweisführung als auch mit Fragen der Mobilisierung des Rechts zusammenhängen (9).

Ohne dass in Abrede gestellt werden soll, dass in Einzelfällen auch eine missbräuchliche Berufung auf das AGG vorkommt, ruft die Anmerkung eines Richters in einem Fragebogen Besorgnis im Hinblick auf dessen vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit Diskriminierungsvorwürfen hervor:

„Insbesondere Parteien mit südeuropäischen/nordafrikanischen Wurzeln mutmaßen gern, dass dies (Anm.: die ethnische Herkunft) Grund für ein Verhalten Dritter sei, das ihnen nicht gefällt (Mahnung, Kündigung etc.) – ohne dass sich dafür tatsächlich irgendwelche Anhaltspunkte finden lassen.“ (Quelle: Gerichtsumfrage)

Bei der vorliegenden Untersuchung handelte es sich um eine Pionierarbeit. Es besteht auch weiterhin noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Deutlich geworden ist im Rahmen der Untersuchung allerdings, dass ethnisch motivierte Diskriminierungen wesentlich häufiger vorkommen als es die geringe Zahl der einschlägigen Gerichtsentscheidungen vermuten lässt.

 

Endnoten

1) Das Forschungsprojekt wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen des PROGRESS Programms, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Freien Universität Berlin sowie der Universität Zürich gefördert. Der Abschlussbericht dieses Projekts wird in diesem Jahr veröffentlicht.

2) Um die Akzeptanz rassistischer Theorien nicht zu stärken, wird in diesem Beitrag im Gegensatz zum AGG, in dem der Begriff „Rasse“ verwendet wird, dieser Begriff im Weiteren vermieden.

3) Von den 44 Zivilgerichten, die im Rahmen des Pre-Tests befragt wurden, waren lediglich 6 AGG-Fälle gemeldet worden.

4) Bei der Juris GmbH handelt es sich um einen juristischen Informationsdienstleister und Print-Online Verlag, der eine umfangreiche Sammlung von Gerichtsentscheidungen anbietet.

5) Siehe dazu auch die Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), „Ethnic Discrimination in Germany´s Labour Market, A Field Experiment“.

6) DIHK-Präsident Driftmann: "Gegen Diskriminierung vorzugehen ist richtig. Aber ich bezweifle, dass der anonyme Lebenslauf etwas anderes bringt als bürokratischen Mehraufwand für alle." Bild 25.3.10, S. 2

7) Der Planerladen e.V. in Dortmund hat durch Anwendung von Testing-Verfahren in verschiedenen Untersuchungen die strukturelle Ausgrenzung von MigrantInnen auf dem Wohnungsmarkt nachgewiesen.

8) Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Migration und Gesundheit, Robert-Koch-Institut, Berlin 2008, S. 119

9) Mobilisierung des Rechts bezeichnet die Möglichkeit des Einzelnen, Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

 

 

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Markus Schlaab ist Jurist und war wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts „Realität der Diskriminierung in Deutschland – Vermutungen und Fakten“ am Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung an der FU Berlin.