„Das zeigt einfach, wie machtvoll Netzwerke sind“ - Elisabeth Gregull im Gespräch mit Simran Sodhi

Simran Sodhi
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Simran Sodhi

Simran Sodhi ist Integrationslotsin im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick. Doch als sie bei der Ausländerbehörde ihren Aufenthalt verlängern will, wird dies abgelehnt. Die Begründung: als Akademikerin verdiene sie zu wenig und ihre Arbeit sei nicht von öffentlichem Interesse. Ihr Arbeitgeber, Vertreter_innen des Bezirks und der Senatsverwaltung protestieren gegen ihre drohende Abschiebung – Freund_innen initiieren eine Online-Petition. Über 73.000 Menschen unterzeichnen die Petition und bundesweit berichten Medien über ihren Fall. Am Ende kann Simran Sodhi in Berlin bleiben und weiter arbeiten. Elisabeth Gregull traf Simran Sodhi, um mit ihr über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Frau Sodhi, Sie sind Integrationslotsin im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick. Wie genau sieht Ihre Arbeit aus?

Sie besteht aus zwei Teilen. Im Allgemeinen geht es um die Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund, also eingewanderte Menschen, Aussiedler_innen, Menschen, die im Asylverfahren sind. Ich unterstütze sie bei der Wohnungssuche, Kitaplatzsuche, Sprachvermittlung, Behördengängen, beim Ausfüllen von Formularen und so weiter. Das ist im Kern meine Arbeit.

Das zweite, worauf ich einen Schwerpunkt gelegt habe, ist, Begegnungsräume zu schaffen. Wo Einheimische oder Menschen, die länger im Bezirk wohnen, und neu Eingewanderte in Kontakt kommen.

Wir planen gerade ein Tandemprojekt bei zwei Schulen, wo es auch sogenannte „Willkommensklassen“ gibt. In diesen Klassen sind Kinder von Asylsuchenden, aber auch von Migrant_innen aus EU-Ländern. Das Projekt soll Begegnungen zwischen Jugendlichen in den regulären Klassen und den „Willkommensklassen“ fördern. Das begleiten wir über sechs Monate. Die Jugendlichen in den regulären Jahrgängen werden sich auch mit der Frage beschäftigen, was Flucht und Asyl eigentlich bedeuten. Was haben Ereignisse in der Welt mit meinem Leben hier zu tun? Denn die Jugendlichen gehen in dieselben Schulen teilweise, kennen sich aber überhaupt nicht. Es sollen Tandempaare entstehen, die sich regelmäßig treffen, im Schulhof oder auch für Ausflüge oder um gemeinsam einen Film zu sehen. 

Dann organisiere ich noch einen Frauentreff  für Frauen aus zwei Asylheimen. Es gibt einen Spielplatz für Kinder und ein Café. Die Idee ist, dass sie einen Raum außerhalb des Heims haben, wo sie die Küche benutzen können, entspannen können. Dorthin holen wir dann auch gelegentlich Beratungsangebote. Eine Mischung aus beidem also, denn die Beratungsstrukturen für Migrant_innen und Asylsuchende im Bezirk sind dünn. Es gibt nicht so viele Menschen mit Migrationshintergrund im Bezirk, aber ziemlich viele Asylunterkünfte und das nimmt auch eher zu. Der Bedarf ist auf jeden Fall da.

Sie sprechen mehrere Sprachen, das kommt Ihnen in der Arbeit sicher zugute?

Ja, ich spreche außer Deutsch Hindi, Urdu und Englisch. Und betreue eine Menge Klient_innen aus Pakistan, Afghanistan, Indien und Bangladesch.

Sie sind zum Studieren nach Deutschland gekommen und haben an der Humboldt-Universität Europäische Ethnologie studiert. Dazu haben Sie ein Studenten-Visum bekommen?

Genau, ich habe den Zulassungsbescheid im Juli gekriegt und musste dann ein Visum bei der Botschaft in Dehli beantragen, um nach Deutschland einzureisen. Ich kann nicht einfach nach Deutschland oder Europa einreisen ohne Visum. Theoretisch sollte das alles ganz schnell gehen und ich sollte dann auch zum Semesterbeginn hier sein können. Aber es hat über drei Monate gedauert. Und ich hatte dann Stress mit dem Zulassungsbüro, weil ich meinen Platz nicht annehmen konnte. Das Büro hat dann eine Frist gesetzt, aber ich hatte noch kein Visum und konnte nichts machen.

Ich habe dann einen Professor vom Institut für Europäische Ethnologie angesprochen und erklärt, worum es ging – dass ich die Zulassung bekommen habe, aber das Zulassungsbüro meinen Platz nicht frei hält, weil ich noch kein Visum gekriegt habe. Und nur weil er dann gesagt hat, dass sie kein Problem damit haben, wenn ich später anfange, hat das Zulassungsbüro meinen Platz dann auch freigehalten. Also ausnahmsweise. Aber es hat diese Intervention von dem Professor an dem Institut gebraucht.

Hat man Ihnen bei der Botschaft erklärt, warum es solange dauert?

Die Botschaft hat gesagt, sie hätte alles an die Ausländerbehörde hier vor Ort weitergeleitet und warte darauf, dass die das Visum bewilligen, also einen Bescheid geben, dass es geht. Und das hat halt sehr lange gedauert. Die Botschaft meinte, sie könnte mir nicht weiterhelfen.

Dann sind Sie nach Berlin gekommen ...

Ja, ich habe dann Mitte November 2009 angefangen, es war das zweite Jahr der Bachelor-Master-Studiengänge. Und ich war die einzige nicht europäische Studierende. Das ist schon ein bisschen irritierend, besonders bei einem Fach wie Europäische Ethnologie oder Kulturanthropologie, wo es viel um Kultur und Globalisierung oder Wandel von Gesellschaften geht. Das fand ich schade, dass so eine Universität in einer kosmopolitischen Stadt, dass die Fakultät für Anthropologie dort in gewisser Weise sehr homogen ist. Ich kenne das anders aus anderen Fakultäten im Bereich Sozialwissenschaften – ich habe noch in den USA studiert und in der Türkei gelebt. Bei der Bewerbung scheint es hier kein Wert an sich zu sein, beziehungsweise es ist so schwer reinzukommen. Also theoretisch geht es, aber praktisch ist es sehr schwer. Und im Gegenteil, ich habe schon den Eindruck dass Studierende aus Indien, die Naturwissenschaften oder Informatik oder Ingenieurwissenschaften studieren möchten, dass die anders behandelt werden. Da geht es schneller und besser, es gibt auch mehr Fördermittel. Das DAAD fördert auch ein Deutsch-Stipendium ...

Es ist interessant, auch diese Debatte um Fachkräftemangel und welche Fächer wichtig sind. Mir scheint, die möchten das auch eng steuern und eng definieren, was eine Fachkraft ist. Aber anscheinend funktioniert es auch nicht so, denn der Diskurs über Fachkräftemangel besteht jetzt schon seit längerer Zeit. Und es gab Programme auch für Inder_innen, die im IT-Bereich tätig waren. Aber die Rahmenbedingungen waren auch manchmal so eng und dann war es wiederum nicht so attraktiv.

Wie war das dann, als Sie nach Abschluss des Studiums eine Stelle gesucht haben?

Es gibt nach dem Studium die Möglichkeit, ein Visum für die Arbeitsplatzsuche zu beantragen. Man hat Anspruch darauf, wenn man einen inländischen Hochschulabschluss hat. Dann fällt auch diese Vorrangprüfung beim Zugang zum Arbeitsmarkt weg. Zwischen 2005 und 2012 hatte man ein Jahr Zeit, seit 2012 haben sie es auf 18 Monate verlängert. Das war auch für mich interessant, weil das heißt, dass sie es auf der einen Seite ermöglichen möchten, dass Menschen auch blieben. Weil es gibt einfach Schwierigkeiten bei der Jobsuche, auch wenn man gut etabliert ist hier.

Anfang 2014 haben Sie dann die Stelle bei Offensive 91 in Treptow-Köpenick bekommen, um die Arbeit zu machen, von der Sie vorhin erzählt haben. Und dann wollten Sie Ihren Aufenthalt verlängern?

Genau, ich hatte jetzt diesen Arbeitsvertrag und wollte meinen Aufenthalt verlängern und dachte, es funktioniert. Es geht jetzt glatt weiter. Bei meinem ersten Termin bei der Ausländerbehörde wurde dann gesagt, dass ich zu wenig verdiene bei dieser Tätigkeit. Wegen der Eingruppierung. Es wäre eine Tätigkeit, die jeder machen könne. Man bräuchte keinen Hochschulabschluss oder eine besondere Qualifikation dafür.

Ich meine, es ist in Deutschland ein allgemeines Problem, dass viele Akademiker_innen unterbezahlt sind. Aber bei meinem Gehalt, was ich von der Uni und von den Verbleibestudien wusste, auch von Freund_innen, die hier studiert haben ... habe ich ein ganz normales Gehalt verdient. Für Berufseinsteiger_innen, die in Sozialwissenschaften ihren Abschluss gemacht haben. Und von der Tätigkeit her auch – ich finde auch nicht, das es eine Tätigkeit ist, die jede_r machen kann. Das Argument fand ich sehr schwer zu verstehen. Das fand auch mein Arbeitgeber schwer zu verstehen, weil es ist eine halbe Stelle und es ist kein großes Team und die wollten eben jemanden, die qualifiziert ist, im Bereich gearbeitet hat. Ich war ja auch in der interkulturelle Bildungsarbeit von „with wings and roots“ tätig.

Was haben Sie nach der Ablehnung unternommen?

Ich habe dann als ersten Schritt mit einem Anwalt innerhalb einer Frist noch Dokumente eingereicht: einen Brief vom Arbeitgeber, wo es auch nochmal um die Verbleibestudie von der Uni ging, die zeigt, dass mein Gehalt in der Norm liegt. Einen Brief der stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin von Treptow-Köpenick. Und von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, die das Landesprogramm zu Integrationslotsen aufgelegt haben.

Auf dieser Basis hat dann mein Anwalt eine Arbeitserlaubnis auf Grund von „öffentlichem Interesse“ beantragt, nach § 18 Absatz 4 Satz 2 AufenthG ist diese Möglichkeit vorgesehen. Denn in dem Paragraphen steht, dass wenn ein öffentliches Interesse zu erkennen ist, kann auch in einem Einzelfall anders entschieden werden. Das hat er geltend gemacht. Aber die Ausländerbehörde hat das alles ignoriert. Und „öffentliches Interesse“ ganz anders definiert und gesagt, es wäre im öffentlichen Interesse, mich fern vom Bundesgebiet zu halten und dass es eben kein öffentliches Interesse an meiner Tätigkeit gab...

... die Arbeit in einem öffentlichen Förderprogramm, an dem es kein öffentliches Interesse geben soll?

Ja. Und dann hat mein Anwalt dazu geraten, dass mein Arbeitgeber eine Pressemitteilung rausschickt, dass sie es unverständlich finden und die Entscheidung der Ausländerbehörde sehr bedauern. Und die Medien haben dann sofort auf die Pressemitteilung reagiert. Und mein Arbeitgeber hat sein politisches Netzwerk im Bezirk aktiviert und die haben es dann auch auf Berlin-Ebene getragen.

Und es gab die Initiative zu einer Online-Petition bei change.org, wo über 73.000 Unterschriften zusammenkamen für die Forderung, dass sie bleiben können.

Meine Freund_innen von „with wings and roots“ haben dann die Petition online gestellt. Und das war sehr überraschend, dass so viele Menschen unterschrieben haben. Wir dachten, unser Netzwerk sind 1000 Menschen, aber dadurch, dass es dieses mediale Interesse gab, waren es sehr viel mehr. Und das zeigt, dass es zumindest Interesse gibt, solche Diskussionen zu führen. Was sind die Werte um Migration? Geht es nur um eng definierte wirtschaftliche Interessen? Oder geht es auch um andere Sachen? Einfach dass so viele Menschen das unterschrieben haben, zeigt mir, dass es einen Bedarf zur Diskussion gibt.

Und dann gab es ein Gespräch zwischen der Ausländerbehörde, Ihrem Arbeitgeber, der Senatsverwaltung und dem Bezirksamt Treptow-Köpenick. Und Sie und Ihr Anwalt waren auch dabei.

Ja. Und die gemeinsame Lösung, die gefunden worden ist, war, mich anders einzugruppieren. Eben mit der Begründung, dass meine Tätigkeit schon eine qualifizierte, anspruchsvolle ist ... so konnte die andere Eingruppierung begründet werden.

Es ist interessant, dass die Ausländerbehörde nicht vorher auf das „öffentliche Interesse“ eingegangen ist. Das ist ein Ermessensspielraum, der im Gesetzbuch steht. Den hätten sie auch ausschöpfen können. Und sagen können, wir haben jetzt eine andere Rechtsgrundlage gefunden. Ich glaube, sie wollten das nicht definieren. Wie übersetzt man „öffentliches Interesse“ dann in einen Aufenthalt? Vielleicht weil es andere Menschen dann auch geltend machen ... 

Auf der Grundlage des Gesprächs und der Vereinbarungen haben Sie dann erstmal einen Aufenthaltstitel bis Ende des Jahres bekommen?

Der Arbeitsvertrag geht eben bis Ende des Jahres, weil das Projekt bis dahin bewilligt ist. Für das nächste Jahr müsste ich dann nochmal einen neuen Antrag stellen. Aber das Landesprogramm ist auf 2014 und 2015 ausgelegt und ich gehe davon aus, dass es weitergeht und dann auch mein Vertrag reibungslos verlängert wird.

Kennen Sie andere Fälle, in denen Menschen ähnliche Probleme hatten wie Sie?

Ich kenne den Fall von Mohamed Amjahid, mit ihm habe ich mich im Mai und Juni auch ausgetauscht. Und ich habe Freund_innen, die freiberuflich arbeiten, zum Beispiel aus der Türkei, die dann immer wieder solche Schwierigkeiten haben.

Wie war es für Sie, so viel Unterstützung zu bekommen?

Es war wirklich nicht möglich ohne diese Unterstützung, weil Bescheide sind eben Bescheide. Und es ist eben sehr schwer etwas gegen einen Bescheid zu machen. Das System ist auch nicht so angelegt, dass Einzelpersonen einen Widerspruch einlegen können. Das zeigt einfach, wie machtvoll Netzwerke sind und sein können. Ich hoffe auch, dass es für andere Arbeitgeber ein interessanter Punkt ist. Sie können eine Stellungnahme formulierenund auch etwas bewirken. Viele Menschen haben aus ihrer Position heraus gemacht, was sie konnten.