Neues Beamt:innengesetz: Die Neutralität der Vorurteile

Kommentar

Am 7. Mai 2021 stimmte der Bundesrat einem Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamt:innen zu. Darin geht es nicht nur um das Tragen von verfassungswidrigen Tattoos, sondern auch von religiösen Symbolen. Wird die Neutralität von Beamt:innen an Vorurteilen bemessen?

Halbmond, Davidstern und Kreuz an einer Hauswand

Der Bundesrat hat am 07. Mai 2021 ein Gesetz zum äußeren Erscheinungsbild von Beamt:innen zugestimmt. In der Regelung geht es unter anderem auch darum, dass das Tragen von religiösen Symbolen eingeschränkt oder untersagt werden kann. Legitimiert wird dies durch die Neutralitätspflicht des Staates. Als Beispiele werden das Tragen während des Dienstes eines muslimischen Kopftuchs, der jüdischen Kippa und des christlichen Kreuzes genannt. Vorausgegangen war eine Entlassung eines Polizisten aus dem Amt, bedingt durch das Hakenkreuz-Tattoo.

Eine Debatte diesbezüglich ist erstaunlicherweise zuvor im Bundestag gänzlich ausgeblieben. Nun sorgt das neue Gesetz für viel Kritik und fragwürdige Zusammenhänge – wieso wird bei Beamt:innen das Tragen von verfassungswidrigen Symbolen mit weltanschaulichen Symbolen gleichgesetzt und auf dieselbe Ebene gestellt? Genauso bleibt die Frage offen, warum grundsätzlich im Vorfeld keine Debatten mit Betroffenen geführt wurden.

Wird die Neutralität am Stereotyp und anhand von Vorurteilen gemessen?

Sind kopftuchtragende Beamt:innen weniger neutral als Beamt:innen, die kein Kopftuch tragen? Warum wird die Neutralität von Beamt:innen oberflächlich betrachtet? Wie verträgt sich das neue Gesetz mit der Religionsfreiheit, gemäß dem Artikel 4 des Grundgesetzes – (1) „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“, (2) „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“?  Auch Beamt:innen mit Kopftuch sind dazu verpflichtet, in der Ausführung ihres Amtes das Grundgesetz zu achten und sich danach zu richten. Sie stehen zum säkularen Staat und seinem Neutralitätsprinzip, trotz ihrer Religionszugehörigkeit und der dazugehörigen Symbolik.  

Das neue Gesetz wirft für Betroffene viele Fragen auf. Die Bewertung von (vermeintlich fehlender) Neutralität wird in diesem Fall augenscheinlich von Stereotypen und Vorurteilen bestimmt. Bleibt man beim Beispiel des muslimischen Kopftuchs, lässt sich schnell feststellen, dass muslimische Mädchen und Frauen in Deutschland mit Kopftuch andauernd an der Partizipation im öffentlichen Dienst und auch in vielen anderen Berufen gehindert werden. Das ist nicht nur sexistisch, sondern auch diskriminierend. Schließlich werden betroffene Mädchen und Frauen im Zuge dessen entmutigt nach ihrem Traumberuf zu streben und in ihrer Emanzipation behindert.

Als Person, die aus freiem Willen das Kopftuch aus Überzeugung zum Glauben trägt, gehört auch das ungestörte Tragen des Kopftuches während der täglichen Ausübung meines Berufes mit dazu. Deshalb ist es nicht nachzuvollziehen, wieso die Unterstellung der fehlenden Neutralität derjenigen Menschen gesetzlich legitimiert wird, die während der Ausübung ihres Berufs religiöse Symbole tragen – darunter auch Beamt:innen, die dies unter dem staatlichen Hoheitszeichen tun. Wenn betroffene Menschen, die sich juristisch gegen rassistische Angriffe wehren, in einem Gerichtssaal Richter:innen mit rechtem Gedankengut gegenübersitzen,  die das Urteil aussprechen sollen, wer garantiert an der Stelle die Neutralität der Beamt:innen gegenüber den Betroffenen? Schließlich kann keiner in den Köpfen der Menschen hineinschauen.

Sichtbarkeit der vielfältigen Gesellschaft im öffentlichen Dienst

Ob Frauen mit muslimischem Kopftuch, Männer mit Sikh Turban, Männer mit jüdischer Kippa, Frauen und Männer mit dem christlichen Kreuz vor der Brust – auch diese Menschen gehören zu unserer vielfältigen Gesellschaft, deren Teilhabe-, Partizipations- und Karrieremöglichkeiten gleichermaßen sichergestellt werden muss. Bedauerlicherweise wird genau dies durch das neue Gesetz strukturell verhindert. Betroffene werden auf diese Weise unterdrückt und unterprivilegiert. Somit ist das ein klarer Verstoß gegen das Menschenrecht derer, die ihre Religion ausüben möchten und natürlich gehört bei einigen auch die Symbolik mit dazu.

Auch Beamt:innen können unterschiedlich sein, dennoch sind sie in ihren Rechten und ihrer Würde gleich. Die Vielfalt in einer modernen Einwanderungsgesellschaft muss gewährleistet und geschützt werden. Gute Beispiele sind fortschrittliche westliche Staaten mit demokratischen Werten und einer modernen Einwanderungsgesellschaft, wie zum Beispiel  USA, Großbritannien, Schweden, Neuseeland, Australien und viele mehr. In diesen Staaten dürfen Beamt:innen, ganz unabhängig von ihrer sichtbaren Religionszugehörigkeit, Berufe, die mit der staatlichen Hoheit verbunden sind, selbstverständlich nachgehen. Das schafft Vertrauen und Bürgernähe innerhalb der vielfältigen Gesellschaft.

In Neuseeland ist man zu der Erkenntnis gekommen, dass Vielfalt im öffentlichen Dienst unerlässlich ist und folglich effektiver auf die Bedürfnisse der Gesellschaft eingegangen werden kann. Anhand der gesellschaftlichen Abbildung verschiedener Gemeinschaften und unterschiedlicher Perspektiven sollen bessere Problemlösungen und Ergebnisse, beispielsweise bei der Polizeiarbeit, erzielt werden.

Meiner Meinung nach wird hierzulande die Wahrung der Neutralität zu undetailliert bewertet – statt die jeweiligen Einstellungen der Beamt:innen im Dienst zu prüfen, wird Neutralität am äußeren Erscheinungsbild bemessen.  Das mag bei rechtsextremen, verfassungswidrigen Tattoos legitim sein - bei religiösen Symbolen allerdings nicht. Die Teilhabe im öffentlichen Dienst und auch in Entscheidungsprozessen muss vielfältiger sein, gemessen an unserer diversen Gesellschaft. Nur so können wir eine Vertrauenskultur entwickeln.

Bedauerlicherweise steht das neue Gesetz im Wohlgefallen derer, die unsere Gesellschaft zutiefst spalten und separieren möchten. Das ist ein großer Rückschritt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Die fehlende öffentliche Debatte mit Expert:innen und Betroffenen fällt uns nun auf die Füße.