von Kien Nghi Ha
Als Run DMC 1986 mit "Walk This Way" einen Song der Weißen Hardrock-Band Aerosmith coverten, hatte dieses musikalische wie soziokulturelle Crossover nicht nur eine weitreichende symbolische Bedeutung. In ihrem prophetisch anmutenden Musikvideo, das als erster Rap ständig auf MTV zu sehen war, brachten Run DMC nicht nur die kreischende und durch etliche Drogenexzesse alt wie verbraucht wirkende Rockröhre Steven Tyler zum verstummen. Obwohl sie bereits 1983 ihren Durchbruch in der HipHop-Szene feierten, erstürmten sie nun mit dem ersten Top Ten Hit in den US-Charts die große Weltbühne und eroberten als Masters of Ceremony das in ihrem Bann stehende junge Weiße gutbürgerliche Publikum.
Jenes begann sich in dieser Zeit auf seiner ewigen Suche nach der besseren Party für neue musikalische Erfahrungs- und Vergnügungsmöglichkeiten zu interessieren. Die Rapper von Run DMC schrieben mit diesem mittlerweile als Klassiker anerkannten Stück einerseits HipHop-Geschichte; andererseits kreierten sie mit ihren offen getragenen Adidas-Sportschuhen und der dazu passenden Sportswear auch wesentliche Elemente der globalen HipHop-Mode und des dazugehörigen kommerziellen Lifestyle. "Walk This Way" leitete als Meilenstein auf unterschiedlichen Ebenen Entwicklungen ein, die für den heutigen Zustand der HipHop als global agierende Bewegung, kommerziell attraktiver Sound und "urban lifestyle" mit einem inhärenten Drang zum musikalischen Patchwork und zur Glokalisierung von immenser Bedeutung sind. Die Glokalisierung bezeichnet die Übersetzung von globalen Phänomenen in lokal angepasste Formen und Praktiken und ist gerade für das differenzierte Verständnis eines weltweit verbreiteten Rap wichtig.
Schwarzer Rap, Weißer Markt
Heute gehen ca. ¾ der Umsätze im Rap-Musikbereich in den USA auf die Nachfrage von Weißen, zumeist männlichen Konsumenten aus dem Mittelstand zurück. Diese Zahlen geben zwar die Kaufkraft- und gesellschaftliche Wohlstandsverteilung wieder, sagen aber wenig über den Gebrauchswert von Rap entlang von ethnisch-, gender- und sozialspezifischen Konstellationen aus. Im Verbund mit Rhythm & Blues, Soul und Funk hat Rap der populären Black Music in den USA inzwischen dazu verholfen, der bisherigen Dominanz des Weißen Rock als wichtigstes Gut der Kulturindustrie in der Unterhaltungsmusik den Rang streitig zu machen.
Ist der Rap nun Opfer seines eigenen Erfolgs geworden? Angesichts sexistischer Songtexte und Images sowie materialistischer Obsessionen im geläufigen HipHop-Business scheint die Antwort einfach. Die vermeintliche Aufwertung von Minderheiten geht mit kulturindustrieller Exotisierung und Hybridisierung im Spätkapitalismus einher. Dennoch wäre es einseitig, den Erfolg von Rap ausschließlich als Folge der Aufopferung seiner sozialkritischen und rebellischen Strömungen durch Inkorporation in den Mainstream zu erklären.
Denn Rap ist immer auch mit einer kulturellen Dezentrierung verbunden, die das Weiße Amerika als bestimmendes Zentrum in Frage stellt. Ihren Ausgangs- und Referenzrahmen bilden die historischen und kulturell vermittelten Erfahrungen der Schwarzen Kultur Darin wird Rap zu einer zeitgemäßen Artikulations- und Kommunikationsform Schwarzer Existenzweisen im gesellschaftlichen Spannungsfeld von Rassismus und Sexismus, kultureller Dominanz und sozialer Prekarität.
Rap ist schon wegen seiner Form als selbstorganisierte, kollektive, ästhetische, Schwarze Kulturpraxis in einer Weißen Dominanzgesellschaft immer schon auch implizit politisch. In bestimmten Momenten seiner Geschichte prägte er das politische Bewusstsein der Aktiven über seine Inhalte. Das in mehrfacher Hinsicht revolutionäre Album "It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back" (1988) von Public Enemy hat viele erstmals zum HipHop geführt und bleibt als legacy eine wichtige Inspirationsquelle.
Rap goes global
Obwohl Rap manchmal als "It’s Black thang, you wouldn’t understand" verdinglicht oder als kultureller Ausdruck aus den Tiefen einer kollektiven "schwarzen Seele" verstanden wird, hat es sich längst über die sozio-kulturellen Grenzen der afro-amerikanischen Communities hinaus ausgebreitet. Jugendliche Latinos, Asian Americans und natürlich auch sogenannte "white wannabees" sind mittlerweile nicht nur passive KonsumentInnen, sondern produzieren selbst HipHop-Musik.
Im gleichen Zuge wurden die Grenzen zwischen authentisch Marginalisierten, politisch Engagierten und Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft, aber auch die Unterscheidung zwischen Underground und Mainstream im Rap aufgeweicht.
Außerhalb der USA setzte die Transnationalisierung der "HipHop Nation" über den Black Atlantic in vielen Ländern Europas und des südlichen Trikonts teilweise schon ab Anfang der 1980er Jahre ein. Aufgrund ihrer eigenen marginalen Position fühlten sich in Europa zunächst vor allem People of Color und junge MigrantInnen von den aufregenden Möglichkeiten und einbeziehenden Praktiken dieser neuen Musikform angesprochen. Als gesellschaftliche AußenseiterInnen wurden sie zum einen von den bürgerlichen Konventionen der hegemonialen "Hochkultur" ausgeschlossen, zum anderen verfügten sie nicht bzw. lehnten auch jene sozialen Codes und Formen der ästhetischen Unterwanderung ab, die ihnen einen Zugang zu den Weißen Jugendsubkulturen des Punks oder des Alternativ-Rock eröffnet hätten.
In einer solchen Situation lag es nahe, sich der marginalisierten Kulturproduktion rassifizierter Schwarzer urbaner Jugendlicher zuzuwenden und Möglichkeiten für Anschluss und Aneignung zu suchen, auch wenn diese nicht aus dem eigenen nationalen und sprachlichen Umfeld stammte. Angeregt durch HipHop-Filme wie "Wild Style" (1982) und "Beat Street" (1984), etablierten sich international unterschiedliche städtische Szenen mit eigenständigem "local flavor".
In der “alten Welt” wurde Rap gerade in Ländern mit einem hohem Anteil an Schwarzen MigrantInnen und People of Color schnell adoptiert. In Frankreich entwarfen arabisch und afrikanischstämmige KulturarbeiterInnen einen Rap, den sie mit Raï-Elementen, arabesken Musikstilen und frankophonen Lyrics färbten. In England reicherten Mitglieder der jungen Generation der Schwarzen und der asiatisch-britischen Communities dagegen ihren HipHop vielfach mit adaptierten Beats, Instrumenten und Rhythmen an, die ihnen durch ihre eigenen Sozialisationserfahrungen mit Reggae und Bhangra vertraut waren. Während in Deutschland Mitte der 1990er Jahre vor allem der "Oriental HipHop" von Cartel kurzfristig zum kommerziellen Label eines exotisierten und ethnisierten Konsummarktes avancierte, setzte sich danach der deutsche Sprechgesang von sogenannten "Krauts with Attitude" als dominanter Flügel auf dem Massenmarkt weitgehend durch.
Kulturelle Übersetzungen
Spätestens Anfang der 1990er Jahre ist Rap ökonomisch wie akustisch unüberhörbar zum weltweiten "boomin’ system" geworden. Durch globale Lokalkolorisierungen im Sinne geographischer, linguistischer, musikstilistischer und soziokultureller Hybridisierungen setzt sich eine Vielfalt im Rap fort, die seit seiner Entstehung immer präsent war und worüber er sich gleichzeitig selbst definiert. Damit verbunden ist eine Ausdifferenzierung im Rap-Genre, die gleichfalls von Beginn an präsent war. Die vielfältigen Ausdrucks- und Teilhabemöglichkeiten, die in der HipHop-Kultur angelegt sind, erleichterten nach einer Anfangsphase der Nachahmung die konstruktive Anknüpfung und selbstbewusste Weiterentwicklung, um "credibility" und einen eigenen Stil zu entwickeln.
Von Anfang an haben sich im Rap verschiedene historisch wirksame Einflüsse und kulturelle flows überlagert. Besonders deutlich wird dies, wenn wir Rap im Rahmen der HipHop-Kultur verstehen, in der Rap nur eine der tragenden Säulen darstellt. Breakdance entstand mit seinen herausfordernden und akrobatischen Performances in Verbindung mit abgewandelten afrikanischen und puertoricanischen Tanzstilen. Graffiti und seine Codes, die zeitgleich ebenfalls in New York City entstanden sind, verfügen hingegen über Merkmale eines interkulturellen und postmodernen Kommunikationsmediums. Rap wurde aus so unterschiedlichen kulturellen Elementen wie die Figur des westafrikanischen Griots, der jamaikanischen Soundsystems, DJs und Toaster sowie verschiedener afrikanisch-amerikanischen Musiktraditionen zusammengesetzt.
Als die ersten Raps auf öffentlichen und kostenlosen Block-Partys entstanden, sprach dieser neue musikalische Ausdruck nicht nur afrikanisch-amerikanische Jugendliche an, sondern ebenso auch PuertoricanerInnen und Latino/as aus den armen Stadtvierteln des an der South Bronx angrenzenden Spanish Harlem.
Das andere wichtige Moment der strukturellen Hybridität von Rap lag in seiner kulturellen Produktionstechnik begründet. Von Anfang an verstand sich Rap als eine musikalische Produktionsweise, die mit Hilfe technologischer Innovationen des Samplings, DJing und Cut’n’Mix das archivierte kulturelle Gedächtnis als Arbeitsgrundlage für seine (Re-)Konstruktionen, Variationen, Überlagerungen und Neuentwicklungen nutzte und dadurch die Suche nach Originalität und Authentizität in Frage stellte.
Gerade durch das phantasievolle Spiel mit Übersetzungen und Aneignungen wurde Rap für eine transnational wie zumeist städtisch orientierte Jugendgeneration "das Ding". Sie gebrauchten Rap als Mittel gesellschaftlicher Teilnahme, um ihre Erfahrungen, Gefühle und Perspektiven in ihrer eigenen oftmals kreolisierten und hochgradig lokal kodierten Sprache auszudrücken. HipHop als globale Kultur und Lebensstil ist eines der am stärksten rezipierten Konzepte der Gegenwart zur Selbststilisierung von Geschlechtsidentität, Coolness und Dissidenz schlechthin.
Parallel zur Popularisierung und Globalisierung des Rap in den letzten zwei Jahrzehnten laufen innovative Experimente der stilistischen Vermischung mit Elementen des Jazz, House, Reggae, Rock und anderen Musikgenres ab, die zu einer permanenten Neudefinierung und -zusammensetzung der jeweiligen HipHop-Praxis führen. Analog dazu wird durch das auditive Zusammengehen mit außereuropäischen Musikpraktiken die unüberschaubare Diversität an stilistischen Formen, Subgenres und Expressionen ständig erweitert. Diese Hybridisierungen als Prozesse der mannigfachen kulturellen Grenzüberschreitung sind eine unabschließbare Bewegung des ständigen Experimentierens, das unerwartete und kreative Resultate produziert.
Während in den USA der East und West Coast Rap in New York und Los Angeles durch den Aufstieg lokaler HipHop-Szenen in Atlanta, Miami und Houston in den 1990er Jahren und das Englische durch Spanglish und Latin Rap herausgefordert wurden, vollzieht sich Ähnliches auch auf globaler Ebene. Die Internationalisierung des Rap ist gleichzeitig auch mit einer Dezentrierung des HipHop-Universums verbunden. Überall auf dem Globus entstehen neue Zentren und Stile des HipHop, die Gesellschaften, Sprachen und ihre Grenzen in Bewegung versetzen: Jenseits des Rio Grande spielt sich der mexikanische HipHop in vielen regionalen Hot Spots ab; Dakar im westafrikanischen Senegal ist längst ein wichtiges Zentrum der frankophonen Musik geworden; in Südafrika hat sich mit dem Kwaito ein eigenständiger Stil herausgebildet, ebenso wie der Pinoy Rap auf den Philippinen oder der von Maoris geprägte Rap in Neuseeland; auch die sehr aktiven Szenen in Südkorea und Brasilien verfügen über großes Potential für die Zukunft.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Rap ist mehr denn je innovatives kulturelles Kapital, das sich zweigleisig weiterentwickelt: einerseits als globale wie lokale Produkte der Kulturindustrie und andererseits als basisorientierte Kulturbewegung. HipHop bleibt ein dynamisches und komplexes "Black thang", das sich jeder eindeutigen Einordnung widersetzt.
Literaturhinweise
- Gilroy, Paul (1992): The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness. Cambridge: Harvard UP
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Güngör, Murat & Hannes Loh (2002): Fear of a Kanakplanet: HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap. Höfen: Hannibal.
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Ha, Kien Nghi (2005): Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus. Bielefeld: transcript.
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Toop, David (1992): Rap Attack 2: African Jive bis Global HipHop. St. Andrä-Wördern: Hannibal.
Publikationen des Autors
- Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs" (Westfälisches Dampfboot, 1999/ wvb, 2004)
- Vietnam Revisited (wvb, 2005)
- re/visionen: Postkoloniale Perspektiven von People of Colors auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland" (Unrast Verlag, Frühjahr 2007, Co-Hg. mit Nicola Lauré al-Samarai und Sheila Mysorekar )
Kien Nghi Ha ist Politik- und Kulturwissenschaftler.Seine Arbeitsschwerpunkte sind Postkoloniale Kritik, Migration, Rassismus und Cultural Studies. Er publiziert zu den Themen kulturelle Entgrenzung, Identitätspolitik und koloniale Präsenzen.