von Kien Nghi Ha
Menschen mit Migrationshintergründen sind im kulturellen Bereich seit den 1990er Jahren immer sichtbarer geworden: als ModeratorInnen, SchauspielerInnen und GesprächspartnerInnen im Fernsehen, als JournalistInnen, SchriftstellerInnen und wissenschaftliche PublizistInnen sowie als Kulturschaffende und KünstlerInnen. Es gibt im Kulturbereich sicherlich viele Erfolgsgeschichten: Nehmen wir beispielweise den heutzutage so gegenwärtigen migrantischen Film, der zur Zeit vor allem durch Fatih Akin verkörpert wird. Sein neuester Streifen "Auf der anderen Seite" wurde als einziger deutscher Beitrag in den offiziellen Wettbewerb des Filmfestivals in Cannes aufgenommen.
Neben Akin waren am diesjährigen Wettbewerb auch so begehrte Regisseure wie etwa Wong Kar-Wai, Emir Kusturica, Kim Ki Duk oder auch Quentin Tarantino vertreten. Der deutsche Kulturbetrieb und die deutsche Kulturpolitik sind entsprechend überglücklich nach Jahren der Abstinenz von internationalen Filmpreisen und renommierten Weltbühnen über so talentierte KünstlerInnen zu verfügen, die durch ihre Arbeiten in der Lage sind, Aufmerksamkeit und Anerkennung für den Kulturstandort Deutschland zu gewinnen und so seine Konkurrenzfähigkeit im globalen Wettbewerb auf diesem Markt zu stärken. Und natürlich ist auch Fatih Akin zurecht stolz auf seine Leistung. Mit dieser Einladung festigt er seinen Ruf als innovativer Filmemacher von Weltrang. Seine Erfolgsgeschichte begann 1997 mit seinem Spielfilm-Debüt „Kurz und schmerzlos“, das in den deutschen Kinos etwa 80.000 Zuschauer erreichte. Es folgten die Spielfilme „Im Juli“ (2000) und „Solino“ (2002), die beide jeweils ca. 600.000 Kinogänger anlockten. "Gegen die Wand" wurde 2004 von 666.092 KinobesucherInnen gesehen.
Vielfältige Zwischenwelten
Die Anfänge der migrantischen Films reichen indes mehr als drei Jahrzehnte zurück. 1975 entstand mit "In der Fremde" des aus dem Iran stammenden Regisseurs Sohrab Shahid Saless ein Kino der Traurigkeit, in dem ähnlich der frühen Gastarbeiterliteratur vor allem die Trauer über die verlorene Heimat und die Anklage über das trostlose Dasein als deklassierte Gastarbeiter in heruntergekommenen Mietskasernen im Vordergrund stand. Dieses Werk sollte bis Mitte der 1980er Jahre das einzige Exponat migrantischer Selbst-Darstellungen im Film bleiben. Erst 1986 folgte Tevfik Basers eindringliche filmische Studie "40 m² Deutschland", in dem das Schicksal einer türkischen Frau erzählt wird, die nach ihrer Heirat mit großen Erwartungen einwandert und von ihrem Mann in der Wohnung so isoliert wird, dass ihre Hoffnungen an eine geglückte Migration sich als Illusionen herausstellen.
Verglichen mit diesen Anfängen hat der migrantische Film der Zweiten Generation heute nicht nur eine erheblich breitere thematische Ausrichtung gewonnen. Mit seinen Liebesgeschichten, Dramen, Krimis, Komödien und Dokumentationen deckt er inzwischen auch sämtliche Genreeinteilungen ab. Er ist interkultureller geworden, vielschichtiger und abwechslungsreicher. Das migrantische Kino ist heute mit den Namen von vielen jungen Filmemachern verbunden: Neben Fatih Akin sind so unterschiedliche Regisseure wie Thomas Arslan ("Geschwister – Kardesler" (1996), "Dealer", 1999, "Der schöne Tag" (2001) und "Aus der Ferne", 2005/6), Hussi Kutlucan („Ich Chef, Du Turnschuh“ ((1998) und "Drei gegen Troja" (2005), Kutlug Ataman („Lola und Bilidikid“, 1997/8), Yüksel Yavuz („Mein Vater, Der Gastarbeiter“ (1995), „Aprilkinder“ (1998) und „Kleine Freiheit“, 2002/3), Yilmaz Arslan („Yara“, 1998 und „Brudermord„ 2004/5), Züli Aladag („Elefantenherz“, 2004), Neco Çelik („Alltag“ (2002), „Urban Guerillas“, 2003) sowie 20 bis 30 andere Filmemacher zu nennen. Neben den FilmmacherInnen, die über einen deutsch-türkischen bzw. deutsch-kurdischen Hintergrund verfügen, sind auch GeschichtenerzählerInnen wie Filippos Tsitos („My Sweet Home“ 2000/2001) oder Dito Tsintsadze („Lost Killers“, 1999/2000), die über andere kulturelle Herkünfte verfügen. Mit Ayse Polat („Auslandstournee“, 1999 und „En Garde“, 2003/4), Büket Alakus („Anam“, 2000/1 und „Eine andere Liga“, 2004/2005), Nadya Derado („Yogotrip“, 2003), Aysun Bademsoy („Mädchen am Ball“ (1995), „Deutsche Polizisten“ (1999/2000) und „Am Rand der Städte“, 2005/2006) und Seyhan Derin („Ich bin die Tochter meiner Mutter“ (1995/6) und "Zwischen den Sternen", 2001/2002) sind außerdem Filmemacherinnen aktiv, deren Arbeiten keineswegs nur als Migrantinnen- oder Frauenfilme verstanden werden können. Vielmehr sind ihre Beiträge für die Ausbildung des deutschen Gegenwartsfilms von vitaler Bedeutung.
So unterschiedlich wie die Filmregisseure, sind auch ihre Stilmitteln, Erzählweisen und Filmsprachen, die von Film zu Film, von Sujet zu Sujet changieren und sich mit ihnen weiterentwickeln. Es ist klar, dass sich weder der migrantische noch der deutsch-türkische Film über einen Kamm scheren lassen. Vielmehr bestehen durchaus gute Gründe, solche Schubladen zu hinterfragen oder nur als Hilfskonstrukte zu benutzen, da solche scheinbar feststehenden Kategorien die faszinierende Diversität und Spannbereite des Kinos zwischen den Kulturen verdecken können. Auch ist unklar, was den migrantischen bzw. deutsch-türkischen Film eigentlich ausmacht und worüber er sich definiert. Ist der kulturelle und personelle Hintergrund des Filmemachers entscheidend und/oder das gewählte Sujet? Und ist das viel diskutierte interkulturelle Drama "Wut", das Züli Aladag 2006 nach dem Drehbuch von Max Eipp inszenierte und das vom WDR-Redakteur Wolf-Dietrich Brücker ausgewählt wurde, ein migrantischer deutsch-türkischer Film? Sicher ist dieser das, aber im in welchem Sinne? In der Begründung der Jury des Adolf-Grimme-Preises heisst es: "'Wut' ist eine schroffe, dramaturgisch radikal voran getriebene Tragödie des Zusammenpralls zweier Kulturen, die einander zutiefst fremd sind; das pessimistische Bild gescheiterter Integration und eklatanter Hilflosigkeit auf beiden Seiten. Hilflos ist die ungezügelte Wut des hasserfüllten Türken Can, und als genauso hilflos in ihrer Weltfremdheit erweist sich auch die Liberalität des deutschen Vaters Simon." So gesehen argumentiert "Wut" auch unverkennbar aus einer mehrheitsdeutschen Perspektive, in der diese aufgrund ihrer naiven Gutmütigkeit zu Opfern der Migranten werden. Auf diese Weise werden wie bei Detlev Bucks "Knallhart" (2006) eingängige Klischees bedient und mit dem vermeintlichen Dogma des Multikulturalismus, der in Deutschland niemals offizielle Unterstützung erhielt, abgerechnet.
Gehören Filmschaffende wie Mennan Yapo, der mit "Lautlos" (2004) einen Thriller um einen (deutschen) Profikiller realisierte, und die Dokumentar- und Spielfilme von Romuald Karmakar, der sich oftmals mit der deutschen NS-Geschichte und dem Spießbürgertum auseinandersetzt, in dieses Genre? Vielleicht ist die Frage auch müßig und irrelevant, weil Filme sich solchen Einteilungen und Konventionen entziehen und als Kunstwerke genauso wie ihre Schöpfer einzigartig sind. Falls solche Einteilungen bzw. Typologien wie migrantisch oder deutsch-türkisch sinnvoll sind, dann ist ihre Aussagekraft nur begrenzt und ihre Bedeutungen sind nicht frei von Widersprüchen.
Jenseits von diesen Begriffsdiskussionen, leisten alle diese Filme auf ihre Weise einen wichtigen Beitrag, um soziale Realitäten mit imaginativen Mitteln künstlerisch sichtbar zu machen, die sowohl für MigrantInnen als auch für Deutsche mit nicht-deutschen Herkünften wie auch für die mehrheitsdeutsche Gesellschaft unverzichtbar sind. Dies ist umso bedeutsamer als deutsche Filmschaffende bis dato das Thema Migration, Rassismus und Integration weitgehend ignoriert haben. Obwohl die Arbeitsmigration als Massenphänomen in den 1970er Jahren unübersehbar war und viele der sogenannten Gastarbeiter seit bereits zwei Jahrzehnte durch ihre Existenz in den deutschen Großstädten den sozio-kulturellen Alltag der Gesellschaft nachhaltig veränderten, wurden diese Lebenswelten kaum mit Aufmerksamkeit bedacht. Zu den wenigen Ausnahmen von mehrheitsdeutscher Seite gehören Christian Ziewer ("Aus der Ferne sehe ich dieses Land", 1978), Helma Sanders ("Shirins Hochzeit", 1975), Rainer Werner Fassbinder ("Angst essen Seele auf", 1974) und Werner Schroeter ("Palermo oder Wolfsburg", 1980). In diesen sozialkritischen Filmen stand die Tragödie der verweigerten Ankunft in einem weitgehend abweisenden gesellschaftlichen Umfeld im Fokus. Das Wagnis der Migration wurde nahezu durchgängig als Scheitern geschildert, in dem die Subjekte im Kulturkonflikt standen und durch soziale Nöte an den Rand des Abgrunds und darüber hinaus gedrängt wurden. Im Unterschied zu den heutigen Inszenierungen fehlte die transnationale Perspektive völlig, die die fortgesetzten Bewegungen über politische, religiöse, soziale und kulturelle Grenzen untersuchen, hybride Orte und Praktiken thematisieren und das kreative Spiel mit den veränderbaren, weil immer wieder neu zusammengesetzten kulturellen Identitäten erlauben.
Man könnte diese Übersichtdarstellung auch für andere Kultur- und Medienbereiche fortsetzen und dort nach positiven Entwicklungen suchen. Zweifellos würde man auch dort im unterschiedlichen Ausmaß fündig werden. Denn auch hier stellte sich die Ausgangssituation meist so dar, dass migrantische Selbst-Repräsentationen und Mitwirkungen wie im Filmbereich nur sehr eingeschränkt möglich waren und eher auf marginalisierten Bühnen oder nur als subkulturelle Bewegungen in Erscheinung traten. Trotz der vielen Erfolgsgeschichten in der letzten Dekade bleiben die Probleme der migrantischen Integration in den deutschen Kultur- und Medienbetrieb unübersehbar.
Noch nicht angekommen
In Anspielung auf Fatih Akins Ausspruch "Ich bin erst mal da angekommen, wo ich hinwollte", möchte ich nun eine kleine Zwischenbilanz der kulturellen Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund ziehen und fragen, ob MigrantInnen und Andere Deutsche schon ausreichend in allen Kulturbereichen vertreten sind. Obwohl der Eindruck einer positiven Gesamtentwicklung in diesem Bereich angesichts der desolaten Ausgangslage nach 30 bzw. 40 Jahren Einwanderungsgeschichte in der post-nationalsozialistischen Nachkriegszeit nicht unbegründet ist, sind wir nach wie vor von einer angemessenen Repräsentation im Kultur- und Medienbereich weit entfernt. Das Essener MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung hat Oktober 2005 im Auftrag des Beruflichen Qualifizierungsnetzwerkes für Migrantinnen und Migranten (BQN) in Berlin eine empirische Studie über "Berufseinstieg und Beschäftigung von Migranten im deutschen Journalismus" vorgestellt. Im Ergebnis betonten die Forscher, dass basierend auf der amtlichen Statistik der Bundesagentur für Arbeit für 2004 "nur 2,5 Prozent der amtlich erfassten Publizisten in Deutschland über einen Migrationshintergrund" verfügen. Dieser Wert deckt sich in etwa mit den Ergebnissen der Mitgliederbefragungen der IG Medien und des Deutschen Journalisten Verbandes, die auf etwa 3 Prozent kamen.
Die Deutsche Journalisten Union gibt an, dass Journalisten mit Migrationshintergrund zumeist als freie Mitarbeiter beschäftigt sind. Angesichts eines migrantischen Bevölkerungsanteils von mindestens 9 Prozent, wobei 19 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen über einen familiären Migrationshintergrund (Mikrozensus 2005) verfügen, besteht nach wie vor eine eklatante kulturelle und berufliche Unterrepräsentation in der Medien- und Kulturbranche. Es existieren vereinzelte Angebote wie die Förderprogramme "Mehr Farbe in die Medien" des Adolf Grimme Instituts oder "WDR Grenzenlos" des Westdeutschen Rundfunks in Zusammenarbeit mit der Deutschen Hörfunkakademie, die darauf abzielen, junge migrantische JournalistInnen weiter zu qualifizieren und berufliche Praxis zu vermitteln. Jüngst hat die Heinrich-Böll-Stiftung mit mehreren Kooperationspartnern ein Medien-Stipendienprogramm für junge MigrantInnen gestartet. Trotz dieser Bemühungen hinken wir im Vergleich mit der in den USA, Kanada und Großbritannien erreichten medialen Diversität weit hinterher. Ebenso kann unsere politische Kultur der Förderung von gesellschaftlichen Minderheiten angesichts des Fehlens von affirmative action und nicht ausreichender Sensibilität für Migrationsthemen sich nicht mit der anti-diskriminatorischen Kultur in diesen Ländern messen. So gaben in der Studie des MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung lediglich 18,4 % der befragten Personalverantwortlichen ein Interesse an der Anwerbung von MitarbeiterInnen mit Migrationserfahrung an.
Meist ist dieses Interesse mit dem besonderen Aufgabenzuschnitt der Stelle verbunden, wo Mehrsprachigkeit, besondere kulturelle Kompetenzen und Landeskenntnisse von Vorteil sind und diese Fähigkeiten im Rahmen von multikulturellen Nischenprogrammen für spezielle Zielgruppen zweckdienlich erscheinen. Angesichts einer sehr niedrigen Ausschöpfungsquote von 30 % weisen die Forscher darauf hin, "dass in der Medienbranche (und sicher nicht nur hier) ein beträchtliches Unbehagen gegenüber dem Thema ‚Migranten im Journalismus‘ herrscht" und die befragten Personalverantwortlichen "nicht selten Unsicherheit im Umgang mit unserem Thema" aufweisen. Einige Personalchefs gaben auch an, dass sie aufgrund der Befragung zum allen ersten Mal sich mit diesem Thema beschäftigen würden. Nur 15,8 % bekannten in dieser nicht-repräsentativen Stichprobe, dass sie sich unabhängig von dem Aufgabenzuschnitt und anderen funktionalen Gründen eine interkulturelle Öffnung ihres Medienunternehmens wünschen. Passend zu diesem Bild gaben "zwei Drittel der [24 befragten] Ausbildungseinrichtungen an, dass sie dem Thema Migration in ihrem Lehrangebot keine besondere Bedeutung beimessen". Die Axel Springer Journalistenschule beschäftigte sich dagegen unter dem bedrohlichen Motto „Die Türken vor Brüssel“ mit der vermeintlichen Gefahr einer "Islamisierung Europas".
Jedoch ist der Zugang von vielen MigrantInnen in diese Branche auch ganz unabhängig von den Strukturen der Kulturinstitutionen und der Medienbranche eingeschränkt, da publizistische und kulturelle Professionen in der Regel einen sehr guten Bildungszugang voraussetzen. Wie die PISA-Studien und andere Untersuchungen immer wieder nachweisen, werden besonders Kinder aus migrantischen und sozial schwachen Familien im selektiven deutschen Bildungssystem de facto diskriminiert. Zwar ist ein Großteil der Zweiten und Dritten Generation durchaus selbstbewusst und zielstrebig, aber viele Hoffnungen und Anstrengungen werden durch diese übermächtigen Hürden zunichte gemacht. Ohne eine grundlegende Wandlung des deutschen Schul- und Ausbildungssystems wird die kulturelle und mediale Unterrepräsentation fortbestehen und die interkulturelle Öffnung der deutschen Gesellschaft eine Utopie bleiben.
Sex & Crime
Die in der Studie angemerkte bevorzugte Besetzung von MigrantInnen und Anderen Deutschen in bestimmten Programmsparten bildet sich auch im Fernsehen ab. So lässt sich eine zunehmende migrantische Präsenz im Fernseh- und Musikbereich feststellen. Beispielsweise wirkten SchauspielerInnen wie Idil Üner, Tamara Simunovic, Minh-Khai Phan-Thi, Tyron Ricketts, Stipe Erceq und Jasmin Tabatabai in vielen erfolgreichen und zum Teil auch ungewöhnlichen Filmproduktionen in den letzten Jahren mit. Seit Miroslav Nemec alias Münchener Tatort-Kommissar Ivo Batic und Erol Sander alias Kommissar Sinan Toprak gehören auch Charaktere mit Migrationshintergrund zur Stammbesatzung von deutschen Krimiserien. Zwar ist diese Entwicklung einerseits als positiv anzusehen, da sie ein Gegengewicht zu weitverbreiteten medialen Stereotypen schaffen; andererseits referieren sie auch in ihrer Umkehrung indirekt auf die angestammte Nebenrolle von „Ausländern“ im deutschen Fernsehen, die lange Zeit überhaupt nicht oder nur in Form rassistischer und geschlechtsspezifischer Stereotypen als türkischer Dieb und afrikanischer Drogendealer bzw. als unterdrückte Kopftuch-Türkin oder schöne Exotin vorkamen. Da Krimis ebenso wie Gerichtsshows ein Genre bilden, in dem Kriminalität, Gewalt, Drogen und Sexualität zentrale Elemente darstellen, ist die übermäßige Repräsentation von MigrantInnen und Schwarzen Deutschen in diesem Genre und die sich daraus ergebenden assoziativen Bilder nicht unproblematisch. Außerdem werden migrantische Charaktere hier oftmals über Nebenrollen definiert, die die Hauptperson durch Hilfstätigkeiten unterstützt. So verfügt "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal über einen deutsch-italienischen Assistenten und in der ZDF-Reihe "Der Alte" assistierte ein schwarzer Deutscher.
Auf eine andere Art werden "migrantische Kompetenzen" wie die ihnen zugeschriebene Coolness in einem anderen Unterhaltungssegment verfügbar gemacht und als Identifikationsmöglichkeit angeboten. Für viele Jugendliche gehören die zahlreichen ModeratorInnen von Musik- und Jugendsender mit nicht-deutschen Hintergründen wie Collien Fernandes, Gülcan Karahancı, Daisy Dee, Nina Moghaddam, Mola Adebisi oder Patrice Bouédibéla zum selbstverständlichen Bestandteil ihres Fernsehalltags. Arabella Kiesbauer hatte Mitte der 1990er Jahre mit ihrer Talksendung "Arabella" maßgeblich zur Etablierung dieses inzwischen häufig kritisierten Trash-Formats am Nachmittag beigetragen. Diese Talk Shows geben vor, authentische Menschen und ihre persönlichen Alltagsprobleme oder Einstellungen zu präsentieren. Laut der Studie "Was guckst du, was denkst du?" von 2003 werden dort in jeder zweiten Sendung MigrantInnen als Studiogäste eingeladen, um hauptsächlich türkische Männer als unverbesserliche und peinliche Machos zur Schau zu stellen. Menschen mit Migrationshintergrund werden auch verstärkt für Musikcasting-Shows, die ausschließlich der Unterhaltung des Publikums dienen, und für voyeuristische Reality-Shows wie „Big Brother“ ausgewählt. Neben dem Anti-Star-Phänomen Zlatko, der sich als Zielscheibe für erniedrigenden Spott anbot, wurden auf künstliche Weise auch kulturindustrielle und multiethnische Pop-Produkte wie No Angels, Bro'Sis, Preluders und Overground kreiert, die sich für kurze Zeit gut verkaufen ließen.
Während vor allem junge attraktive Frauen für popkulturelle Sendungen geeignet erscheinen, haben sich mit Aiman Abdallah und Ranga Yogeshwar zwei Männer im mittleren Alter mit leichten grauen Schläfen als Moderatoren von populärwissenschaftlichen Magazinen etabliert. Bisher erscheinen Menschen mit Migrationshintergrund im Fernsehen jedoch nicht seriös und vertrauenswürdig genug, um hochkulturelle Formate und politische Sendungen zu moderieren. Auch als Gäste bzw. als politische und wissenschaftliche GesprächspartnerInnen sind MigrantInnen in seriösen Sendungen nur selten zu sehen. Bis sich diese Situation ändert, sind nicht nur Widerstände in den Medienanstalten zu überwinden.
Islam Bashing und Rassismus
Als das ZDF vor einigen Monaten vorschlug, mit einem moslemischen "Wort zum Freitag" sein Internetangebot zu verbreitern, war die politische Aufregung in den christlichen Parteien groß. Während der Intendant des Deutschlandfunks ein "multikulturelles oder multireligiöses Kaffeekränzchen" befürchtet und dem Christen- und Judentum im deutschen Kulturkreis den Vorrang einräumen will, hat der Südwestrundfunk am 20.4.2007 sein erstes "Islamisches Wort" im Internet freigeschaltet und zur gesellschaftlichen Normalisierung beigetragen.
Dass die mediale Sichtbarkeit von Menschen mit Migrationshintergrund in einem engen Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Kultur, Politik und Macht steht und diese Sichtbarkeit nicht zuletzt von der positiven, negierenden oder ignorierenden Rezeption durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft und ihrer Meinungsführer abhängt, wird bei der Kontroverse um die islamkritischen Position von Necla Kelek überaus deutlich. Da sie ihre polarisierende und reißerische Position beim Thema Zwangsheirat nicht wissenschaftlich untermauern kann, wiederholt sowie belegbar mit falschen Zahlen und Darstellungen argumentiert und die überwiegende Mehrheit der muslimischen Frauen mit ihren populistischen Ansichten vor den Kopf stößt, bleibt zu fragen, warum Necla Kelek ein Medienereignis ist. Die Erklärung liegt nahe, dass sie vor allem ein Medienprodukt der deutschen Dominanzgesellschaft ist, die sich durch solche Stimmen in ihren Vorurteilen bestätigt sieht.
Umso fragwürdiger ist es, dass sie gemeinsam mit Seyran Ateş von konservativen Hardlinern und weißen Feministinnen als mutige und enttabuisierende Frauenrechtlerinnen stilisiert werden, mit Preisen geehrt und als politische Beraterinnen für deutsche Institutionen fungieren. Diese Konstellation mutet durchaus absurd an, wenn wir bedenken, dass Kelek als einzige geladene Expertin bei der Bundestagsanhörung vom 19.06.2006 die CDU-Forderung begrüßte das Nachzugsalter bei Familienzusammenführungen auf 21 Jahre zu erhöhen und den nachreisenden Frauen außerdem einen selbstorganisierten Deutschkurs vor der Einreise aufzubürden. Seyran Ateş plädierte in einem Interview dagegen dafür, dass "Männer, die einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und ihre Frauen schlagen, mit ausländerrechtlichen Folgen rechnen müssen". Der Ruf nach Abschiebung macht deutlich, dass es im Grunde genommen überhaupt nicht um Frauenrechte und den Schutz von Frauen geht. Gleichzeitig erklärt der politische Medienhype auch, warum anerkannte Literaten wie Emine Sevgi Özdamar, Zafer Şenocak oder Feridun Zaimoglu erst durch ihre langjährige Arbeit und gegen alle Widerstände sich als öffentliche Intellektuelle positionieren konnten. Einen imposanten Überblick finden wir bei Wikipedia, deren Liste deutsch-türkischer SchriftstellerInnen inzwischen über 200 Namen von Kulturschaffenden und Publizisten umfasst, die in der Regel nicht die mediale Förderung erhalten, die Necla Kelek genießt. Ihr Fall zeigt auf, dass die mediale Sichtbarkeit keineswegs ein ausreichendes Kriterium ist. Noch wichtiger ist zu fragen, wer über Zugang und Inszenierung entscheidet? In den Zeitungsredaktionen, vor und hinter der Kamera, in den Gremien der öffentlichen-rechtlichen Anstalten.
Ein weiteres Beispiel für eine problematische mediale und kulturelle Selbstdarstellung bieten Teilsegmente des migrantischen HipHop. Dort sind Protagonisten wie Kool Savas, Azad, MC Rene, Bushido, Eko Fresh und Tony D mit türkischen bzw. arabischen Backgrounds am Start. Zu den bekannten afro-deutschen Rappern zählen etwa Afrob, Denyo77, Torch und Samy Deluxe, die sich mit 80 anderen schwarzen Musikern im anti-rassistischen Brothers Keepers-Projekt zusammengeschlossen haben. Während viele Rapper ihre Texte mit gehaltvollen und nachdenklichen Nachrichten versehen, hat sich auch der Battle-Rap und das Dissen von Kontrahenten als populär herausgestellt. Darüber hinaus hat der deutsche sowie der migrantische HipHop massive Probleme mit homophoben, frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Texten.
Ein extremes Beispiel ist der afro-amerikanische Rapper B-Tight, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und und jüngst eine Kontroverse um den rassistischen Gehalt seiner von Aggro Berlin produzierten Platte „Neger, Neger“ entfacht hat. Das Aufkommen der unterschiedlich situierten Medienphänomene Necla Kelek und B-Tight verdeutlicht zum einen die Grenzen kultureller Selbst-Repräsentationen und ihrer Verwertbarkeit im Dominanzdiskurs, wenn sie formal bleibt und nicht nach Inhalt und Qualität fragt. Zum anderen zeigen diese Beispiele auf, dass Mediendiversität und wirkliche Integration in Einwanderungsgesellschaften nur funktionieren können, wenn eine Kultur der Diskriminierungsfreiheit erkämpft und verinnerlicht wird. Solange die deutsche Mehrheitsgesellschaft und ihre Dominanzkultur aber rassistische, sexistische und islamophobe Positionen und Phantasien nachfragt und fördert, werden vermeintlich authentische Angebote zur Befriedigung dieser Konsumbereitschaft nicht ausbleiben. Ob solche Entwicklungen die kulturelle Unsichtbarkeit und Unterrepräsentation von MigrantInnen und Anderen Deutschen wirksam begegnen können, ist mehr als zweifelhaft.
Kien Nghi Ha ist Politik- und Kulturwissenschaftler. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Postkoloniale Kritik, Migration, Rassismus und Cultural Studies. Er publiziert zu den Themen kulturelle Entgrenzung, Identitätspolitik und koloniale Präsenzen.