Editorial Dossier Migration & Entwicklung

Innovations- und Projektraum an der Universität von Addis Ababa

Der Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung rückt in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt. Allein die Tatsache, dass globale Remittances - also Rücküberweisungen der MigrantInnen in ihre Herkunftsländer - die offizielle Entwicklungshilfe der Industrieländer bei weitem übersteigen, zeigt die wichtige Rolle der Diaspora-Gemeinschaften für die Entwicklung ihrer Herkunftsländer.

Doch das Potential der Gemeinschaften in der Diaspora liegt nicht allein in den finanziellen Zuwendungen. Professionelle Fähigkeiten, Expertise, Kenntnisse der Herkunfts- sowie der Gastländer machen sie zu potentiell attraktiven PartnerInnen von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Entwicklungszusammenarbeit.  Der Schnittpunkt von Migration und Entwicklung, der Migrations-Entwicklungs-Nexus, hat sich so zu einem Politikfeld gewandelt, dass von teils enthusiastischer Rhetorik geprägt ist. Im Bestreben, über die einseitige Problematisierung von Migration hinauszuwachsen, werden nun die Potentiale von MigrantInnen betont.

Einerseits werden hohe Erwartungen geschürt/aufgebaut, andererseits wird den neuen EntwicklungsakteurInnen in einzelnen Entwicklungsinstitutionen eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Vor diesem Hintergrund sind differenzierte und realitätsnahe Analysen der Möglichkeiten und Grenzen des Migrations-Entwicklungs-Nexus angebracht.

Solche differenzierten Betrachtungen leisten konstruktive Kritik an einer zu vereinfachten positiven Verknüpfung von Migration und Entwicklung. Mit Verweis auf den Brain Drain im Globalen Süden wird betont, das besonders westliche Aufnahmeländer von hochqualifizierten MigrantInnen profitieren, während deren Abwanderung den Entsendeländern nachhaltig schadet. Hier gilt es, neue Politikansätze jenseits gescheiterter Gastarbeiterkonzepte zu entwickeln und neue Begriffe wie „zirkuläre Migration“ mit innovativen Inhalten füllen. alte Programme im Gewand neuer Begrifflichkeiten zu recyceln. Und auch die Höhe der Remittances sagt noch nichts über die möglicherweise negativen Langzeitfolgen solcher Tranfers für die Empfängerländer.

Angesichts der Fülle von neuer Aktivitäten und der Unwägbarkeiten und ungeklärten Fragen und Rollenverteilungen, die sich aus dem Mangel an kritischer Reflexion ergeben, ist es wichtig bereits bestehende Erfahrungen mit Projekten und Politiken, die den Migrations-Entwicklungs-Nexus stärken sollen, zu evaluieren, um aus bereits bestehender Praxis neue Handlungsoptionen ableiten zu können.

Eine Vielzahl von Akteuren und Interessengruppen versucht, im Bereich der Migrations- und Entwicklungspolitik Einfluss zu nehmen. Dabei kommt es nicht selten zu Zielkonflikten zwischen unterschiedlichen Politikbereichen auch innerhalb einzelner Staaten - Inkohärenz ist die Folge. Greifen hier die Bemühungen zur Harmonisierung von Politiken? Welche Auswirkungen hat eine solche verstärkte Politikkoordination auf migrantische und diasporische Gestaltungsmöglichkeiten von Entwicklung? Sind migrantische und diasporische Entwicklungsorganisationen die Zukunft der Entwicklung oder nur eine weitere Akteursgruppe, die es gilt, in bereits bestehende Strukturen einzubinden? Wie verhält es sich in diesem neuen Feld der Entwicklungs- und Migrationspolitik mit Geschlechergerechtigkeit – werden geschlechterdifferente Auswirkungen in Planung und Umsetzung genügend berücksichtigt? In welche konkreten Projekte werden Organisationen der Diaspora als tatsächliche Partner von Entwicklungsorganisationen einbezogen?

Das Dossier führt in das Themenfeld und die Kontroversen ein, indem es Analysen und Standpunkte aus den unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure gegenüberstellt - so entsteht jenseits schematischer Generaldiagnosen ein differenziertes Bild des Migrations-Entwicklungs-Nexus.

Das Dossier hat der Politologe Joshua Kwesi Aikins konzipiert und redigiert.
Verantwortlich ist Olga Drossou, MID-Redaktion.

 


Joshua Kwesi Aikins ist Doktorand an der Bielefeld Graduate School in Sociology and History (BGHS) studierte Politikwissenschaft an der University of Ghana und der Freien Universität Berlin. Er promoviert zum Thema „Reshaping the Politics of Development – the Dynamics of Interaction between Western-Style and Indigenous Political Institutions in Ghana“. Veröffentlichungen zu 'Co-Wives in Africa', zur 'Alltäglichen Gegenwart der kolonialen Verangenheit' sowie zu afrodiasporischen Kulturen zwischen Aneignung und Widerstand.