Seit 2000 ist Menschenhandel in einer UN-Konvention – dem „Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ einheitlich definiert. Der UN-Konvention folgte eine EU Rahmenrichtlinie, die alle Mitgliedstaaten verpflichtete entsprechend den UN-Vorgaben die innerstaatlichen Gesetzgebungen zu verändern. Dieser Aufforderung folgte Deutschland im Februar 2005 mit einer Strafrechtsänderung. Der Europarat hat 2005 ebenfalls eine Konvention zur Bekämpfung des Menschenhandels verabschiedet, die Deutschland im Dezember 2012 ratifiziert hat.
Seit 2005 ist Menschenhandel in Deutschland nun nicht mehr eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sondern eine Straftat gegen die persönliche Freiheit eines Menschen. Der § 232 StGB beinhaltet „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ und § 233 StGB „Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft“. Hiernach liegt Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung vor, wenn Personen eine Zwangslage oder die sogenannte auslandsspezifische Hilflosigkeit von anderen Menschen ausnutzen, um diese in die Prostitution zu bringen oder sie daran hindern, die Prostitution aufzugeben. Rabe weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung Menschen dann als hilflos gelten, wenn sie durch den Aufenthalt in einem anderen Land so stark in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind, dass sie sich der Arbeit in der Prostitution nicht widersetzen können. Indizien für die Hilflosigkeit liegen zum Beispiel dann vor, wenn Betroffene nicht über ihre Ausweispapiere verfügen, kein Deutsch sprechen, mittellos und auf den Täter angewiesen sind, ihre Rechte nicht kennen sowie weder Zugang zum Hilfesystem noch soziale Kontakte in Deutschland haben (Rabe 2013: 16).
Ausmaß von Menschenhandel
Über das quantitative Ausmaß dieses Verbrechens wird viel gemutmaßt, wirklich seriös sind beziehungsweise können diese Schätzungen nicht sein, vielmehr entsteht der Eindruck, als wären alle Zahlen politisch motiviert. Die einzig fundierte Zahl für die Bundesrepublik ist die, die das Bundeskriminalamt (BKA) jährlich in seinem Lagebericht Menschenhandel veröffentlicht. Hierbei handelt es sich aber lediglich um Fälle, die der Polizei bekannt sind beziehungsweise um solche, bei denen es mindestens zu einem Ermittlungsverfahren gekommen ist – also dem polizeibekannten Hellfeld. Über das Dunkelfeld sagen diese Zahlen nichts aus. Zudem besteht hier naturgemäß eine Diskrepanz zu den Fallzahlen der Fachberatungsstellen. Neben der reinen quantitativen Differenz ergibt sich hier aber auch eine Diskrepanz zu den Herkunftsländern. Im Lagebild Menschenhandel des BKA kommen manche Herkunftsländer - wie zum Beispiel Thailand - nicht vor, die hingegen als Herkunftsländern für Betroffene von Menschenhandel in Beratungsstellen bekannt sind.
Mythen zu Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung
Menschenhandel – insbesondere zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung – ist ein Thema, das große politische Aufmerksamkeit genießt und offensichtlich Projektionsfläche für unterschiedlichste Ansinnen bietet. Gegner_innen des Prostitutionsgesetzes versuchen darauf hinweisen, dass alle migrierten Prostituierte „Zwangsprostituierte“ sein sollen und instrumentalisieren das Thema Menschenhandel, um die Legalisierung von Prostitution zu bekämpfen und/oder eine Bestrafung von Freiern zu fordern. Auch nutzen vorwiegend Gegner_innen der Sexarbeit alle großen Sportereignisse, um auf einen vermeintlichen Anstieg von Menschenhandel hinzuweisen.
Dadurch, dass zum großen Teil Migrantinnen Opfer von Menschenhandel sind, wird dem Thema eine große migrationspolitische Bedeutung beigemessen, was Regierungen immer wieder dazu bewegt, das Thema Menschenhandel vorzuschieben, um Migrationsbekämpfung oder Migrationserschwernisse zu legitimieren. So wurden mehrfach Einreiserestriktionen für Frauen (!) eingeführt, mit der Begründung dies würde Menschenhandel bekämpfen (siehe hierzu Gaatw 2007). Im Folgenden soll zunächst auf diese Mythen eingegangen werden.
Alles „Zwangsprostituierte“?
Häufig wird in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Menschenhandel von „Zwangsprostitution“ gesprochen; dies ist aus mehreren Gründen irreführend, zum anderen spiegelt dies nicht die Realität vieler Betroffener des Menschenhandels wider. Viele der Betroffenen des Menschenhandels wurden nicht zur Prostitution gezwungen, vielmehr mussten sie in der Prostitution unter Bedingungen arbeiten, die der Sklaverei ähneln. So weist zum Beispiel das Bundeslagebild Menschenhandel 2013 darauf hin, dass lediglich
„39 % aller im Jahr 2013 ermittelten Opfer unter Täuschung zur Prostitutionsausübung verleitet wurden, 22 % aller Opfer gaben an, mit der Aufnahme der Prostitutionsausübung einverstanden gewesen zu sein. 13 % der Opfer wurden professionell, z.B. durch angebliche Model- und Künstleragenturen oder über Inserate in Zeitungen, angeworben. Erfahrungsgemäß wurden diejenigen Opfer, die sich mit der Prostitutionsausübung einverstanden erklärten, nicht selten über die tatsächlichen Umstände getäuscht“ (Bundeskriminalamt: 2013:7).
Diese Erfahrung bestätigen auch Beratungsstellen, wo Frauen – auch Migrantinnen – berichten, dass sie selbst entschieden haben in der Prostitution zu arbeiten. Sie beklagen die Arbeitsbedingungen und die damit einhergehende Ausbeutung, nicht aber die Tatsache, dass sie in der Prostitution arbeiten mussten. Hinzu kommt, dass niemand beispielsweise von Zwangsköchin oder Ähnlichem spricht, wenn es um Menschenhandel zum Zwecke der Ausnutzung der Arbeitskraft geht, so dass hier der Verdacht entsteht, dass der Begriff „Zwangsprostitution“ auch dazu dienen soll, die Sexindustrie zu diskreditieren, weshalb der Begriff in diesem Text nicht verwendet wird.
Mit der Gesetzesänderung 2005 hat sich ein Problem ergeben, das sicherlich nicht beabsichtigt gewesen sein kann, aber in der Praxis eine Rolle spielt und die Darstellung des Themas verzerrt. Im § 180b (2) StGB[1] war die Rede von: „ ... wird bestraft, wer auf eine Person unter einundzwanzig Jahren einwirkt, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen...“, während im §232 (1) StGB[2] die Rede ist von „... wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt.“ Offensichtlich ist ein „Dazu Bringen“ niedrigschwelliger als das „Einwirken“ auf eine Person. Die praktische Umsetzung hat nunmehr zur Folge, dass wenn eine 18- bis 21-jährige Prostituierte in einem Prostitutionsbetrieb angetroffen wird, die Polizei zunächst regelmäßig von Menschenhandel ausgeht.
Die Folgen dieser Regelung, sind auch statistisch erkennbar. So spricht das Lagebild Menschenhandel 2013 davon, dass:
„mit 279 Opfern (51 %) ist rund die Hälfte der Opfer unter 21 Jahre alt. Ursächlich dafür ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Umstand, dass Personen dieser Altersgruppe aufgrund der Strafnormierung des § 232 Absatz 1 Satz 2 StGB deutlich einfacher als Opfer von Menschenhandel identifiziert werden können“ (BKA 2013: 6).
Präziser ausgedruckt heißt dies, dass im Jahr 2013 die Polizei 279 Menschen im Alter zwischen 18 bis 21 Jahren zu Betroffenen von Menschenhandel erklärt hat, ohne dass irgendetwas über die Hintergründe der Tätigkeit kundgetan wird. Solche Zahlen und Behauptungen werden wiederum zu Grunde gelegt, wenn Menschenhandel instrumentalisiert wird, um Sexarbeit zu bekämpfen. Eine valide Aussage kann eigentlich erst gefällt werden, wenn die Arbeitsbedingungen der 18– bis 21-jährigen Frauen untersucht wären.
Freierbestrafung: ein effektives Mittel gegen Menschenhandel?
Prostitutionskunden für die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen von Betroffenen des Menschenhandels zu bestrafen, klingt zunächst sehr verlockend und knüpft an ein vermeintliches Gerechtigkeitsempfinden. Selbst die Befürworter_innen der Freierbestrafung geben aber zu bedenken, dass die Nachweisbarkeit in der Praxis sehr schwierig umzusetzen wäre. In der Praxis ist dies nicht nur schwer beweisbar, sondern für viele Betroffene von Menschenhandel eher kontraproduktiv, denn Freier sind ohnehin marginalisiert und scheuen den Kontakt zu Beratungsstellen. Sie sind aber die Einzigen, die immer Kontakt zu potentiellen Betroffenen von Menschenhandel haben werden. Sinnvoller erscheint es daher, sie mehr als Verbündete im Kampf gegen Menschenhandel zu gewinnen (siehe zum Beispiel die Kampagne: www.verantwortlicherfreier.de), damit sie Frauen unterstützen können, indem sie ihnen zum Beispiel den Kontakt zu Beratungsstellen ermöglichen. Bei einer befürchteten Kriminalisierung wäre es nachvollziehbar, wenn sich Freier noch seltener für potentielle Betroffene des Menschenhandels einsetzen würden.
Eine solche Bestrafung würde zudem Polizeikräfte binden, die in Zeiten knapper Ressourcen vielleicht sinnvoller woanders benötigt werden. Hinzu kommt, dass das bestehende Strafgesetz ausreichend Möglichkeiten bietet, (sexuelle) Gewalt an Betroffenen des Menschenhandels zu verfolgen. Es wäre daher wünschenswert, wenn polizeiliche Ermittlungen auch die im Zusammenhang mit Menschenhandel verübten Sexualstraftaten regelmäßig berücksichtigen würden.
Anstieg von Menschenhandel im Zusammenhang mit sportlichen Großereignissen?
Spätestens seit 2006, als in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft stattfand, wird immer wieder versucht, einen Zusammenhang zwischen Menschenhandel und sportlichen Sportereignissen zu konstruieren. So wurde in Vorfeld der WM das Gerücht gestreut, dass 40.000 “Zwangsprostituierte“ eigens für die WM einreisen würden! Beratungsstellen und Prostituiertenverbände haben dieses Gerücht bereits im Vorfeld der WM hinterfragt und deutlich gemacht, dass dies eher unwahrscheinlich erscheint (vgl. Prasad/Rohner 2006). Dennoch wurden zur WM vier Hotlines für vier Wochen eingerichtet und verstärkt Razzien durch die Polizei durchgeführt. Sowohl die Hotlines, als auch die Polizei fanden – erwartungsgemäß – keinen Hinweis auf vermehrten Menschenhandel; die Polizei gab allerdings an im fraglichen Zeitraum zehn Frauen abgeschoben zu haben (vgl. Gaatw 2011)!
Die Maßlosigkeit der Debatte zeigt sich auch in dem Vorschlag von Franco Frattini, dem damaligen EU-Justizkommissar, der anregte, ein vorübergehendes Visum für alle Drittländer wiedereinzuführen, die mögliche Herkunftsländer im Handel mit Frauen und Kindern sein könnten. Nach einigen Tagen hat er diese Forderung nach entsprechendem Druck zurückgenommen und sich entschuldigt. Dennoch ist dies ein gutes Beispiel für den Irrglauben, dass Einreiserestriktionen eine geeignete Maßnahme zur Prävention von Menschenhandel sein können.
Im Nachhinein ergaben mehrere Evaluierungen, dass es natürlich keinen Anstieg von Menschenhandel im Zeitraum der Fußball WM gegeben hat; dennoch wurde dieses Gerücht in der Schweiz (2008 Europameisterschaft), in Südafrika (2010 Fußballweltmeisterschaft), Vancouver (2010 Olympische Spiele) und London (2012 Olympische Spiele) wiederholt und von Prostitutionsgegner_innen und Staaten für ihre jeweiligen Zwecke instrumentalisiert.
Menschenhandel = Schleusung?
Häufig wird nicht genau getrennt zwischen Menschenhandel und Menschenschmuggel bzw. „Schleusung“; diese Trennung ist aber wesentlich. So ist Menschenhandel ein Verbrechen gegen die persönliche Freiheit eines Menschens; Menschenschmuggel hingegen ein Angriff auf die Souveränität eines Staates bzw. dessen Nationalgrenzen. Im Falle von Menschenhandel gibt es betroffene Menschen; diese lassen sich bei Menschenschmuggel nicht wirklich identifizieren. Menschen, die sich in ein anderes Land schmuggeln lassen (müssen), zahlen eine absurde Summe Geld für eine verbotene Dienstleistung, aber sie sind nach der vollbrachten Leistung im Zielland frei. Betroffene von Menschenhandel hingegen können sich eine solche Reise nicht leisten und sind damit in der Situation, dass diejenigen, die ihnen die Reise ermöglicht haben, sich diese im Nachhinein zu nicht verhandelbaren Bedingungen abbezahlen lassen. Häufig begeben sich Frauen dadurch in einer Schuldenfalle und sind bis zur Abbezahlung dieser „Schulden“ nicht frei sich zu bewegen oder werden anderweitig erpresst - wie zum Beispiel über eine aufenthaltsrechtliche Vulnerabilität.
So können Menschen natürlich sich freiwillig und selbstbestimmt dazu entscheiden, ein Land mit Hilfe von „Menschenschmuggler_innen“ oder Fluchthelfer_innen zu verlassen und hierfür auch eine hohe Summe zahlen, aber es ist per Definition nicht möglich mit einer Menschenhandelssituation vorab einverstanden gewesen zu sein (vgl. unter anderem United Nations 2014: 3f). Praktisch heißt dies, dass ein ursprüngliches Einverständnis ohne die nötigen Dokumente in ein Land einzureisen (siehe hierzu auch EGMR 2012: C.N vs. UK), niemals als ein Einverständnis zur Menschenhandelsviktimisierung gewertet werden kann, obwohl dies von Täter_innen und auch manchmal von Behörden regelmäßig versucht wird.
Die Tatsache, dass manche Betroffene von Menschenhandel ohne die nötigen Dokumente einreisen, wird von Staaten häufig als Vorwand genommen, um Einreisekontrollen zu verstärken. Die Effektivität dieser Maßnahmen ist allerdings fraglich, denn selbst diejenigen, die später Opfer von Menschenhandel werden sollten, können dies zum Zeitpunkt der Einreise noch nicht wissen.
Indikatoren für Menschenhandel
Neben den Mythen gibt es relativ eindeutige Indikatoren, die das Erkennen von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung erleichtern. In der Praxis wird hierdurch die Identifikation von möglichen Betroffenen erleichtert und die Trennlinie zwischen Menschenhandel und selbstbestimmter Prostitution wird sichtbar.
Viele Akteur_innen haben Indikatorenlisten erstellt, die je nach Kontext leicht variieren können. Die von der International Labour Organisation (ILO) erstellte Indikatorenliste (ILO 2009) ist die differenzierteste, weil sie zwischen starken, mittleren und schwachen Indikatoren unterscheidet und davon ausgeht, dass Menschenhandel vorliegt, wenn mindestens zwei starke oder ein starker und ein mittlerer Indikator oder drei mittlere Indikatoren oder aber zwei mittlere und ein schwacher Indikator zutreffen.
Zu den starken Indikatoren zählt die ILO unter anderem:
- Betrug über Art der Tätigkeit oder/und über Arbeitgeber_innen
- Gewaltausübung
- Exzessiv lange Arbeitszeiten
- Schuldknechtschaft: Im Entwurf der Gesetzgebung zu Menschenhandel von 2005 wurde davon ausgegangen, dass Schuldknechtschaft als ein „Abhängigkeitsverhältnis verstanden werden kann, bei dem der Gläubiger die Arbeitskraft eines Schuldners über Jahre mit dem Ziel ausbeutet, tatsächlich bestehende oder vermeintliche Schulden abzutragen“ (vgl. Bundestag Drucksache 15/3045, 2004). In der Praxis heißt dies, dass zum Beispiel Frauen aus Osteuropa Summen um 3500 € für die Reise „abarbeiten“ müssen, während thailändische und afrikanische Frauen Beträge von 15.000 € bis 35.000 € „abgearbeitet“ haben. Nicht nur für die Einreise, auch für Kost, Logis etc. werden unverhältnismäßig hohe Kosten verlangt. Die Höhe der Summen macht deutlich, dass diese den realen Kosten einer Einreise in keinster Weise entsprechen. Die Rückzahlungsmodalitäten sind in der Regel einseitig bestimmt und von den Frauen nicht verhandelbar.
Zu den mittleren Indikatoren zählt die ILO unter anderem:
- Betrug über Arbeits- und/oder Lebensbedingungen; in der Praxis heißt dies zum Beispiel, dass Frauen keine Kunden oder Sexualpraktiken ablehnen durften, nicht das Recht hatten auf Kondome zu bestehen, und/oder sexuelle Wünsche der Täter und ihrer Freunde (ungewollt und unentgeltlich) erfüllen mussten
- Betrug über den Aufenthaltsstatus (zum Beispiel Zwang zum Eingehen einer Papierehe)
- Beschlagnahme von Dokumenten
- Zwangsheirat
- Isolierung
- Drohungen zum Beispiel mit der Denunziation vor der Ausländerbehörde
- Geringer bis kein Verdienst; in der Praxis heißt dies, dass der tatsächliche Verdienst von Betroffenen von Menschenhandel - sofern überhaupt vorhanden – in einem absolutem Missverhältnis zu ihren Einnahmen steht. Hinsichtlich der Einnahmenverteilung ist beispielsweise für die Berliner Polizei ein wichtiges Indiz für Menschenhandel, wenn mehr als 50 Prozent des Prostitutionserlöses abgegeben werden müssen.[3] In der Praxis haben einige Frauen berichtet, dass sie bis zum „Abarbeiten“ ihrer Schulden gar kein Geld erhalten haben; manche konnten bis zu 15 Prozent behalten.
- Keine Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen
Zu den schwachen Indikatoren zählen sie unter anderem:
- Verletzung von kulturellen/religiösen Glauben
- Drohung der Offenlegung vor der Familie
Ursachen von Menschenhandel
Zu den Ursachen von Menschenhandel wird viel geschrieben und diskutiert; häufig wird Armut als eine Ursache in die Diskussion gebracht. Sicherlich spielt die Hoffnung auf eine Verbesserung der eigenen ökonomischen Situation eine große Rolle bei der Migrationsentscheidung, dennoch zeigt die Praxis, dass Armut allein als Erklärung für Menschenhandel zu kurz greift. In Gesprächen mit Betroffenen des Menschenhandels wird deutlich, dass viele der Frauen im Herkunftsland verschiedene Formen geschlechtsspezifischer und/oder rassistischer (zum Beispiel Roma-Frauen aus Bulgarien) Gewalt erlebt haben, so dass wir davon ausgehen können, dass Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland häufig auch Ursache von Menschenhandel sind (Follmar-Otto 2007: 70). Daneben berichten Frauen darüber, dass sie ihre Herkunftsländer verlassen wollen/müssen, um vor Konventionen zu fliehen. Dies kann der Fall sein, wenn es keine legale Form der Scheidung gibt, die Frauen alleinerziehend sind oder aber andere Lebensentwürfe haben, die mit gesellschaftlichen Normen nicht kompatibel erscheinen.
Eine Studie der ILO weist zudem darauf hin, dass Betroffene von Menschenhandel im Herkunftsland keinen Zugang zu erforderlichem Finanz- und Sozialkapital haben (Internationales Arbeitsamt 2005:67), das heißt nicht einmal die Mittel haben (il)legal in ein anderes Land einzureisen. Sie müssen sich also, um migrieren zu können, Geld bei unseriösen Anbieter_innen leihen oder aber die Hilfe etwa von Agent_innen in Anspruch nehmen. Hätten diese Frauen finanzielle Mittel, so wären sie vielleicht undokumentierte Migrant_innen, nicht aber Opfer von Menschenhandel.
Neben den sogenannten Push-Faktoren in den Herkunftsländern gibt es natürlich auch Pull-Faktoren in den Zielländern, die ursächlich für Menschenhandel sein können. Hierzu gehört zum einen die großen Gewinnmargen, die Menschenhandel ermöglicht, die wenig zu befürchtende Strafverfolgung, aber auch den Bedarf nach Arbeitskräften, die in Situationen sind, die es nicht erlauben, auf arbeitsrechtliche Mindeststandards zu bestehen.
Die EU-Expert_innengruppe gegen Menschenhandel weist ferner darauf hin, dass auch die Unmöglichkeit einer legalen Einreise bzw. Einreiserestriktionen eine Ursache von Menschenhandel sein kann (EU-Expert_innengruppe gegen Menschenhandel 2004: 11).
Lebensbedingungen von Betroffenen des Menschenhandels
Von behördlicher Seite wird in Deutschland sehr genau unterschieden, zwischen Frauen die „lediglich“ Opfer von Menschenhandel sind und denen, die sich bereit erklärt haben bzw. in der Lage sind als Zeug_innen in einem Strafverfahren zur Verfügung zu stehen. Nur Letztere haben einen vorübergehenden Zugang zu Mindestrechten in Deutschland. Das heißt, sie müssen aussagen wollen, können und ihre Aussage muss strafrechtlich verwertbar sein. Betroffene von Menschenhandel, die nicht aussagen können (zum Beispiel wegen einer Traumatisierung oder Drogenkonsum), keine Erinnerung haben, zu wenig Information über die Täter haben, aus Angst nicht aussagen wollen oder deren Aussage strafrechtlich nicht relevant ist, müssen nach dem Gesetz ausreisen. Dies gilt auch, wenn die Täter_innen sich nicht ermitteln lassen oder in der Zwischenzeit versterben.
Zwar ist gesetzlich vorgesehen, Betroffenen von Menschenhandel, die nicht aussagen können oder wollen eine sogenannte „freiwillige Ausreise“ zu ermöglichen. Der Vorteil hierbei ist, dass sie bei der Ausreise zumindest keine Einreisesperre für die EU erhalten, wenn sie im Vorfeld ohne Dokumente in Deutschland waren.
Bedenkfrist
Auch ist es theoretisch möglich, dass potentielle Opfer von Menschenhandel ohne Prüfung/Vernehmung eine Duldung nach § 60a AufenthG oder eine andere Aufenthaltsbescheinigung durch die Ausländerbehörde für mindestens einen Monat erhalten; sogar eine Haftentlassung aus der Abschiebehaft wäre möglich. Sinn und Zweck dieser Regelung wird auch in der Europaratskonvention erörtert:
„Ein derartiger Zeitraum soll ausreichend lang sein, um es der betreffenden Person zu gestatten, sich zu erholen und sich dem Einfluss von Menschenhändlern zu entziehen und/oder eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie mit den zuständigen Behörden zusammenarbeitet. Während dieses Zeitraums darf es nicht möglich sein, eine die Person betreffende Rückführungsentscheidung zu vollstrecken.“ (Europarat 2005, Artikel 13.1.)
In der Praxis wird diese Möglichkeit jedoch selten angewendet. Die Polizei beklagt, dass es hierzu keine eindeutigen Erteilungsrichtlinien gibt, während viele NGOs der Meinung sind, dass hier unnötig hart verfahren wird. Um „freiwillig“ ausreisen zu können oder eine Bedenkfrist zu erhalten, müssen sich die Betroffenen aber den Behörden gegenüber öffnen, wenn sie dies nicht wünschen, können sie entweder das Land über Schleichwege verlassen oder aber eine Einreisesperre riskieren.
Der Umgang mit Betroffenen des Menschenhandels, die keinen Kontakt zu Behörden möchten, ist in den Beratungsstellen unterschiedlich und hängt stark von den finanziellen Ressourcen und der politischen Haltung der Beratungsstelle ab. Die wenigsten Beratungsstellen dürften Ressourcen haben, diese Gruppe von Betroffenen des Menschenhandels längerfristig zu finanzieren, so dass diese Frauen sich nur kurz in Beratung begeben, um sich über ihre rechtliche Situation zu informieren, um dann entweder selbstbestimmt auszureisen oder unterzutauchen.
In jedem Fall werden aber alle Frauen in den Beratungsstellen kostenlos und anonym beraten und psychosozial versorgt.
Zeuginnen in einem Strafverfahren
Die rechtlichen Rahmenbedingungen von Zeuginnen in einem Strafverfahren sind sehr spezielle und von der Betroffenen allein kaum zu überblicken bzw. zu meistern, daher ist es mehr als sinnvoll, wenn Opferzeuginnen von Fachberatungsstellen (muttersprachlich) beraten und betreut werden. Da die meisten Beratungsstellen Kooperationsverträge oder Ähnliches mit der Polizei haben, müssen Betroffene, die in Kontakt mit der Polizei kommen, darauf hingewiesen werden, dass sie Kontakt zu einer Beratungsstelle aufnehmen können. Die Fachberatungsstellen sind dann zuständig für die psychosoziale Betreuung (Unterbringung, Zugang zum Gesundheitssystem, Beantragung von Sozialhilfe etc.), die Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis und vieles mehr.
Anerkannte Opferzeuginnen dürfen solange in Deutschland bleiben, wie die Staatsanwaltschaft[4] sie benötigt. Sie erhalten eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs.4a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), was in der Praxis sehr problematisch ist. Denn dadurch dass nur Betroffene des Menschenhandels diesen Titel erhalten, sind sie buchstäblich als solche abgestempelt und erkennbar. Neben der datenschutzrechtlichen[5] Problematik ergibt sich hier insbesondere bei der Rückkehr in Länder, in denen die Prostitution verboten ist, eine Gefährdung der betroffenen Frauen. Da in ihren Dokumenten der spezielle Aufenthaltstitel für Betroffene von Menschenhandel vermerkt ist, müssen sie nach der Rückkehr mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen.
Dieser Aufenthaltstitel kann widerrufen werden, so zum Beispiel wenn die Zeugin Kontakt zu den Beschuldigten aufnimmt.[6] In der Regel aber können betroffene Frauen bis zum Abschluss des Strafverfahrens in Deutschland bleiben. Bis dahin vergehen nicht selten bis zu drei Jahren. Wenn die Frauen in dieser Zeit ausreisen wollen, um dann zur Gerichtsverhandlung wiedereinzureisen, ist dies theoretisch möglich, wirft allerdings in der Praxis viele Probleme auf, weshalb dies selten vorkommt.
Als Opferzeuginnen in einem Strafverfahren, können Betroffene - wenn sie wollen - auch als Nebenklägerinnen auftreten und haben damit Anspruch auf eine_n Anwält_in, der/die sie in der Nebenklage vertritt. Eine Kostenübernahme für Anwält_innen ist über die Prozesskostenhilfe (PKH) möglich.
Zeuginnen müssen ihren Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestreiten. Auch wenn die Summe der monetären Zuwendung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Juli 2012 den Hartz IV angepasst werden musste, so bleibt das Problem, dass Betroffene von Menschenhandel weiterhin nur einen sehr eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Medizinische Versorgung wird nur in Notfällen gewährt, psychologische Hilfen über das Asylbewerberleistungsgesetz finanziert zu bekommen, ist in der Praxis sehr schwierig.
Theoretisch dürfen Opferzeuginnen, die auf ein Verfahren warten, arbeiten, was in der Praxis aber sehr schwierig ist. Je kürzer ihre Aufenthaltserlaubnis gilt, desto schwieriger ist es, Arbeitgeber_innen zu finden, der sich auf diese Unsicherheit einlässt. Hinzu kommt, dass viele Betroffene von Menschenhandel traumatisiert sind und Zeit brauchen, um ihren Alltag neu zu strukturieren oder Suchtprobleme haben. In jedem Fall ist es schwierig, einen geregelten Alltag im Berufsleben zu finden. Eine qualifizierte Ausbildung oder gar ein Studium können sie in dieser Zeit nicht absolvieren. Sie können also in der Regel keine wirkliche Zukunftsperspektive aufbauen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie in dieser Wartezeit weder ihre Kinder einladen noch besuchen können.
Situation nach dem Strafverfahren
Nach Ende des Prozesses müssen Betroffene des Menschenhandels grundsätzlich ausreisen, es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie bei ihrer Rückkehr in Gefahr wären. Dann können sie einen Aufenthalt nach § 25. Abs. 3. AufenthG beantragen, wozu sie eine konkrete Gefährdung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) darlegen müssen. Dies gestaltet sich jedoch in der Praxis äußerst schwierig. Für Beratungsstellen ist es kaum möglich, die Situation in den verschiedenen Herkunftsländern einzuschätzen und ihre Einschätzung zu belegen. Für die Polizei stellt sich das Problem, etwas zu bescheinigen, was eventuell passieren könnte, wofür es aber keine konkreten Beweise gibt. Entsprechende Nachweise wären aber für die Entscheidung des BAMF erforderlich.
Die Überprüfung der Gefährdung erfolgt jährlich, bis die ehemalige Betroffene des Menschenhandels nach acht Jahren einen Anspruch auf einen dauerhaften Aufenthaltstitel erworben hat. Neben der Schwierigkeit, acht Jahre lang zuständige Polizeibeamt_innen zu finden, die weiterhin die Einschätzung der Gefährdung bestätigen, kommt als psychologisches Problem hinzu, dass es für die Frauen sehr belastend ist, weiterhin als Opfer von Menschenhandel gelten zu müssen. Ein gangbarer Weg wäre zum Beispiel ein Aufenthalt nach § 25.4.2. AufenthG, dessen Erteilung erfordert allerdings, dass „auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde“. Der Vorteil dieses Titels wäre, dass das BAMF hierzu nicht befragt werden müsste.
Auch die Frauen, die im Laufe der Wartezeit einen deutschen oder einen legal in Deutschland lebenden Migranten heiraten, begeben sich in eine Abhängigkeit, die eine schwere Belastung für die Beziehung darstellen kann. Nach § 31 AufenthG müssen sie zumindest drei Jahre nach Ausstellung ihres - von der Ehe abhängigen - Aufenthaltsstatus mit ihrem Ehepartner zusammenleben und dies im Zweifel nachweisen können. Sollte die Ehe vor Ablauf dieser Zeit scheitern, müssen die Frauen ausreisen, es sei denn, die Fortsetzung der Ehe hätte „eine besondere Härte“ bedeutet. Diese müssen sie allerdings nachweisen, was in der Praxis auch sehr schwierig ist. Der einzige wirklich sichere Aufenthaltsstatus nach der Gerichtsverhandlung bestünde, wenn die Frau ein Kind mit einem Deutschen oder einem legal in Deutschland lebenden Migranten hätte, wofür sich in dieser Lebensphase aber die wenigsten Frauen entscheiden.
Aus der Darstellung der Lebensbedingungen von Betroffenen des Menschenhandels wird deutlich, dass es für viele Frauen keine wirkliche Alternative ist, sich als Zeugin in einem Menschenhandelsverfahren zur Verfügung zu stellen. Zum einen gefährden sie sich und ihre Familien durch die Aussagen zusätzlich, zum anderen aber verlieren sie wichtige Lebenszeit, die sie besser im Aufbau einer neuen Perspektive im Herkunftsland nutzen wollen. Das Resultat für die Strafverfolgung ist deutlich: es gibt immer weniger Strafverfahren wegen Menschenhandels in der Bundesrepublik. Es gibt leider keinen Grund anzunehmen, dass es sich hierbei um eine Rückentwicklung des Phänomens in Deutschland handelt. Vielmehr scheint das, was der Staat den Betroffenen anzubieten bereit ist, nicht ausreichend zu sein. Italien stand offenbar vor ähnlichen Problemen und hat beschlossen diese anders zu lösen; die Zahl der Verfahren gegen Menschenhandel ist entsprechend deutlich gestiegen.
Das italienische Modell
In Italien ist der Aufenthaltstitel von Betroffenen des Menschenhandels weitestgehend abgekoppelt von ihrer Eigenschaft als Zeugin in einem Strafverfahren. Um ein Bleiberecht für zunächst sechs Monate zu erhalten, müssen Betroffene einfache, aber glaubwürdige Angaben bei der Polizei machen, die es der Polizei ermöglichen nachzuprüfen, ob es sich tatsächlich um eine Betroffene des Menschenhandels handelt. Mit der Feststellung der Viktimisierung erhalten Betroffene einen befristeten Aufenthaltstitel. Dieser wird verlängert, wenn die Betroffene sich integrationsbereit zeigt und kann in einen unbefristeten umgewandelt werden, wenn sie sich in den Arbeitsmarkt integriert hat. Mit dem festen Titel gelten für Betroffene des Menschenhandels dieselben gesetzlichen Regelungen wie für andere Migrant_innen.[7]
Einige Staaten lehnen ein System wie in Italien ab, weil sie befürchten, dass einige Migrant_innen sich auf diesem Wege legalisieren würden. Antislavery International weist darauf hin, dass dies in Italien nicht geschehen ist (vgl. Pearson 2002).
Menschenhandel als Menschenrechtsverletzung
Die Verletzung von Menschenrechten ist zentral in allen Phasen des Menschenhandels. So können Diskriminierungen auf Grund von Gender, Ethnizität, sozialem Status aber auch Armut und damit einhergehend wenig Zugang zu adäquater Unterbringung, Bildung und vielen anderen wirtschaftlich, sozialen und/oder kulturellen Rechten, ursächlich für Menschenhandel sein.
Im Zeitraum, in dem Betroffene sich in der Situation des Menschenhandels befinden, werden zusätzlich mindestens folgende fundamentale Menschenrechte verletzt (vgl. UN 2014: 4f):
- Das Recht auf Leben
- Das Recht nicht Sklaverei, Schuldknechtschaft und/oder Zwangsarbeit ausgesetzt zu sein
- Das Recht keiner Folter oder grausame und/oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein
- Das Recht keiner geschlechtsspezifische Gewalt ausgesetzt zu sein
- Das Recht auf Bewegungsfreiheit
- Das Recht auf höchsterreichbaren Standard von physischer und psychischer Gesundheit
Der menschenrechtliche Schutzrahmen für erwachsene Betroffene von Menschenhandel und damit auch die staatlichen Verpflichtungen ergibt sich mindestens aus diesen Dokumenten der UN:
- Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, 2000
- UN-Konvention zur Eliminierung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW), 1979
- UN-Konvention für den Schutz der Rechte aller Arbeitsmigranten und ihrer Familien, 1990
- UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1966
- UN-Pakt über wirtschaftlich, soziale und kulturelle Rechte, 1966
Für Menschenhandelssituationen in Europa sind zudem von Bedeutung:
- Europaratskonvention gegen Menschenhandel, 2005
- Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer
- Europäische Menschenrechtskonvention, 1950
Ausblick
Je nach politischem Selbstverständnis der Akteur_innen werden einzelne oder alle Mythen bezüglich Menschenhandel bemüht, um die eigene politische Agenda zu stützen. Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass es sich bei Menschenhandel um eine Menschenrechtsverletzung handelt. Bei nicht-staatlichen Akteur_innen dürfte es darüber hinaus Einigkeit darüber geben, dass der Staat den Betroffenen gegenüber seiner Sorgfaltspflicht nur sehr begrenzt nachkommt.
Ein menschenrechtsbasierter Umgang mit Menschenhandel wäre ein Konzept, das sich zum einen normativ und zum anderen operativ an den Menschenrechten orientiert. Ein solcher Ansatz bedarf sowohl einer Analyse darüber, wie Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Menschenhandel geschehen, als auch einer Analyse der staatlichen Verpflichtungen, die daraus resultieren (Vgl. UN 2014: 8). Die normative Analyse ist relativ unumstritten, während dies nicht für die daraus resultierenden nicht erfüllten staatlichen Verpflichtungen gilt.
So stellt sich beispielsweise für Betroffene des Menschenhandels, die nicht als Zeuginnen fungieren wollen/können, das Problem des Zugangs zum Recht; denn sie können faktisch nur schwer zum Beispiel zivilrechtliche Ansprüche geltend machen, wenn sie nicht zuvor oder gleichzeitig ein Strafverfahren verfolgen. Auch wird der Zugang zum Recht erschwert, wenn Betroffene von Menschenhandel nicht als solche identifiziert werden, und zum Beispiel als irreguläre Migrantinnen behandelt werden und damit nicht das in Anspruch nehmen können, was ihnen (menschen)rechtlich zusteht (vgl. UN 2010, Guideline Nr. 2).
Aber auch Betroffene, die als Zeuginnen in einem Strafverfahren fungieren, sind besonders vulnerbal wieder von Diskriminierungen betroffen zu sein. Hier kommt neben den oben genannten Diskriminierungsmerkmalen möglicherweise noch die Diskriminierung auf Grund der Tatsache, dass sie in der Prostitution tätig waren, hinzu. Im Strafverfahren sind es vor allen Dingen die Menschenrechte bezüglich eines fairen Verfahrens, die gefährdet sind verletzt zu werden - hierzu gehört zum Beispiel eine verständliche Übersetzung, ein adäquater Rechtsbeistand und vieles mehr. Für alle identifizierten Betroffenen des Menschenhandels, insbesondere für diejenigen, die als Zeuginnen fungiert haben, stellt sich zudem das Problem des effektiven Rechtsschutzes, denn ihr Aufenthaltsstatus gilt zunächst nur bis zu ihrer Aussage. Es stellt sich die Frage, wie diese Regelung mit der staatlichen Verpflichtung effektiven Rechtsschutz zu gewähren, vereinbar ist.
Um einen menschenrechtsbasierten Ansatz im Umgang mit Betroffenen von Menschenhandel zu realisieren, wäre es von essentieller Notwendigkeit ihre Viktimisierung von ihrer Zeuginnenschaft abzukoppeln und damit allen Betroffenen des Menschenhandels Zugang zum effektiven Schutz zu gewähren. Auch könnte überlegt werden präventive Maßnahmen zu verabschieden, die zum Beispiel den Gewinn mit Betroffenen unmöglich macht, indem zum Beispiel legale Einreisemöglichkeiten geschaffen werden. Dies wird auch in der Europaratskonvention in Artikel 5.4. verlangt, die Staaten daran erinnert, dass sie die erforderlichen angemessenen Maßnahmen verabschieden sollen, um Migration auf legalem Wege zu ermöglichen, insbesondere durch die Verbreitung genauer Informationen über die Bedingungen für eine legale Einreise und den legalen Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet. Das entspricht auch den Empfehlungen der EU-Expert_innengruppe gegen Menschenhandel (EU-Expert_innengruppe gegen Menschenhandel 2004: 11). Die Umsetzung für den Bereich Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung würde bedeuten, Möglichkeiten zu schaffen, um Sexarbeiterinnen die legale Einreise zum Zweck der Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Der Vorteil an einer solchen Regelung wäre, dass ein Arbeitsvertrag, dem eine Einreise zu Grunde gelegt wird, in jedem Fall arbeitsrechtliche Mindeststandards beinhalten muss und Frauen damit in ein sicheres legales Arbeitsfeld treten könnten.
Solange die Situation aber so bleibt wie sie jetzt ist, wird das Thema Menschenhandel in Deutschland medial und politisch thematisiert bleiben, die Betroffenen hingegen haben hiervon sehr wenig.
Literatur
Bundeskriminalamt 2013: Lagebild Menschenhandel 2013, Wiesbaden
Bundestag Drucksache 15/3045, 2004, 04. 05. 2004
EGMR 2012: C.N. vs. The United Kingdom, Application No. 4239/08, Entscheidung vom 13.11.2012
EU-Expert_innengruppe gegen Menschenhandel 2004: Report of the Experts Group on Trafficking in Human Beings, Brüssel
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Letzter Zugriff: 8.3.2006
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[1] gültig bis Februar 2005
[2] gültig seit Februar 2005
[3] Hierzu gibt es verschiedene BGH-Urteile: zum Beispiel eines vom März 1999 (BGH 2StR 608/98), welches deutlich macht, dass eine 50-prozentige Einbehaltung der Einnahmen einer Prostituierten Ausbeutung sind. Im April 2004 (BGH 4StR 67/04) weist eine andere Entscheidung darauf hin, dass eine 50-prozentige Abführung der Einnahmen alleine nicht Ausbeutung seien, vor allen Dingen dann nicht, wenn die Prostituierten am Getränkeumsatz beteiligt waren. Und schließlich eine Entscheidung vom Juli 2005 (BGH 2 StR 131/05), welche besagt, eine Ausbeutung liege auf jeden Fall vor, wenn der Prostituierten nur 20 Prozent ihrer Einnahmen verbleiben.
[4] Problematisch ist hier, dass es zu Beginn von Ermittlungsverfahren häufig noch keine Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft gibt, so dass die Erteilung des Aufenthaltstitels sich verzögert.
6. siehe Artikel 11.1 der Europaratskonvention: „Jede Partei schützt die Privatsphäre und die Identität der Opfer. Personenbezogene Daten der Opfer werden im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (ETS Nr. 108) gespeichert und verwendet.“
7. Dies ist in der Praxis sehr schwierig, weil es durchaus vorkommt, dass Opfer von Menschenhandel verwandt sind mit den Tätern. Besonders auffällig ist das Problem in den Fällen wo Opfer und Täter gemeinsame (kleine) Kinder haben. Diese haben das Recht beide Eltern zu sehen, die Eltern müssen es ermöglichen. Wie sie dies gestalten sollen, ohne sich dabei zu sehen, ist in der Praxis schwer vorstellbar. Auch wird befürchtet, dass diese Regelung von den Tätern ausgenutzt werden kann, um angebliche Kontaktaufnahmen zu beweisen, um einen Widerruf der Aufenthaltserlaubnis der Zeugin zu erreichen.
[7] Zur ausführlichen Darstellung des Italienischen Systems siehe Prasad 2005