Grundrechte - Richtlinien - AGG

Von Christine Zauper

Die Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten zu Grund- und Menschenrechten bilden die Grundlage für das europäische Gleichbehandlungsrecht. In diesem Zusammenhang sind die Begriffe „Europäische Union“ und „Europäische Gemeinschaft(en)“ nach dem Vertrag von Nizza synonym zu verwenden. Die Europäische Union kann jedoch nur dann tätig werden, wenn ihr entsprechende Befugnisse durch die Mitgliedsstaaten übertragen werden. Für die Übertragung gibt es drei Möglichkeiten:

  • Direkte Kompetenzzuweisung wie z.B. durch Art. 23 Abs. 1 GG
  • Indirekte Kompetenzzuweisung nach dem Prinzip „Implied Powers“
  • Indirekte Zuweisung von Annexkompetenzen durch Art. 308 EGV

Die Hauptaspekte des Gleichbehandlungsrechts sind in drei Europäischen Richtlinien aufgeführt. Alle Mitgliedsstaaten haben diese Richtlinien akzeptiert (Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EGV) und sind nun zur Umsetzung in nationales Recht verpflichtet.
Beispiel:

  • Deutschland hat alle Richtlinien gesammelt im AGG umgesetzt.
  • Spanien hat jede Richtlinie durch ein eigenständiges Gesetz implementiert.

Die Umsetzung der Richtlinien zur Gleichbehandlung ist gerichtlich nachprüfbar. Wenn die nationale Rechtsebene ausgeschöpft ist, erfolgt die Prüfung auf europäischer Ebene. Die Europäische Agentur für Grundrechte hat in diesem Zusammenhang zwar Informations- und Beratungs-, aber keine Entscheidungskompetenz. Die Entscheidungskompetenz im Rahmen von Art. 226 und Art. 234 EGV liegt beim Europäischen Gerichtshof.

Daraus ergibt sich folgendes Problem: Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich nur dann mit Verstößen gegen das Gleichbehandlungsprinzip, wenn eine Behörde/ein Gericht/ein sonstiges Organ aus dem Bereich der EU Klage erhebt. Der Europäische Gerichtshof nimmt also keine Individualbeschwerden an.
Die Erkenntnisquellen des Europäischen Gerichthofs gemäß Art. 6 Abs. 2 des Vertrags von Amsterdam sind die Europäische Menschenrechtskonvention und die Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten. Der Europäische Gerichthof begnügt sich jedoch nicht mit einem Systemvergleich von Verfassungsrechten, sondern hat im Laufe der Zeit ein eigenes Instrumentarium entwickelt:

  • In der Entscheidung "van Gend & Loos" betont der Europäische Gerichthof das Auslegungsinstrument des "effet utile", also die Ausrichtung am größtmöglichen Nutzen für die Europäische Gemeinschaft.
  • In den Entscheidungen "Flaminio Costa" und "Mario Pupino" betont der Europäische Gerichthof die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, europäischen Vorgaben zu folgen.
  • In der Entscheidung "Omega" betont der Europäische Gerichthof seine Deutungshoheit zum europäischen (Mindest-) Standard für den Grundrechtsschutz. Diese Deutungshoheit besteht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nur, solange die Garantien des Grundgesetzes gewahrt bleiben („Solange II“).

Dieses Instrumentarium hat aufgrund der Zurückhaltung der nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit zu einer Kompetenzübernahme durch den Europäischen Gerichtshof geführt. Damit verlieren die Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten und gleichzeitig die Grundlagen des Gleichbehandlungsrechts an Bedeutung.
Diese Kompetenzübernahme ist weder durch Zusatzvereinbarungen zum EGV noch durch entsprechende Regelungen im Vertrag von Maastricht legitimiert und erscheint daher bedenklich. Dies gilt besonders dann, wenn der Europäische Gerichtshof

  • wie im Fall „Omega“ einerseits Vorrang vor nationalen Grundrechtsgarantien beansprucht und andererseits durch Mindeststandards hinter nationalen Grundrechtsgarantien zurückbleibt
  • wie im Fall „Mangold“ einerseits Entscheidungskompetenzen beansprucht und andererseits eine Entscheidung der Angelegenheit ablehnt.

Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliches Handeln und damit gegen die „Selbstherrlichkeit der Exekutive“. Diese Abwehrrechte sind jedoch nur solange gewährleistet, wie eine funktionierende Rechtsprechung besteht. Wenn die Rechtsprechung wie im Fall „Mangold“ jedoch eine Entscheidung ohne nachvollziehbare Begründung ablehnt, ist eine „Selbstherrlichkeit der Judikative“ zu befürchten. Damit bleibt dem Bürger keine Möglichkeit, seine garantierten und auch vielbeschworenen Grundrechte durchzusetzen.

Auf dieser Grundlage wird teilweise gefordert, dass die nationalen Verfassungsgerichte wie der spanische Corte Constitucional und das deutsche Bundesverfassungsgericht im Interesse der Bürger die Kompetenzen zurückfordern, die sie dem Europäischen Gerichtshof überlassen haben. Teilweise wird auch gefordert, dass der Europäische Gerichtshof durch eine unabhängige und neutrale Kontrollinstanz wie z.B. einen zukünftigen Europäischen Verfassungsgerichtshof an seine Pflichten gegenüber den Unionsbürgern erinnert wird.
 

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Christine Zauper studiert Rechtswissenschaften an der FU Berlin. Sie ist Mitarbeiterin der deutschen Mission der Internationalen Organisation für Migration (IOM).