In der Diskussion um den im Juni 2009 publizierten ersten bundesweiten Integrationsindikatorenbericht der Bundesregierung wird die unzureichende Datenlage über die in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund moniert und die Erhebung von mehr und differenzierteren Daten gefordert. Diese sollen helfen, den Integrationsprozess messbar und damit überprüfbar zu machen.
Doch welchen Informations- und Datenbedarf haben wir in Deutschland und zu welchem Zweck sollen ethnische Daten gesammelt werden? Das Ethnic Monitoring, also die Erhebung von Daten über die Lebenslage von ethnischen Minderheiten, hat in Ländern wie England oder den Niederlanden - im Unterschied zu Deutschland - eine lange Tradition als Instrument der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik. Damit können Problemlagen analysiert und sichtbar gemacht werden, wie z.B. das Ausmaß und die Mechanismen von ethnischen Diskriminierungen, aber auch die Wirksamkeit von Gleichstellungsmaßnahmen und Integrationsstrategien verfolgt und nachgewiesen werden.
Dieses Dossier fragt nach der Notwendigkeit der Einführung eines Ethnic Monitoring in Deutschland und nach den Grenzen und Rahmenbedingungen bei der Erhebung ethnischer Daten. Denn äußerste Sorgfalt ist nicht nur geboten, wenn es um die gesellschaftliche Vielfalt von Interessen und Lebensformen analysiert und die Politik in Hinblick auf ihre Anerkennung berät.
Im Abschnitt Indikatoren & Integration wird das Integrationsmonitoring als ein noch junges Instrument der Integrationspolitik in Deutschland vorgestellt. Während auf europäischer Ebene seit einigen Jahren mit dem Migrant Integration Policy Index (MIPEX) ein Benchmarking-Instrument erprobt wird, mit dem auf der Grundlage vergleichender statistischer Daten die Integrationsleistungen der verschiedenen europäischen Länder messbar und damit vergleichbar gemacht werden, wird hierzulande erst damit begonnen, systematisch vergleichende Daten und Indikatoren zu entwickeln, um Zuwanderungs- und Integrationsprozesse und deren Folgewirkungen abzubilden.
Uschi Sorg stellt die Voraussetzungen für ein (kommunales) Integrationsmonitoring vor und formuliert Anforderungen an Indikatoren und Datenerhebung als notwendige Bestandteile einer wirkungsorientierten Integrationssteuerung.
Dietrich Engels und Miriam Martin, MitverfasserInnen des ersten bundesweiten Integrationsindikatorenberichts, stellen den Forschungsansatz sowie ausgewählte Ergebnisse und Empfehlungen vor.
Mit den datenschutzrechtlichen Aspekten bei der Erhebung ethnischer Daten beschäftigt sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar. Er weist auf Rahmenbedingungen und besondere Anforderungen bei der Verwendung dieser Daten hin.
Im Abschnitt Ethnic Monitoring & Antidiskriminierung geht es um die Frage, ob und wie Ethnic Monitoring als Instrument einer effizienten Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik eingesetzt werden kann. Wo liegen hier erfolgversprechende Ansätze und wo die Gefahren und Probleme? Was kann man von den Diskussionen in Frankreich und Großbritannien lernen?
Mario Peucker analysiert Möglichkeiten und Grenzen der statistischen Erfassung der ethnischen Zugehörigkeit für den Nachweis von individueller und struktureller Benachteiligung von Minderheiten.
Joana Vassilopoulou geht auf die langjährigen Erfahrungen mit Ethnic Monitoring in Großbritannien ein und unterstreicht die Wichtigkeit der kontinuierlichen Evaluierung des Monitoring-Prozesses.
Die kontroverse Diskussion in Frankreich über die Zulässigkeit und Effizienz ethnischer Statistiken sowie positiver Maßnahmen gegen ethnische Diskriminierung stellt Sylvia Cleff Le Divellec vor.
Im Abschnitt Identität & Selbstbestimmung geht es um den Forschungsbedarf und die mit der Kategorienbildung verbundenen Fragen: Daten und Kategorien sollen zur öffentlicher Sichtbarkeit und zu "Stimme" verhelfen. Stehen Fremdzuschreibungen nicht dazu im Widerspruch?
Karen Schönwälder sieht die Politik in der Pflicht, sowohl dem "grenzenlosen Datenhunger" der Wissenschaft Grenzen zu setzen als auch Bedingungen für die Vergabe öffentlicher Forschungsaufträge - wie die Veröffentlichungspflicht des Datenmaterials - zu stellen.
Kien Nghi Ha sieht den Diversity-Ansatz 'People of Color' als Alternative zu ethnisierenden Kategorien und (Fremd-)Zuschreibungen, die mit dem Ethnic Monitoring einhergehen.
Albert F. Reiterer differenziert zwischen verschiedenen Identitätstypen und legt dar, wie im Übergang zur Postmoderne aus diskriminierender Identitätszuschreibung anerkennende Diversität wird.
Eine Link- und Literaturliste bietet die Möglichkeit zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema.
Das Dossier wurde von Tamara Ritter konzipiert und redigiert.
Verantwortlich ist Olga Drossou von der MID-Redaktion.
Tamara Ritter studierte Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und am Institut d’Etudes Politiques in Paris (Sciences Po). Sie arbeitet seit mehreren Jahren in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.