Die Kunst des Sezierens. Eine Leseerfahrung zu Jinthana Haritaworns „The Biopolitics of Mixing“

Cover "The Biopolitics of Mixing"
Teaser Bild Untertitel
Jinthana Haritaworn: The Biopolitics of Mixing. Thai Multiracialities and Haunted Ascendencies. Farnham: Ashgate (2012)

von Noa Ha

 

Vorher

Da ist es, das Buch von Jin, frisch und gut eingepackt. Voller Freude öffne ich das Paket. „The Biopolitics of Mixing. Thai Multiracialities and Haunted Ascendencies. Jinthana Haritaworn“[i] steht auf dem Buch. Warum freue ich mich so? Warum freue ich mich so sehr über dieses Buch? Weil – irgendwie geht es auch um mich. Ich bin auch „gemischt“, ich bin weder asiatisch, noch bin ich deutsch (halt asiatisch-deutsch). Ich habe keine eindeutige Zugehörigkeit – vielleicht auf meinem Pass, aber im Alltag hat das nur wenig Bedeutung. Es geht wohl auch um „meine Mischung“. Aber wie wird Mischung und das Sich-Mischen in diesem Buch verhandelt? Wie wird eine gemischte asiatische Identität adressiert? Wie wird der als „asiatisch“ markierte Körper in diesem Buch kontextualisiert? So viele Fragen, ob das Buch mir ein paar Antworten wird geben können? Endlich ein Buch, welches sich nicht nur mit kulturellen Stereotypisierungen asiatischer Präsenzen, sondern auch mit Rassismus und Asiatisch-Sein befasst. Ich bin gespannt, ob ich mich wiederfinde und ob mir gefällt was ich wiederfinde.

Ich bin sehr neugierig. Jin ist einer der Wissenschaftler_innen, von dem ich viel gelernt habe, der mich sehr inspiriert hat – insbesondere den waghalsigen Grat zwischen versubjektivierter Objektivität und verobjektivierter Subjektivität entlangzugehen. Eine Gratwanderung in der Akademie, die gerne darüber verhandelt, welches Wissen objektiv und universell ist und anderes Wissen als „Betroffen-Sein“ aus den akademischen Sälen verweist. Ein Prozess, der für die Anderen oft schmerzhaft ist und eigene Positionalitäten in der Wissenschaft schwer benennbar macht.

Aber nun zu dem Buch und mir. Gespannt fange ich an zu lesen.

Jin hat in seinem Buch Menschen in Berlin und London mit Thai-Bezügen und thailändischer Herkunft zu Identität, persönlichen Erfahrungen und Biografien befragt. In seiner Analyse hat er neben die Erfahrungen der Befragten die eigenen gestellt und einen Dialog eröffnet, in dem er selbst als forschendes und individuelles Subjekt in eine Beziehung zu den Befragten tritt. Diese Einbeziehung von auto-biographischem Wissen möchte ich in diesem Polylog erweitern. Danke Jin für diese Möglichkeit, danke Jin für diese forschende Praxis.
 

Ein Überblick

Das Buch ist in acht Kapitel eingeteilt. Das erste Kapitel leitet ein und stellt die Reiseroute vor. Eine Reise, in welcher die Figur des „mixed-race body“ als Reiseleiterin fungiert. Die Route sucht Orte auf, in denen diese Figuration feierlich zelebriert wird, wie zum Beispiel die Verortung des „mixed-race Londoner“ oder des „multikulti Berliner“ oder „die Liebe, die keine Farbe kennt“ oder „das glückliche, gesunde und schöne Gesicht von ‚Mischlingen‘“. Aber die Route soll nicht nur zu den schönen und freudvollen Orten führen, sondern auch zu solchen, deren Häuser tödliche Gewalt kennen, weil diese Figuren pathologisiert werden. Diese Pathologisierungen werden entlang psychischer ‚Krankheit‘, ‚Kriminalität‘ und genetischer ‚Überlegenheit‘ oder ‚Unterlegenheit‘ formuliert.

Die Route folgt der Absicht, all diese verschiedenen Orte aufzusuchen, denn sie existieren gleichzeitig und es gilt eine Frage nach dem Warum zu formulieren:

„How does this world as happy, generalized space somewhere in 21st century London, Britain, Europe or the West, coexist with a world of war, racism and disenfranchisement?“ (Haritaworn 2012: 116).[ii]

Die Route führt nicht nur entlang der zelebrierten und pathologisierten Figurationen des „mixed-race body“, sondern klettert auch auf die Höhen der Beziehungen zwischen den Generationen und Herkünften, wenn Jin sowohl Varianten der Elternschaft benennt als auch Interviews mit der Elterngeneration durchführt. Neben den Höhen begibt er sich im 7. Kapitel hinab in die Archive urbaner Imaginationen. In diesen Archiven untersucht er die Beziehung zwischen der schon eingeführten feierlich zelebrierten Figur des offenen Weltbürgers und der städtischen Imagination der ‚guten sozialen Mischung‘ (social mix) in städtischen Quartieren, ein Imperativ neoliberaler Stadtentwicklung. Die letzte Station der Route lädt den Geist der ‚thailändischen Prostituierten‘ zum Gespräch ein, welcher immer wieder durch die Interviews sowie andere Begegnungen, in denen thailändische Genealogien und Geschlechtsidentitäten verhandelt wurden, geistert.

Jin schöpft aus einem reichen Reservoir empirischer Forschung, qualitativer Interviews, diskursanalytischer Befunde zur kulturellen Repräsentation von „Mixed Race“ bzw. der „Vermischung“[iii], Untersuchungen zu nationalen und städtischen Erzählungen und verknüpft höchst eloquent queere, macht- und rassismuskritische Ansätze nicht nur für eine biopolitische, sondern auch für eine nekropolitische Analyse zur rassifizierten Vermischung asiatisch gelesener Körper mit verschiedenen Bezügen zu Thailand.
 

Zwischendurch

„The Biopolitics of Mixing“ spricht zu meinem Kopf und verschlingt meinen Körper. Das Buch hebt meinen Körper auf den Seziertisch und zerlegt fein säuberlich die verschiedenen Blickregime auf diesen Körper. Blatt für Blatt schneidet eine messerscharfe Sprache sich durch die Genealogien ab_seitiger Körper, auch meinen Körper. Mein Kopf schaut von außen herein und sieht die schneidenden Messer, wie sie sich entlang der Narben und Wunden gewalttätiger Enthumanisierung durch wissenschaftliche und mediale Inszenierung des Abseitigen arbeiten. Die Messer schneiden sehr genau und filetieren Satz für Satz meine eigene Erfahrungen, die sich in mein gespeichertes Wissen eingeschrieben haben. Diese filetierten Erfahrungen und Jins Messer lassen das brummende Schweigen der epistemischen Gewalt[iv] an „mixed-race bodies“ in meinen Ohren ertönen. Fanon schleift das Messer, wenn Jin ausführt:

„Rather than a normal reaction to abnormal bodies the ‘What are you?’ encounter here emerges as a violent site of informal examination that, following Fanon (1986)[v], I conceptualize as dissection“ (Haritaworn 2012: 23).[vi]

Entlang der Schlitze, die sich tief in die epistemische Materialität kolonisierenden Wissens schneiden, spiegeln sich an der Schnittfläche sowohl Jins epistemische Prämissen als auch mein autobiographisches Wissen:

„I occasionally use the category multi/racialized to contest biologistic distinctions between diasporic subjects of different parentages and to open, in a reparative reading of a hybridity theory that as I will show has often failed to deliver on its anti-essentialist promises, a space where second generationalities/multiracialities may be explored in shared relation to essentialist discourses of dilution, enrichment and authenticity, rather than as essentially different location” (Haritaworn 2012: 19f.).[vii]

Ich hatte mich aus dem Haus der Blickregime auf meinen Körper hinaus bewegt und schaute durch das Fenster. Dort sah ich, wie mein Körper unter blendendem Licht liegt. Leicht und behände schweben die Messer durch den Raum und legen Schicht für Schicht die Blickregime auf meinen Körper frei. Die in langer und alter Tradition daran haften blieben, sich darum verwickelten, meinen Körper infiltrierten und ihn mal mit grobschlächtigen, mal minimalinvasiven Eingriffen bearbeiteten. Mein Körper ist nicht mehr nur eine Projektionsfläche kolonialer Wunschwelten, sondern auch davon vereinnahmt, außen ist nicht einfach außen und innen ist nicht einfach innen. Die Messer, die Jin schnell und sicher durch dieses verwachsene Dickicht verknorpelter Grenzziehungen zieht, legen diese Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen frei.

Auf dem Seziertisch breiten sich meine vielen kleinen Erinnerungen an die Frage nach dem „Woher kommst Du? ... Ja, ja, ich meine, wo kommst Du wirklich her?“ aus.[viii] Während mein Körper auf dem Seziertisch liegt, balanciert mein Intellekt entlang intersektioneller Forschungstätigkeit wie auf einer Kletterspinne. Es gibt viele Knotenpunkte an dieser Spinne und viele Seile, auf denen ich entlang balanciere - mal geht es aufwärts, mal geht es abwärts, aber es gibt kaum eine Möglichkeit sich standfest hinzustellen und zu sagen: „Ja, hier stehe ich.“ Denn wenn ich mich um meine eigene Achse drehe, sehe ich neue Verbindungen, aber ich sehe auch den Fall, die vielen Löcher. Löcher, in die ich fallen könnte, wenn ich es wagen würde, mich über andere zu erheben, wenn ich es wagen sollte, den kurzen Weg zu wählen.

Jin auf den Seilen und Knoten intersektioneller Forschung zu folgen gleicht einem Balanceakt zwischen den Gleichzeitigkeiten unterschiedlicher Machtverhältnisse wie dem Klettern auf dieser Kletterspinne. In diesem Buch wird Intersektionalität nicht als hinzufügende Beforschung von verschiedenen Unterdrückungsregimen verstanden, sondern als intellektuelle, selbst-reflektierende und sich in Beziehung setzende Forschungstätigkeit betrieben.

Dieses Buch ist nicht nur ein operativer Tisch, auf dem seziert wird. Dieses Buch ist nicht nur eine intellektuelle Herausforderung, weil der Blick auf die Körper aus einer vielschichtigen Perspektive entwickelt wird. Das Buch ist vor allem eine Suche nach einer empowernden Sprache, nach kollektiven Räumen und einer verantwortlichen Wissenschaft und Forschungstätigkeit, die Jin uns rassifizierten Wisschenschaftler_innen ermutigt aufzusuchen. Diese Suche ist aufwendig, weil sprachliche Normalitäten infrage gestellt werden, neue analytische Perspektiven geprüft werden müssen, ob sie für ein intersektionelles Verständnis robust genug sind, und um diese kollektiven und empowernden Räume und Orte zu finden und zu beschreiben.
 

Ein Ausblick

Die Route durch das Buch ist manchmal schwierig zu gehen, es ist keine mühelose Strecke, mal wird die Luft dünn, mal friert es mich an den Füßen und dann gibt es die wärmenden Momente, wenn die Route in den Gefilden des Empowerments mündet. Hier gibt der Autor sich einer Imagination hin, die eine Kollektivität anspricht, die über sich selbst hinauswächst, obwohl es viele Narben und Knoten sind, auf der sich das kollektive Gebilde gründet. Es ist ein weiter und warmer Raum, der sich aus Jins Hoffnung speist, wenn er schreibt:

„I hope that this book has created a space that is big enough to hold bodies and experiences that are often treated as unlike, competing or irrelevant to each other, and imagined into community people, desires and places that cannot often coexist in the same reality“ (Haritaworn 2012: 147).[ix]

Dieses Buch ist im Englischen geschrieben, einer Sprache, die in manchen Diskursen und Versprachlichungen dem Deutschen etliche Jahrzehnte voraus ist. Dennoch kann ich dieses Buch vorbehaltlos empfehlen, insbesondere für den deutschsprachigen Kontext, weil sich hier Perspektiven politisierter Identitäten, insbesondere asiatisch-deutscher, diskutieren und entwickeln lassen. Asiatisch-deutsch-Sein wird derzeit noch zu sehr in der hegemonialen Erzählung von einer angepassten und fleißigen Minorität verschluckt.

Ja, Jin, dieses Buch war groß genug! Manchmal war es mir ein bisschen zu groß, da fühlte ich mich ein wenig verloren - aber dann fühlte ich mich schon wieder an die Hand genommen. Und ich fühlte mich nicht allein gelassen, obwohl es eine sehr intime Begegnung mit mir und meinen eigenen Geschichten auf meinem Küchentisch und meinen eigenen Messern war. Es war kein einfacher Ort zu besuchen, und es ist kompliziert und widersprüchlich - aber dieses Buch inspiriert dazu, nicht nur diese Intimität sondern auch kollektive Räume aufzusuchen und aufzubauen.

 

Dieser Text erschien erstmalig im Kultur- und Gesellschaftsmagazins freitext, Nr. 21, April 2013, S. 52-56. Die Ausgabe „auftauchen – Empowering Asian Germany“ wurde gemeinsam mit dem asiatisch-deutschen Kulturnetzwerk korientation herausgegeben.

 

Noa Ha engagiert sich bei korientation, einem asiatisch-deutschen Netzwerk, und ist im Vorstand des Migrationsrat Berlin (MRBB). Als Stadtforscherin untersucht sie aus einer rassismuskritischen Perspektive den Straßenhandel im öffentlichen Raum von Berlin.

 


[i] „Die Biopolitik des Mischens – Thailändische Multirassifizierungen und herumspukende Vorfahren“. Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, von Noa Ha.

[ii] „Wie kann diese Welt als fröhlicher und generalisierter Raum irgendwo im London, England, Europa oder Westen des 21. Jahrhunderts neben einer Welt von Krieg, Rassismus und Entrechtung existieren?“.

[iii] Im deutschen Kontext wird der Begriff der „Vermischung“ aufgrund der biologistisch-rassistische Konnotation gemieden und auf die machtvermeidende Begrifflichkeit ‚binational‘ ausgewichen. Die Nutzung dieser Definition wird von Jin aufgrund der Reifizierung von Nation verweigert (vgl. Haritaworn 2012: 8).

[iv] Aufgrund der Definitionsmacht von Wissenschaft über Wissensformationen.

[v] Fanon, Frantz (1986): White Skin, Black Mask. London: Pluto Press.

[vi] „Anstatt einer normalen Reaktion auf einen abnormalen Körper tritt die ‚Was bist Du? [Wo kommst Du her? Anmerkung N.H.]‘-Begegnung zutage als ein gewalttätiger Ort informeller Untersuchungen, den ich nach Fanon (1986) als Sezierung beschreibe.“

[vii] „Ich benutze gelegentlich die Kategorie des multi/rassifizierten Körpers, um biologistische Unterscheidungen zwischen diasporischen Subjekten unterschiedlicher Elternschaft anzufechten und, in einer reparativen Lesung einer Hybriditätstheorie, die, wie ich zeigen werde, es oftmals versäumt hat, ihre anti-essentialistischen Versprechungen einzulösen, einen Raum zu öffnen, wo Zweit-Generationalitäten/Multirassifizierungen in ihren gemeinsamen Verbindungen zu essentialisierenden Diskursen von Verwässerung, Bereicherung und Authentizität betrachtet werden, statt als wesentlich unterschiedliche Verortungen.“

[viii] Eine Frage, die ich als Oevre in einem Drama zwischen kolonialen Subjekten und kolonisierten Objekten betrachte, ein Drama in unzähligen Varianten, jedoch immer dem gleichen Skript folgt.

[ix] „Ich hoffe, dass dieses Buch einen Raum eröffnet hat, welcher groß genug ist, um Körper und Erfahrungen zusammenzuhalten, die oft als ungleich, konkurrierend oder für einander irrelevant behandelt werden, und dass es Menschen, Sehnsüchte und Orte miteinander in Community imaginiert hat, welche nur selten miteinander in der gleichen Realität existieren können.“