von Beate Mohammad
Was geschah bisher?
Mit Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 wurde der Erwerb der deutschen Sprache für Neuzuwanderer verpflichtend. Der deutsche Gesetzgeber hatte sich damit Standards, wie sie schon seit Jahren z.B. in den Niederlanden oder in Schweden bestehen, zu eigen gemacht.
Das vorherige Sprachkursangebot des deutschen Sprachverbandes Mainz e.V. (Projekt DfaA - Deutsch für ausländische Arbeitnehmer und deren Angehörige), dessen Angebot freiwillig war, wurde ersetzt durch verpflichtende Deutschkurse, die sog. Integrationskurse. Außerdem wurden die Deutschkurse nach SGB III (vom Arbeitsamt finanzierte Deutschkurse vor allem für Aussiedler) ebenfalls in das neue System überführt.
Man kann dem neuen System durchaus etliche positive Aspekte abgewinnen: Die Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Trägern und Kursen wurde aufgehoben. So fanden viele neue, insbesondere kleine Träger Zugang zum Markt, sofern sie den vorgegebenen Qualitätsstandards entsprachen. Dies führte zu einer größeren Trägervielfalt und höheren Flächendeckung.
Darüber hinaus wurde ein klares Kursziel definiert, nämlich das „Zertifikat Deutsch“ als standardisierte Abschlussprüfung. Mit Bestehen dieser Prüfung werden Kenntnisse auf dem Nivea B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GER) nachgewiesen. Dieses Niveau stellt den sprachlichen Mindeststandard dar, um in allen Situationen des alltäglichen Lebens selbstständig handeln zu können.
Dass man schon bei der Einführung des Zuwanderungsgesetzes festgelegt hatte, bis Sommer 2007 der Bundesregierung einen Erfahrungsbericht über den Erfolg der Integrationsmaßnahmen und notwendige Verbesserungen vorzulegen, macht deutlich, dass man sich wohl schon damals gewisser Unzulänglichkeiten bewusst war.
Der seit Juli 2007 vorliegende nationale Integrationsplan hat etliche dieser Unzulänglichkeiten aber auch die positiven Aspekte benannt und Vorschläge zur Verbesserung eingebracht, die erfreulicherweise schon zu Änderungen vor allem zum Vorteil der TeilnehmerInnen geführt haben. Wenn man bedenkt, wie lange der Gesetzgeber brauchte, um überhaupt ein Zuwanderungsgesetz zu schaffen, so muss man das Tempo der Vorgänge seit Anfang 2005 geradezu als rasant bezeichnen.
Als Vertreterin einer Frauenorganisation möchte ich im Folgenden auf die Situation von Frauen eingehen. Laut des Evaluationsberichts von Rambøll-Management (im Auftrag des Bundesministeriums des Innern) stellen sie immerhin 65% der Integrationskursteilnehmer dar. Daneben möchte ich auch den Blick auf die Auswirkungen auf Kursträger und Lehrkräfte richten, von denen ich hier aus eigener Anschauung im Rahmen meiner Berufspraxis berichte.
Familie und Spracherwerb: Doppelbelastung für Frauen
Was für viele Frauen, die im Beruf stehen, zutrifft, gilt in ganz ähnlicher Weise auch für Frauen, die zur Teilnahme an einem Deutschkurs verpflichtet werden: Sie müssen Familie und Lernen unter einen Hut bringen und dies meistens ohne Unterstützung seitens des Partners. Anhand von 2 typischen Fallbeispielen soll ihre Situation veranschaulicht werden.
Beispiel 1:
Frau Y. kommt aus der Türkei, ist 30 Jahre alt, verheiratet und hat 3 Kinder im Alter zwischen 2 und 8 Jahren. Seit ihrer Heirat vor 9 Jahren lebt sie in Deutschland. Wegen der Kinder hatte sie nie Zeit einen Deutschkurs zu besuchen. Seit Kurzem bezieht die Familie Arbeitslosengeld II, Frau Y. wurde deshalb zur Teilnahme an einem Deutschkurs verpflichtet um später ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. 4 bis 5 Mal pro Woche soll sie jetzt den Kurs besuchen für mindestens 600 Unterrichtsstunden plus anschließendem Orientierungskurs. Je nach Kurskonzept bedeutet das in der Regel 8 bis 12 Monate. In dieser Zeit muss sie natürlich den Haushalt weiter versorgen wie bisher und sich um die Kinder kümmern. Mit einiger Mühe findet sie einen Kursträger, der auch Kinderbetreuung anbietet für ihr 2-jähriges Kind. Bei 3 Kindern kommt es schon mal öfter vor, dass ein Kind krank ist, dann kann sie nicht zum Unterricht gehen. Auch das Erledigen von Hausaufgaben ist im Umfeld von 3 kleinen Kindern nicht gerade einfach.
Beispiel 2:
Frau A., 24 Jahre alt, ist Anfang 2007 aus Marokko nach Deutschland eingereist als Heiratsmigrantin. In der Heimat hatte sie 6 Jahre lang die Schule besucht. Nach Ablauf des Visums zur Familienzusammenführung beantragt sie den dauerhaften Aufenthalt. Die Ausländerbehörde verpflichtet sie - wie es das Zuwanderungsgesetz vorsieht - zur Teilnahme an einem Integrationskurs. Nachdem sie einen Kursträger gefunden hat, beginnt sie mit dem Kurs. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass sie schwanger ist. Sie fehlt jetzt häufig, weil sie sich unwohl fühlt, irgendwann muss sie den Kurs abbrechen. Sie beschließt, nach der Geburt des Kindes den Kurs fortzusetzen. Bis dahin hat sie wahrscheinlich das wenige Gelernte vergessen und muss den Kurs noch einmal von vorne beginnen. Irgendwann muss sie dann die Prüfung zum „Zertifikat Deutsch“ bestehen, ohne deren Nachweis später nicht der unbefristete Aufenthalt erteilt wird.
Die beiden Fallbeispiele verdeutlichen die Schwierigkeiten:
- Für Migrantinnen, besonders aus muslimisch geprägten Herkunftsländern, haben Familie und Kinder in der Regel absolute Priorität. Stringentes Lernen ist schwierig.
- Viele Migrantinnen sind aufgrund ihrer Bildungsbiographie lernungewohnt und haben z.B. kaum Fremdsprachenerfahrung.
- Viele Migrantinnen sind während des Kursbesuchs auf eine Kinderbetreuung angewiesen.
Außerdem:
- Viele Migrantinnen wollen aufgrund ihrer religiösen oder kulturellen Prägung nur zusammen mit Frauen lernen.
- Von Analphabetismus sind vor allem Frauen betroffen.
Deutliche Aufwertung von Frauenkursen
Der Gesetzgeber versuchte der oben geschilderten Problematik von Anfang an Rechnung zu tragen, allerdings zunächst in völlig unzureichendem Maße. Von Anfang an gab es Frauenkurse im Rahmen von speziellen Zielgruppenkursen. Allerdings bestand der einzige Unterschied zum allgemeinen Integrationskurs darin, dass der Kursträger bei Frauenkursen eine begleitende Kinderbetreuung beantragen konnte. Ansonsten waren für Frauenkurse - genau wie für allgemeine Integrationskurse – lediglich 600 Unterrichtstunden Deutsch vorgesehen (das gleiche Stundenkontingent übrigens auch für Deutschkurse mit Alphabetisierung!) Hier nun hat der nationale Integrationsplan eine deutliche Wende zum Positiven gebracht:
- Das Stundenkontingent für Frauenkurse wird von 600 auf 900 Unterrichtsstunden erhöht.
- Für Alphabetisierungskurse wird ein zusätzlicher Sonderkurs von 300 Unterrichtsstunden gewährt.
- Kursträger, die Frauenkurse anbieten, müssen eine Kinderbetreuung vorhalten.
Mit der generellen Erhöhung der Stundenzahl für Frauenkurse hat man somit den Lernbiografien und besonderen sozialen Situation von vielen Migrantinnen Rechnung getragen. Man wird dadurch die Erfolgsquote, insbesondere die Anzahl der bestandenen Abschlussprüfungen, erheblich steigern können.
Das vorliegende Kurskonzept des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bildet dazu eine gute, angemessene inhaltliche Vorgabe für einen teilnehmerinnenorientierten Unterricht, indem es frauenspezifische Themen wie Einkaufen, Gesundheit, Schule, Erziehung u.a. aufgreift. Was noch fehlt, ist ein entsprechend inhaltlich ausgestalteter Abschlusstest. Bis jetzt steht auch für Frauenkurse lediglich die allgemeine Sprachprüfung „Zertifikat Deutsch“ zur Verfügung, bei dem die Streuung der Themen weit über das in Frauenkursen Vorgegebene hinausgeht. Ab dem Jahr 2009 soll ein neues Testformat zum Einsatz kommen. Ob es dann auch ein spezielles Testformat für Frauenkurse geben wird, ist ungewiss.
Kinderbetreuung: soziales Engagement ist gefragt
Möchte man Frauen, besonderes schon länger hier lebende Frauen, zur Teilnahme an einem Integrationskurs bewegen, ist das Angebot einer Kinderbetreuung zwingend erforderlich. Dies sahen auch die Verfasser des nationalen Integrationsplanes so. Gäbe es aber nicht einige Träger, die diese Möglichkeit aus sozialem Engagement vorhalten, wäre es schlecht bestellt, denn kostendeckend oder gar gewinnbringend ist dieses Unterfangen keinesfalls. Die finanzielle Förderung für Kinderbetreuung beinhaltet lediglich die Personalkosten für Betreuungskräfte. Der qualitativen Verbesserung der Betreuung hat man inzwischen insofern Rechnung getragen, dass für qualifiziertes Personal ein erhöhter Stundensatz gezahlt wird.
Die Raumkosten inklusive der dazugehörigen Nebenkosten hat der Kursträger selbst zu tragen, was einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber Anbieter, die keine Kinderbetreuung vorhalten, bedeutet. Somit handelt es sich bei den Trägern, die Frauenkurse mit Kinderbetreuung anbieten, zum größten Teil um solche, die auch schon früher in der Arbeit mit Frauen sozial engagiert waren, und kaum um Träger, die rein wirtschaftliche Interessen verfolgen – ein Aspekt, der den Teilnehmerinnen durchaus zum Nutzen gereicht, leider ohne entsprechende Honorierung des Engagements von Frauenkursträgern.
Problemfeld Finanzen
Ein großer Teil der Diskussionen, die in der Arbeitsgruppe zum nationalen Integrationsplan „Integrationskurse verbessern“ stattfanden, drehte sich natürlich um die finanzielle Ausstattung der Kurse. Seitens des Bundesministeriums hieß es mit Verweis auf die Haushaltslage, man wolle das System optimieren, aber bitteschön ohne Mehrkosten. Angesichts dieser Situation können sich Vertreterinnen von Frauenorganisationen schon glücklich schätzen, dass man sich für Frauenkurse zu 900 Unterrichtsstunden durchgerungen hat. Auch die Ausweitung des Orientierungskurses von 30 auf 45 Unterrichtsstunden für alle ist inzwischen beschlossene Sache. Insofern ist das Ergebnis der Diskussionen für die Seite der TeilnehmerInnen durchaus positiv zu bewerten, gerade auch im Hinblick auf das Tempo der Umsetzung in die Kurspraxis (alle genannten Neuerungen treten voraussichtlich ab November 2007 in Kraft).
Was die Seite der Kursträger anbelangt, bleibt die Situation äußerst angespannt. Immerhin wird im Nationalen Integrationsplan darauf hingewiesen, dass eine Kostenerstattung von 2,05 € pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde nicht hinreichend ist. Wie hoch allerdings eine angemessene Erstattung sein müsste, darüber hüllt sich der Bericht in Schweigen mit dem Hinweis, die haushaltsmäßige Ausgestaltung der Integrationskurse sei dem Haushaltsverfahren vorbehalten.
Man konnte sich nicht einmal dazu durchringen, zumindest einen wünschenswerten Erstattungssatz zu benennen, wobei es in der Evaluation von Rambøll-Management, die als Arbeitsgrundlage diente, ganz konkrete Berechnungsbeispiele gibt. Immerhin schienen die Zahlen doch so alarmierend gewesen zu sein, dass man schon im Juli 2007 den Stundensatz auf 2,35 € erhöhte. Gleichzeitig begrenzte man jedoch die Teilnehmerzahl pro Kurs von 25 auf 20. Bei einer angenommenen maximalen Auslastung eines Kurses verringert sich dabei sogar die Einnahme des Kursträgers (vorher: 25 x 2,05 € = 51,25 €/Ustd. Aktuell: 20 x 2,35 € = 47,- €/Ustd.). Wohlgemerkt, der Kursträger muss mit diesem Geld sämtliche Kurskosten abdecken wie Lehrerhonorar, Raumkosten, Verwaltung, Abschreibung für Möbel und Unterrichtsmaterial usw.
Lehrer sind die Leidtragenden
Wie bei allen Unternehmen in der freien Wirtschaft läuft es auch bei den Integrationskursträgern: Gespart wird vor allem bei den Personalkosten. Man hat im Nationalen Integrationsplan zwar auf den Zusammenhang zwischen Unterrichtsqualität und Lehrkräftehonorar hingewiesen, hat in der Arbeitsgruppe z.T. gebetsmühlenhaft eine angemessene Bezahlung der Lehrer gefordert, man wollte sich aber auch hier auf keine konkrete Summe festlegen. Wenn man bedenkt, dass die Honorare von vormals 23,10 € (festgelegter Honorarsatz des Sprachverbandes Mainz e.V.) auf nunmehr durchschnittlich 17,- € gesunken sind (die Träger können die Höhe des Honorars nun selbst bestimmen), und gleichzeitig die Anforderungen an die Qualifikation gestiegen sind, dann ist das schon ein gravierender Einschnitt. Man stelle sich nur einmal selbst die Frage, ob ein Facharbeiter in der Autoindustrie für diesen Stundenlohn einen Finger rühren würde. Die meisten Lehrkräfte sind übrigens Frauen. Nachgewiesenermaßen geben sich diese eher mit schlechter bezahlten Jobs zufrieden als Männer.
Bleibt als Fazit: Teilnehmer – insbesondere Frauen – profitieren durch die neu gestalteten Integrationskurse. Bei der finanziellen Ausstattung der Kursträger lassen deutliche Verbesserungen noch auf sich warten, um weiterhin einen hohen Standard sicherzustellen.
November 2007
Beate Mohammad ist Leiterin des Fachbereichs Integrationskurse im Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V. Köln. Am Nationalen Integrationsplan war sie als Teilnehmerin in der AG „Integrationskurse verbessern“ beteiligt.