Von Manfred Bruns
Die Schwulen in den alten Bundesländern haben seit Ende der 70er Jahre immer wieder den Erlass eines Antidiskriminierungsgesetzes gefordert. Das AGG entspricht zwar nicht in allen Punkten unseren Wünschen, aber wir sind mit ihm einen großen Schritt vorangekommen. Das AGG und die EU-Gleichstellungsrichtlinien haben für uns konkret zwei Probleme gelöst:
Diskriminierung bei den Versicherungen und beim Arbeitsentgeld
Bisher haben sich mindestens 75 % der privaten Lebens- und Krankenversicherungen geweigert, mit schwulen Männern Verträge abzuschließen, weil sie das "AIDS-Risiko" fürchten. Sie haben aber nicht nach der sexuellen Identität der Antragsteller gefragt oder vor dem Vertragsabschluss einen HIV-Antikörpertest verlangt, sondern den Vertragsabschluss ohne Begründung abgelehnt, wenn der Antragsteller verpartnert war oder wenn er in seinem Antrag einen anderen Mann als Begünstigten benannt hatte.
Die Abgelehnten wurden in eine „Schwarze Liste“ aufgenommen mit der Folge, dass sich auch alle anderen Versicherer weigerten, mit ihnen einen Vertrag abzuschließen.
Das war für verpartnerte Beamte besonders schlimm. Beamte sind nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, sondern erhalten stattdessen für einen Teil ihrer Krankheitskosten von ihrem Dienstherrn „Beihilfe“. Den Rest müssen die Beamten selbst tragen und dafür eine private Krankenversicherung abschließen. Das haben die Versicherungen bisher meistens abgelehnt.
Diese Praxis ist aufgrund des AGG so nicht mehr möglich. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung schwuler Männer (Ablehnung oder höhere Prämien) nur noch möglich, "wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen." Die Versicherungen können auf diesem Weg nicht nachweisen, dass schwule Männer ein höheres Erkrankungsrisiko und eine kürzere Lebenserwartung haben als heterosexuelle Männer. Die Regelung tritt zwar erst am 22.12.2007 in Kraft (§ 33 Abs. 4 AGG). Die Versicherungen scheinen ihre Praxis aber schon jetzt geändert zu haben.
Eine zweite sehr schwerwiegende Diskriminierung betrifft das Arbeitsentgelt für verpartnerte Beschäftigte.
Verheiratete Beamte erhalten einen Familienzuschlag und für ihre Partner Beihilfe. Außerdem erhalten überlebende Ehegatten eine Hinterbliebenenpension. Das alles wird verpartnerten Beamten verwehrt, obwohl die Lebenspartnerschaft zivilrechtlich in vollem Umfang der Ehe entspricht. Bei den Arbeitern und Angestellten gibt es dasselbe Problem wie bei den Betriebsrenten. Überlebende Ehegatten erhalten eine Hinterbliebenenrente, überlebenden Lebenspartnern erhalten sie sehr oft nicht. Das ist eine mittelbare Diskriminierung der verpartnerten Beschäftigten wegen ihrer sexuellen Ausrichtung beim Arbeitsentgelt, die durch die Richtlinie 2000/78/EG verboten ist.
Die deutschen Gerichte haben diese Diskriminierung gebilligt, so das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht für den Familienzuschlag und der Bundesgerichtshof für die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, die der Sache nach eine Betriebsrente ist. Zur Begründung haben sie sich auf Art. 6 Abs. 1 GG - Schutz von Ehe und Familie - berufen. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) haben das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat das gebilligt.
Die derzeitige mittelbare Diskriminierung von verpartnerten Beschäftigten wegen ihrer sexuellen Ausrichtung beim Arbeitsentgelt wird wahrscheinlich durch den EuGH beendet werden. Dort ist eine Vorlegungssache anhängig (Rechtssache C-267/06 - Tadao Maruko gegen Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen), in der es um die Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie 2000/78/EG auf Lebenspartner geht. In dieser Sache hat sich der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen für die volle Anwendbarkeit der Richtlinie auf Lebenspartner ausgesprochen. Dem pflegt der EuGH in aller Regel zu folgen. Dann können die verpartnerten Lebenspartner ab dem 03.12.2003 sogar die Nachzahlung des ihnen vorenthaltenen Arbeitsentgelts verlangen, weil die Umsetzungsfrist an diesem Tag abgelaufen ist.
Allgemeine Bemerkungen zum AGG
Keine Klagewelle
Zunächst ist festzustellen: Die von vielen Verbandsvertretern und Juristen vorausgesagte Klagewelle hat es nicht gegeben. Das war auch nach den Erfahrungen mit dem alten Gesetz (§ 611a BGB) nicht zu erwarten. Der Kölner Jura-Professor Ulrich Preis hat jetzt festgestellt, es seien bislang deutlich mehr Publikationen zum Thema erschienen, als es in absehbarer Zeit Rechtsfälle geben wird (ZESAR 2007, 249). Von der Fülle der Kommentare, Monografien und Aufsätze können Sie sich ein Bild machen, wenn Sie sich die Listen der Webseite des LSVD anschauen, in der die einschlägige Literatur und Rechtsprechung seit dem Jahre 2001 dokumentiert ist.
Rechtsklarheit durch Gerichtsentscheidungen
Richtlinien bezwecken die Rechtsvereinheitlichung in den Mitgliedstaaten. Sie geben dafür aber nur einen Rahmen vor und überlassen es den Mitgliedstaaten, ihr Recht entsprechend ihrer nationalen Rechtstraditionen umzugestalten. Hinsichtlich des Diskriminierungsschutzes bestehen in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtstraditionen. Einige haben schon seit langem ein ausdifferenziertes Gleichstellungsrecht, aber nur ein rudimentäres Kündigungsschutzrecht. Für sie war die Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinien in ihr nationales Recht kein Problem.
Ganz anders die deutsche Rechtstradition. Deutschland hatte mit dem § 611a BGB bisher nur ein rudimentäres Gleichstellungsrecht, dafür aber ein ausdifferenziertes Kündigungsschutzrecht. Es wäre deshalb Aufgabe des deutschen Gesetzgebers gewesen, die durch die EU-Gleichstellungsrichtlinien vorgegebenen Zielvorstellungen in das deutsche Recht zu integrieren. Das ist nicht geschehen. Stattdessen hat der deutsche Gesetzgeber lediglich die europäischen Rahmenvorschriften abgeschrieben. Sie stehen jetzt unverknüpft neben dem deutschen Kündigungsschutzrecht und dem deutschen Zivilrecht.
Auf diese Weise hat der Gesetzgeber die Anpassung des deutschen Rechts an die europäischen Zielvorstellungen den Gerichten überlassen. Es wird wohl drei bis fünf Jahre dauern, bis die Rechtsprechung die Hauptstreitfragen geklärt hat. Bis dahin ist die Rechtsunsicherheit groß. Dies ist wohl auch die Ursache dafür, dass in kurzer Zeit soviele Kommentare, Monografien und Aufsätze zum AGG erschienen sind. Für die von der Rechtsprechung zu leistende Anpassung des Arbeits- und Zivilrechts an das AGG sind allerdings die Weichen längst gestellt, weil es zu den von der Richtlinie verwandten und vom deutschen Gesetzgeber abgeschriebenen Begriffen eine sehr ausdifferenzierte, feststehende Rechtsprechung des EuGH gibt, die für die deutschen Gerichte bindend ist.
Wie ist es zu dieser Fehlleistung gekommen?
Sie ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen.
Da die CDU/CSU nicht bereit war, an der Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinien konstruktiv mitzuarbeiten, hat die damalige rot-grüne Regierungskoalition die Umsetzung von vorneherein auf das Arbeits- und das Zivilrecht beschränkt, weil sie diese Rechtsgebiete ohne Zustimmung des Bundesrats ändern konnte. An dieser Beschränkung hat dann auch die große Koalition nichts mehr geändert. Für eine grundsätzliche Überarbeitung des rot-grünen Entwurfs fehlte die Zeit, weil Deutschland mit der Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinien erheblich in Verzug geraten war und deshalb hohe Strafzahlungen der EU drohten. Außerdem hatte die CDU/CSU gegen das Antidiskriminierungsgesetz Wahlkampf gemacht. Deshalb gingen die Vorstellungen der SPD einerseits und der CDU/CSU andererseits über das Antidiskriminierungsgesetz so weit auseinander, dass an einer zügigen Einigung über einen neuen Entwurf nicht zu denken war.
Man hat deshalb einfach den rot-grünen Entwurf übernommen und in den Entwurf nur einige Änderungen eingefügt, die der CDU/CSU die Zustimmung erleichtern sollten, die aber zum Teil europarechtswidrig sind. So ist es dazu gekommen, dass der Staat durch das AGG nur seinen Bürgern vorschreibt, dass sie ihre Mitbürger nicht diskriminieren dürfen, sich selbst hat er dagegen von dieser Verpflichtung ausgenommen. Das AGG steht ja nicht über den anderen Gesetzen. Deshalb gelten z.B. die diskriminierenden Vorschriften des Beamtenrechts nach wie vor und werden allenfalls durch das höherrangige EU-Recht verdrängt.
Die Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinie war eine Querschnittsaufgabe. Sie betraf das Zivilrecht, das Arbeitsrecht, das Beamtenrecht und das Sozialrecht. Dafür sind jeweils andere Ministerien zuständig, ohne dass von vorneherein klar war, wem die Federführung zustand. Deshalb geschah in der 14. Legislaturperiode zunächst nichts. Schließlich legte das Justizministerium einen ersten Entwurf für seinen Zuständigkeitsbereich vor, das Zivilrecht. Dieser wurde von einem Teil der Verbände und der Juristen vehement abgelehnt und ist von Schröder im Wahlkampf nach einer Intervention der Kirchen gestoppt worden.
In der 15. Legislaturperiode einigte sich die rot-grüne Koalition dann sehr mühsam auf ein federführendes Ministerium und betraute damit das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das für keines der betroffenen Rechtsgebiete zuständig ist. Damit waren zugleich die Weichen für ein eigenständiges Antidiskriminierungsgesetz und gegen die Implementierung der Gleichstellungsrichtlinien in die einzelnen Rechtsgebiete gestellt. Hinzu kam, dass auch in der SPD zunächst sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Umsetzung der Gleichstellungsrichtlinien bestanden. Teile der SPD wollten die Richtlinien zunächst nur ein zu eins umsetzen. Dazu gehörte auch die Justizministerin Zypries.
Als der LSVD sie auf die Probleme von Schwulen mit den privaten Lebens- und Krankenversicherungen hinwiesen, hat sie erwidert, dafür brauche man kein Gesetz, das könne man durch Verhandlungen mit den Versicherungen lösen. Der LSVD hat sie daraufhin gebeten, das zu versuchen. Dies hat sie auch getan, aber ohne Erfolg. Das ist wohl einer der Gründe dafür, warum den Versicherungen im zivilrechtlichen Teil des AGG über die Richtlinien hinaus die Diskriminierung wegen aller Merkmale verboten worden ist. Wegen der parteiinternen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der SPD hat sich die rot-grüne Koalition in der 15. Legislaturperiode erst so spät auf den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes geeinigt, dass er dann infolge der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Bundesrat „hängenblieb“ und der Diskontinuität verfiel.
Versagen der Rechtswissenschaft
Aber nicht nur die Ministerien und die Parteien haben versagt, auch die Rechtswissenschaft hat wenig zu einer vernünftigen Umsetzung der Gleichstellungsrichtlinien beigetragen. Der Hauptfehler ist, dass die Rechtswissenschaft die Verabschiedung der Richtlinien verschlafen hat. Die Juristen meldeten sich erst, zu Wort, als die Richtlinien bereits verabschiedet und das Kind gewissermaßen in den Brunnen gefallen war. Nur die Kirchen haben sich frühzeitig in den Beratungsprozess in Brüssel eingeschaltet und für ihren Bereich eine Ausnahmeregelung durchgesetzt.
Erst nachdem die Richtlinien verabschiedet und damit für die Bundesrepublik bindend waren, erschienen in der juristischen Literatur flammende Appelle gegen ein Antidiskriminierungsgesetz. Ich habe mich beim Lesen dieser Artikel immer wieder gefragt, ob die Verfasser keine Ahnung vom europäischen Recht haben und nicht wissen, dass verabschiedete Richtlinien für die Mitgliedstaaten bindend sind und umgesetzt werden müssen. Es wäre deshalb sehr viel hilfreicher gewesen, wenn die Juristen konkrete Vorschläge gemacht hätten, wie die Richtlinien in das deutsche Recht integriert werden können. Solche Vorschläge gab es nur sehr wenige. In den zahlreichen Veröffentlichungen, die nach der Verabschiedung der Richtlinien erschienen sind, wurde nur allgemein darüber diskutiert, was auf den Prüfstand müsse.Nach meinem Eindruck hat deshalb auch die Rechtswissenschaft versagt.
Europawidrige Regelungen
Da die Kompromissfindung über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz so schwierig war, enthält das Gesetz eine Reihe von Regelungen, die europarechtswidrig sind.
Darauf habe ich den Gleichstellungskommissar Spidla im Namen des LSVD im März dieses Jahres hingewiesen und ihn gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Das haben auch andere Verbände getan. Der Kommissar hat jeweils geantwortet, dass zur Zeit die EU-Kommission die Umsetzung der Richtlinien durch Deutschland prüfe.
Ob es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt und was dabei herauskommt, ist offen. Ich gehe davon aus, dass der EuGH schon vorher eine Reihe von Streitfragen klären wird. Insoweit halte ich den Appell von Professor Gregor Thüsing an die Gerichte für verfehlt, mit Vorlagen zurückhaltend zu sein. Je mehr Vorlagen, desto schneller gibt es Rechtsklarheit. Leider gibt es ja beim EuGH kein der Verfassungsbeschwerde entsprechendes Rechtsmittel. Die Betroffenen können den EuGH nicht selbst anrufen, sondern sind darauf angewiesen, dass das Gericht ihre Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegt.
Fazit
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist keine Meisterleistung. Aber es bedeutet auch nicht den Untergang unserer Rechtskultur, wie immer wieder behauptet worden ist. Die Rechtsprechung wird Klarheit schaffen und die Aufregung wird sich dann legen. Siehe ergänzend auch unseren „Ratgeber zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“, der sich speziell an Lesben und Schwule wendet.
Manfred Bruns war bis zu seiner Pensionierung Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Er ist einer der Sprecher des „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)." Für sein Engagement erhielt er das Bundesverdienstkreuz.