von Matthias König
Im noch jungen Jahr 2008 ist die Debatte um Integration und Multikulturalität neu entfacht. Auf der einen Seite forciert durch die Aktivitäten der Bundesregierung, die 2008 zum „Jahr der Integration“ erklärt hat und im Rahmen des Nationalen Integrationsplans ambitionierte Ziele verfolgt, auf der anderen Seite aufgeheizt durch rassistische Übergriffe von Deutschen und Gewalttaten jugendlicher Zuwanderer in mehreren deutschen Großstädten, den polarisierten Wahlkampf in Hessen, die schrecklichen Ereignisse in Ludwigshafen und die darauf folgenden Reaktionen, erfahren die Themen derzeit eine politische und mediale Aufmerksamkeit, wie selten zuvor. In dieser Atmosphäre einer zunehmenden Sensibilisierung für die Relevanz interkultureller Themen wird in Deutschland eine Initiative der Europäischen Union implementiert, die kaum passender sein könnte: das „Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs 2008“.
Hintergründe und Ziele
Die Initiative geht auf einen Vorschlag des für Bildung, Kultur und Mehrsprachigkeit zuständigen EU-Kommissars Ján Figel' zurück, der am 27. September 2004 bei einer Anhörung des Europäischen Parlaments erstmals die Idee eines solchen Jahres geäußert hatte. Im Oktober 2005 nahm die Europäische Kommission den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates an (KOM/2005/467 vom 05.10.2005). Nach der für den Kulturbereich vorgesehenen Konsultations- und Entscheidungsprozedur gemäß Art. 151 EGV wurde der Vorschlag in geänderter Fassung (KOM/2006/492 vom 05.09.2006) von Rat und Europäischem Parlament am 18. Dezember 2006 angenommen (Entscheidung Nr. 1983/2006/EC).
Die Europäische Union fördert bereits seit vielen Jahren in zahlreichen Programmen und Initiativen den interkulturellen Dialog der Mitgliedstaaten untereinander und mit Drittländern. Er ist nach und nach zu einem festen Bestandteil der Gemeinschaftsmaßnahmen geworden. Die Bedeutung, die die EU dem interkulturellen Dialog beimisst, erklärt sich insbesondere aus der Tatsache, dass Europas Gesellschaften zunehmend bunter und multikultureller werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie liegen in der sukzessiven Erweiterung der Europäischen Union, der aufgrund des Binnenmarktes gestiegenen Mobilität, alten und neuen Migrationsbewegungen, dem intensiver werdenden weltweiten Austausch in den Bereichen Handel, Bildung und Freizeit sowie der Globalisierung im Allgemeinen. Diese wachsende Vielfalt stellt die europäischen Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion gilt es zu bewältigen. Der interkulturelle Dialog und die Entwicklung interkultureller Kompetenzen gewinnen in diesem Zusammenhang immer stärker an Bedeutung. Sie sind wesentliche Voraussetzungen für ein respektvolles und friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund.
Durch das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs sollen die bereits bestehenden Gemeinschaftsprogramme ergänzt und die Aktivitäten der EU in diesem Bereich in besonderem Maße hervorgehoben werden. Ziel des Jahres ist es, die Menschen in Europa für das Thema kulturelle Vielfalt zu sensibilisieren, für seine Vorteile zu werben und den interkulturellen Dialog zu fördern und zu unterstützen. Die europäischen Bürger und alle in der Europäischen Union lebenden Menschen sollen beim Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten unterstützt werden, die es ihnen ermöglichen, mit einer offeneren und komplexeren Umwelt umzugehen. Zu diesem Zweck werden im Rahmen des Europäischen Jahres Aktionen gefördert, die der Verwirklichung dieser Ziele dienen. Dabei wird eine große Bandbreite an Themen, Veranstaltungen, Projekten und anderen Aktionen mit Bezug zu Kultur, Jugend, Bildung, Migration, Minderheiten und Religion abgedeckt.
Aktivitäten auf EU-Ebene
Für die Umsetzung des Europäischen Jahres werden von der EU insgesamt zehn Millionen Euro bereitgestellt. Ein Gesamtbetrag von drei Millionen Euro ist für die Kofinanzierung von Aktionen in den Mitgliedstaaten vorgesehen. Wichtigstes Instrument zur Verbreitung der Botschaften des Europäischen Jahres sind zum einen verschiedene EU-Projekte, an denen sich Menschen aus allen Mitgliedstaaten beteiligen, zum anderen dezentrale Projekte und Veranstaltungen auf nationaler Ebene. Begleitet werden diese Aktivitäten von einer breit angelegten Öffentlichkeitskampagne mit der die Botschaften des Jahres und die Ergebnisse der verschiedenen Aktionen bekannt gemacht werden sollen. Die Kampagne wird von fünfzehn namhaften Persönlichkeiten aus dem europäischen Kulturleben unterstützt, die sich als „Botschafter des Jahres“ engagieren. Zu ihnen gehören unter anderem Henning Mankell, Charles Aznavour und Agnieszka Holland.
Am 8. Januar ist der offizielle Startschuss für das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs gefallen. Die slowenische EU-Ratspräsidentschaft und die Europäische Kommission haben das Jahr mit einer europaweiten Konferenz in Ljubljana eröffnet. Im Verlauf des Jahres werden auf europäischer Ebene sieben Projekte stattfinden, die die Aufmerksamkeit auf die Ziele des Europäischen Jahres lenken und den Nutzen des interkulturellen Dialogs betonen sollen. Seitens der EU werden diese Projekte mit 2,4 Millionen Euro bezuschusst. Zudem finden über das ganze Jahr verteilt so genannte „Brüsseler Debatten“ zu verschiedenen interkulturellen Themen statt. Das Spektrum reicht dabei von Diskussionsveranstaltungen zum interkonfessionellen Dialog, zum Thema Mehrsprachigkeit oder zur Rolle der Medien beim interkulturellen Dialog.
Ausführliche Informationen zu den Projekten unter http://www.dialogue2008.eu/ |
Umsetzung in Deutschland
Die Gestaltung des Europäischen Jahres ist in erster Linie Aufgabe der Mitgliedstaaten. Hier wiederum liegt die Planung und Umsetzung in der Kompetenz der nationalen Koordinierungsstellen, die von den Mitgliedstaaten eingerichtet wurden. In Deutschland wurde das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Koordinierungsstelle bestimmt. Bei seinen Aufgaben wird es von einer nationalen Geschäftsstelle unterstützt, die bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege eingerichtet wurde. Letztere ist erste Anlaufstelle für alle Fragen im Zusammenhang mit dem Europäischen Jahr. Darüber hinaus berät sie interessierte Personen und Organisationen über Kooperationsmöglichkeiten, stellt Projekten, die sich am Jahr beteiligen wollen, das offizielle Logo zur Verfügung und bietet ihnen Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit an. Hauptaufgabe der nationalen Koordinierungsstelle war in der Phase der Vorbereitung und Planung, die nationale Strategie und die nationalen Prioritäten für das Jahr festzulegen, die Aktionen auf nationaler Ebene auszuwählen und den Antrag auf Gewährung der Finanzhilfe bei der Europäischen Kommission zu stellen. Seit Beginn des Jahres ist die Koordinierungsstelle dafür verantwortlich, die Durchführung der ausgewählten Aktionen zu überwachen und zu koordinieren.
Zur Planung der Umsetzung des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs wurde Anfang 2007 eine Abfrage unter den Bundesministerien unter Einbindung der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration und dem Bundeskanzleramt, in den Bundesländern, bei den kommunalen Spitzenverbänden und in der Zivilgesellschaft gestartet, in der auf die Ziele des Jahres und die Entscheidung Nr. 1983/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hingewiesen wurde. Ein besonders hoher Stellenwert kommt bei der Umsetzung des Jahres der Zivilgesellschaft zu, da es eine Vielzahl an Verbänden und Organisationen gibt, die sich mit der Thematik des Jahres schon lange befassen. Neben den Sozialpartnern, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden wurden daher insbesondere die Dachverbände der größten Religionsgemeinschaften in Deutschland, Migrantenorganisationen und Kulturverbände sowie interkulturelle Organisationen und Bildungseinrichtungen angeschrieben. Die Akteure wurden gebeten, Ideen zur nationalen Umsetzung beizutragen. Aus den eingegangenen Vorschlägen wurden anhand der in Nr. 6 der beschränkten Ausschreibung (2007/C78/10 vom 11.04.2007) genannten Zuschlagskriterien förderungswürdige Projekte ausgewählt. Die nationale Strategie mit den ausgewählten Projekten wurde wiederum im Ressortkreis, in den Bundesländern, den kommunalen Spitzenverbänden und in der Zivilgesellschaft zur Abstimmung gestellt und schließlich bei der Kommission zusammen mit dem Antrag auf Finanzhilfegewährung eingereicht.
Von Seiten der EU erhält Deutschland rund 252.000 Euro für die Umsetzung des Europäischen Jahres. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend steuert den gleichen Betrag dazu, so dass insgesamt etwa 504.000 Euro für die Finanzierung von Aktionen zur Verfügung stehen. Die Mittel teilen sich auf acht Projekte auf, die im Rahmen der nationalen Strategie gefördert werden. Die Themen der Projekte reichen vom interreligiösen Dialog, über Veranstaltungen zum interkulturellen Lernen bis hin zur medienpädagogischen Begleitung von ausländischen Filmen, die sich mit dem interkulturellen Dialog befassen. Zudem findet während des gesamten Jahres eine Medien- und Öffentlichkeitskampagne statt, durch die die Botschaften des Jahres kommuniziert werden sollen. Ebenso wie auf der europäischen Ebene engagieren sich auch in Deutschland prominente Persönlichkeiten als „Botschafter des Jahres“. Hierzu zählen unter anderem die deutsch-vietnamesische Schauspielerin und Moderatorin Minh-Khai Phan-Thi, der Filmkomponist und Oscarpreisträger Hans Zimmer oder der Fußball-Bundesligist Hertha BSC Berlin.
Ausführliche Informationen zu den Projekten unter http://www.bagfw.de/ |
Am 18. und 19. Februar fand die nationale Auftaktveranstaltung für das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs in der Kalkscheune in Berlin-Mitte statt. Eingeladen hatten das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Nationale Agentur Bildung für Europa. Neben einer öffentlichkeitswirksamen Eröffnung und Bekanntmachung der Ziele des Jahres war es Ziel der Veranstaltung, die zentralen Botschaften des Europäischen Jahres zu kommunizieren und den Startschuss für die Aktivitäten in Deutschland zu geben. An der Konferenz nahmen von Seiten der Politik der Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gerd Hoofe, und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Prof. Dr. Maria Böhmer, teil. Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage nach den Herausforderungen und Chancen, die der interkulturelle Dialog mit sich bringt. Dazu diskutierten unter anderem die Frauenrechtlerin und Autorin, Seyran Ates, die Schauspielerin, Moderatorin und Regisseurin Mo Asumang, die Fernsehautorin und Producerin der Sozialreportage „30 Tage Moslem“, Silke Pollmeier, sowie der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration, Günter Piening. Bei einem „Markt der Möglichkeiten“ präsentierten sich zwölf Projekte, die im Rahmen des Europäischen Jahres in Deutschland stattfinden. In vier Workshops wurde unter anderem zu den Themen „Förderung der Integration von Familien mit Migrationshintergrund“, „Jugendliche für den interkulturellen Dialog gewinnen“ und „Die Rolle der Bildung für den interkulturellen Dialog“ gearbeitet. Mit der Auftaktveranstaltung fiel der offizielle Startschuss für die Umsetzung des Jahres in Deutschland.
Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten
Nähere Informationen über die geförderten Projekte und die Umsetzung des Europäischen Jahres sind auf der europaweiten sowie auf der nationalen Website zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs erhältlich. Hier ist auch eine Übersicht über alle weiteren Aktionen zu finden, die im Rahmen des Europäischen Jahres in Deutschland stattfinden, jedoch keine Förderung aus EU- bzw. Bundesmitteln erhalten. Die zuletzt genannten Veranstaltungen sind für das Gelingen des Jahres unentbehrlich und machen den Großteil der Aktionen in Deutschland aus. Ziel ist die Einbindung möglichst vieler Veranstaltungen, die einen inhaltlichen Bezug zum Jahr haben. Insbesondere für zivilgesellschaftliche Organisationen und Kommunen bieten sich hier vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten: Wenn sich jeder Verband und jeder Verein bzw. jede Gemeinde und jede Stadt fragt, ob sich nicht ein Projekt oder eine Veranstaltung zu den Themen des Europäischen Jahres realisieren ließe, oder ob die eine oder andere Veranstaltung, die in Planung ist, unter das Thema „Interkultureller Dialog“ fällt, kann das Jahr zu einem echten Erfolg werden. Eigeninitiative und Ideen sind gefragt, wobei der Phantasie freier Lauf gelassen werden kann: Nicht nur Tagungen, Fachgespräche oder Kongresse, auch Ausstellungen, Filme, Lesungen, Wettbewerbe, künstlerische oder sportliche Veranstaltungen, können sich in den Rahmen des Jahres einbringen und zur Verbreitung seiner Botschaften beitragen. Wer sich für eine Teilnahme auf diesem Weg entscheidet, erhält das offizielle Logo des Jahres, das über die nationale Geschäftsstelle angefordert werden kann. Das Logo soll dafür sorgen, dass die Veranstaltungen eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und alle Aktionen zum Jahr in Deutschland sichtbar werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, auf den genannten Websites für Veranstaltungen zu werben und damit eine hohe Öffentlichkeit zu erzeugen.
Matthias König ist Leiter der nationalen Geschäftsstelle „Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs 2008“ bei der Bundesarbeitsgemein- schaft der Freien Wohlfahrts- pflege.